So manche Behauptung im Hinblick auf Lebensmittel und Empfehlungen zum Essen und Trinken halten sich hartnäckig. Auch Diabetikern werden dabei zum Beispiel in Internetforen, geschlossenen Gruppen auf Facebook oder anderen Social-Media-Kanälen teils abstruse Dinge geraten. Das Problem: Viele Menschen sind verunsichert und nehmen solche Ratschläge als bare Münze. Teils ist es in der Beratung nicht so einfach, das falsche Bild wieder zurecht zu rücken.

Jeder Mensch, unabhängig ob mit oder ohne Diabetes, hat seine Vorlieben beim Essen, persönliche Regeln und Umstände, die besondere Maßnahmen erfordern. Vielen geben dabei bestimmte Tipps und Hinweise eine gewisse Form der Sicherheit. Deshalb ist es wohl kein Wunder, dass auch noch in der heutigen Zeit, wo praktisch alles im Hinblick auf Lebensmittel und Speisen bei Diabetes möglich ist, nach einer gewissen Art von Empfehlung gesucht wird.

Nur leider sind gut gemeinte Ratschläge, zum Beispiel aus dem Internet oder wenig bekannten und damit oft auch fragwürdigen Quellen, nicht gerade das Gelbe vom Ei. Typisch sind dabei Ratschläge die eindeutig von ganzen Lebensmittelgruppen abraten. Hier ist es besonders wichtig, dass Sie in der Beratung und in Schulungen aufklären. Apropos Beratung: Wie sieht es da in Ihrem Alltag aus? Haben Sie vorab eine Abfolge im Kopf was und wieviel Sie dem jeweiligen Patienten im Einzelgespräch mit auf den Weg geben wollen?

Nichts beschönigen, verständnisvoll mit dem nötigen Sachverstand zu agieren sind Möglichkeiten, die von Erfolg gekörnt sein können. Beratung ist in verschiedenen Phasen und Lebenssituationen sehr wichtig, damit Ihre Patienten ihren Diabetes managen können.

Beispielsweise in der Schwangerschaft. Fast immer gehen Schwangere davon aus, dass sie ab diesem Zeitpunkt für zwei Essen müssen. Weit gefehlt: Die Menge, welche an Energie im zweiten und dritten Trimenon zusätzlich empfehlenswert ist, liegt weit unter dem, was landläufig angenommen wird. Erschwerend kommt bei vielen Frauen in dieser Zeit dazu, dass bereits vor der Schwangerschaft bestehendes Übergewicht oder sogar eine Adipositas eine moderate Gewichtszunahme dinglich erfordern.

Gewicht, Blutzucker und Lebensrhythmus spielen auch bei Menschen mit Wechselschichten eine zentrale Rolle. Lässt sich bei Früh- und Spätdienst der Diabetes und das Essen meist noch einfach handeln, sieht es bei Nachtschichten schon weitaus schwieriger aus. Hier ist es ratsam einzelne Fallstrategien mit dem Patienten zu entwickeln. Zu den genannten Themen finden Sie im aktuellen Schwerpunkt detaillierte Hilfen und Tipps für Ihren Praxisalltag. Haben wir Ihnen Appetit auf mehr gemacht?

Sauers Obst ist für Diabetiker besser als süße Sorten. Hülsenfrüchte und Eintöpfe können schlecht im Hinblick auf Kohlenhydrate berechnet werden und deshalb gilt es sie zu meiden. Zucker und Mehl vertragen Menschen mit Diabetes nicht. Wenn Insulin gespritzt wird, spricht man automatisch von einem "schweren" Diabetes. Milch, Kefir und Joghurt sind ebenfalls nichts bei Diabetes. Dafür aber Topinambur, denn er reguliert den Blutzucker. Dieses Liste lässt sich beliebig weiterführen, denn im Land der Essmärchen ploppen immer neue Unwahrheiten auf.

Jüngstes Beispiel in der aktuellen Covid-19-Pandemie sind Empfehlungen genug Wasser zu trinken, ausreichend Knoblauch zu essen und täglich Zitronen zu konsumieren. Ausreichend Wasser trinken, also anderthalb bis zwei Liter, ist generell sinnvoll, schützt allerdings nicht vor einer Ansteckung damit. Knoblauch ist gesund keine Frage. Eine deutliche Knoblauchfahne hält Menschen vielleicht auf dem empfohlenen Mindestabstand von anderthalb Metern, schützt allerdings auch nicht vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus.

Gute Wahl - Lebensmittel "Frei von"?

Diabetiker-Lebensmittel sind seit Jahren aus den Supermarktregalen verschwunden. Doch viele Diabetiker sind nach wie vor auf der Suche nach speziellen Produkten, die ihnen Sicherheit und ein Gefühl von gesundheitlichem Benefit geben. So zum Beispiel Produkte mit der Deklaration "Frei von Gluten, Laktose, Fructose oder Zucker".

Doch der Griff zu solchen Lebensmitteln ist für Diabetiker die weder eine Zöliakie, Laktose- oder Fruktoseintoleranz haben unnütz. Sie sind teurer als herkömmliche und gaukeln einen gesunden Benefit vor, der hier sogar eher kontraproduktiv sein kann. So kann beispielsweise der Ballaststoffgehalt solcher Lebensmittel niedriger sein als bei ihren artverwandten, normalen Lebensmitteln.

Oder zum Beispiel ändern sich Fett- und Zuckergehalte in solchen Produkten. Gerade beim Thema Zucker sagt das Attribut "Frei von" gar nichts darüber aus, ob das Produkt statt mit herkömmlichem Zucker mit Honig, Agavendicksaft oder Kokosblütenzucker gesüßt ist. Und diese haben bekanntlich Auswirkungen auf die diabetische Stoffwechsellage und das Gewicht.

Mehl und Diabetes passen nicht zusammen

Eine ähnliche Sache wie bei "Frei von"-Lebensmitteln. Mehl und daraus hergestellte Lebensmittel wie Brot, Pasta, Kuchen oder Gebäck werden von Ihren Patienten in der Regel ganz normal verstoffwechselt. Ausgangssubstanzen sind hier Weizen, Roggen, Dinkel, Grünkern oder Hafer. Sie alle haben zwar Auswirkungen auf den Blutzucker, sollten aber in einer herkömmlichen Diabetes-Kost durchaus mit dabei sein. Denn sie liefern – neben anrechnungspflichtigen Kohlenhydraten – wichtige Ballaststoffe. Je weniger verarbeitet das Korn, desto besser.

Neben Hülsenfrüchten, Gemüse, Salat und Obst ist damit die beste und sinnvollste Möglichkeit, empfohlene Ballaststoffmenge von 40 Gramm täglich auch zu erreichen. Einzig bei einer diagnostizierten Zöliakie/Sprue sollten glutenhaltige Getreide tatsächlich gegen glutenfreie Produkte ausgetauscht werden. Denn diese werden von Diabetikern mit Glutenintoleranz nicht vertragen.

Wichtig für die Beratung ist dabei Patienten aufzuklären, dass solche Ersatzprodukte häufig ballaststoffärmer sind und je nachdem Zucker enthalten. In der Regel müssen auch sie alle als blutzuckerwirksame Kohlenhydrate berücksichtigt werden.

Insulin lässt sich essen

Besonders im Internet finden sich Behauptungen, dass der Ballaststoff Inulin, zum Beispiel aus Topinambur, die Wirkung von Insulin "natürlich" ersetzen kann. Deshalb wird empfohlen täglich Nahrungsergänzungsmittel mit Inulin zu konsumieren, um so den Blutzucker natürlich zu regeln. Allerdings gibt es kein Lebensmittel, welches Insulin enthält, den Gastrointestinaltrakt unbeschadet passiert um dann im Blut angekommen den Blutzucker zu senken.

Ballaststoffe wiederum haben einen positiven Einfluss auf den Blutzuckerverlauf, so dass Blutzuckerspitzen gemildert werden können. So kann es, im Einzelfall, in der Tat zu positiven Veränderungen des Blutzuckerverlaufs kommen. Empfehlenswert wäre hier allerdings der Genuss normaler Lebensmittel wie Hülsenfrüchte, Gemüse, Getreide und frisches Obst. Solche Produkte im Austausch gegen Insulin für das Blutzuckermanagement einzusetzen, ist der falsche Weg. Ebenfalls sinnlos dazu sind Topinamburschnaps und -saft.

Süßes Obst - bei Diabetes tabu?

Immer noch sind viele Diabetiker der Meinung, dass sie lediglich eine stark begrenzte Auswahl an Frischobst essen dürfen. Allen voran saures wie Boskoop, Rhabarber, Stachelbeeren oder Birnen. Dies ist längst überholt und unter Berücksichtigung des entsprechenden Kohlenhydratgehalts aller Sorten, ist jedes Obst auch bei Diabetes möglich.

Empfehlenswert sind hier zum Beispiel wasserreiches Beerenobst und Papaya. Sie enthalten weniger Blutzucker wirksame Kohlenhydrate als Bananen, Trauben oder Khakis. Hier fällt die Menge pro Berechnungs- (BE)- oder Kohlenhydrateinheit (KE) niedriger aus als zum Beispiel bei wasserreichen Früchten. Empfehlen Sie Ihren Patienten im Schnitt ein bis zwei Portionen frisches Obst täglich. Wieviel BE/KE sie jeweils enthalten, lässt sich mittels Kohlenhydrat-Austauschtabelle ermitteln.

Wird der Diabetes lediglich über die Ernährung und Bewegung therapiert, empfehlen Sie zwei Portionen in der Größe der jeweiligen Handfläche, also kleine Hände kleine Portion, große Hände größere Portion. Wenig empfehlenswert sind verarbeitete Produkte, wie zum Beispiel Säfte, Fruchtmus, Fruchtgrütze, Fruchtmark oder Smoothies. Sie sind ballaststoffärmer als frische Früchte, meist kohlenhydratreicher und teilweise auch zuckerhaltig, im Vergleich zur frischen Ware.

Gemüsesaft bessert Blutzuckerwerte

Sauerkrautsaft ist kein Mittel zur Besserung erhöhter Blutzuckerwerte. Sauer mag zwar lustig machen, doch als Gegenspieler zu süß arbeitet diese Geschmacksrichtung im Körper nicht. Saurer Geschmack wird auf der Zunge wahrgenommen, im Organismus hat er keine ausgleichende Wirkung auf Blutzuckerwerte.

Mehr noch: Gemüsesäfte, wie zum Beispiel Karotte, Rote Bete oder auch Sauerkraut werden teilweise mit Zucker "veredelt", damit sie weicher und angenehmer im Geschmack sind. Hier ist es empfehlenswert, dass Ihre Patienten Zutatenlisten und Nährwertanalysen prüfen ob und welche Zucker möglicherweise im Gemüsesaft enthalten sind.

Zucker – Vorsicht ist geboten

Die Meldungen zu Zucker sind vielfältig, gerne wird das schnell resorbierbare Kohlenhydrat für sämtliche Erkrankungen verantwortlich gemacht. So soll er die Hautalterung forcieren, Schlafstörungen fördern oder schlechte Laune bereiten. Fakt ist: Je weniger Zucker und daraus hergestellte Lebensmittel gegessen werden, desto gesünder ist es für den Körper, Blutzucker und Zähne. Eine Empfehlung die für alle Menschen Gültigkeit hat und nicht nur bei Diabetes.

Das weiße Pulver ist zwar kein Gift, doch macht es Sinn zur Prophylaxe von Übergewicht, Zahnproblemen, erhöhten Triglyceridwerten und instabilen Blutzuckerwerten die Menge deutlich im Auge zu halten. Deshalb empfehlen die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) sowie die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) eine maximale Tagesmenge von zehn Prozent der Gesamtenergiemenge. Dies entspricht einer Menge von maximal 50 Gramm Zucker.

Darin inkludiert sind zum Beispiel Konfitüre, die auf dem Brot gegessen wird, ein gesüßtes Milchprodukt oder ein Fertigprodukt welches Zucker enthält. Allerdings ist es für Verbraucher schwierig direkt zu erkennen, ob und wieviel Zucker im verarbeiteten Lebensmittel enthalten ist. Denken Sie allein schon an das Beispiel mit den "Frei von"-Lebensmitteln. Untersuchungen ergaben, dass allein schon in jedem dritten Fertigprodukt Zucker in irgendeiner Form enthalten ist.

Empfehlenswert ist es, dass Ihre Patienten sich bei verarbeiteten Lebensmitteln an der auf Verpackungen angegebenen Zutatenliste und Nährwertanalyse orientieren. So lassen sich die jeweiligen Kohlenhydratmengen berechnen. Dies macht im Hinblick auf die Kohlenhydratberechnung mehr Sinn als die Orientierung lediglich an der Farbscala des Nutri Score. Dieser ist aktuell ohnehin lediglich auf einer überschaubaren Menge an Lebensmitteln zu finden.

Süßstoffe nicht zu empfehlen

Stevia, Saccharin, Cyclamat oder Aspartam sollen den Appetit anregen, steigern den Insulinspiegel und verursachen so, dass Heißhunger auf Süßes entsteht und mehr davon gegessen wird. Außerdem werden solche Stoffe in der Schweinemast eingesetzt, ein eindeutiges Zeichen, dass Süßstoffe dick machen. Dazu erklärt Anja Krumbe, Ökotrophologin beim Deutschen Süßstoffverband, dass alle dieser Stoffe keinen Einfluss auf Blutzucker und Insulinspiegel haben und auch keinen Heißhunger verursachen.

Süßstoffe senken oder erhöhen den Blutzuckerspiegel nicht und haben deshalb auch keine sättigende Wirkung. Sie sind einzig als energiefreie, süße Geschmacksgebung zuständig. "Zur Gewichtsreduktion gehört allerdings mehr als lediglich Zucker gegen Süßstoff einzutauschen. Sie sind keine Wundermittel und machen nicht automatisch schlank", erklärt Krumbe. Mittlerweile gilt die Empfehlung Lebensmittel so naturbelassen wie möglich zu konsumieren.

So kann beispielsweise im selbst gemachten Müsli Zucker und auch Süßstoff durch die Süße enthaltener Früchte geschaffen werden. Je süßer gegessen und getrunken wird, desto mehr gewöhnen sich die Geschmacksnerven daran, ähnlich wie bei starkem Salzen. Empfehlenswert ist es allgemein weniger süß zu essen, was sich über eine sukzessive Reduzierung von Süßstoff und Zucker trainieren lässt. Bewusst und nicht wahllos verwendet, bieten sich Süßstoffe im Austausch zu Zucker bei Diabetes nach wie vor an.

Milchprodukte sind für Diabetiker wenig sinnvoll

Milch, Joghurt, Kefir oder Quark sind für den menschlichen Organismus ungeeignet. Eine typische These, die gerne im Internet verbreitet wird. Tatsächlich kann es vorkommen, dass zum Beispiel Kuhmilch oder Eiscreme mit zunehmendem Alter weniger gut vertragen werden als in jungen Jahren. Dieser Umstand ist losgelöst vom Diabetes und kann auch bei stoffwechselgesunden Menschen häufig vorkommen.

Sinn macht es im Selbsttest auszuprobieren ob gastrointestinale Beschwerden einzig nach dem Genuss von Kuhmilch, Eis, Sahne oder milchreichen Speisen wie Pudding auftreten. Oder auch beim Genuss von Sauermilchprodukten wie Joghurt, Kefir, Buttermilch oder Quark sowie Käse. Letztere enthalten weniger Laktose als Kuhmilch. Erklären Sie Ihren Patienten, dass der Genuss von Milch, Joghurt, Molke, Kefir, Buttermilch und Dickmilch Auswirkungen auf den Blutzuckerspiegel, auf Grund enthaltener Laktose haben.

Es ist eine Menge an Fake-News im Hinblick auf Lebensmittel und Infos für Menschen mit Diabetes im Umlauf. Je natürlicher und abwechslungsreicher man kauft, kocht und isst, desto besser.

Schwerpunkt „Ernährung“

Autorin:
Kirsten Metternich von Wolff
Diätassistentin DKL und DGE
Hildeboldstraße 5
50226 Frechen-Königsdorf
E-Mail: info@metternich24.de
Website: www.metternich24.de


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2020; 32 (5) Seite 10-13