Dass Rauchen gesundheitsschädlich ist, weiß jeder. Allermeistens auch die Patienten. Trotzdem wird in der ärztlichen Praxis viel zu wenig auf die negativen Effekte aufmerksam gemacht. Obwohl sich das lohnen würde.
An den negativen Effekten des inhalativen Tabakrauchens auf den Körper und die Gesundheit und an den positiven Effekten des Rauchstopps gibt es keine Zweifel – selbst die allermeisten Raucher sind mit dem eigenen Rauchen unzufrieden und würden gerne aufhören oder deutlich reduzieren. Die ärztliche Unterstützung beim Rauchstopp würde somit auf fruchtbaren Boden fallen, wird aber in der Praxis viel zu selten oder gar nicht angewandt. Zeitmangel, fehlende finanzielle Vergütung und die fehlende eigene Qualifikation sind die häufigsten genannten Gründe hierfür.
Dieser Artikel möchte Minimalinterventionen aufzeigen, die es ermöglichen, Rauchende auf dem Weg zum Rauchstopp mit wenig zeitlichem Aufwand effektiv zu unterstützen so dass es ein "Geht-nicht" eigentlich nicht mehr geben sollte.
Epidemiologie, Morbidität & Mortalität
Die Raucherquote zeigt sich erfreulicherweise in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland rückläufig. Dennoch raucht aktuell jeder dritte Erwachsene zwischen 20 und 59 Jahren (32,6 %). Bei Jugendlichen liegt die Raucherquote bei 13,6 %, bei 60 – 69jährigen bei 19,3 % und bei den über 70jährigen bei 7 % [3].
Über 5.000 chemische Substanzen werden inhaliert
Neben dem Nikotin, das für die von Rauchenden positiv empfundenen zentralnervösen Effekte verantwortlich ist, werden ca. 5.000 weitere chemische Substanzen inhaliert, welche die körperlich schädigenden Effekte auslösen. Die wichtigsten sind hierunter sicherlich Herz-Kreislauf-, Lungen- sowie Krebserkrankungen. Aber auch die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes wird durch das Rauchen signifikant gefördert (Übersicht in [4]) und ist dosisabhängig bis zu 2fach erhöht.
Ebenso zeigen rauchende Typ2-Diabetiker eine schlechtere Einstellung der Blutzucker- und HbA1c-Werte und haben häufiger mikro- und makrovaskuläre Komplikationen als nicht-rauchende Typ-2-Diabetiker [10]. Rauchen und Diabetes bilden somit eine fatale Liaison. Als Folge des inhalativen Rauchens stirbt jeder zweite Raucher an einer tabakrauchbedingten Erkrankung und jeder zweite Raucher stirbt vor dem 70. Lebensjahr [6].
Rauchverhalten wird im Praxisalltag zu selten angesprochen
Aufgrund der mit dem Tabakrauchen verbundenen Morbidität und Mortalität sollte es für Ärztinnen und Ärzte eine Selbstverständlichkeit sein, jeden Rauchenden bei jedem Kontakt mit dem Gesundheitswesen auf sein Rauchverhalten anzusprechen und ihm Unterstützung beim Aufhören anzubieten. Viele Untersuchungen und auch die eigene Erfahrung zeigen jedoch, dass dies im Praxisalltag nur selten oder gar nicht geschieht.
So wurde beispielsweise in einer größeren pneumologischen Berufsausübungsgemeinschaft in den Jahren 2010 bis 2013 zwar bei 77 % der sich erstmals vorstellenden Patienten ärztlicherseits der Rauchstatus dokumentiert aber nur bei 6 % der rauchenden Neupatienten fand eine Erhebung der Aufhörbereitschaft statt, bei nur 36 % war der Ratschlag zum Aufhören dokumentiert und nur 14 % erhielten überhaupt Unterstützung angeboten [8].
Rauchen – mehr als "Lifestyle"
Der Großteil der Rauchenden ist unzufrieden mit dem eigenen Rauchverhalten und möchte prinzipiell aufhören oder zumindest deutlich reduzieren [2]. Dennoch liegt die Erfolgsquote spontaner Aufhörversuche ohne jegliche Unterstützung nur bei 3 – 5 % [6]. Ein wichtiger Grund hierfür ist sicherlich die Tabakabhängigkeit, die populationsabhängig bei 50 bis 80 % der Rauchenden vorliegt (u. a. [5]) und die für das Auftreten von insbesondere psychischen Entzugssymptomen wie z. B. Rauchverlangen (Craving), Nervosität, Stimmungsschwankungen oder Schlafstörungen verantwortlich ist.
Zusätzlich liegt bei den meisten Rauchenden ein häufig jahrzehntelanger Gewohnheitseffekt auf dem Boden der klassischen ("Immer wenn… rauche ich eine") und der operanten ("Immer wenn ich eine rauche, geht’s mir besser") Konditionierung vor. Das Rauchen wurde also regelrecht antrainiert. Diesen zwei Kernelementen – Abhängigkeit und Gewohnheit – muss bei der Tabakentwöhnung therapeutisch begegnet werden.
Evidenzbasierte Maßnahmen zur Tabakentwöhnung
Studien belegen, dass Rauchenden am besten mit einer Kombination aus verhaltenstherapeutischer und medikamentöser Unterstützung geholfen werden kann. Verhaltenstherapie, um die Gewohnheit zu ändern und medikamentöse Therapie, um in den ersten Wochen die Entzugssymptomatik zu lindern und somit für viele Rauchende erst den Weg zu einer dauerhaften Verhaltensänderung frei zu machen. Der Goldstandard in Deutschland ist derzeit eine mehrwöchige Gruppentherapie mit dem Einsatz von zugelassenen Medikamenten. Zugelassen sind Nikotinersatzprodukte, Vareniclin und Bupropion [1].
Auch für kürzere Maßnahmen und für Einzeltherapien liegen genügend Daten vor, die deren Effektivität belegen[6]. Obwohl effektive Maßnahmen vorhanden sind, werden die klassischen Entwöhnungskurse nur von wenigen Rauchern besucht. So hatten 2010 weniger als 0,1 % der Raucher in Deutschland an einem Entwöhnungskurs teilgenommen und es flossen seitens der gesetzlichen Krankenversicherungen nur 1 % der gesamten Präventionsausgaben in Maßnahmen zur Förderung des Nichtrauchens [7].
Minimalinterventionen für die Praxis – theoretischer und psychologischer Hintergrund
Vor diesem Hintergrund erscheint somit die regelmäßige und damit auch flächendeckende Anwendung von Minimalinterventionen durch Ärzte aller Fachdisziplinen umso wichtiger, welche ohne großen Aufwand in den ärztlichen Praxisalltag integriert werden können. Diese Interventionen machen sich die bei den meisten Rauchenden vorhandene Ambivalenz zu Nutze ("Ich würde ja gerne aufhören, aber…"), in dem sie diese hervorrufen (evozieren) und auf ihre Auflösung (Entscheidungsfindung) ausgerichtet sind.
Gut gemeint ist dabei jedoch nicht immer gut gesagt: das psychologische Phänomen der Reaktanz auf Seiten des Rauchenden kann gutgemeinte Gespräche abrupt und frühzeitig beenden. Dieses Phänomen tritt in der Regel auf, wenn die Entscheidungsfreiheit des Rauchenden durch die Gesprächsführung der Ärztin/des Arztes (subjektiv) zu sehr eingeengt wird. Je mehr der Arzt im Gespräch die Position gegen das Rauchen einnimmt, desto mehr Platz lässt er seinem Patienten, um Argumente für das Rauchen zu äußern und es kommt unweigerlich zu einem für beide Seiten unerfreulichen rhetorischen Tauziehen.
Die Motivierende Gesprächsführung (Motivational Interviewing (MI) [9]) empfiehlt deshalb als Gesprächsgrundlage eine akzeptierende und partnerschaftliche Haltung gegenüber Rauchenden sowie die Berücksichtigung der Autonomie in Bezug auf Entscheidungen.
Wie können diese theoretischen Konstrukte nun für Minimalinterventionen in der Praxis eingesetzt werden? In Tabelle 1 wird mit den "5A" ein Gesprächsrahmen gesetzt, der sich auch in Studien als effizient und effektiv erwiesen hat.
Die nachfolgenden konkreten Umsetzungsvorschläge entstammen der täglichen Beratung von Rauchenden:
- Raucherstatus erfragen und Rauchersymbole einsetzen (A1: Ask)
- Ratschlag und Feedback geben (A2: Advice)
- Offene Frage & Unterstützungsangebot (A3: Assess willingness)
- Weiterverweisen/Fax-to-Quit (A4: Assist)
- Erneutes Nachfragen (A5: Arrange follow up)
Abb. 1 gibt eine Zusammenfassung, wie eine Minimalintervention innerhalb 2 – 3 min in der Praxis ablaufen kann.
Minimalinterventionen sind effektiv und können ohne großen Aufwand in den regulären Praxisalltag integriert werden. Durch ihre häufige Anwendung (in allen Fachdisziplinen) können sie viel mehr Rauchende als z. B. mehrwöchige Entwöhnungskurse erreichen und in Kontakt mit professioneller Tabakentwöhnung bringen.
Akzeptierende Grundhaltung erleichtert Gespräche
Eine akzeptierende und autonomieorientierte Grundhaltung sowie offene Fragen und Reflexionen erleichtern die Gespräche und vermeiden ein rhetorisches Tauziehen. Jede Ärztin und jeder Arzt, unabhängig des Fachgebietes, sollte die Kontakte mit Rauchenden für Minimalinterventionen nutzen.
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2015; 27 (10) Seite 25-31