Daten von über zwei Millionen Menschen zeigen, dass bei Abwesenheit von fünf Risikofaktoren mit einer um mehr als ein Jahrzehnt höheren Lebenserwartung gerechnet werden kann.

Keine Risikofaktoren vs.alle Risikofaktorenim Alter von 50 JahrenHerz-Kreislauf-ErkrankungenFrauenMännerTod jeglicher UrsacheFrauenMännerGesamtdifferenz über LebenszeitGesamtdifferenz über LebenszeitKeine Risikofaktoren vs.alle Risikofaktorenim Alter von 50 JahrenGlobal Cardiovascular Risk Consortium. Global Effect of Cardiovascular Risk Factors on Lifetime Estimates. N Engl J Med. 2025 Mar 30. doi: 10.1056/NEJMoa2415879

Diabetes, Bluthochdruck, Hyperlipidämie, Adipositas und Rauchen gehören zu den Treibern der kardiovaskulären Mortalität, wobei es heterogene Daten zum Einfluss der Risikofaktoren auf die Lebenszeit gibt. 16 % aller Todesfälle in Deutschland sind auf Typ-2-Diabetes zurückzuführen, zeigten epidemiologische Daten mit fast 65 Mio. erfassten Patienten [1]. Der Zusammenhang zwischen Lebenszeitverkürzung und Zeitpunkt der Diagnosestellung konnte im schwedischen Diabetesregister nachgewiesen werden, wobei auch belegt wurde, dass Diabetes der stärkste Risikofaktor für Schlaganfall und Herzinfarkt ist [2,3]. Inzwischen geht man davon aus, dass die Lebenserwartung von Männern und Frauen bei Diabetes-Manifestation im Alter von 20 Jahren um jeweils etwa 9,0 (50,6 vs. 59,6 Jahre) und 7,8 (56,2 vs. 64,0 Jahre) kürzer ist als bei gleichaltrigen Menschen ohne Diabetes [4].

Datenpool mit über 2 Mio. Menschen aus 133 Kohorten und 39 Ländern

Nun weisen Daten des Global Cardiovascular Risk Consortium darauf hin, dass das Lebenszeitrisiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen eng mit der Anzahl vorhandener Risikofaktoren zusammenhängt [5]. An der vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) geförderten Studie waren 120 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligt. Die Forscher werteten Daten von über 2 Mio. Menschen aus 133 Kohorten, 39 Ländern und sechs Kontinenten aus. Dabei wurde das Lebenszeitrisiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Tod jeglicher Ursache bis zum Alter von 90 Jahren entsprechend der vorhandenen oder fehlenden Risikofaktoren Hypertonie, Hyperlipidämie, Adipositas, Diabetes und Rauchen im Alter von 50 Jahren geschätzt. Ebenfalls geschätzt wurden Unterschiede in der Lebenserwartung (in Form von zusätzlichen Lebensjahren ohne kardiovaskuläre Erkrankungen oder Tod jeglicher Ursache) nach Vorhandensein oder Abwesenheit der Risikofaktoren. Die zeitliche Dynamik von Risikofaktoren wurde analysiert, um die Lebenszeitunterschiede je nach Risikofaktorvariation vorherzusagen.

Geschätzter Anteil zusätzlicher Lebensjahre.

Plus an Lebensjahren durch optimierten Blutdruck und Nikotinverzicht

Fehlten alle fünf Risikofaktoren lag der geschätzte Anteil zusätzlicher Lebensjahre ohne kardiovaskuläre Erkrankungen bei 13,3 (95 % Konfidenzintervall [CI], 11,2 bis 15,7) für Frauen und bei 10,6 (95 % CI, 9,2 bis 12,9) für Männer. Die geschätzte Anzahl zusätzlicher Lebensjahre ohne Todesfälle betrug 14,5 (95 % CI, 9,1 bis 15,3) für Frauen und 11,8 (95 % CI, 10,1 bis 13,6) für Männer. Den stärksten Zugewinn an Lebensjahren ohne Herz-Kreislauf-Erkrankungen brachte die Blutdruckoptimierung im Alter von 55 bis unter 60. Der Verzicht auf Nikotin in dieser Altersdekade war mit den meisten zusätzlichen Lebensjahren (bei Frauen plus 5,5 Jahre, bei Männern plus 4,8 Jahre) verbunden. Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss: Bei Abwesenheit der fünf Risikofaktoren können Frauen und Männer im Alter von 50 mit einer um mehr als ein Jahrzehnt höheren Lebenserwartung rechnen. Jede Änderung zum Positiven in der Lebensmitte bedeutet ein Plus an Lebenszeit.

Taillenumfang bei Männern aussagekräftiger
Im Gegensatz zu Frauen lässt sich das Risiko für Männer, an Adipositas bedingtem Krebs zu erkranken, mit dem Taillenumfang genauer vorhersagen als mit dem Body-Mass-Index (BMI). Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universitätsmedizin Innsbruck, die beim Europäischen Adipositas Kongress (ECO) im Mai in Málaga vorgestellt wurde. Das EpiCenter der Medizinischen Universität Innsbruck wertete dafür gemeinsam mit schwedischen Kollegen die Daten von fast 340 000 Personen aus und glich diese mit Krebsdiagnosen des schwedischen Krebsregisters ab. Bei einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 14 Jahren konnten 18 185 mit Adipositas assoziierte Krebserkrankungen registriert werden. Ein etwa 11 cm größerer Taillenumfang war bei Männern mit einem 25 % höheren Krebsrisiko, ein BMI-Anstieg um 3,7 kg/m² mit einem 19 % erhöhten Risiko für Adipositas bedingte Krebsarten verbunden. Das Risiko bei Frauen für Krebs durch Adipositas bedingt lag bei 13 %, ganz gleich, ob beim Taillenumfang 12 cm mehr oder beim BMI ein Anstieg von 3,7 kg/m² zu verzeichnen waren. Die Ergebnisse lassen sich auch mit der Fettverteilung erklären, so das Fazit der Autoren. Männer neigen eher zu viszeralen Fettdepots (direkt um Bauchorgane), Frauen speichern vor allem subkutanes Fett (unter der Haut) an der Taille und peripheres Fett. Zu geschlechtsspezifischen Unterschieden muss noch weiter geforscht werden, betonen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Sun M, Häggström Ch, da Silva M et al. Comparing waist circumference with body mass index on obesity-related cancer risk: a pooled Swedish study. JNCI: Journal of the National Cancer Institute. March 2025. https://doi.org/10.1093/jnci/djaf075

Mehr Lebenszeit durch bessere Kontrolle der Risikofaktoren

"Für Diabetes müssen die Ergebnisse sicher etwas relativiert werden", sagt Prof. Dr. Marcus Dörr von der Universitätsmedizin Greifswald, Coautor der Studie am DZHK-Standort in Greifswald. Das Global Cardiovascular Risk Consortium untersuchte, wie sich das Vorhandensein oder Fehlen und die Kontrolle einzelner Risikofaktoren auf die Lebenszeit auswirkt. "Wir wissen aber, dass es eher Ausnahme denn Regel ist, dass Menschen mit Diabetes nur von ihrer Grunderkrankung betroffen sind", ergänzt Kardiologe Dörr, der sich im Expertenteam der Stiftung DHG (Diabetes I Herz I Gefäße) engagiert. Als Grunderkrankung werde Diabetes spät festgestellt, sei in den seltensten Fällen reversibel. Die Mehrzahl der Patienten bringe ein Bündel von Risikofaktoren mit, einschließlich Hypertonie, Hyperlipidämie und Adipositas. Vor allem die Kombination wirke sich ungünstig aus, das sei wissenschaftlich gut dokumentiert. "Auch wenn es regionale Unterschiede in der Prävalenz gibt, belegen nationale wie internationale Kohortenstudien, dass Diabetes mit einer zwei- bis vierfach erhöhten kardiovaskulären Morbidität und einer bis zu 75 % höheren Sterblichkeit assoziiert ist", so Prof. Dr. Marcus Dörr aus Greifswald. Das Potenzial, mehr Lebenszeit für Patienten durch rechtzeitige Diagnose und Intervention mit verbesserter Kontrolle der Risikofaktoren in Summe zu erreichen, sollten internistisch tätige Behandler stets im Blick haben.


Literatur
1. Jacobs E, Hoyer A, Brinks R, Kuss O, Rathmann W. Burden of Mortality Attributable to Diagnosed Diabetes: A Nationwide Analysis Based on Claims Data From 65 Million People in Germany. Diabetes Care. 2017 Dec;40(12):1703-1709. doi: 10.2337/dc17-0954
2. Rawshani A, Sattar N, Franzén S, Rawshani A, Hattersley AT, Svensson AM, Eliasson B, Gudbjörnsdottir S. Excess mortality and cardiovascular disease in young adults with type 1 diabetes in relation to age at onset: a nationwide, register-based cohort study. Lancet. 2018 Aug 11;392(10146):477-486. doi: 10.1016/S0140-6736(18)31506-X
3. Rawshani A, Rawshani A, Franzén S, Sattar N, Eliasson B, Svensson AM, Zethelius B, Miftaraj M, McGuire DK, Rosengren A, Gudbjörnsdottir S. Risk Factors, Mortality, and Cardiovascular Outcomes in Patients with Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2018 Aug 16;379(7):633-644. doi: 10.1056/NEJMoa1800256
4. Carstensen B, Rønn PF, Jørgensen ME. Lifetime risk and years lost to type 1 and typ 2 diabetes in Denmark.1996-2016. BMJ Open Diabetes Res Care. 2021 Mar;9(1):e001065. doi: 10.1136/bmjdrc-2019-001065
5. Global Cardiovascular Risk Consortium. Global Effect of Cardiovascular Risk Factors on Lifetime Estimates. N Engl J Med. 2025 Mar 30. doi: 10.1056/NEJMoa2415879

Autorin:
© privat
Katrin Hertrampf
Pressestelle Stiftung DHG (Diabetes | Herz | Gefäße)


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2025; 37 (3) Seite 20-21