Auf das künstliche Pankreas warten die allermeisten Patienten mit Typ-1-Diabetes. Die Entwicklungen werden allerdings noch einige Zeit dauern, bis Marktreife erreicht ist. Autor: Prof. Dr. med.Thomas Danne sagt Ihnen, was zu erwarten ist.

Da auf absehbare Zeit eine "Heilung" des Typ-1-Diabetes durch Inselzelltransplantation oder eine Prävention durch Aufhalten des Autoimmunprozesses vor Insulinabhängigkeit noch nicht möglich erscheinen, stehen weitere Verbesserungen der gegenwärtigen Therapie im Zentrum klinischer Bemühungen. Zwar hat sich in Deutschland der Anteil pädiatrischer Patienten mit Typ-1-Diabetes mit ungünstigen Therapieergebnissen nach der Remissionsphase in den letzten 20 Jahren nach den Ergebnissen des DPV-Registers deutlich reduziert.

So hat der prozentuale Anteil der Patienten, deren HbA1c im Jahresmittel über 9 Prozent lag, also in einem Bereich, wo langfristig von einem erhöhten Risiko für Folgeerkrankungen ausgegangen werden muss, in den letzten Jahren erfreulicherweise von 28 auf 14 Prozent abgenommen. Parallel dazu ist der Anteil der Patienten mit einer schweren Hypoglykämie, die eine Fremdhilfe erforderlich machte, auf 5,8 Prozent gefallen – und der Anteil der Patienten, die aufgrund einer Hypoglykämie bewusstlos wurden, auf 1,7 Prozent.

Weiterhin ein dringender Bedarf an verbesserten Therapiemethoden

Lange Zeit ging man in der Therapiebeurteilung davon aus, dass ein therapeutisches Fenster angestrebt werden sollte, in dem das Risiko für das Auftreten diabetischer Folgeerkrankungen in einer Balance mit dem Risiko für das Auftreten schwerer Hypoglykämien gehalten werden müsste. Inzwischen haben umfangreiche Analysen nicht zuletzt der DPV-Gruppe belegt, dass kein Zusammenhang zwischen der Höhe des HbA1c-Werts und dem Risiko für schwere Hypoglykämien mehr besteht.

Obwohl gerade im Kindesalter im Vergleich zu Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes ein besonders hoher Grad des Einsatzes von Diabetestechnologie wie Pumpen und Sensoren zu beobachten ist, zeigen diese Ergebnisse, dass weiterhin ein dringender Bedarf an verbesserten Therapiemethoden, z.B. im Sinne einer sogenannten "künstlichen Bauchspeicheldrüse" bzw. eines "Closed-Loop" besteht.

"Zeit im Zielbereich" als neuer Parameter zur Stoffwechselbeurteilung

Für die Beurteilung dieser neuen Behandlungsmethoden rückgekoppelter sensorunterstützter Pumpentherapie ist auch ein Umdenken in der Stoffwechselbeurteilung erforderlich. Obwohl der HbA1c als Zielparameter für die Langzeitglukosebewertung bei Diabetes etabliert ist, bildet er nicht alle patientenrelevanten Endpunkte ab und seine Aussagekraft ist in Bezug auf die Glukosevariabilität innerhalb der und zwischen den Tagesverläufen limitiert.

Durch die Entwicklung von Continuous-Glucose-Monitoring-Systemen (CGM) und intermittierend-scannenden CGM-(iscCGM, "Flash Glucose Monitoring")-Systemen gewinnen alternative Parameter wie die Time-in-Range (TIR, Zeit im Zielbereich) als Indikator für die Dauer der normo-, hypo- und hyperglykämischen Phasen an Bedeutung. Wie bei der Bewertung der 24-Stunden-Blutdruckmessung kann dieser Parameter ausgedrückt werden durch die prozentuale Angabe der TIR 70 – 180 mg/dl bzw. 3,9 – 10,0 mmol/l in Relation zur TIR < 70 mg/dl bzw. < 3,9 mmol/l.

Über die Informationen des HbA1c hinaus gibt die TIR Aufschluss über das Ausmaß von Glukosestabilität und –variabilität, ist ohne aufwändige Labordiagnostik jederzeit für Arzt und Patient verfügbar, und wird nicht durch externe und glukoseunabhängige Faktoren beeinflusst. Mit der zunehmenden Verbreitung der Diabetestechnologie stellt sich die TIR als Alternative und/oder Ergänzung zum HbA1c als einem sehr patientenbezogenen Parameter für die Beurteilung der Stoffwechseleinstellung gerade für den Bereich der sensorunterstützter Pumpentherapie dar.

CGM verordnungsfähig für pädiatrische Patienten

Die Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie (AGPD) hat sich gemeinsam mit der Deutschen Diabetes Gesellschaft intensiv für einen Einsatz von CGM in der Regelversorgung eingesetzt. 2016 wurden die Empfehlungen des G-BA zum Einsatz vom CGM mit klaren Indikationen veröffentlicht. Damit kann CGM nun unter anderem bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes Typ 1 und auch bei anderen besonderen Diabetesformen verordnet und regelmäßig eingesetzt werden.

Leider gibt es derzeit noch große regionale Unterschiede in der Genehmigungspraxis durch die Krankenkassen und in der Bewertung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen. Trotzdem bietet dieser Entscheidung eine wichtige Grundlage für den potentiellen Einsatz des Closed-Loop auch in der Pädiatrie.

Grundlegende Überlegungen für die automatisierte Insulin-regulation

Die Überlegungen zur physiologischen Regulation des Glukosestoffwechsels für einen Patienten mit Typ-1-Diabetes ergeben, dass idealerweise die Pankreasfunktion nachgebildet werden müsste. Einen groben Versuch das umzusetzen stellt die kontinuierliche Insulininfusion mit Hilfe einer Insulinpumpe dar. Dabei gibt es allerdings bedeutsame Abweichungen zur Regulation im Organismus. Den humanen Regelkreis physiologisch zu imitieren heißt, dass das Insulin zunächst in hoher Konzentration in der Pfortader der Leber anfluten müsste.

Nach der hepatischen Passage (dabei Verbrauch von ca. 50 Prozent u. a. zur Unterstützung der hepatischen Glykogenproduktion und zur Hemmung der hepatischen Glukoneogenese) erreicht das Hormon die Peripherie und reguliert dort die Glukosekonzentration. Ein solches ideales Closed-Loop lässt sich nur unter Laborbedingungen nachbilden.

Das Hybrid-Closed-Loop-System

Mit der MiniMed™670G ist in den USA eine Insulinpumpe auch für pädiatrische Patineten ab einem Alter von 14 Jahren (seit Juni 2018 ab Alter von 7 Jahren) auf dem Markt, die im Zusammenspiel mit CGM für eine nahe-normoglykämische Einstellung sorgt. Mit dem System MiniMed 670G ist eine teilautomatisierte Selbstständigkeit der Insulintherapie in der Realität angekommen.

Zulassung durch FDA

Die Zulassung durch die US-amerikanische Aufsichtsbehörde FDA (Food and Drug Administration) ist erstmals für ein System behördlich erfolgt, dass eine automatisierte Mehrabgabe von Insulin vornimmt. In der heimischen Anwendung des Systems durch gut eingestellte Patienten konnte eine weitere signifikante Verbesserung der Stoffwechsellage (HbA1c von 7.4±0.9Prozent auf 6.9±0.6Prozent) bei gleichzeitiger signifikanter Verminderung der Unterzuckerungen und Verbesserung der Zeit im Zielbereich gezeigt werden.

Grundlage dieser Daten war allerdings eine Studie mit eher geringer Patientenzahl. Beeindruckend ist, dass auf dem diesjährigen Amerikanischen Diabetes-Kongress präsentierte Real-World-Daten von mittlerweile mehr als 32 000 Patienten vergleichbar gute Ergebnisse zeigen, wie die Zulassungsstudie.

Eine schrittweise Verbesserung des Systems

Diese Pumpe hat im vergangenen Monat das CE-Zeichen erhalten, womit sie auch in Europa den Patienten zur Verfügung gestellt werden kann. Das System MiniMed™670G/CGM wird in der Literatur, auf Kongressen und in diversen Materialien als "Hybrid-Closed-Loop-System" bezeichnet. Konkret bedeutet das, dass die basale Insulinversorgung auf Grundlage der Glukosesensorwerte an den individuellen basalen Insulinbedarf des Patienten adaptiert wird. Damit wird fortgesetzt, was zum Beispiel bei der MiniMed™640G im Sinne der prädiktiven Insulininfusionsunterbrechung bei fallenden Sensorglukosewerten bereits existiert.

Im Gegensatz zur 670G wird bei der bisherigen 640G standardmäßig der SmartGuard-Algorithmus nur wirksam, wenn die Gefahr einer Hypoglykämie besteht. Manche Patienten verwenden dies schon zur Regulation der basalen Insulinversorgung in der Art, indem man bei einer über den eigentlichen Basalinsulinbedarf hinaus eingestellte höhere Basalrate das System immer wieder automatisch abschalten lässt und damit in gewisser Weise variable Änderungen des Basalinsulinbedarfs zwischen den Mahlzeiten abdecken kann.

Verfeinerter Algorithmmus

Grundsätzlich bedeutet der Algorithmus der MiniMed™670G eine Verfeinerung dieser bestehenden Algorithmen mit dem Ziel, die Glukosekonzentration weitgehend im Zielbereich zu belassen. Zum Abdecken von Mahlzeiten, ggf. zur Korrektur muss sich der Patient weiterhin den Bolus selbst ermitteln und abgeben. Insofern sollte man sich darüber bewusst sein, dass das neue System vom Prinzip her einer MiniMed™ 640G mit einem Modus für eine adaptierten Basalrate entspricht und eine Abschätzung und Eingabe von Mahlzeiten weiter erforderlich ist, also mitnichten einer künstlichen Bauchspeicheldrüse entspricht.

Hybrid-Closed-Loop: ein Mißverständnis?

Das Problem an der Bezeichnung Hybrid-Closed-Loop ist, dass das System von vielen wahrgenommen wird wie ein Closed-Loop und dass man oberflächlich darunter verstehen könnte, dass ein Algorithmus die Insulinzufuhr steuert, auf den weder der Arzt noch der Patient einen signifikanten Einfluss hat.

Auf dem letzten DDG-Kongress äußerten sich in dieser Weise auch Vertreter des Gemeinsamen Bundesausschusses, die das System als ein primär durch Algorithmen gesteuertes Gerät einordneten, mit geringer Einflussnahme durch die Ärzte, was eine Nutzenbewertung im Sinne einer "Neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode" (NuB) durch den GBA nach sich ziehen würde. Nun ist gegen eine Nutzenbewertung grundsätzlich nichts einzuwenden.

Allerdings dauert eine solche erfahrungsgemäß mehrere Jahre, so dass die MiniMed™670G den Patienten über einen längeren Zeitraum nicht zur Verfügung stehen würde. Auch bleibt abzuwarten wie Kostenträger dieses System beurteilen. Es ist zu vermuten, dass dadurch viele Patienten zu selbstgebauten Closed-Loop-Systemen übergehen werden, was unter Sicherheitsaspekten und aus juristischer Sicht kritisch zu sehen ist.

Nutzung von Do-it-Yourself-Closed-Loop-Systemen

Obwohl das System MiniMed™ 670G seit zwei Jahren in den USA zugelassen ist, kann derzeit also noch kein Einführungsdatum für den europäischen Markt genannt werden. Dieses Wissen um die technische Machbarkeit des Closed-Loop sowie der zunehmende Informationsaustausch über soziale Netzwerke führt derzeit dazu, dass die Nutzung sogenannter "Do-it-yourself" Systeme auch gerade bei technisch versierten Familien mit Kindern mit Typ 1 Diabetes zunimmt, bei denen übliche Insulinpumpen und Sensoren verwendet werden und der Steuerungsalgorithmus frei im Internet verfügbar ist (www.openAps.org).

Wissenschaftliche Daten finden sich hierzu bisher nicht, lediglich die Vorstellung von Fallberichten. In den sozialen Medien gibt es eine Vielzahl von Berichten über die Nutzung. Aktuell werden dort über 3.5 Millionen Nutzerstunden genannt, die man als (verglichen mit dem üblichen regulatorischen Prozess) als unstrukturierte und umfassende primäre Post-Marketing-Erfahrung bezeichnen könnte. Auch wenn hierbei ganz klar keine Möglichkeit der Haftbarmachung eines Herstellers besteht, sind doch viele Patienten bereit, dieses Risiko einzugehen, um auch am technologischen Fortschritt teilhaben zu können.

Für Behandlungsteams sind die Unterstützungsmöglichkeiten aufgrund von Medizinproduktegesetz und Medizinprodukte-Betreiberverordnung derzeit nicht möglich, beziehungsweise haftungsrechtliche Konsequenzen nicht abschließend absehbar.

Closed-Loop mit Insulin und Glucagon

Der Begriff "Bionic Pancreas" hat sich aufgrund des Wortstammes "Bi" für ein System mit Insulin und Glukagon ("Bihormonal") etabliert. Hier finden sich in einer Pumpe nicht nur ein Insulin-, sondern auch ein separates Glukagon-Reservoir, welches bei Hypoglykämien durch Glukagon-Gabe diese aktiv unterbinden kann. Dieses System zeigte sich in der Stoffwechselkontrolle ebenso zuverlässig wie andere Systeme mit einer geringeren Ausprägung der Unterzuckerungen aufgrund der aktiven Verhinderung, allerdings um den Preis eines insgesamt vermehrten Insulinverbrauches.

Auch positive pädiatrische Erfahrungen mit solchen Systemen wurden in Studien gemacht. Ein derzeit noch limitierender Faktor ist die begrenzte Stabilität von Glukagon, aber neuere Präparationen befinden sich bereits in Phase III der klinischen Studien. Auch wenn dieser bihormonale Einsatz vielleicht für Kinder wegen ihres höheren Unterzuckerungsrisikos besonders interessant ist und dem Prinzip einer künstlichen Bauchspeicheldrüse am nächsten kommt, geht man davon aus, dass zunächst (Hybrid)-Closed-Loop-Systeme mit nur Insulin kommerziell erhältlich sein werden.



Autor: Prof. Dr. med.Thomas Danne
Kinder- und Jugendkrankenhaus "AUF DER BULT",
Janusz-Korczak-Allee 12, 30173 Hannover,
E-Mail: danne@hka.de

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2018; 30 (9) Seite 28-32