In Deutschland sind mehr als 16 Millionen Menschen an Adipositas erkrankt. Das Verständnis dieser chronischen Erkrankunghat sich gewandelt. Längst geht es nicht mehr ausschließlich um zu viele Kalorien und um zu wenig Bewegung. Vielmehr spielen neurobiologische und hormonelle Faktoren eine entscheidende Rolle.

Schwerpunkt Adipositas
Adipositas ist eine Erkrankung mit weitreichenden Folgen. Nicht nur der Anteil der betroffenen Menschen nimmt zu. Auch die Krankheitslast mit der Fülle von Begleitproblemen ist hoch. Der Schwerpunkt baut eine Brücke zwischen Wissenschaft und Versorgung. Aktuelle Aspekte der Forschung und Behandlung bei Adipositas werden vorgestellt. Den Auftakt macht das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung mit der Frage, welche Rolle das Gehirn bei Insulinresistenz und Anstieg des Körpergewichts spielt. Hier gibt es neue Erkenntnisse zur Verbesserung der Insulinwirkung über das Gehirn und zu innovativen Therapiekonzepten. Dem Thema Heterogenität bei Fettleber widmet sich der Beitrag der Stiftung Diabetes I Herz I Gefäße. Nicht jeder Erkrankungstyp der metabolischen Dysfunktion-assoziierten steatotischen Lebererkrankung (MASLD) ist mit einem hohen Herz-Kreislauf-Risiko verbunden. Wie Fettzellen kommunizieren, warum eine neue Definition der Adipositas-Diagnostik gefordert wird und ob klassische Methoden der Gewichtsreduktion im Zuge von Semaglutid, Tirzepatid & Co obsolet werden, beantwortet Adipositas-Experte Prof. Matthias Blüher im Interview. Dass die Summe von Risikofaktoren mit einer Verkürzung der Lebenszeit zusammenhängt, ist Ergebnis einer Studie des Global Cardiovascular Risk Consortium. Die Stiftung Diabetes I Herz I Gefäße berichtet. Katrin Hertrampf

Mangelnde Bewegung und ungesunde Ernährung gelten häufig als Ursache für starkes Übergewicht und Typ-2-Diabetes. Die Mechanismen im Körper, die zu diesen Erkrankungen führen, sind allerdings vielschichtiger.

Eine entscheidende Rolle spielt das Gehirn: Bei Übergewicht, Prädiabetes und Typ-2-Diabetes reagiert es nicht mehr richtig auf Insulin. Eine Insulinresistenz des Gehirns beeinträchtigt nicht nur die Appetitkontrolle, sondern auch den gesamten Stoffwechsel.

Wie Insulin im Gehirn wirkt

Zahlreiche Studien des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) e.V. und seiner Partnerinstitute haben entscheidend dazu beigetragen, diese Zusammenhänge zu erkennen. Die Brain Academy des DZD erforscht, wie Insulin im Gehirn wirkt und welche Veränderungen im Körper den Übergang von einem gesunden Stoffwechsel hin zu Diabetes und seinen Folgeerkrankungen einleiten. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verbinden Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften mit der klinischen Diabetesforschung. Ihr Ziel ist, neue Strategien zu entwickeln, um die Insulinsensitivität im Gehirn zu verbessern – über alle Lebensphasen hinweg.

Ungesunde Lebensmittel haben Folgen – auch für das Gehirn

Die Insulinempfindlichkeit des Gehirns steht im Zusammenhang mit langfristiger Gewichtszunahme und einer ungesunden Fettverteilung im Körper. Doch welche Prozesse spielen sich dabei im Gehirn genau ab und welche Auswirkungen hat die Insulinwirkung im Gehirn auf normalgewichtige Menschen? Diese Fragen untersuchte ein Forschungsteam des Universitätsklinikums Tübingen, des DZD und von Helmholtz Munich um Prof. Dr. Stephanie Kullmann. Ihre Ergebnisse sind aufschlussreich und überraschend: Bereits eine kurze Phase mit erhöhter Kalorienzufuhr – konkret fünf Tage mit zusätzlichen 1.500 Kalorien durch hochverarbeitete Lebensmittel wie Chips und Schokoriegel – führte zu einer messbaren Insulinresistenz im Gehirn. "Interessanterweise zeigt das Gehirn bei unseren gesunden Studienteilnehmern eine ähnliche Abnahme der Empfindlichkeit gegenüber Insulin nach kurzzeitiger hoher Kalorienzufuhr, wie bei Menschen mit krankhaftem Übergewicht", stellt Stephanie Kullmann fest. Sogar eine Woche nach der Rückkehr zur normalen, ausgewogenen Ernährung blieb die verringerte Insulinempfindlichkeit bestehen. Parallel stieg auch der Fettgehalt in der Leber deutlich an.

Neu auf diabinfo.de – Fakten zu Adipositas
Viele Betroffene leiden unter den gesundheitlichen Folgen von Adipositas und deren Komplikationen – wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Arthrose und psychischen Erkrankungen. Auf diabinfo.de finden sie jetzt fundierte, leicht verständliche Informationen rund um Adipositas – wissenschaftlich geprüft und aktuell. Geben Sie diesen Link gern an Patientinnen und Patienten, an Angehörige oder Interessierte weiter. Aufklärung hilft, besser mit der Erkrankung umzugehen – und sie frühzeitig zu erkennen. Das Portal diabinfo.de, ein gemeinsames Angebot von Helmholtz Munich, dem Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ) und dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD), stellt wissenschaftlich geprüfte und unabhängige Informationen in fünf Sprachen bereit. diabinfo.de wird mit öffentlichen Mitteln (BIÖG, BMG und BMFTR) finanziert. Jetzt informieren: www.diabinfo.de/vorbeugen/adipositas/was-ist-adipositas.html

Im gesunden Zustand wirkt Insulin im Gehirn appetitzügelnd. Wird das Gehirn jedoch unempfindlich gegenüber Insulin, verliert dieser Mechanismus seine Wirkung – die Esskontrolle gerät aus dem Gleichgewicht, was langfristig zu Übergewicht führen kann. "Das Gehirn reagiert offenbar früher auf ungesunde Ernährung als der Körper – lange bevor sichtbare Gewichtszunahme einsetzt", folgert Prof. Dr. Andreas Birkenfeld aus den Ergebnissen. Er ist Letztautor der Studie, DZD-Vorstand sowie Direktor des Instituts für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen (IDM) von Helmholtz Munich am Universitätsklinikum Tübingen [1].

Sport kann Insulinresistenz im Gehirn umkehren

Doch was lässt sich gegen die Insulinresistenz im Gehirn unternehmen? Eine Studie des DZD, des Universitätsklinikums Tübingen und von Helmholtz Munich macht Hoffnung: Schon acht Wochen gezieltes Ausdauertraining reichten aus, um die Insulinempfindlichkeit im Gehirn bei übergewichtigen Erwachsenen deutlich zu verbessern [2].

An der Studie nahmen 21 übergewichtige oder adipöse Frauen und Männer zwischen 21 und 59 Jahren teil. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten mithilfe funktioneller Magnetresonanztomographie (MRT) die Reaktion des Gehirns auf Insulin vor und nach dem Trainingsprogramm.

Regelmäßiges Training erhöhte die Insulinwirkung in Hirnregionen, die für Hunger, Sättigung, Motivation und Bewegungsverhalten verantwortlich sind – auf ein Niveau, das sonst nur bei normalgewichtigen Menschen beobachtet wird. Die verbesserte Insulinreaktion ging einher mit einem besseren Stoffwechsel, verringertem Hungergefühl und einer Reduktion von ungesundem Bauchfett. "Die Ergebnisse zeigen, dass die Insulinresistenz im Gehirn möglicherweise reversibel ist", sagt DZD-Forscher Prof. Dr. Martin Heni, Letztautor der Studie.

Diabetes-Medikament verbessert Insulinwirkung im Gehirn

Neben Lebensstilinterventionen wie mehr Bewegung wünschen sich Ärztinnen und Ärzte auch effektive Medikamente, um Menschen mit Adipositas zu unterstützen. Dass sich die Insulinresistenz im Gehirn generell mit Pharmaka umkehren lässt, zeigte eine Pilotstudie des DZD und mehrerer Partnerinstitute [3].

40 Menschen mit Prädiabetes bekamen acht Wochen lang entweder den SGLT2-Hemmer Empagliflozin oder ein Placebo. Anhand moderner Bildgebung zeigte sich: Nur in der Empagliflozin-Gruppe nahm die Insulinempfindlichkeit im Gehirn zu. Auch verbesserten sich Blutzuckerwerte und der Fettgehalt der Leber, obwohl das Körpergewicht unverändert blieb.

Neue Medikamente: Durchbruch bei der Behandlung von Fettleibigkeit und Diabetes

Für Menschen mit krankhaftem Übergewicht war lange eine operative Magenverkleinerung die einzige Option, zielführend abzunehmen. Eine neue Generation von Medikamenten (Polyagonisten) hat vor kurzem einen entscheidenden Durchbruch bei der Behandlung von Adipositas und Typ-2-Diabetes geschafft. Polyagonisten vereinen die Effekte von mehreren körpereigenen Hormonen. Der erste Vertreter dieser neuen Medikamentenklasse ist bereits in den USA und Europa zur Behandlung von Typ-2-Diabetes und Adipositas zugelassen. In dem Medikament werden Agonisten für die Rezeptoren GLP-1 (Glucagon-like Peptide-1) und GIP (Glucose-dependent insulinotropic Polypeptide) vereint. Durch diese gezielte, mehrdimensionale Wirkung auf den Stoffwechsel gelingt eine deutliche Gewichtsreduktion. GLP-1-Rezeptoren befinden sich unter anderem im Magen-Darm-Trakt und im Gehirn. Entwickelt wurde das innovative Wirkkonzept u.a. von Forschenden des DZD und Helmholtz Munich.

Zusätzlich zur Gewichtsabnahme zeigen sich positive Effekte auf den Blutzuckerspiegel, auf die Leberverfettung, auf Nierenerkrankungen sowie auf das Herz-Kreislauf-System und auf das Fettgewebe. Diese neuartigen Wirkstoffe eröffnen vielversprechende Perspektiven für die zukünftige medikamentöse Behandlung von Adipositas – weit über die reine Gewichtsreduktion hinaus.

© DZD
Das Diabetes-Medikament Empagliflozin normalisiert die Insulinwirkung im Gehirn, verbessert die Nüchternglukose-Werte, senkt den Fettgehalt der Leber und reduziert den Körperfettgehalt.

GIP-Rezeptor: Aktivierung und Blockade unterstützen Gewichtsverlust

Aktuelle Forschungsergebnisse könnten sogar den Weg für noch gezieltere Medikamente gegen Übergewicht ebnen. Ein Team von Helmholtz Munich, DZD und Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) um Prof. Dr. Timo Müller hat nun herausgefunden, warum die Aktivierung (Agonismus) als auch eine Blockade (Antagonismus) des GIP-Rezeptors im Gehirn die Gewichtsabnahme fördert. Der Grund: GIPR-Agonisten und -Antagonisten wirken im Gehirn über völlig unterschiedliche Mechanismen, um Körpergewicht und Nahrungsaufnahme zu regulieren [4,5].

Ein Mangel an GIPR-Signalen in GABAergen Neuronen hebt die gewichtsreduzierende Wirkung von GIPR-Agonisten auf – nicht jedoch die von Antagonisten. Umgekehrt blockiert ein Mangel an GLP-1R-Signalen die Wirkung von GIPR-Antagonisten, nicht aber die von Agonisten. Nur der GIPR-Antagonismus ahmt die GLP-1R-Signalgebung im Hinterhirn nach – einem Bereich, der entscheidend an der Steuerung von Appetit und Körpergewicht beteiligt ist. Diese neuen Erkenntnisse könnten die Entwicklung zielgerichteter, effektiver Medikamente gegen Fettleibigkeit maßgeblich verbessern.

Fazit

Adipositas ist weit mehr als ein Resultat von zu viel Essen und zu wenig Bewegung – sie ist eine komplexe, chronische Erkrankung, bei der das Gehirn eine zentrale Rolle spielt. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass eine Insulinresistenz im Gehirn maßgeblich zur gestörten Appetitkontrolle und zum gestörten Stoffwechsel beiträgt. Hoffnung machen jedoch gezielte Lebensstilinterventionen wie Ausdauertraining sowie neue Medikamente, die die Insulinwirkung im Gehirn verbessern können. Besonders vielversprechend sind moderne Wirkstoffe wie Polyagonisten, die mehrere Stoffwechselwege gleichzeitig ansprechen und weit über die reine Gewichtsreduktion hinaus positive gesundheitliche Effekte zeigen. Diese Erkenntnisse eröffnen neue Perspektiven für eine individualisierte und wirksame Adipositas-Therapie.


Literatur
1. Kullmann S, Wagner L, Hauffe R et al. A short-term, high-caloric diet has prolonged effects on brain insulin action in men. Nat Metab. 2025 Mar;7(3):469-477. doi: 10.1038/s42255-025-01226-9
2. Kullmann S, Goj T, Veit R, et al. Exercise restores brain insulin sensitivity in sedentary adults who are overweight and obese. JCI Insight. 2022 Sep 22;7(18):e161498. doi: 10.1172/jci.insight.161498
3. Kullmann S, Hummel J, Wagner R et al. Empagliflozin Improves Insulin Sensitivity of the Hypothalamus in Humans With Prediabetes: A Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled, Phase 2 Trial. Clinical Trial Diabetes Care. 2022 Feb 1;45(2):398-406. doi: 10.2337/dc21-1136
4. Kusminski CM, Perez-Tilve D, Müller TD, et al. Cell 2024 Jul 25;187(15):3829-3853. doi: 10.1016/j.cell.2024.06.003
5. Gutgesell RM, Khalil A, Liskiewicz A, et al: .GIPR agonism and antagonism decrease body weight and food intake via different mechanisms in male mice: Nat Metab. 2025 May 13. doi: 10.1038/s42255-025-01308-8. PMID: 40301583

Autorin:
© privat
Birgit Niesing
Deutsches Zentrum für Diabetesforschung
Geschäftsstelle am Helmholtz Zentrum München
Tel.: 089/3187-3971


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2025; 37 (3) Seite 10-13