Adipositas ist ein ernstzunehmendes Problem – für Betroffene und auch im Hinblick auf Belastungen des Gesundheitssystems. Mit vereinter Hilfe sollen Betroffene nun aufgeklärt, gestärkt und unterstützt werden.

Hierzulande beläuft sich die Zahl der Erwachsenen mit Adipositas auf mittlerweile rund 20 Prozent. Damit steigt der Bedarf an angemessener Gesundheitsversorgung der Betroffenen. Menschen mit krankhaftem Übergewicht müssen neben gewichtsbezogenen Kommentaren von ihrer Umwelt oft auch noch mit zahlreichen Begleiterkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fettleber, Schlafapnoe und Gelenkbeschwerden zurechtkommen. "Adipositas ist kein Lifestyle-Problem, sondern eine chronische Erkrankung, die einer entsprechenden Therapie bedarf", erklärt Christina Holzapfel, Ernährungswissenschaftlerin und Professorin für Humanernährung an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Fulda. Die Behandlung dieser psychisch und physisch belastenden und seit 2020 im deutschen Gesundheitssystem anerkannten Erkrankung, soll mit dem Disease-Management-Programm (DMP) Adipositas verbessert werden.

Weg eines DMPs

Das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen, der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), besteht aus Vertretern der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband). Der G-BA wurde vom Gesetzgeber auf Grundlage des Gesundheitsversorgungs-Weiterentwicklungsgesetz (GVWG) beauftragt, ein strukturiertes, leitliniengerechtes und bedarfsorientiertes Behandlungsprogramm Adipositas zu beschließen.

© G-BA
Wie entsteht ein neues DMP-Angebot?

Für Betroffene eröffnet sich mit solch einem Programm die Chance, dass sie sich mit ihrer Erkrankung ernster genommen fühlen und ihre Versorgung verbessert wird. Im Sommer 2023 lag die Ausarbeitung des Behandlungsprogramms vor (Schritt 3 in der Graphik). Mitte Oktober 2023 erfolgte die Anhörung von Externen. Dazu gehörte auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). Im November vergangenen Jahres beschloss der G-BA das Programm (Schritt 4 in der Grafik). Allerdings wird es noch dauern, bis sich gesetzlich Versicherte in ein DMP Adipositas einschreiben können. Nach positiver Prüfung auf Rechtskonformität durch das Bundesministerium für Gesundheit tritt der Beschluss in Kraft (Schritt 5 in der Grafik). Die Krankenkassen können dann DMP-Verträge mit Praxen und Krankenhäusern schließen (Schritt 6 in der Grafik). Eine gesetzliche Verpflichtung der Krankenkasse, ein DMP anzubieten, gibt es derzeit nicht.

Wer darf sich in das DMP Adipositas einschreiben?

In das DMP Adipositas können sich Erwachsene einschreiben, die einen Body-Mass-Index (BMI) zwischen 30 und 35, mit mindestens einer Begleiterkrankung haben. Liegt der BMI über 35, ist die Teilnahme auch ohne weitere Begleiterkrankung möglich. Außerdem ist eine aktive Beteiligung der Betroffenen bei der Umsetzung therapeutischer Maßnahmen im Hinblick auf Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten sowie ein Plus an körperlicher Aktivität wichtig.

DMP Diabetes verringert die Sterblichkeitsrate

Adipositas erfordert ein lebenslanges Krankheitsmanagement. Demzufolge ist ein langfristiger, einrichtungsübergreifender und engmaschig kontrollierender Ansatz eines strukturierten Behandlungsprogrammes angemessen, um betroffene Menschen im Umgang mit ihrer Erkrankung zu unterstützen. Mit der gesetzlich vorgeschriebenen Evaluierung der DMPs liegen Ergebnisse für die Wirksamkeit dieser Behandlungsprogramme vor. So liegt beispielsweise im Rahmen des DMP Diabetes die Sterblichkeitsrate bei DMP-Teilnehmenden deutlich niedriger als bei Nicht-Teilnehmenden. Auch die Zahl schwerer Komplikationen, wie Amputationen, Erblindungen und Nierenversagen reduzierte sich bei Menschen mit Typ-2-Diabetes deutlich. Von den 8,7 Millionen Menschen mit Typ-2-Diabetes hierzulande, sind 4,4 Millionen, also etwa die Hälfte, im DMP eingeschrieben. Aktuell sind 14 Millionen Erwachsene in Deutschland adipös. Würden hier ebenfalls 50 Prozent am DMP Adipositas teilnehmen, wären das 7 Millionen Personen. Ob das DMP Adipositas die Behandlung von Menschen mit Adipositas wirklich verbessert, hängt von konkreten, inhaltlichen Ausgestaltungen des Programms ab. Dieses wurde bisher nicht veröffentlicht.

Wichtiger Beitrag zum Patientenschutz

Im ernährungstherapeutischen Praxisalltag erlebt man immer wieder den immensen Druck, der auf Menschen mit Adipositas lastet und der sie auf der Suche nach Hilfe nicht selten zu unseriösen kostspieligen Angeboten führt. Über Internet und soziale Medien werden überteuerte Produkte wie Kapseln, Pulver oder Gummibärchen zum Abnehmen mit Aussagen wie "Schmilzt Fett schnell" oder "Abnehmen im Schlaf" beworben. Schlankheitsmittel mit unzulässigen Werbeversprechen sind – trotz der Health-Claims-Verordnung (HCVO) – nach wie vor im Umlauf.

Unseriöse Angebote lassen sich zum Beispiel an Angaben über Dauer und Ausmaß der Gewichtsabnahme erkennen. Diese Aussagen sind grundsätzlich unzulässig. So sind Werbeversprechen wie: "10 Kilo weniger in nur 4 Wochen" verboten. Anbieter von Programmen und Coachings auf ihre Qualität hin zu bewerten, kann schwierig sein. Denn Bezeichnungen wie "Ernährungs-
berater:in" und "Ernährungsfachkraft" sind nach wie vor in Deutschland nicht gesetzlich geschützt. Daher hilft das DMP Adipositas, Ratsuchenden mit qualifizierten Fachkräften und zertifizierten Programmen zu begleiten und trägt damit definitiv zum Patientenschutz bei.



Autorin:
© Ernährungspraxis Olshausen
Iulia Olshausen
Diplom Oecotrophologin
Schützenrain 13, 61169 Friedberg


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (3) Seite 14-15