Die PAVK (periphere arterielle Verschlusskrankheit) ist eine Folgeerkrankung des Diabetes. Eine Unterversorgung des Krankheitsbildes kann jedoch in vielen Fällen vermieden werden. Wie das geht, sagt uns Dr. Kathrin Niemöller aus angiologischer Sicht.

Kasuistik
Herr M. kam in unsere angiologische Sprechstunde. Vor sechs Monaten fiel ihm erstmals eine Druckstelle am linken kleinen Zeh auf. Nach zahlreichen Wundtherapien, Operationen und drei stationären Aufenthalten mit i.v.-Antibiosen wurde ihm nun erläutert, dass eine Unterschenkelamputation drohe. Er habe aber doch wenig Schmerzen und bitte um eine Zweitmeinung. Die Doppler-Untersuchung der Knöchelarterien ist durch Mediasklerose nicht verwertbar. Die Duplex-Sonographie der Becken-Beinarterien zeigt eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) vom Mehretagentyp mit Verschlüssen der Unterschenkelarterien beidseits. Dem Patienten sind diese Befunde neu – noch immer ist dies der Alltag.

Warum passiert das? Welchen Verlauf hätte die Erkrankung des Patienten genommen, wenn frühzeitig ein Gefäßstatus erhoben worden wäre und auch eine Revaskularisation erfolgt wäre?

Zusammenhänge sind bekannt

Menschen mit Diabetes mellitus haben ein signifikant erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen -sowohl für koronare und zerebrovaskuläre als auch periphere arterielle Perfusionsstörungen. Darüber hinaus gibt es bei Diabetespatienten schlechtere Outcome-Daten nach Ereignissen in den o.g. Regionen. Hyperglykämie und Insulinmangel führen zu einer schnelleren Entwicklung der Atheromatose durch bekannte Pathomechanismen. Dies sind keine neuen Erkenntnisse, auch wenn noch nicht alle Mechanismen verstanden sind und immer mehr Faktoren identifiziert werden, die der Besonderheit der diabetesassoziierten beschleunigten Atherosklerose zugrunde liegen, wie spezielle Wege der Inflammation.

Das diabetische Fußsyndrom

Unter dem diabetischen Fußsyndrom (DFS) werden alle pathologischen Veränderungen des Fußes bei Patienten mit Diabetes mellitus zusammengefasst. Das Spektrum reicht von präulzerösen Läsionen über Hornhautschwielen bis zu Geschwüren und Nekrosen. Diese Veränderung tritt mit einer Wahrscheinlichkeit von 19 bis 34% über die gesamte Lebensdauer bei einer Person mit Diabetes auf. Die jährliche Rate neuer Fälle von akutem DFS beträgt etwa 2 bis 6 %.

Deutschland liegt unter den europäischen Ländern noch immer im oberen Anteil der Amputationsraten. 65 bis 70 % aller Amputationen werden erfolgen bei Patienten mit Diabetes mellitus. Eine große landesweite Untersuchung zeigte in dieser Klientel zwar einen Rückgang von Majoramputationen, allerdings einen deutlichen Zuwachs von über 30 % der Minoramputationen. Begünstigend für die Entwicklung des DFS sind die Koexistenz der Faktoren Neuropathie (sensorisch, motorisch, autonom), PAVK und Druckdeformitäten. Letztere sind begründet in ungeeignetem Schuhwerk, durch Deformitäten und Adipositas. Aber auch psychosoziale Faktoren wie Armut, Depression und Vernachlässigung, z.B. durch fehlende soziale Unterstützung sind Faktoren, die ein DFS begünstigen.

Die Koexistenz von PAVK und Diabetes mellitus:

Die Prävalenz der PAVK liegt bei 3 bis 10 % der Gesamtbevölkerung, wobei der Anteil der Patienten mit PAVK bei den über 70-Jährigen auf 15 bis 20% ansteigt. Im Stadium der Claudicatio weisen 30%, bei kritischer Extremitätenischämie 50% einen Diabetes mellitus auf. Umgekehrt ist bei über einem Viertel der Diabetiker im Alter von mindestens 65 Jahren eine PAVK nachweisbar. Die Dunkelziffer ist sicher höher.

Die Koinzidenz von diabetischem Fußulkus und PAVK:

Die Mehrzahl der diabetischen Fußulzera ist neuropathischer Genese. Es besteht allerdings auch hier eine hohe Koinzidenz der PAVK; bei über 25% der Patienten mit diabetischem Fußulkus wird diese diagnostiziert.

Wenn Fußulzerationen nicht heilen, Osteomyelitiden und -lysen auftreten, sind Amputationen von Zehen, des Fußes oder der gesamten Extremität erforderlich. Die Prognose bzgl. amputationsfreien Überleben ist bei Menschen mit diabetischen Fußulzerationen im Vergleich zu Menschen mit Diabetes ohne derartige Fußläsionen schlechter. Mehrere Untersuchungen zeigen aber ein Absinken der Amputationsrate nach Einbindung der Patienten in feste Vorsorge- und Betreuungsprogramme.

Kann DMP Amputationen verhindern?

Der Qualitätsbericht Disease-Management-Programme "Diabetes mellitus" der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) von 2019 zeigt, dass mit 80% der mutmaßlich an Typ-2-Diabetes und weit über 95 % der an Typ-1-Diabetes erkrankten, gesetzlich krankenversicherten Patienten in der Region, ein Großteil in ein Programm eingeschrieben sind. 2,3% der 430830 eingeschlossenen Patienten mit Typ-2-Diabetes wiesen ein diabetisches Fußsyndrom auf, bei 0,8% der Patienten erfolgte eine Amputation. Der Anteil der von einer Amputation betroffenen Menschen mit Diabetes sank zwischen 2010 und 2019 unter jeweils 10000 Patienten von 27 auf 17.

Das Einhalten der Qualitätsindikatoren wurde als sehr gut bewertet – insbesondere die Stoffwechseleinstellung und die regelmäßigen Fußuntersuchungen. Trotzdem konnte aber letztlich die Häufigkeit des Neuauftretens einer Amputation in den letzten zwei Jahrzehnten nicht reduziert werden.

Gefäßdiagnostik

Im DMP sind die jährliche Fußinspektion und die Messung der Fußpulse bei Ulzeration gefordert. Darüber hinaus sollte meines Erachtens aber nicht erst beim Auftreten von Ulzerationen eine klinische Untersuchung erfolgen. Das Erfassen von Pulsstatus sowie qualitativ Hautfarbe und -temperatur, Knöchel- oder Zehendruckmessung (ABI: Ankel-Brachial Index; TBI: Toe-Brachial Index) sind bei jedem Patienten mindestens jährlich angezeigt - bei bestehender Polyneuropathie möglichst quartalsweise, da das Auftreten von Ulzerationen vielfach unbemerkt bleibt. Das Erfragen einer Claudicatio-Symptomatik ist sinnvoll, die Verneinung aber nicht dem Ausschluss einer relevanten Perfusionsstörung gleichzusetzen. So wie auch der Herzinfarkt häufig stumm bleibt, verspüren Patienten mit Diabetes den belastungsabhängigen Ischämieschmerz nicht. Erschwerend für die Diagnose einer PAVK mittels ABI-Bestimmung sind falsch erhöhte Werte durch Mediasklerose und Fußpulse, die auch dann noch palpabel sein können, wenn sich vorgeschaltet arterielle Stenosen befinden.

Aus angiologischer Sicht sollte die gefäßmedizinische Vorstellung zur weitergehenden Diagnostik mit farbkodierter Duplex-Sonographie, ggf. Pulsoszillographie der Digital-arterien und transkutaner Sauerstoffdruckmessung (tcPO2) erfolgen. Mit diesen Ergebnissen kann dann eine weitergehende Therapieplanung erfolgen.

Therapie – es wird blutig

Bei Vorliegen eines DFS mit PAVK muss die Indikation für Revaskularisierungsverfahren (endoluminale und/oder gefäßchirurgische Eingriffe) frühzeitig und aggressiv erfolgen. Oftmals erfolgt die Überlegung erst dann, wenn die Fußläsion über Wochen nicht heilt oder die Indikation zur Amputation besteht. Ohne ausreichende Durchblutung ist aber eine Wundheilung nicht zu bewirken. Endovaskuläre Behandlungen mit Ballondilatationen, Stenting, Athe-rektomien aller Gefäßsegmente und gefäßchirurgische Optionen, z.B. crurale Bypassanlagen, stehen flächendeckend zur Verfügung. Durch stetig verbesserte Materialien und Verfahren sind alle Gefäßprovinzen zu erreichen und mit sehr guten Offenheitsraten zu behandeln.

Eklatante Unterversorgung

Laut Qualitätsbericht DMP der KVWL 2019 erhalten nur etwa die Hälfte aller älteren Typ-1-Diabetiker mit bekannter Koexistenz einer PAVK ein Statin, eine Thrombozytenaggregationshemmung nur etwa 57 %. Bei bereits erfolgter Amputation liegen die Zahlen noch geringer.

Patienten mit PAVK (mit und ohne Diabetes) profitieren nach invasiver Revaskularisation und ebenso bei hohem Risiko für ischämische Ereignisse aufgrund kardiovaskulärer Erkrankungen und Risikofaktoren von einer kombinierten Therapie mit Rivaroxaban und Acetylsalicylsäure (ASS). Damit können sowohl die Endpunkte MACE (Major Adverse Cardiovascular Events; Herzinfarkt, Schlaganfall, kardiovaskulärer Tod) als auch MALE (Major Adverse Limb Events; schwere Durchblutungsstörung/Amputation) reduziert werden. Dieser enorme Nutzen hat sich noch sehr spärlich in der Sekundärprophylaxe durchgesetzt, hier bedarf es weiterhin viel Aufklärungsarbeit.

Was hilft? Zusammenarbeit!

Die Kooperation der Gesundheitsprofessionen sowie das dadurch positivere Erleben der Behandlung sollte noch mehr in den Vordergrund gerückt werden. Ziele hierbei sind für das diabetische Fußsyndrom mit PAVK ein dauerhafter Wundverschluss, das Verkürzen der Wundheilungsdauer, das Verhindern von Folgeschäden, eine geringe Rezidivrate und eine möglichst hohe Patientenzufriedenheit und somit Lebensqualität.

Versorgungsprogramme –gut, aber mit Lücken

Sobald ein Patient in das DMP eingeschrieben ist, sind klare Intervalle zur Kontrolle der Füße festgelegt. Befinden sich Patienten im DMP, erfolgen häufiger Verordnungen zu podologischen Behandlungen. Dies ist prinzipiell sinnvoll und erfreulich und hatte auch bereits zu Erfolgen geführt.

Dennoch sind trotz einer sehr guten Versorgungssituation der Diabetiker und definierter Vorgehensweisen noch immer große Versorgungslücken in der Diagnostik und Therapie der vaskulären Komorbiditäten zu erkennen. Die vorhandenen Ressourcen werden nicht ausgeschöpft und die interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit wird nicht in Gänze genutzt. Langwierige Heilungsverläufe und auch Amputationen sind nicht komplett verhinderbar. Durch strukturierte Kooperationen auf der Basis vorhandener Leitlinien (Deutsche Gesellschaft für Angiologie 2015, Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung eV. 2012) kann es aber doch nur zu einer Verbesserung der Prognose kommen.

Die Qualitätsziele der regelmäßigen Fußinspektion und der Erhebung des Pulsstatus der Füße bei Ulkus werden zu über 90% erfüllt. Die adäquate Versorgung des Ulkus ist mit 61% allerdings noch nicht hinreichend. Die indikationsspezifische Verordnung von Thrombozytenaggregationshemmern erfolgt deutlich zu selten. Und unverständlicherweise stellt die Verordnung von Statinen kein DMP-Qualitätskriterium dar. Die Aufnahme dieses Qualitätskriteriums sollte meines Erachtens dringend erwogen werden. Denn durch die eklatante medikamentöse Unterversorgung bleibt die Prognose der kardiovaskulären Komorbiditäten bei den Diabetikern schlechter als nötig.

Jede chronische Wunde hat mindestens eine Ursache. Es genügt nicht, druckbedingte Ulzera lokal zu versorgen, ohne die PAVK zu behandeln. Genauso wenig reicht es aus, eine Revaskularisation der Extremität zu erlangen, ohne im Verlauf die Schuhversorgung anzupassen. Oftmals komplett übersehen werden Aufklärung und Schulung des Patienten und seiner Angehörigen, um frühzeitig eingreifen zu können.

In Anbetracht steigender Patientenzahlen sowohl von Menschen mit Diabetes als auch mit PAVK in einer älter werdenden Gesellschaft steht unser Gesundheitssystem vor einer großen Herausforderung: Eine Entlastung wird es langfristig nur durch konsequente allumfassende Prävention und frühzeitige Intervention geben können. Die Patienten müssen eingefangen, geschult und vertrauensvoll betreut werden. Diese kostspielig anmutenden Mühen werden sich lohnen.

Und Herr M.?

Herr M. konnte nach u.a. endovaskulärer Versorgung mit einer Amputation des 4. und 5. Strahls des linken Fußes inkl. Mittelfußknochen-Resektion, Vakuumtherapie (VAC-Therapie), gefolgt von fünfmonatiger Wundbehandlung im ambulanten Setting behandelt werden. Der Unterschenkel ist ihm geblieben.

Literatur über die Redaktion


Autorin:
Dr. med. Kathrin Niemöller
Chefärztin
Medizinische Klinik V - Klinik für Angiologie Knappschaftskrankenhaus Dortmund
und
Klinik für Innere Medizin II - Klinik für Angiologie, Diabetologie, WundKompetenzZentrum
Klinik am Park Lünen
KLINIKUM WESTFALEN GMBH, Akademisches Lehrkrankenhaus der Ruhr-Universität Bochu


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2022; 34 (7/8) Seite 19-21