Medizin wandelt sich ständig, doch nachhaltige Gesundheitspolitik fehlt. Aktuelle Reformen bringen wenig: Hausarztpauschalen schaffen Bürokratie, Krankenhausreform hilft nur Großkliniken. Nötig sind sektorenübergreifende Versorgung und Strukturreformen.
Medizin als Wissenschaft ist ständig im Fluss - so stand es früher im Impressum von Fachbüchern. Das stimmt, aber daraus resultiert unmittelbar dass Medizin als sozialpolitische Aufgabe (Gesundheitspolitik) ebenfalls ständigen Anpassungen unterliegt. Das wurde in den letzten Jahrzehnten zwar wahrgenommen, eine nachhaltige Reaktion der Politik darauf fehlt jedoch bisher. Wie in der Medizin so braucht es auch in der Gesundheitspolitik vorausschauendes Handeln. Prävention statt Korrektur. Und Sparmaßnahmen haben selten präventive Wirkung. Was wir brauchen ist eine auskömmliche Finanzierung für jetzt und einen Plan für neue oder angepasste Strukturen in der Zukunft. Und, das muss betont werden, ein solcher Plan muss konsequent umgesetzt werden.
Helfen uns nun die aktuellen Gesetzesänderungen weiter? Die Regelungen zu Pauschalen der hausärztlichen Versorgung sind da wenig hilfreich. Sie sollen kostenneutral angelegt sein, erfordern aber in der Umsetzung einen teils hohen bürokratischen Aufwand. In der Folge steht weder Kassen noch Kassenärzten nicht mehr Zeit oder Geld zur Verfügung sondern weniger.
Es ist uns dank großem Engagement vieler Kolleginnen und Kollegen gelungen, Schaden von Schwerpunktpraxen abzuwenden. Lieber hätten wir allerdings unsere Energie in einen Prozess gesteckt, der nicht Schaden verhindert sondern positive Entwicklungen in der Zukunft ermöglicht. Die noch ausstehenden Beschlüsse zu Chronikerpauschalen werden ebenfalls keinen positiven Effekt entfalten können, zu groß sind die Unwägbarkeiten und bürokratischen Aufwände für die Vertragspartner bei der Umsetzung - somit ist eine Lösung zu erwarten, die am Status quo kaum etwas ändert.
Die Krankenhausreform bringt sicher Vorteile für große Kliniken, das wird zu einer Veränderung der Krankenhauslandschaft führen. Die Effekte werden regional sehr unterschiedlich sein. Es zeichnet sich allerdings ab, dass es in Zukunft in vielen Fachrichtungen nicht mehr ohne Weiteres möglich sein wird, die Facharztweiterbildung im stationären Bereich abzuleisten. Auch die stationäre Versorgung wird in Zukunft auf die Kooperation mit Niedergelassenen angewiesen sein, um den Versorgungsstandard zu halten.
Die notwendige intersektorale Versorgung bedarf aber zwingend Regeln, die es bisher noch nicht gibt.
Hier liegt aus meiner Sicht ein wesentliches Potential für eine effizientere Versorgung und die Sicherung von Facharztnachwuchs.
Ob ein Primärarztsystem effektiv ist, hängt von sehr vielen Faktoren ab. Ein solches System verlangt von allen Beteiligten viel Disziplin, sonst werden sehr schnell Umgehungswege gefunden. Es ist aber auch klar, dass damit ein "Flaschenhals" auf Hausarztebene entstehen kann. Viele Menschen haben keinen Hausarzt. Wen suchen sie dann bei einer Verletzung auf? Bisher den Chirurgen, in einem Primärztsystem zuerst den Hausarzt - bei dem sie sich aber vorher einschreiben mussten. Ich habe Zweifel, ob ein solches System allein und ohne weitere Steuerungsmassnahmen einen Fortschritt darstellt. Ich sehe es eher als einen weiteren Versuch zur Kostendämpfung, der im Ergebnis entweder ohne Effekt ist oder aber eine echte Zweiklassenmedizin (FA Zugang mit Zusatzversicherung).
Die Lösung der Probleme ist nur mit grundlegenden Änderungen möglich. Dazu gehört neben sektorenübergreifender Versorgung eine Reform der Beitragsbemessung in der GKV mit einem Selbstbehalt, der sozialverträglich abgesichert werden muss (eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft und nicht nur des Kollektivs der gesetzlich Versicherten), eine Reform der Gebührenordnungen, so dass erbrachte Leistungen adäquat vergütet werden, aber auch so, dass diese dem Stand der Wissenschaft angepasst werden. Und nicht zuletzt müssen Anreize für unnötige Arztbesuche fallen, wir brauchen eine funktionierende und für alle Akteure nutzbare Informatik-Infrastruktur, die technisch auf dem neuesten Stand ist (und bleibt), wir brauchen den Abbau teurer Bürokratie basierend auf dem Vertrauen der Akteure zueinander und Agieren auf der Basis kontrollierter Qualität.
Dazu ist nicht nur die Politik gefordert, es braucht auch das konstruktive Miteinander von Kammern, KBV, Kassen und Versicherungen sowie – leider gerne vergessen – den Versicherten selbst.
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2025; 37 (5) Seite 18-19
