Menschen mit Diabetes sind in vielen Fällen von Folge- und Begleiterkrankungen betroffen. Sei es das diabetische Fußsyndrom oder kardiologische Erkrankungen. Wichtig dabei: die psychologische Mitversorgung! Adrian David Grimshaw berichtet.

Rainer S., 59 Jahre alt, wird im Herz- und Diabeteszentrum NRW (HDZ NRW) zur Zweitmeinung aufgenommen. Der Patient leidet unter einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) und hat eine schwer heilende Wunde am linken Fuß. Ansonsten sei er so gut wie nie im Krankenhaus gewesen, aktuell jedoch werde er aufgrund des Fußbefundes ständig hospitalisiert. Im vorherigen Klinikum drängte man auf eine Amputation des gesamten Unterschenkels. Darauf reagierte Rainer S. mit Unverständnis, er fühlte sich bedroht: "Das lasse ich mir nicht gefallen, es ist doch nur eine kleine Wunde!" Gegen ärztlichen Rat verließ er vorzeitig das Klinikum.

Nach Aufnahme im HDZ NRW Bad Oeynhausen wiesen seine Blutwerte auf eine Herzinsuffizienz hin. Ebenfalls auffällig waren die Blutzuckerwerte von Rainer S., sein Typ-2-Diabetes schien unzureichend behandelt. Entgegen der Erwartung des Patienten wird die anfangs wahrgenommene Bedrohung, er sei nur wegen seines Fußes hier, von klinischer Seite nicht widerlegt. Rainer S. ist fix und fertig, seine Stimmung ist auf einem Tiefpunkt, zunehmend schwindet auch seine Akzeptanz für gesundheitliche Erfordernisse. Ihm fällt es schwer zu vertrauen, dass es für seine Situation eine adäquate Lösung gibt.

Adjuvante psychologische Mitversorgung anbieten

Ganz offensichtlich ist die Situation für den Patienten, aber auch für seinen primär behandelnden Arzt in der Klinik eine Herausforderung. Bereits durch das Aufsuchen einer Zweitmeinung kommt der Patient belastet und widerwillig in das klinische Setting. Erschwert wird die Situation durch die Tatsache, dass mit einer raschen Abheilung chronischer Wunden kaum zu rechnen ist. Wundheilungsprozesse sind meist langwierig, oft ist eine Antibiose notwendig. Kommen dann noch weitere Komplikationen hinzu, geht das den Betroffenen schnell unter die Haut und das nicht nur psychisch. Oft sind invasive chirurgische Eingriffe notwendig. Gefäßkrankheiten sind meist komplex und haben häufig mehrere Ursachen, die diese weiter negativ beeinflussen: genetische Prädispositionen, Übergewicht, Rauchen, ungünstige Ernährung, wenig Bewegung. Genauso komplex sind die Folgen, die sich insgesamt aus dieser Konstellation ergeben und wechselseitig potenzieren: Diabetes mellitus Typ 2, koronare Herzerkrankungen, Gefäßverschlüsse, Hypertonie. Kommt wie im Fall von Rainer S. subjektiv empfunden alles auf einmal, ist das natürlich sehr belastend für den Patienten, er benötigt eine adäquate Ansprache. Vom Arzt erkannt kann und sollte, insofern möglich, eine adjuvante psychologische Mitversorgung angeboten werden.

Verständliche Kommunikation und empathische Vermittlungsarbeit gefragt

Oft deckt sich die Erwartung von Patienten an ihre Versorgung nicht mit den Zielen der Behandler. Aus dem kurz vorgestellten Fall wird deutlich, dass medizinisch eine weitere Diagnostik erforderlich ist, die längere Zeit in Anspruch nehmen kann. Die individuelle Wahrnehmung von Rainer S. ist allerdings, dass er schon außerordentlich lange im Krankenhaus behandelt werde. Er möchte lediglich, dass seine Wunde am Fuß abheilt und entsprechend versorgt wird. Die Annahme, dass Betroffene wie Rainer S. auf Anhieb verstehen, warum weitere medizinische Schritte notwendig sind, kann nicht vorausgesetzt werden. Zusätzlich befindet sich der Patient in der Situation, dass ggf. aus "der kleinen Wunde am Fuß" eine potentiell lebensbedrohliche Gefahr entsteht. Weitere Untersuchungen können für den Patienten initial eine verlängerte Zeit im Krankenhaus, noch mehr Unsicherheit über ausstehende Ergebnisse, noch mehr schlechte Nachrichten bedeuten. Eine offene und verständliche Kommunikation und empathische Vermittlungsarbeit sind deshalb gefragt.

Emotionen akzeptieren und Patienten mitentscheiden lassen

Viele Notwendigkeiten in der stationären Behandlung führen zu einer massiven Einschränkung der Selbstständigkeit des Patienten. Die Mobilität kann durch die Wundbehandlung eingeschränkt sein. In regelmäßigen Abständen werden Blut abgenommen, der Blutzucker gemessen oder Infusionen gelegt. Manche Maßnahmen sind mit Schmerzen verbunden. Bei Rainer S. führte die Behandlung insgesamt zu einem Gefühl des Ausgeliefertseins. Der Patient wurde im Rahmen einer partizipativen Entscheidungsfindung in die Behandlungsschritte einbezogen. Dazu gehörte das Aufzeigen, warum welche Maßnahme zu welchem Zeitpunkt notwendig ist. Ebenso kommunizierte der Patient seine präferierte Vorgehensweise und konnte auf Augenhöhe Behandlungsziele nennen und mitdiskutieren. Dadurch entstand ein für den Patienten transparenter Behandlungsplan, auch mit der Perspektive, wann dieser voraussichtlich abgeschlossen sein wird. Das förderte die Autonomie des Patienten und trug dazu bei, dass der wahrgenommene Verlust der körperlichen Unversehrtheit und die dadurch entstehende Emotionalität letztlich nicht die Interaktion zwischen Arzt und Patient gestört hat. Eine erfolgreiche und zufriedenstellende Behandlung kann sich nur ergeben, wenn Vorgehensweisen nicht autoritär sind. Die ärztliche Anordnung sollte immer in Rücksprache mit dem Patienten erfolgen.

Medizinische Schritte in Einklang mit Motiven des Patienten bringen

Die angesprochene empathische Vermittlungsarbeit kann, wie in diesem Falle geschehen, effektiv durch eine psychologische Versorgung mit unterstützt werden – was keinesfalls so verstanden werden darf, als ob der Mediziner diese Aufgabe nicht beherrschen würde. Betroffene Patienten sind tatsächlich oft dankbar, wenn vom Arzt die Mitbehandlung durch einen Psychologen angeboten wird. Viele Patienten interpretieren das eher als professionelle Entscheidung im Rahmen der Behandlung. Meist wird so auch die Arzt-Patienten-Beziehung gefördert. In der Praxis kann durch eine emotionale Stabilisierung des Patienten häufig eine erste Überlastung und Entscheidungsträgheit, ggf. sogar Widerwillen überwunden werden. Es ist wichtig, dass Patienten die Möglichkeit erhalten, ihr emotionales Erleben der Situation zu verbalisieren. Das kann dazu beitragen, Ziele und Gedankengänge hinter dem Verhalten von Patienten besser zu verstehen. Letztlich muss es auch darum gehen, erforderliche medizinische Schritte in Einklang mit den Motiven des Patienten zu bringen. Patienten haben in der Regel einen guten und für sich subjektiv legitimen Grund, Behandlungen abzulehnen oder zu vermeiden. Bei emotionaler Überlastung ist keine adäquate Entscheidungsfindung möglich, umso wichtiger ist es, diese in der Gleichung zu berücksichtigen. Damit lässt sich, sobald die Emotionen ihren Raum bekommen haben, gemeinsam mit dem Patienten eine sinnvolle Behandlungsplanung realisieren. Das geschieht vor allem dadurch, dass der Patient beginnt, ein Verständnis für die Ziele des Arztes und notwendigen Schritte zu entwickeln, welches vorher durch die emotionale Belastung kognitiv unzureichend möglich war.

Positive Perspektive durch Erleben von Selbstwirksamkeit

Die exemplarisch dargestellte Vorgehensweise konnte im Fall von Rainer S. trotz der Schwere und Komplexität seiner Erkrankung eine zufriedenstellende Behandlung gewährleisten. Eine erneute vorzeitige Klinikentlassung wurde verhindert und die erforderliche Diagnostik konnte durchgeführt werden. Der Patient hatte ein verbessertes Selbsteffizienzerleben: Seine Autonomie wurde berücksichtigt und gestärkt. Er brachte sich ein und machte die Erfahrung, dass er zum Ergebnis des stationären Aufenthaltes positiv beitragen konnte.

Im Rahmen einer psychologischen Mitversorgung in spezialisierten Einrichtungen wird auch thematisiert, welche Faktoren die Erkrankung und ihren Verlauf beeinflusst haben. Patienten fehlt es dabei häufig nicht an der Erkenntnis, welche Verhaltensweisen ungünstig sind. Manchmal sind es Gründe der Lebenssituation und Befindlichkeit, die davon abhalten oder ablenken, sich gesundheitsförderlich zu verhalten.

Das Erleben von Selbstwirksamkeit im Kontext der Behandlung hat das Potential, Patienten für Änderungen, die notwendig sind, zugänglicher zu machen. Dieses Momentum kann und sollte man nutzen, um gemeinsam eine positive Perspektive zu entwickeln. Durch Interdisziplinarität und empathisch professionelles Handeln kann eine zufriedenstellende Behandlung gelingen.


Autor:
Adrian David Grimshaw, M. Sc.
Fachpsychologe Diabetes (DDG)
Medizinische Hypnose (M.E.G.)
Abteilung Medizinische Psychologie
Herz- und Diabeteszentrum NRW
Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochu
Georgstr. 11, 32545 Bad Oeynhausen


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2022; 34 (7/8) Seite 25-27