Immer häufiger folgen Arbeitsabläufe nicht zwangsläufig dem biologischen Rhythmus des Menschen. Berufsgruppen im Gesundheitsdienst, Gastronomen, Facharbeiter in Fabriken oder der Personenbeförderung sind häufig rund um die Uhr gefragt. Laut statistischem Bundesamt sind immer mehr Menschen von Schichtarbeit betroffen. Simone Pschiebl erklärt, wie eine gesunde Ernährung auch bei schichtarbeit gelingt.

Der menschliche Körper besitzt einen zirkadianen Rhythmus, der neben dem Schlaf-Wach-Rhythmus auch das Ernährungsverhalten bestimmt. So kommen die meisten Menschen hierzulande auf sieben bis acht Stunden Schlaf und haben durch ihre Mahlzeitengewohnheiten nachts eine Essenspause von neun bis zwölf Stunden. Bei Früh- oder Spätschicht ist der zirkadiane Rhythmus weniger stark gestört als bei Nachtschicht.

Es ist eine wissenschaftlich anerkannte Tatsache, dass die Nachtschicht der Natur des Menschen widerspricht. Wird der natürliche Tag-Nacht-Rhythmus ignoriert, kann dies die Gesundheit aus verschiedensten Gründen beeinträchtigen. Hier kommen Betroffene häufig nur auf fünf bis sechs Stunden Schlaf. Tagsüber schaltet der Organismus auf Aktivität, nachts auf Erholung.

Dadurch unterliegen Menschen bei Nachtschicht zusätzlichen Belastungen. Ihr Blutdruck und die Körpertemperatur fallen ab, Puls, Atmung und Herzschlag verlangsamen sich. Wichtige Hormone, die das Essverhalten und die Verdauung steuern, unterliegen ebenfalls einem tagesperiodischen Rhythmus und fallen nachts in ihrer Leistungsfähigkeit ab.

Daraus folgernd haben Schichtarbeiter ein erhöhtes Risiko, Schlafstörungen, Magen-Darm-, Herz-Kreislauf- oder Stoffwechselerkrankungen zu entwickeln. Das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit werden durch die Desynchronisation bereits nach der ersten bis dritten Nachtschicht eingeschränkt.

Schichtsystem und ernährungsabhängige Risiken

Die üblichen Zeitfenster während des Tages für die Nahrungsaufnahme lassen sich von Schichtarbeitern häufig nicht einhalten. Viele Betroffene gehen ohne Frühstück in die Frühschicht und das Mittagessen verschiebt sich auf den Nachmittag. Die Spätschicht stört den normalen, gewohnten Rhythmus am wenigsten, da Frühstück und Mittagessen meist zu den regulären Zeiten eingenommen werden können.

Das größte Ernährungsproblem gibt es bei der Nachtschicht. Der menschliche Organismus ist nachts nicht auf Nahrungsaufnahme eingestellt. Allgemein neigen Schichtarbeiter dazu, häufiger Snacks zu sich zu nehmen und Hauptmahlzeiten ausfallen zu lassen. Gerade hier ist die Verlockung groß, sich am Automaten ungesunde Lebensmittel zu besorgen. Menschen, die nachts arbeiten, bekommen meist zu wenig Schlaf.

Dadurch schüttet der Organismus um ein Viertel mehr vom hungerauslösenden Hormon Ghrelin aus. Der Sättigungsmelder Leptin wird um rund 20 Prozent weniger ausgeschüttet. Dadurch ist das Hungergefühl bei Schlafmangel erhöht. Wird entsprechend mehr gegessen, geht das Schlafdefizit zu Lasten der Figur. Da mit dem Schlafdefizit auch der Kalorienbedarf in Ruhe sinkt, nimmt man schon von wenig Essen an Gewicht zu.

Eine ausgewogene Ernährung und bedarfsgerechte Portionsgrößen sollte man deshalb vor allem an den Tagen nach der Nachtschicht besonders im Blick behalten. Menschen, die nachts arbeiten, sollten deshalb auf ausreichenden Schlaf zwischen den Diensten achten, da die Qualität und Quantität des Schlafs zusammen mit der Ernährung die Gesundheit beeinflussen.

Ernährungsempfehlungen bei Schichtarbeit

Eine komplette Umstellung auf den Nachtschicht-Modus ist dem Körper nicht möglich, da er äußeren Einflüssen, wie Sonnenlicht oder Alltagsgeräuschen ausgesetzt ist. Einige der oben aufgeführten Symptome können aber durch gezielte Maßnahmen positiv beeinflusst beziehungsweise vorgebeugt werden. Während einer Nachtschicht ist es schwieriger, leistungsfähig zu sein als tagsüber.

Ernährungsfehler können sich zusätzlich negativ auf die Leistungsfähigkeit auswirken. Im Idealfall sollte ein bis zwei Stunden vor dem absoluten Leistungstief etwas gegessen werden. Fettreiche Speisen benötigen eine deutlich längere Verdauungsphase und sollten daher während der Nachtschicht gemieden werden. Fleisch und Wurst liefern zwar wichtige Nährstoffe wie Eiweiß, Eisen und Vitamine, aber auch Fett, Cholesterin, Purine und Salz. Deshalb empfiehlt es sich fettreiche Fleisch- und Wurstwaren als Mitternachtsmahlzeit nicht zu essen.

Sinnvoll ist es, wenn sich Nachtarbeiter von zu Hause eine leckere und gesunde Mahlzeit oder Snacks mitnehmen. Dies könnte ein Joghurt mit frischem Obst oder ein Vollkornbrot mit Frischkäse oder anderen mageren Belägen sein. Paprikastreifen, Gurken, Karotte oder Kirschtomaten bieten dazu eine gute Ergänzung. Als warme Mahlzeiten eignen sich kleine, leichte Gerichte mit magerem Fleisch oder Fisch mit Gemüse und Reis oder Suppen.

Warme Mahlzeiten sind kalten zu bevorzugen, da diese einem Absinken der Körperkerntemperatur, dem wichtigsten Einschlafsignal, vorbeugen. Hier können auch warme Getränke, wie Früchte- oder Kräutertees helfen. Grundsätzlich sollten mindestens anderthalb Liter Flüssigkeit getrunken werden. Koffeinhaltige Getränke können das Leistungstief gegen zwei Uhr etwas auffangen, sollten aber danach nicht mehr konsumiert werden, da Koffein den Erholungswert des Tagesschlafes mindert.

Damit dieser nicht durch ein Hungergefühl vorzeitig unterbrochen wird und so eine chronische Erschöpfung gefördert wird, sollte das Frühstück nach der Nachtschicht nicht ausgelassen werden. Immerhin verzichten 75 Prozent der Menschen, die einer Nachtschicht nachgehen, nach der Arbeit auf ein Frühstück und essen erst nachdem sie ausgeschlafen haben. Trotz oder gerade bei Schichtarbeit sollte auf eine regelmäßige Nahrungsaufnahme geachtet werden.

Sehr unregelmäßiges Essen kann das Auftreten von funktionellen Magen-Darm-Beschwerden, wie Appetitlosigkeit, Sodbrennen, Bauchschmerzen, anomaler Stuhlgang, Obstipation sowie Motilitätsstörungen begünstigen. Eine unzureichende Ballaststoffzufuhr und Trinkmenge begünstigen zusätzlich eine Obstipation.

Schichtarbeit bei insulinpflichtigem Diabetes

Zusätzlich zu den bereits erwähnten Problematiken bei der Schichtarbeit, kommt für Menschen mit einem insulinpflichtigen Diabetes noch die Anpassung ihrer Insulintherapie hinzu. Viele Diabetiker haben schon bei einem geregelten Tagesablauf mit unvorhersehbaren Glukoseschwankungen zu kämpfen. Eine Tätigkeit im Schichtdienst kann durch das ständige Verschieben des Biorhythmus zusätzliche Schwierigkeiten bereiten.

Ein Patentrezept gibt es bezüglich der Insulinanpassung leider nicht, aber einige Empfehlungen, die Betroffenen helfen können.

Zwei-Schicht-System: Früh- und Spätschicht

Bei einem wöchentlichen Schichtwechsel und ungefähr gleichem Einschlafzeitpunkt sind die Diskrepanzen häufig nicht so stark ausgeprägt. Bei einer Spätschicht wird eventuell das Abendessen zu einem späteren Zeitpunkt als gewöhnlich eingenommen. Hier ist zu beachten, dass die Insulinsensitivität eventuell schon höher ist und ein niedriger BE-/KE-Faktor zum verspäteten Abendessen von Vorteil wäre, um Hypoglykämien vorzubeugen.

Ebenfalls eine erhöhte körperliche Aktivität während der Spätschicht kann zu Glucoseabfällen führen. Hier sollten ausreichend Hypo-Kohlenhydrate, das heißt schnell wirksame Kohlenhydrate, im Gepäck sein. Eine Änderung im Basalinsulin ist häufig nicht nötig. Es wird berichtet, dass das Langzeitinsulin decludec (Tresiba) durch seine Wirkdauer von über 42 Stunden zu weniger Schwankungen führt. Vom flexiblen Injektionszeitpunkt profitieren Menschen mit Schichtarbeit enorm. Zudem senkt decludec das nächtliche Hypoglykämie-Risiko.

Bei einer Insulinpumpentherapie kann mit Hilfe der temporären Basalratenänderung ein neues Basalratenprofil erstellt werden und bei Bedarf ein separates Basalprofil für die jeweilige Schicht angelegt werden.

Drei-Schicht-System: Früh-, Spät-, Nachtschicht

Durch die veränderten Schlaf- und Wachzeiten bei einer Nachtschicht findet eine Verschiebung des Biorhythmus statt. Nach etwa zwei bis drei Nächten hat sich der Körper an den neuen Tagesablauf gewöhnt und eine Insulinanpassung ist erforderlich.

Da die nächtliche Insulinsensitivität meist sehr hoch ist, müssen gerade in den ersten Nächten vermehrte Glucosekontrollen durchgeführt werden, um Hypoglykämien rechtzeitig zu erkennen. Korrekturen sollten sehr vorsichtig erfolgen. Die vermehrte Bewegung in der Nacht erhöht noch zusätzlich dieses Risiko. Kontinuierliche Glucosemesssysteme können hier positiv unterstützen und rechtzeitig vor Unterzuckerungen warnen.

Zu empfehlen ist in den ersten beiden Nächten zu jeder Mahlzeit der kleinste BE-/KE-Faktor sowie die größte Korrekturregel zu verwenden. Ab etwa der dritten Nacht können die Faktoren eventuell vom Tag übernommen werden. Mit einer Insulinpumpentherapie kann ab der dritten Nacht ein zweites Basalratenprofil aktiviert werden. Mit Hilfe der temporären Basalratenänderung lässt sich dieses erstellen.

Schichtwechsel innerhalb einer Woche

Bei Wechselschichten ist eine Anpassung schwierig. Gerade wenn sich der Biorhythmus geändert hat, erfolgt schon der nächste Schichtwechsel und der Körper muss sich erneut adaptieren. Dieses System ist häufig mit starken Glucoseschwankungen verbunden und es kann nur punktuell auf hohe oder tiefe Werte von Korrekturen mit Insulin oder BE/KE reagiert werden.

Insgesamt ist es wichtig und hilfreich, diese Themen in der Beratung mit dem Patienten zu erarbeiten. So kann er in der jeweiligen Schicht seinen Diabetes einfach besser händeln.


Autorin:
Simone Pschiebl
Diabetesberaterin DDG und Diplom Oecotrophologin
Diabetes Klinik Mergentheim
Akademische Lehrpraxis der
Theodor-Klotzbücher-Str. 12
97980 Bad Mergentheim
E-Mail: diabetesberatung@diabetes-zentrum.de


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2020; 32 (5) Seite 19-21