Daten von über zwei Millionen Menschen zeigen, dass bei Abwesenheit von fünf Risikofaktoren mit einer um mehr als ein Jahrzehnt höheren Lebenserwartung gerechnet werden kann.
Diabetes, Bluthochdruck, Hyperlipidämie, Adipositas und Rauchen gehören zu den Treibern der kardiovaskulären Mortalität, wobei es heterogene Daten zum Einfluss der Risikofaktoren auf die Lebenszeit gibt. 16 % aller Todesfälle in Deutschland sind auf Typ-2-Diabetes zurückzuführen, zeigten epidemiologische Daten mit fast 65 Mio. erfassten Patienten [1]. Der Zusammenhang zwischen Lebenszeitverkürzung und Zeitpunkt der Diagnosestellung konnte im schwedischen Diabetesregister nachgewiesen werden, wobei auch belegt wurde, dass Diabetes der stärkste Risikofaktor für Schlaganfall und Herzinfarkt ist [2,3]. Inzwischen geht man davon aus, dass die Lebenserwartung von Männern und Frauen bei Diabetes-Manifestation im Alter von 20 Jahren um jeweils etwa 9,0 (50,6 vs. 59,6 Jahre) und 7,8 (56,2 vs. 64,0 Jahre) kürzer ist als bei gleichaltrigen Menschen ohne Diabetes [4].
Datenpool mit über 2 Mio. Menschen aus 133 Kohorten und 39 Ländern
Nun weisen Daten des Global Cardiovascular Risk Consortium darauf hin, dass das Lebenszeitrisiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen eng mit der Anzahl vorhandener Risikofaktoren zusammenhängt [5]. An der vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) geförderten Studie waren 120 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligt. Die Forscher werteten Daten von über 2 Mio. Menschen aus 133 Kohorten, 39 Ländern und sechs Kontinenten aus. Dabei wurde das Lebenszeitrisiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Tod jeglicher Ursache bis zum Alter von 90 Jahren entsprechend der vorhandenen oder fehlenden Risikofaktoren Hypertonie, Hyperlipidämie, Adipositas, Diabetes und Rauchen im Alter von 50 Jahren geschätzt. Ebenfalls geschätzt wurden Unterschiede in der Lebenserwartung (in Form von zusätzlichen Lebensjahren ohne kardiovaskuläre Erkrankungen oder Tod jeglicher Ursache) nach Vorhandensein oder Abwesenheit der Risikofaktoren. Die zeitliche Dynamik von Risikofaktoren wurde analysiert, um die Lebenszeitunterschiede je nach Risikofaktorvariation vorherzusagen.
Plus an Lebensjahren durch optimierten Blutdruck und Nikotinverzicht
Fehlten alle fünf Risikofaktoren lag der geschätzte Anteil zusätzlicher Lebensjahre ohne kardiovaskuläre Erkrankungen bei 13,3 (95 % Konfidenzintervall [CI], 11,2 bis 15,7) für Frauen und bei 10,6 (95 % CI, 9,2 bis 12,9) für Männer. Die geschätzte Anzahl zusätzlicher Lebensjahre ohne Todesfälle betrug 14,5 (95 % CI, 9,1 bis 15,3) für Frauen und 11,8 (95 % CI, 10,1 bis 13,6) für Männer. Den stärksten Zugewinn an Lebensjahren ohne Herz-Kreislauf-Erkrankungen brachte die Blutdruckoptimierung im Alter von 55 bis unter 60. Der Verzicht auf Nikotin in dieser Altersdekade war mit den meisten zusätzlichen Lebensjahren (bei Frauen plus 5,5 Jahre, bei Männern plus 4,8 Jahre) verbunden. Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss: Bei Abwesenheit der fünf Risikofaktoren können Frauen und Männer im Alter von 50 mit einer um mehr als ein Jahrzehnt höheren Lebenserwartung rechnen. Jede Änderung zum Positiven in der Lebensmitte bedeutet ein Plus an Lebenszeit.
Sun M, Häggström Ch, da Silva M et al. Comparing waist circumference with body mass index on obesity-related cancer risk: a pooled Swedish study. JNCI: Journal of the National Cancer Institute. March 2025. https://doi.org/10.1093/jnci/djaf075
Mehr Lebenszeit durch bessere Kontrolle der Risikofaktoren
"Für Diabetes müssen die Ergebnisse sicher etwas relativiert werden", sagt Prof. Dr. Marcus Dörr von der Universitätsmedizin Greifswald, Coautor der Studie am DZHK-Standort in Greifswald. Das Global Cardiovascular Risk Consortium untersuchte, wie sich das Vorhandensein oder Fehlen und die Kontrolle einzelner Risikofaktoren auf die Lebenszeit auswirkt. "Wir wissen aber, dass es eher Ausnahme denn Regel ist, dass Menschen mit Diabetes nur von ihrer Grunderkrankung betroffen sind", ergänzt Kardiologe Dörr, der sich im Expertenteam der Stiftung DHG (Diabetes I Herz I Gefäße) engagiert. Als Grunderkrankung werde Diabetes spät festgestellt, sei in den seltensten Fällen reversibel. Die Mehrzahl der Patienten bringe ein Bündel von Risikofaktoren mit, einschließlich Hypertonie, Hyperlipidämie und Adipositas. Vor allem die Kombination wirke sich ungünstig aus, das sei wissenschaftlich gut dokumentiert. "Auch wenn es regionale Unterschiede in der Prävalenz gibt, belegen nationale wie internationale Kohortenstudien, dass Diabetes mit einer zwei- bis vierfach erhöhten kardiovaskulären Morbidität und einer bis zu 75 % höheren Sterblichkeit assoziiert ist", so Prof. Dr. Marcus Dörr aus Greifswald. Das Potenzial, mehr Lebenszeit für Patienten durch rechtzeitige Diagnose und Intervention mit verbesserter Kontrolle der Risikofaktoren in Summe zu erreichen, sollten internistisch tätige Behandler stets im Blick haben.
|
|
- Übergewicht beginnt im Gehirn
- Heterogenität bei Fettlebererkrankung
- Interview mit Prof. Dr. Matthias Blüher: Adipositas als Systemerkrankung verstehen und rechtzeitig behandeln
- Lebenszeitverkürzung mit Risikofaktoren assoziiert
- Mit Abnehmspritzen gegen Alzheimer-Demenz?
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2025; 37 (3) Seite 20-21
