Die Digitalisierung beim Diabetes-Management verändert die Realität in der Diabeteswelt rasend schnell. Wie finden das die behandelnden Ärzte, DiabetesberaterInnnen und Diabetespatienten? Wir haben bei den relevanten Organisationen nachgehakt – von der Diabetes-Fachgesellschaft bis zum Hausärzteverband.

Dr. Klaus-D. Warz, Vorsitzender der Deutschen Diabetes Föderation:

"Apps als digitaler Coach – auch für Diabetiker"


Die Digitalisierung im Diabetesbereich, u.a. durch Apps für Smartphone oder Tablet, schreitet rasant voran. Wo liegen für Sie die Vorteile dieser neuen, digitalen Helfer für das tägliche Diabetes-Management?

Nach einer neuen Studie, die 2017 von Zenith veröffentlicht wurde, erfolgt weltweit auch in diesem Jahr ein Großteil der Internetnutzung über mobile Geräte. Damit setzt sich der Trend des mobilen Internets weiter fort. Nach einem rasanten Anstieg von 40 Prozent im Jahr 2012 auf 68 Prozent in 2016 prognostiziert die Erhebung für 2018 einen Anteil von 79 Prozent.

Als mobiles Endgerät dominieren das Smartphone, die Smartwatch und das Tablet – insbesondere in der Altersgruppe von 16 bis 44, die mit mehr als 99 Prozent das Internet nutzen. Auch erhöht sich der Anteil von Diabetikern in dieser Altersgruppe.

Um Betroffene künftig überhaupt erreichen zu können, ist eine stärkere Durchdringung der digitalen Medien erforderlich. Die zeitgemäße Umsetzung von Informationsangeboten aus dem Internet erfolgt mittels spezifischer Webanwendungen, die für mobile Endgeräte als Apps entwickelt werden und aus Online-Shops (Google Play Store, Apple App Store u.ä.) heruntergeladen werden. Der Vorteil dieser Apps liegt darin, dass diese für eine dezidierte Zielstellung (Erfassung, Analyse von Gesundheitsparametern) und in der Regel für geringe einmaligen Kosten (0,99 bis 20 Euro) zu erwerben sind bzw. auch abonniert werden können.

Für Typ-1-Diabetiker sind besonders Gesundheits-Apps zu nennen, die auch als große Helfer bei der Therapiekontrolle fungieren können. Auch wurden Apps für das Glukose-Monitoring, insbesondere für die diversen CGM-Systemen und das FGM entwickelt. Anhand solcher Apps (z.B. von Dexcom) kann der Diabetespatient seinen Glukosespiegel Rund-um-die-Uhr überwachen und wird bei Hypos auf dem mobilen Endgerät alarmiert. Die Glukose-Überwachung von Kleinkindern ist damit auch während des Kita-Aufenthalts und in der Schule für Eltern möglich. Darüber hinaus können Therapieprognosen anhand des HBA1c-Werts auf Basis der erfassten Daten erstellt werden.

Auch sind App-Entwicklungen für Diabetiker hinsichtlich der Erfassung und der Auswertung der sportlichen Aktivitäten des Patienten, der KH-Erfassung und der Stressbewältigung (Aufmerksamkeits-Mediation) sowie der Gewichtsentwicklung nennenswert. Gute Ergänzungen liefern Apps für die Smartwatch, die der Herz- bzw. Pulskontrolle dienen und die in einigen Fällen auch kritische Veränderungen (wie Herzflimmern) frühzeitig erkennen.

Wünschenswert für diese App- Entwicklung ist, dass diese zu einem digitalen Coach für den Betroffenen wird und u.a. auch Entscheidungshilfen für ein Closed Loop-System (SmartPumpe, CGM) liefert.


Welche Nachteile oder Risiken sehen Sie dabei – z.B. beim Datenschutz bzw. wo muss der Gesetzgeber ggf. noch nachbessern?

Das größte Risiko beim Einsatz dieser G-Apps liegt in der mangelnden Medienkompetenz der Nutzer, aber auch in deren Souveränität, über ihre Daten zu entscheiden. Zudem gibt es kein Qualitäts-Institut zur Bewertung der G-Apps (TÜV). Auch fehlt es an einem Masterplan für deren Entwicklung. Darüber hinaus gibt es nicht genügend Transparenz bei der Datennutzung (Sicherung der Anonymität) und der Einhaltung eines rechtskonformen Datenschutzes, insbesondere bei der Weitergabe der Daten an Dritte. Auch mangelt es an der Transparenz der Algorithmen.


Die Vielfalt im E-Health-Bereich ist groß. Was sind für sie die wichtigsten technischen Neuerungen in den letzten Jahren, etwa bei der Diabetes-Software, bei den CGM- und FGM-Systemen und – mit Blick in die Zukunft – beim Closed Loop?

Es fehlen Standards und Schnittstellen bei der Übertragung von signifikanten Parametern zwischen Hilfsmitteln und der App. So kann etwa die gespritzte Insulin-Dosis derzeit nicht über den Pen oder die Pumpe an die CGM- bzw. FGM-App des mobilen Endgeräts (Smartphone) übertragen werden.


Welche digitalen Mittel nutzen Sie selbst für das Diabetes-Management?

Ich habe selbst eine sehr hohe Affinität zur Nutzung von G-Apps. Ich überwache meinen Glukosespiegel über ein CGM-System und über Monitore, meine Werte über eine Smartwatch.

Derzeit empfinde ich es als Mangel, dass die Smartwatch nicht autonom zwischen dem CGM- Sender und der Watch kommuniziert. Zur Überwachung muss ich deshalb immer in Reichweite der Bluetooth-Verbindung zum Smartphone sein. Unpraktisch ist, wie erwähnt, dass Insulindosis, KH und sportliche Aktivitäten manuell auf der App erfasst werden müssen. Ähnliches gilt für die Algorithmen zur Analyse der CGM- und FGM -Daten, die dem Nutzer nicht bekannt sind und daher keine Rückschlüsse auf die Qualität der Analyse gezogen werden können.

Ich muss aber auch erwähnen, dass sich die Therapie des Typ-1-Diabetes und des LADA durch den Einsatz von FGM und CGM signifikant verbessert hat. Auch die Qualität der Insulin-Therapie ist durch die nun mögliche HbA1c-Senkung besser geworden. Der Tagesverlauf des Glukosespiegels liegt zu mehr als 80 % im Zielbereich. Dieser Erfolg ist allerdings nur durch qualitative Schulung, Medienkompetenz und kooperative Nutzer im Sinne der Therapiebetreuung möglich.

Ich nutze selbst G-Apps zur Überwachung von Blutdruck, Puls, Gewicht und sportlicher Aktivität. Auf meiner Liste steht momentan eine G-App zur Unterstützung der Atemtechnik und der Meditation, die ich noch nicht getestet habe. Eine Herausforderung für den Diabetiker bleibt die auf seine Person bezogene Ernährung (z. B. Low-Carb u.a.).

Dipl-med. Ingrid Dänschel, 3. stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands:

"Endlich auf einheitlicher Datenautobahn fahren!r"


Die Digitalisierung im Diabetesbereich, u.a. durch Apps für Smartphone oder Tablet, schreitet rasant voran. Wo liegen für Sie die Vorteile dieser neuen, digitalen Helfer für das tägliche Diabetes-Management?

Die Digitalisierung erfährt derzeit einen Hype. Sie kann aber nicht das Allheilmittel für alle Probleme sein – das ist klar. Wir müssen uns damit auseinander setzen, in welchen Bereichen sie uns hilft und unterstützt. Es geht nicht um eine Digitalisierung um jeden Preis. Sie muss uns in der Versorgung nützen, die Arbeit erleichtern und die Ergebnisse verbessern. Eine große Umfrage hat vor kurzem gezeigt, dass die Haltung der Ärzte zur Digitalisierung positiver ist als man gemeinhin annahm. Doch die Digitalisierung darf auf keinen Fall den Arbeitsaufwand noch erhöhen. Sie sollte nicht umständlich sein und muss Freiräume schaffen, die der Arzt dann für den Patienten nutzen kann.

Der Vorteil an der Digitalisierung ist ja, dass die Patienten z.B. nicht in die Praxis kommen müssen, weil ihre Werte digital übermittelt werden können. Diese Datenübertragung muss allerdings mit einem unterstützenden System funktionieren. Als hilfreich erweist sich hier ein technischer Filter, in den man die Grenzwerte eingeben kann, und der nur auf die Problemfälle aufmerksam macht. Es wäre unsinnig, 1000 Blutzuckerwerte pro Patient am Tag durchsehen – das hilft auch nicht weiter.

Heute gibt es Software-Programme von verschiedenen Anbietern, mit der wir die Geräte auslesen können. Für uns ist dabei sehr wichtig, strukturiert zu messen. Es wäre gut, wenn sich dies in einer eigenen App abbilden ließe. Damit wir nur mit denjenigen Werten arbeiten, die wir wirklich brauchen, wie etwa ein 5- oder 7-Punkte-Profil. So könnte man auch Konsultationen einsparen, etwa bei Patienten, bei denen die Stoffwechseleinstellung gut läuft. Diese technische Entwicklung wird in den nächsten Jahren sicher kommen.


Welche Nachteile oder Risiken sehen Sie dabei – z.B. beim Datenschutz bzw. wo muss der Gesetzgeber ggf. noch nachbessern?

Das Problem ist, dass die Technik dem Datenschutz davonläuft. Schwierig ist für mich zu beobachten, wie unkritisch manche Patienten mit ihren Daten gegenüber den Krankenkassen oder auch anderen Anbietern umgehen. Nach unserer Auffassung sollte bei diesem Datentransfer immer eine ärztliche Organisation zwischengeschaltet sein. Was wir als richtig ärgerlich empfinden: Laut Gemeinsamem Bundesausschuss (G-BA) dürfen Hausärzte keine CGM-Systeme verordnen. Dagegen wehren wir uns vehement. Es kann ja nicht sein, dass dem Patienten diese neue Technik einfach verwehrt wird.


Die Vielfalt im E-Health-Bereich ist groß. Was sind für sie die wichtigsten technischen Neuerungen in den letzten Jahren, etwa bei der Diabetes-Software, bei den CGM- und FGM-Systemen und – mit Blick in die Zukunft – beim Closed Loop?

Bei uns gibt es einige neue Modellprojekte, in denen wir Hausärzte mit anderen Disziplinen zusammenarbeiten. Dabei geht es um das Übertragen von Laborwerten, aber auch von Informationen zu chronischen Wunden oder dem diabetischen Fuß. Man kann sich hier zu Videokonferenzen treffen – z.B. mit Wundschwestern und Diabetologen, die man virtuell dazu schaltet. Der Patient ist bei uns in der Hausarztpraxis und sozusagen live dabei.

Bei uns gibt es einige neue Modellprojekte, in denen wir Hausärzte mit anderen Disziplinen zusammenarbeiten. Dabei geht es um das Übertragen von Laborwerten, aber auch von Informationen zu chronischen Wunden oder dem diabetischen Fuß. Man kann sich hier zu Videokonferenzen treffen – z.B. mit Wundschwestern und Diabetologen, die man virtuell dazu schaltet. Der Patient ist bei uns in der Hausarztpraxis und sozusagen live dabei.

Das Ganze scheitert technisch aber immer noch am Breitbandausbau und daran, dass die Daten teilweise nicht übertragen werden können, weil die Bilder nicht gut genug sind und die Geschwindigkeit zu langsam ist. Wir müssen unsere ärztliche Arbeitskraft weiter sinnvoll einsetzen und Patienten nicht etwa kilometerweit einbestellen, was zum Teil gar nicht notwendig ist.

Es gibt ja auch schon die gemeinsame Röntgenbildschau oder auch Hautbefunde, die man so bespricht. Das ist zukunftsweisend. Auch wird die VERAH-Schwester (Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis) häufig eingesetzt. Und die Hochschule in Chemnitz ist sehr weit in der Nano-Technik. Sie bietet beispielsweise Labore im Scheckkartenformat an, mit denen man aus einem Tropfen Blut alle wichtigen Laborwerte ablesen kann. Die Schwachstelle bei aller neuer Technik bleibt jedoch, wie erwähnt, die fehlende Breitbandversorgung. Und das Problem der Kompatibilität mit dem einzelnen Informationssystem. Krankenhaus-, Pflegedienst- und Arztinformationssysteme müssen endlich auf einer einheitlichen Datenautobahn fahren. Eine gemeinsame Dokumentation mit Pflegediensten wäre z.B. wichtig.


Welche digitalen Mittel nutzen Sie selbst für das Diabetes-Management?

In unserer Praxis nutzen wir schon sehr lange kontinuierliche, strukturierte Daten für die Schulung, die wir auslesen. Wir haben auch an einer Studie teilgenommen, die gezeigt hat, dass die kontinuierliche Schulung des Patienten sehr wichtig ist. Zudem arbeiten wir mit einer VERAH, die unsere Patienten kontinuierlich betreut. Seit 30 Jahren bin ich nun niedergelassen und wir hatten im Diabetesbereich noch keine Major-Amputation. Das freut uns natürlich.

Bei den ganzen neuen Anwendungen gibt es so viele Ideen. Aber die technischen Voraussetzungen müssen vorhanden sein. Das ist eine politische Aufgabe. Wir brauchen die Infrastruktur, die zwar versprochen, aber leider noch nicht vorhanden ist. Dazu gehört auch eine vernünftige Koordination aller Beteiligten: Die wichtigen Schnittstellen müssen freigegeben werden.

Wir können heute nicht gemeinsam in Befunde schauen, nicht gemeinsam Dokumentationen lesen. Wir schreiben alles doppelt und dreifach, damit geht unendlich viel Arbeitszeit verloren, die wir für den Patienten einsetzen könnten.

Dr. Matthias Kaltheuner, Vorstandsmitglied der Deutschen Diabetes Gesellschfat (DDG):

"Nicht alles, was technisch möglich ist, wird auch menschlich erwünscht sein!r"


Die Digitalisierung im Diabetesbereich, u.a. durch Apps für Smartphone oder Tablet, schreitet rasant voran. Wo liegen für Sie die Vorteile dieser neuen, digitalen Helfer für das tägliche Diabetes-Management?

Die Vorteile der Smartphone-Apps sehe ich darin, dass die Patienten alle ihre Daten (Glukosewerte, Angaben zum Essen, Insulindosis und Bewegung) zusammenführen können. In Zukunft wird es so sein, dass die einzelnen Faktoren auch noch miteinander verrechnet werden. Also nicht nur, wie heute, mit dem Bolusrechner, sondern es können die Werte nochmals rekapituliert und nachgerechnet werden. So kann man nachvollziehen, welche Faktoren eine Rolle dabei spielten.

Bislang sind unsere technischen Möglichkeiten einfach noch beschränkt. Auf der einen Seite geht alles rasend schnell, auf der anderen sehr langsam. Man landet bei dem ganzen Thema auch sehr schnell im Medizinproduktebereich, was teuer und aufwändig ist. Auch das Verlangen nach Sicherheit und Prüfbarkeit erhöht den Aufwand dafür ordentlich.

Wenn man die Behandler fragt: Wie ist das denn mit Apps bei Euch, was schlagt Ihr den Patienten vor? Dann sagen sie meist, dass die Ideen von den Patienten kommen. Es gibt also keine Standard-App, die von den Ärzten empfohlen wird. Das Ganze hat einfach noch kein System, was daran liegt, dass die Technik noch so rudimentär ist, wie z.B., seine Insulindosis in das Gerät einzugeben zu müssen. Das Gegenargument gegen das lästige Tagebuch-Führen ist: Der Patient braucht ein Auseinandersetzungsmedium für seine Stoffwechsellage: Wo kommt ein schlechter Wert her? Und welche Konsequenzen zieht man daraus?


Welche Nachteile oder Risiken sehen Sie dabei – z.B. beim Datenschutz bzw. wo muss der Gesetzgeber ggf. noch nachbessern?

Viele Nachteile sehe ich bei der Digitalisierung nicht. Die Daten sind besser verfügbar und können besser aufgearbeitet werden. Bei CGM und FGM haben wir ein Hundertfaches an Daten. Man kommt damit aber sogar schneller zurecht, sofern sie richtig gut aufgearbeitet sind. Es gibt auch Anwendungen bzw. Apps, die gut programmiert sind, andere wiederum nicht.

Bei DiaDigital gab es in letzter Zeit 3 Apps hintereinander, die kein Siegel bekommen haben (S. 18). Es gibt einfach gute und schlechte Produkte. Das gilt für andere Anwendungen auch: Sie sind Medizinprodukte, auf die man sich verlassen muss. Mit der Sicherheit ist das aber so ein Thema. Auf der einen Seite gibt es strenge Gesetze, die jetzt noch strenger werden – siehe neue Datenschutzgrundverordnung (S. 14). Auf der anderen Seite gibt es einen rechtsfreien, kriminellen Raum. Dafür ist die Datenschutzgebung so wichtig: Wenn der Hersteller etwas macht, was er nicht in seiner Datenschutzerklärung geschrieben hat, ist das eine ungesetzliche Handlung. Das wird künftig richtig teuer. Nach dem Code of Conduct Digital Health der DDG besteht das Bewusstsein für diese Risiken durchaus.


Die Vielfalt im E-Health-Bereich ist groß. Was sind für sie die wichtigsten technischen Neuerungen in den letzten Jahren, etwa bei der Diabetes-Software, bei den CGM- und FGM-Systemen und – mit Blick in die Zukunft – beim Closed Loop?

Bei uns gibt es einige neue Modellprojekte, in denen wir Hausärzte mit anderen Disziplinen zusammenarbeiten. Dabei geht es um das Übertragen von Laborwerten, aber auch von Informationen zu chronischen Wunden oder dem diabetischen Fuß. Man kann sich hier zu Videokonferenzen treffen – z.B. mit Wundschwestern und Diabetologen, die man virtuell dazu schaltet. Der Patient ist bei uns in der Hausarztpraxis und sozusagen live dabei.

Bei uns gibt es einige neue Modellprojekte, in denen wir Hausärzte mit anderen Disziplinen zusammenarbeiten. Dabei geht es um das Übertragen von Laborwerten, aber auch von Informationen zu chronischen Wunden oder dem diabetischen Fuß. Man kann sich hier zu Videokonferenzen treffen – z.B. mit Wundschwestern und Diabetologen, die man virtuell dazu schaltet. Der Patient ist bei uns in der Hausarztpraxis und sozusagen live dabei.

Das Ganze scheitert technisch aber immer noch am Breitbandausbau und daran, dass die Daten teilweise nicht übertragen werden können, weil die Bilder nicht gut genug sind und die Geschwindigkeit zu langsam ist. Wir müssen unsere ärztliche Arbeitskraft weiter sinnvoll einsetzen und Patienten nicht etwa kilometerweit einbestellen, was zum Teil gar nicht notwendig ist.

Es gibt ja auch schon die gemeinsame Röntgenbildschau oder auch Hautbefunde, die man so bespricht. Das ist zukunftsweisend. Auch wird die VERAH-Schwester (Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis) häufig eingesetzt. Und die Hochschule in Chemnitz ist sehr weit in der Nano-Technik. Sie bietet beispielsweise Labore im Scheckkartenformat an, mit denen man aus einem Tropfen Blut alle wichtigen Laborwerte ablesen kann. Die Schwachstelle bei aller neuer Technik bleibt jedoch, wie erwähnt, die fehlende Breitbandversorgung. Und das Problem der Kompatibilität mit dem einzelnen Informationssystem. Krankenhaus-, Pflegedienst- und Arztinformationssysteme müssen endlich auf einer einheitlichen Datenautobahn fahren. Eine gemeinsame Dokumentation mit Pflegediensten wäre z.B. wichtig.


Welche digitalen Mittel nutzen Sie selbst für das Diabetes-Management?

In den Praxen lesen wir seit vielen Jahren Blutzuckermessgeräte, CGM und FGM aus. Und die Patienten schicken uns ihre Daten per Mail. Das ist schon eine Herausforderung. Aber: Nicht alles was technisch möglich ist, wird menschlich erwünscht sein. Will der Arzt jeden Tag die ganzen Daten durchsehen? Die Meinungen dazu gehen auseinander. Der Normalfall ist heute aber immer noch das persönliche Gespräch mit dem Patienten. Künftig wird man mit ihm am besten eine Vereinbarung über den Umgang mit der elektronischen Kommunikation treffen und so gemeinsam neue Wege gehen.

Dr. Nicola Haller. Vorstandsvorsitzende VDBD, stellvertretende Vorsitzende diabetesDE Deutsche Diabetes-Hilfe:

"Was sich als praktikabel erweist, wird bleiben"


Die Digitalisierung im Diabetesbereich, u.a. durch Apps für Smartphone oder Tablet, schreitet rasant voran. Wo liegen für Sie die Vorteile dieser neuen, digitalen Helfer für das tägliche Diabetes-Management?

Die Vorteile liegen eindeutig in der Zeitersparnis beim Erheben von Analysedaten zum Thema "Essen und Trinken" (Scan App des Strichcodes) oder durch Abfragen einer Datenbank zur Nahrungsmittelanalyse für die schnelle Kalkulation der Kohlenhydrate oder Brennwerte. Weiterhin können Apps eine wunderbare Unterstützung für Dokumentationszwecke sein, also als Blutzuckertagebuch, für die Verwaltung von Therapiedaten, zur Unterstützung von Bewegungsübungen oder sogar für Erinnerungsfunktionen zur Bewegung. Das Angebot von diabetesbezogenen Apps geht weltweit in die Zehntausende.

Auch ergänzende digitale Schulungsmodule werden sicherlich in der Zukunft einen höheren Stellenwert erhalten, wenngleich es einen Vis-à-Vis Kontakt niemals ersetzen kann oder darf, darüber sind sich alle Experten einig.


Welche Nachteile oder Risiken sehen Sie dabei – z.B. beim Datenschutz bzw. wo muss der Gesetzgeber ggf. noch nachbessern?

Allgemein bekannt ist die nicht immer bedachte Datensicherheit, die zu schwerwiegendem Missbrauch führen kann, aber verhindert werden muss. Gleichzeitig stehen die Behandler vor der Herausforderung, unzählige Angebote richtig einzuordnen. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft prüft dies seit einiger Zeit, gemeinsam mit diabetesDE – Deutsche Diabetes Hilfe, dem VDBD (Verband für Diabetes-Beratungsberufe in Deutschland) und der Deutschen Diabetes Hilfe – Menschen mit Diabetes (DDHM). Die Federführung dieser Prüfung unterliegt dem Gremium "DiaDigital" der AGDT, der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Technologie. Auch ein Qualitätssiegel für Diabetes-Apps wurde bereits entwickelt, die den Nutzen für Behandler, Betroffene und den Hersteller beurteilt. Unter www.diadigital.de* werden die geprüften Apps ausgezeichnet.


Die Vielfalt im E-Health-Bereich ist groß. Was sind für sie die wichtigsten technischen Neuerungen in den letzten Jahren, etwa bei der Diabetes-Software, bei den CGM- und FGM-Systemen und – mit Blick in die Zukunft – beim Closed Loop?

Der E-Health Bereich ist jeweils so gut und nützlich wie seine Anwender. In der Praxis stößt man immer wieder auf technische Probleme. Viele Entwickler verlangen für ihre Software zum Auslesen ihrer Geräte oder Produkte eine kontinuierliche, nicht unerhebliche Schutzgebühr, begründet auf dem Antikorruptionsgesetz. Zudem müssen auch bei gekauften Auslesesystemen immer eigene Kabel verwendet werden oder die Update-Rate ist extrem schnell erforderlich. Zeit und Geld sind hierbei wohl die hauptsächlichen Kritikpunkte.


Welche digitalen Mittel nutzen Sie selbst für das Diabetes-Management?

IWir nutzen in der Praxis diverse digitale Medien, vor denen sich meines Erachtens heute niemand mehr verschließen kann. Die Erfahrungen haben Sonnen- und Schattenseiten. Schön ist die Visualisierung von Blutzuckerverläufen und die dadurch möglichen Kurveninterpretation, oftmals gemeinsam mit dem Patienten, um Ursache-Wirkungsreaktionen zu besprechen oder Dosisanpassungen sehr schnell vornehmen zu können. Auch das beispielhafte vorführen praktischer Apps beeindruckt Patienten im Gespräch sehr. Pfiffige Patienten sind natürlich in der Lage, ohne eine Zuarbeit praktische Hilfsmittel selbst zu finden. Zukünftig stehen viele digitale Neuerungen Schlange und was sich als praktikabel bewährt, wird bleiben.


* App-Hersteller können sich um das Siegel bewerben und müssen dazu eine Selbstauskunft zum Produkt abgeben (www.diadigital.de/selbstauskunft). Das Zentrum für Telematik und Telemedizin in Bochum (ZTG) nimmt eine technische Überprüfung vor und erstellt einen Prüfbericht. Die "DiaDigital"-App-Tester bewerten die App individuell im App Tester Bereich der DiaDigital Homepage und beraten anschließend alle gemeinsam in einer Telefonkonferenz, ob die App alle Qualitätskriterien erfüllt. Der Hersteller bekommt in jedem Fall eine Rückmeldung und ggf. die Möglichkeit der Nachbesserung. Bei positivem Ergebnis erhält die App das Qualitätssiegel.
Quelle: diabetesde.org


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2018; 30 (3) Seite 20-25