Schon 15 Minuten leichte körperliche Aktivität täglich verlängert im Vergleich zur Inaktivität das Leben um drei Jahre. Trotzdem sind Patienten dazu nur schwer zu motivieren. Dr. Peter Borchert erklärt, wie es trotzdem funktionieren kann.

Der Duden definiert einen Wunsch als "Begehren, dessen Erfüllung mehr erhofft als durch eigene Anstrengungen zu erreichen gesucht wird". Wer auf mehr Bewegung hofft ohne aktiv zu werden bleibt unbewegt. Beachtliche Aufmerksamkeit bekam in diesem Zusammenhang die Look-HEAD-Studie, eine randomisierte kontrollierte Studie – nach 10 Jahren vorzeitig abgebrochen, da keine Reduktion von kardiovaskulären Erkrankungen bei übergewichtigen Menschen mit Typ-2-Diabetes durch eine intensive Lebensstiländerung festzustellen war [1]. Also alles doch nur Wunsch und nicht wirklich gestaltbar?

Keinesfalls, denn aus Sicht der Bewegungstherapie fällt auf, dass im Kontext der Zielsetzung den diätetischen Bemühungen um eine Gewichtsreduktion offensichtlich (wieder einmal) deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde als der Bewegungsintervention. Schon nach vier Jahren betrug der Unterschied in der Zunahme der körperlichen Aktivität in Kontroll- und Interventionsgruppen lediglich 243,6 kcal/ Woche.

Daten zur kardiorespiratorischen Fitness und zur körperlichen Aktivität der Teilnehmer zum Zeitpunkt des Studienabbruchs liegen nicht vor. Deshalb erlauben die Ergebnisse der Look-AHEAD-Studie natürlich nicht, den vielfältigen Nutzen einer Bewegungstherapie in Frage zu stellen, sondern untermauern im Gegenteil die Forderung bezüglich nachhaltiger Ansätze zur Bewegungsmotivation.

Klare Ansage

Wie wenig, wie viel sein kann ist seit Jahren bekannt, und nach wie vor erstaunlich. Schon 15 Minuten leichte körperliche Aktivitäten täglich verlängern im Vergleich zur Inaktivität das Leben um drei Jahre [2]. Bereits eine geringe körperliche Aktivität senkt bei Menschen mit Typ-2-Diabetes sowohl die kardiovaskuläre Mortalität als auch die Gesamtmortalität [3]. Anfänger oder Wiedereinsteiger profitieren von körperlicher Aktivität am meisten. Die größte Verbesserung des Herz-Kreislauf-Risikos findet sich bei einer Steigerung des Aktivitätslevels von "inaktiv" auf "moderat" [4].

Folgerichtig heißt es auch in der Rechtsverordnung zur Ausgestaltung der DMP Diabetes: "Der Arzt überprüft mindestens einmal jährlich, ob der Patient von einer Steigerung der körperlichen Aktivität profitiert. Mögliche Interventionen müssen darauf ausgerichtet sein, den Patienten zu motivieren, das erwünschte positive Bewegungsverhalten eigenverantwortlich und nachhaltig in seinen Lebensstil zu integrieren."

Auch die die Nationale Versorgungsleitlinie Therapie des Typ-2-Diabetes untermauert den hohen Stellenwert der körperlichen Aktivität in der der Therapie des Typ-2-Diabetes. Neben der Aufklärung des Patienten über den Nutzen körperlicher Aktivität, werden Steigerung der Alltagsaktivitäten, strukturierte Bewegungsprogramme und unterstützende Trainingsprogramme empfohlen [5].

Möglichkeiten nutzen

Bereits seit 2007 verfügen wir mit Einführung der "DiSko-Schulung" (Wie Diabetiker zum Sport kommen) über ein evaluiertes und vom Bundesversicherungsamt akkreditiertes Diabetes-Schulungsmodul [6]. Umso erstaunlicher ist, dass DiSko bis heute in nur fünf Bundesländern abrechnungsfähig ist, obwohl alle Voraussetzungen erfüllt sind und von allen Seiten die Bedeutsamkeit und die Praktikabilität gewürdigt werden.

Kernstück ist ein geführter halbstündiger Spaziergang, der in jedes akkreditierte Schulungsprogramme integriert werden kann. Vor und nach dem Spaziergang werden Blutzucker und Puls gemessen. Die meist eindrucksvolle Blutzuckersenkung und Pulssteigerung werden visualisiert, gemeinsam diskutiert und in persönliche Bewegungsziele gefasst. Dies entspricht aktuellen Erkenntnissen nach individualisierten Strategien (trotz Gruppenschulung) durch angepasste Empfehlungen an den Lebensalltag und kontinuierliche Begleitung der Veränderungsanstrengungen.

Gerade für bewegungstherapeutische Ansätze liegen inzwischen eine ganze Reihe an Daten vor [7, 8, 9], die darauf hinweisen, dass die Verwendung eines Schrittzählers die Steigerung der körperlichen Aktivität fördern kann, im Schnitt etwa um 2 500 Schritte, was einer Aktivitätssteigerung um rund 26% entspricht. Methodische Voraussetzung: individuelle Zielfindung und regelmäßiges Feedback zur Zielerreichung. Die Regelmäßigkeit der Quartalsvisite im DMP eröffnet eine reelle Chance, genau solche Ansätze mit Leben zu füllen.

Individuell beraten

DiSko, weiterentwickelt durch Diskoplus, nimmt eben diese Idee auf und "übersetzt" Bewegungszeit (2,5 Stunden zusätzliche Aktivität pro Woche) in individuell angepasste Schrittzahlen bzw. -ziele. Natürlich können Schrittzähler nicht die Vielfalt der Bewegungsformen abbilden. Aber sie bietet zweifelsohne ein spannendes Medium, die ursprünglichste Form der Bewegung messbar zumachen: das Gehen. Sie geben Rückmeldung in Echtzeit und damit offensichtlich eine deutlich bessere Orientierung darüber, was wir tun wollten und was wir getan haben.

Veränderung und Nachhaltigkeit durch individuelle Begleitung brauchen ein geschärftes Bewusstsein, leben von die Vigilanz (Wachheit) für Bewegung bei Patienten und Therapeuten. So informiert die Lebensstil-Pyramide [10] über alle wichtigen Aspekte der Lebensstil-Modifikation und bringt die Bewegung als Grundlage des Gesundheitsverhaltens erstmalig in einen Kontext mit den nicht minder wichtigen Empfehlungen nach gesunder Ernährung und Nikotinverzicht.

Vernetzt handeln

Bei aller Begeisterung für das Thema verfügen DMP-Praxen, wie jeder andere Praxis auch, nur über begrenzte Ressourcen (Zeit, Personal, Strukturen). Dennoch können sie in der Regel die Rolle als Initiator und Koordinator der Bewegungstherapie mit bestehenden Mittel bestens ausfüllen. Nicht zuletzt als Träger der Diabetes-Schulungsprogramme können Brücken zu Kooperationspartnern aus der Sporttherapie gebaut werden, die den Prozess der nachhaltigen Umsetzung professionell unterstützen.

Rehabilitationssportvereine, Gesundheitsstudios, gesundheitsorientierte Sportvereine, Betriebssportvereine, überregionale Laufinitiativen (Diabetes Programm Deutschland), aber auch Krankenkassen selbst mit spezifischen Bewegungsangeboten sind hier als wichtige Partner zu nennen. So hat z. B. die Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Sport der Deutschen Diabetes-Gesellschaft, diabetesDE und der TÜV Rheinland qualifizierte Fitness- und Gesundheitsstudios [11] zertifiziert, um bei der qualitätsgesicherten Auswahl eines Studios zu helfen.

Bewegung nur ein Wunsch?

Nicht Therapeuten oder Gesundheitsinstitutionen verändern die Lebensweise der von Diabetes betroffenen Menschen, es sind immer die Menschen selbst und deren (all)tägliche Entscheidungen für oder gegen eine bestimmte Handlungsweise.

Sachargumente alleine überzeugen nicht. Unverbindliche Appelle wie "Es wäre gut, wenn Sie sich mehr bewegen würden" sind wirkungslos. Das wissen wir seit Jahren. Ändern wir hier nichts, wird Bewegung auch im DMP nur ein Wunsch bleiben. Die praktische Anleitung und Motivation zu mehr Bewegung muss ins Zentrum der Beratungs- und Schulungstätigkeit rücken. Das Heranführen an die Bewegung ist ureigene Aufgabe des Schulungsteams. Bewährte Schulungsmodule wie "DiSko" liefern das Instrumentarium, um Vorgehensweisen zu individualisieren und an den Alltag der Menschen anzupassen.

Bewußtsein schärfen

Das Denken und Handeln in Netzwerken bietet eine realistische Chance, das Dilemma der Nachhaltigkeit trotz begrenzter Ressourcen zu überwinden. Allein ist jede Praxis überfordert. Ein geschärftes Bewusstsein für die Bedeutung der Bewegungstherapie, die praktische Hinführung und Anleitung der Patienten zur Bewegung und die vernetzte Begleitung in der nachhaltigen Umsetzung im Alltag sind wichtige Wegweiser, um aus dem Wunsch nach mehr Bewegung im DMP, ein zielgerichtetes Handeln durch DMP zu machen.


Literatur
Look AHEAD Research Group, Wing RR, Bolin P, Brancati FL et al: Cardiovascular effects of intensive lifestyle intervention in type 2 diabetes. N Engl J Med 2013; 369:145–154. DOI 10.1056/NEJMoa1212914
Wen CP, Wai JPM, Tsa MK et al: Minimum amount of physical activity for reduced mortality and extended life expectancy: a prospective cohort study. Lancet 2011; 378: 1244–53
Sluik D, Buijsse B, Muckelbauer R et al: Physical activity and mortality in individuals with diabetes mellitus: a prospective study and metaanalysis.
Löllgen H, Böckenhoff A, Knapp G: Physical Activity and All-cause Mortality: An Updated Meta-analysis with Different Intensity Categories. Int J Sports Med 2009; 30: 213– 224
Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale Versorgungsleitlinie Therapie des Typ-2-Diabetes – Langfassung, 1. Auflage. Version 4. 2013, zuletzt geändert: November 2014. Available from: www.dm-therapie.versorgungsleitlinien.de; [cited: 01.08.2015]; DOI: 10.6101/AZQ/000213
Siegrist M, Zimmer P, Klare WR, Borchert P, Halle M: Einmalige Übungsstunde verändert das Aktivitätsverhalten bei Typ-2-Diabetikern. Diabetes StoffwHerz 2007; 16: 257-261
Bravata DM, Smith-Spangler C, Sundaram V et al: Using Pedometers to Increase Physical Activity and Improve Health: A Systematic Review. JAMA. 2007; 298 19: 2296-2304
Kress S, Eichmann B, Gießing J, Bollmann N, Karbach U: Landauer Schrittzählerstudie Vinzentius-Krankenhaus Landau und Institut für Sportwissenschaft; 2010
Tudor-Locke C: Promoting Lifestyle Physical Activity: Experiences With the First Step Program. British Journal of Sports Medicine 2006; 40: 714-716
Kress S, Borchert P, Kraft M: Die Lebensstil-Pyramide. Kirchheimverlag 2015
Behrens M, Zimmer P, Klare WR, Gehr B, Thurm U: Fitnesstraining für Diabetiker – theoretische und praktische Aspekte. Diabetes StoffwHerz 2012; 21: 21-25


Autor: Dr. Peter Borchert
Hochvogelstraße 24
86163 Augsburg

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2015; 27 (10) Seite 20-24