Der Klimawandel ist eine enorme Bedrohung. Was man tun kann, um die Klimaziele zu erreichen, das wollten wir von Frau Prof. Thürmann von der Universität Witten/Herdecke wissen.

Schwerpunkt Green Diabetes
"A call for action!" Die Zeit drängt, schon 2024 wurde das Klimaziel mit 1,6 Grad Erwärmung gerissen. Wir alle haben inzwischen das Gefühl, es müsste schneller gehen mit konkreten Maßnahmen. 100 Milliarden sind für Klimaschutz im Sondervermögen der neuen Bundesregierung vorgesehen. Wie Klimawandel und Gesundheit zusammenhängen und welche Maßnahmen schnell nötig werden, aber auch wie sie kommuniziert werden müssen, beantwortet im Interview Prof. Dr. Petra Thürmann , Mitglied im ExpertInnenrat der Bundesregierung "Gesundheit und Resilienz". Wie könnten dann notwendige Schritte in der Diabetologie aussehen? Dies wurde sehr konkret an einem "Runden Tisch" mit Vertreter:innen der Industrie und der DDG-Arbeitsgemeinschaft Diabetes, Umwelt und Klima unter anderem am Beispiel Recycling von Pens besprochen. Prof. Dr. Lutz Heinemann, Prof. Dr. Chris Unsöld, PD Dr. Sebastian Petry und Apotheker Manfred Krüger berichten. Neben Ressourcenverbrauch und damit auch Müllerzeugung (CO₂- Fußabdruck) ist für das Diabetesteam und die Menschen mit Diabetes zentral die Frage von Hitzeperioden. Wie dann umgehen mit den hitzelabilen Hilfsmitteln wie Messgeräten, Pens, aber auch Insulin? Theresia Schoppe, Diabetesberaterin und Oecotrophologin B. Sc., gibt praktische Tipps. "Machen wir gemeinsam die gesunde und nachhaltige Lösung zur einfachen Lösung"!

Frau Prof. Dr. Petra Thürmann, Sie waren maßgeblich an der 5. Stellungnahme des Expert:innenrats "Gesundheit und Resilienz" zum Thema "Klimawandel und Gesundheit: Zusammen Denken, Systemgrenzen Überwinden" beteiligt. Warum ist es für unsere Gesundheit so wichtig, ein schnelles und solidarisches Handeln von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu forcieren, um die Klimaziele doch noch zu erreichen?

Die WHO bezeichnet den Klimawandel als den größten Risikofaktor für die menschliche Gesundheit, das bedeutet beispielsweise Dürreperioden für Länder des globalen Südens, Hitzewellen in Europa mit entsprechenden gesundheitlichen Konsequenzen insbesondere für vulnerable Menschen, vermehrt Atemwegserkrankungen aber auch Zunahme von Infektionskrankheiten, deren Erreger bei höheren Temperaturen bessere Lebensbedingungen vorfinden. Auf der anderen Seite ist der Klimawandel ein Auslöser für Extremwetterlagen, die auch zu plötzlichen Überschwemmungen (Ahrtal) führen können. Dem Klimawandel zu begegnen bedeutet Veränderungen in vielen Lebensbereichen, vom Autoverkehr über "grünen Strom" bis hin zu weniger Verpackungsmüll bei Einmalartikeln im Gesundheitswesen. Letztlich bedeuten aber alle diese Bemühungen, ambitionierte Klimaziele zu erreichen Gesundheitsschutz für uns alle. Das bedeutet, man muss Gesundheit in allen anderen Ressorts mitdenken, dies nennt man den "Health in all policies" Ansatz.

© Helios Universitätsklinikum Wuppertal
Professor Petra Thürmann: „Die WHO bezeichnet den Klimawandel als den größten Risikofaktor für die menschliche Gesundheit.“

Bei den vielen anstehenden Herausforderungen für Gesellschaft und Politik droht die Akzeptanz einer ambitionierten Klimaschutzpolitik nachzulassen. Was sollte auf jeden Fall auf der Agenda der neuen Bundesregierung stehen und umgesetzt werden?

Ich bin keine Expertin in technischen Belangen, dennoch sollten Anforderungen an beispielsweise Neubauten gestellt werden, die zum Einen auch bei hohen Temperaturen ein gesundes Raumklima ermöglichen, und zum Anderen möglichst wenig Energie benötigen. Das gilt besonders für öffentliche Gebäude und auch Fördermittel z.B. für Krankenhausbauten sollten Umwelt- und Klimaaspekte zur Auflage machen. Städtebaulich müssen wir uns auf den Klimawandel einstellen, Oasen schaffen und berücksichtigen, dass gerade Menschen mit geringerem Einkommen oftmals in "ungesünderen" Bauten leben, ältere Alleinstehende bei Hitze buchstäblich austrocknen und auch Kinder – gerade wenn sie im Freien spielen wollen - besonders gefährdet sind. Der Straßenverkehr und die damit verbundene Lärm- und Schadstoffbelastung ist ein unbeliebtes Thema – aber neben den abnehmenden Verkehrstoten gibt es eben eine direkt messbare Umweltbelastung mit erheblichem Gesundheitsschaden, das Umweltbundesamt hat hier eine hervorragende Datengrundlage geschaffen. Eine vermehrte Nutzung eines gut ausgebauten Personennahverkehrs und ebenso gut ausgebauter Radwege würde nicht nur die Umwelt schonen, sondern zusätzlich die Gesundheit fördern.

Das deutsche Gesundheitswesen ist bereits jetzt mit einem Anteil von über fünf Prozent ein größerer CO₂-Verursacher als der Flugverkehr. Welche vorrangigen Handlungsfelder sehen Sie im Bereich Gesundheitswesen?

In vielen Bereichen entsteht ein großer CO2-Fußabdruck durch Transportwege – hier kann eine Bevorzugung näher gelegener Produktionsstätten (Arzneistoffe nicht in Indien, sondern Europa produzieren) nicht nur die Umwelt schonen, sondern auch Lieferengpässe vermeiden. Neben Transport und Energieverbrauch spielen auch Aspekte wie bestimmte Narkosegase eine erhebliche Rolle, hier kann das Gesundheitswesen durch eine entsprechende Veränderung in der Nutzung selbst zur Gesundung des Planeten beitragen. Auch der Verpackungsmüll bei Einwegprodukten ist zu hinterfragen – wieviel Verpackung ist aus hygienischen Gründen wirklich nötig, ob eine Aufbereitung jedoch günstiger für die Umwelt und finanziell darstellbar ist, muss geklärt werden. Last but not least landen viele – v.a. unsachgemäß entsorgte – Arzneimittel in der Umwelt, zahlreiche Arzneistoffe sind bereits in unseren Gewässern nachweisbar und weder für Mensch noch Tier gesundheitsverträglich. Es gibt zahlreiche Ideen, z.B. von KLUG, KLIKgreen, die auf Umsetzung warten. Für viele dieser Empfehlungen müssen jedoch auch durch den Gesetzgeber Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Die Bewältigung des Klimawandels allein von Individuen zu erwarten, ist nicht zielführend. Welche institutionell verankerten, strukturellen Maßnahmen sehen Sie, die eine wesentliche und nachhaltige Hebelwirkung entfalten könnten?

Die o.g. Beispiels betreffen alle den öffentlichen Raum, hier muss vorangegangen werden, damit auch Bürger:innen das Gefühl bekommen, dass nicht nur sie höhere Heizkosten tragen müssen, sondern öffentliche Institutionen auch ihren Beitrag leisten. Gerade für die Nutzung des ÖPNV muss natürlich die Voraussetzung von guten Verbindungen und Verlässlichkeit gegeben sein, sonst werden die Pendler nicht umsteigen. Und wenn das Einspeisen des Stroms vom eigenen Dach in Deutschland komplizierter gemacht wird wie in unseren Nachbarländern, dann wird das auch kein Erfolg.

Die positiven gesundheitlichen Effekte des Klimaschutzes sind viel zu wenig bekannt und kommuniziert. Wie könnte das Konzept "Machen Sie die gesunde und nachhaltige Lösung zur einfachen Lösung" mehr Unterstützung und Umsetzung erfahren?

Klimafreundliches Verhalten wird meist mit Verzicht assoziiert, und diese gedankliche Verbindung müssen wir auflösen. So muss beispielsweise die Nutzung des ÖPNV im Vergleich zum Auto attraktiv werden und es muss auch attraktiver und selbstverständlicher sein, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Aber dazu müssen die Radwege gut ausgebaut sein. Es mag sich wie Verzicht anhören, mitten im Winter keine Erdbeeren, die weit durch die Welt geflogen sind, zu essen. Aber mit etwas mehr Bewusstsein für Transportwege konzentrieren wir uns vielleicht wieder mehr auf regionale Produkte. Nachhaltig ist es auch, wenn wir Prävention betreiben und damit eine spätere Nutzung des Gesundheitssystems reduzieren. Da spielt der Zucker in vielen Nahrungsmitteln eine Rolle. England hat es geschafft, mit einer Zuckersteuer tatsächlich den Zuckerkonsum zu reduzieren - die Folgen im Sinne von weniger Erkrankungen wird man in einigen Jahren messen können. Auch hier mag es zunächst wie Verzicht aussehen – aber der gesundheitliche Nutzen mit etwas weniger Zucker ist enorm.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Professor Thürmann!

Interview: Manfred Krüger.



Erschienen in: Diabetes-Forum, 2025; 37 (2) Seite 10-12