Gesundheitsreformen übersehen Diabetologie systematisch. Trotz 200 000 stationärer Diabetes-Fälle jährlich fehlen spezialisierte Strukturen. Ambulante Schwerpunktpraxen kämpfen um Finanzierung. Status quo gesichert, Verbesserungen ausgeblieben.
Unser Gesundheitswesen muss sich weiter entwickeln. Der Zugang für die Patientinnen und Patienten muss ebenso gesichert werden wie die Finanzierbarkeit. Und das bei mindestens gleicher, wenn möglich verbesserter Versorgungsqualität. Ambulantisierung, Digitalisierung, Multiprofessionalität – all das ist kein Selbstzweck. Es sind die großen versorgungspolitischen Entwicklungslinien, um die Qualität und Wirtschaftlichkeit unserer Gesundheitsversorgung auch in Zukunft zu sichern.
Ziele der aktuellen Krankenhausreform vor diesem Hintergrund waren: Qualitätsorientierte Zentralisierung und Spezialisierung, Reduzierung der mit dem DRG-System verbundenen Fehlanreize zur Mengenentwicklung sowie Ambulantisierung der im internationalen Vergleich zu häufigen stationären Behandlungen. Zudem eine Stärkung der digitalen Vernetzung und Infrastruktur, um den damit verbundenen Transformationsprozess konsequent mit Leben zu füllen. Wichtigste Instrumente dafür sind die Vergütungsreform mit einem zukünftig ca. 60-prozentigen Anteil Vorhaltevergütung sowie die geänderte Bedarfsplanung nach qualitätsorientierten Leistungsgruppen.
Offene Fragen
Auch wenn bei diesem Konzept zunächst noch einige Fragen offengeblieben sind – etwa zur Notfallreform, Auf- und Umbau ambulant-sektorenübergreifender sowie digital-hybrider Versorgungsstrukturen –, erscheint es grundsätzlich als ein Schritt in die richtige Richtung. Die Diabetologie hätte hierbei in vieler Hinsicht beispielhaft sein können. Nur zwei Prozent aller Menschen mit Diabetes werden jährlich mit einer Hauptdiagnose Diabetes mellitus stationär behandelt. Diese GKV-weit rund 200 000 Patienten benötigen umso mehr eine hochspezialisierte Behandlung. Doch ca. 80 Prozent dieser Fälle werden bislang in Einrichtungen mit nur rudimentären oder keinen diabetologischen Strukturen betreut! Durch konsequente Umverteilung könnte die Bündelung in diabetologischen Kompetenzzentren gelingen. Der Betrieb einer 20-Betten-Station würde eine Mindestmenge an jährlichen Behandlungsfällen von 750 Fällen versorgen können, die eine Vorhaltung der entsprechenden Expertise ökonomisch sinnvoll ermöglicht. Die flächendeckende Versorgung wäre mit dieser Mindestmenge an Behandlungszahlen gewährleistet. Ebenso die notwendige Querschnittsversorgung zur Mitbehandlung von Diabetikern, die wegen anderer Hauptdiagnosen in nicht diabetologisch qualifizierten Kliniken behandelt werden, z.B. durch Telekonsile und Telemonitoring. Etwa 3 Mio. Krankenhausfälle jährlich wären davon betroffen.
Doch stattdessen wurde die Diabetologie allem Anschein nach bei den stationären Reformüberlegungen weitgehend übersehen. Aus der Krankenhausperspektive rangiert Diabetes mellitus in Fachkreisen unter den "ambulant-sensitiven Krankenhausfällen" (Sundmacher et al. 2015). Dies hat zur Folge, dass in dem Reformkonzept zum KHVVG keinerlei Verbesserungen im Hinblick auf die oben beschriebene Qualitätsorientierung feststellbar war. Im Gegenteil tauchten insbesondere in der Leistungsgruppe "LG002 Komplexe Endokrinologie und Diabetologie" aus diabetologischer Sicht sowohl fachfremde als auch praktisch unerfüllbare Strukturanforderungen auf. Besonders zu nennen ist hierbei die ursprüngliche Anforderung der LG002, dass mindestens 2 Fachärzte für Endokrinologie / Diabetologie vorzuhalten seien. Mit der Veröffentlichung des KHVVG-Groupers durch das InEK Anfang des Jahres wurde dann überraschend offenbar, dass diabetologische Hauptbehandlungen gar nicht zwingend in dieser Leistungsgruppe erbracht werden müssen. Vielmehr könnte nunmehr sogar im Regelfall die LG002 umgangen und Diabetesbehandlungen z.B. in der allgemeinen inneren Medizin (LG001) verortet werden – ohne jegliche diabetesspezifische Strukturqualität! Noch gravierender bei Kindern und Jugendlichen, wo per se aufgrund der Leistungsgruppenzuordnungen zukünftig nur pädiatrische, nicht jedoch fachspezifische, z.B. diabetologische oder kardiologische Kompetenzen benötigt werden.
Mit den neuesten Entwürfen zum Krankenhausversorgungsanpassungsgesetz (KHAG) scheint sich nun die beschriebene Anforderung der LG002, mindestens zwei Fachärzte für Endokrinologie / Diabetologie vorzuhalten, zugunsten einer praktikablen Regelung aufgelöst zu haben. Nunmehr können auch in entsprechender Anzahl Fachärzte für innere Medizin mit Zusatzweiterbildung Diabetologie eingesetzt werden – was dem "Gold-Standard" in hochspezialisierten Diabetesfachkliniken und -abteilungen in Deutschland entspricht. Damit wäre nun auch der Weg frei, diese Leistungsgruppe zukünftig unter bestimmten Bedingungen als "Kostentrenner" für hochspezialisierte Einrichtungen zu nutzen. Dies ändert jedoch nichts an den übrigen beschriebenen Problemen. Vor allem stellt es keinerlei Verbesserung gegenüber der bisherigen Situation dar.
Grundlage für die Zukunft
Ähnlich im ambulanten Bereich: Hier sollte das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) die Grundlage für eine wirtschaftliche Zukunft und adäquaten Zugang vor allem im hausärztlichen Bereich schaffen. Entbudgetierung der Hausärztlichen Vergütung, Umstellung von der Quartalslogik auf Jahres- oder Halbjahrespauschalen pro Patient sowie anteilige Vorhaltevergütung lauteten die verheißungsvollen Kernelemente. Doch auch hierbei wurden zunächst die fatalen Auswirkungen speziell für die Diabetologie völlig übersehen! Die Besonderheit diabetologischer Schwerpunktpraxen (DSP) besteht bekanntlich darin, dass es sich nicht um ein eigenständiges fachärztliches Gebiet handelt. Ein großer Teil der Praxen arbeitet hausärztlich und bei Diabetespatienten quasi in "Doppelfunktion" als Primärbehandler und/oder Spezialisten. Die ersten Entwürfe zum GVSG hätten wiederum zur Folge gehabt, dass bei Diabetespatienten, die anderweitig hausärztlich betreut und von einer hausärztlichen DSP mitbehandelt werden, nur ein Hausarzt die neue Jahrespauschale hätte abrechnen können und die DSP folglich leer ausgegangen wäre. Auch die geplante Vorhaltevergütung hätte die besonderen strukturellen Anforderungen einer DSP nicht berücksichtigt. Letzteres konnte inzwischen auf dem Verhandlungswege im erweiterten Bewertungsausschuss korrigiert werden. Die ab 01.01.2026 geltende neue Vorhaltepauschale 03041 wird hausärztlichen DSP neben der abgesenkten 03040 allein aufgrund ihres Strukturmerkmals Diabetes-Schwerpunktpraxis ohne weitere Bedingungen gezahlt, wenn sie mindestens 20 % Diabetespatienten behandeln. Im Unterschied dazu muss eine Hausarztpraxis dafür mindestens 2 Zusatzkriterien wie Hausbesuche, Impfungen, Pflegeheimbetreuung, Ultraschall oder erweiterte Sprechzeiten erfüllen.
Ob die Berücksichtigung des Status DSP nun auch bei der vom Hausärzte-Verband gewünschten Jahres- oder Halbjahres-Versorgungspauschale gelingen wird, bleibt abzuwarten. Entsprechend dem Versorgungsauftrag im DMP wäre hier zu wünschen, dass Chroniker mit einem entsprechend intensiven Betreuungsbedarf eine Ausnahme bilden und weiterhin quartalsweise abgerechnet werden dürfen.
Alle genannten Korrekturen, teilweise bereits beschlossen und teils noch in Diskussion befindlich, werden wohl kurzfristig eine Schlechterstellung von diabetologischen Praxen und Kliniken durch die Reformgesetze abwenden. Eine systematische Verbesserung ergibt sich jedoch weder für die Einrichtungen noch für die Versorgung von Menschen mit Diabetes in Deutschland. Mit viel Kraft konnte also bei den laufenden Gesetzesvorhaben im ambulanten und stationären Bereich lediglich der Status quo für die Diabetologie gesichert werden!
Eine ernüchternde Bilanz, die u.a. die Frage aufwirft, wie die Diabetesversorgung zukünftig wieder mehr in das Zentrum des gesundheitspolitischen Interesses rücken kann? Während in den vielerorts streng sektoralen Denkstrukturen des Gesundheitswesens weder im ambulant-ärztlichen Sektor noch im Krankenhausbereich Diabetesversorgung eine nennenswerte Rolle spielt, findet sich diese politische Aufmerksamkeit hierzulande allenfalls bei sektorübergreifenden oder präventionsorientierten Themen wie etwa den Disease Management Programmen (DMP). Diabetes mellitus ist eine der häufigsten chronischen Volkskrankheiten, mit einer gewaltigen und steigenden Krankheitslast für unser Gesundheitssystem. Eine zeitgemäße strukturierte und präventionsorientierte Versorgung ist daher dringend notwendig. Hierfür sind bislang die DMP die wichtigste inhaltliche und ökonomische Grundlage. Diese gilt es jedoch dringend und umfassend zu reformieren, z.B. im Rahmen der aktuell anstehenden "Digitalen DMP Diabetes" (dDMP). Dabei könnten mit etwas gutem Willen, Innovationsbereitschaft, Lösungsorientierung und konzertiertem Handeln auch die skizzierten Reformbedarfe für eine qualitätsorientierte Diabetologie adressiert werden.
- Stillstand oder Aufbruch in der Diabetologie?
- KHVVG und KHAG aus Sicht des BVKD
- VDBD: Diabetesberatung ist Patientensicherheit
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- Diabetologie vergessen? Eine GKV-Perspektive
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2025; 37 (5) Seite 20-22
