Bei der diabetischen Retinopathie handelt es sich um eine Erkrankung der kleinen Blutgefäße. Unter dem Einfluss von Botenstoffen kommt es zu einer Leckage bestehender Gefäße im Auge. Was zu tun ist, erfahren Sie hier.

Die diabetische Retinopathie ist eine Mikroangiopathie der Netzhaut, also eine Erkrankung der kleinen Blutgefäße, die die Netzhaut als lichtempfindliches Sinnesgewebe im Auge mit Blut versorgen. Die aus der diabetischen Mikroangiopathie resultierende Ischämie setzt einen Neovaskularisationsreiz, indem Botenstoffe wie u.a. Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF-A) freigesetzt werden. Diese auf den ersten Blick logisch und hilfreich erscheinende biologische Reaktion führt jedoch nicht zu einem Wachstum von Gefäßen, die in der Lage wären, die ischämische Netzhaut nachhaltig mit ausreichend Blut zu versorgen.

Vielmehr kommt es unter dem Einfluss von VEGF-A zunächst zu einer Leckage bestehender Gefäße. Dadurch schwillt insbesondere die Netzhautmitte ödematös an. Dort befindet sich die Makula, die Stelle des schärfsten Sehens. Das sogenannte diabetische Makulaödem führt daher zu einer deutlichen Sehverschlechterung und gehört zu den häufigsten Ursachen der Blindheit im mittleren Lebensalter.

Segelförmige Einwachsungen in den Glaskörper

VEGF-A führt weiter zu einem erratischen Wachstum imaturer Gefäße an verschiedenen Stellen im Auge. So wachsen gefäßführende Membranen segelförmig in den Glaskörper ein. Diese fibrotisch-vaskulären Segel neigen zu Blutungen und können durch Kontraktion Zug auf die Netzhaut ausüben mit der Folge, dass sich die Netzhaut ablöst. Weiterhin können sich aberrante Gefäße auf der Iris und im Kammerwinkel können sich Gefäße bilden (Rubeosis iridis). Hierdurch kann der Abfluss des Kammerwassers behindert werden und es kommt zu einem schmerzhaften Anstieg des Augeninnendrucks mit der Gefahr des Verlusts des Auges.

Die Basis der Behandlung und Prophylaxe der diabetischen Retinopathie ist die metabolische Kontrolle, d.h. eine suffiziente Blutzucker- und Blutdruckeinstellung. Am Auge ist das Management der peripheren Netzhautischämie essentiell, da hier am meisten angiogenes VEGF-A sezerniert wird. Zur Verbesserung der Sehkraft muss das Makulaödem behandelt und unter Kontrolle gehalten werden. Bei Blutungen in das Auge oder manifesten Neovaskularisationsmembranen im Glaskörper mit Zug auf die Netzhaut bedürfen diese einer chirurgischen Entfernung.

Metabolische Kontrolle als Fundament

Zur optimalen Einstellung der metabolischen Parameter ist eine enge Abstimmung zwischen spezialisierten Augenärzten und Diabetologen bzw. Hausärzten erforderlich. Das höchste Risiko für eine Progression der diabetischen Retinopathie besteht in der Phase der Normalisierung des Blutzuckers und Blutdrucks. Dies bedeutet praktisch, dass Patienten mit entgleister Blutzuckereinstellung insbesondere in der Phase der Normalisierung der Blutzuckerwerte eine enge augenärztliche Überwachung benötigen.

Neue effektivere Antidiabetika führen zu einer schnelleren und ausgeprägteren Senkung des HbA1c und sind daher in der Phase der Blutzuckereinstellung mit einem erhöhten Risiko für die Manifestation einer diabetischen Retinopathie assoziiert. Dies sollte jedoch nicht als Argument gegen eine effektive Einstellung des Blutzuckers missverstanden werden, denn aus Studien lässt sich ableiten, dass eine Senkung des HbA1c um einen Prozentpunkt längerfristig das Risiko für mikrovaskuläre Komplikationen um knapp 40% reduziert. Damit ist und bleibt die metabolische Kontrolle das Fundament eines erfolgreichen Managements der diabetischen Retinopathie.

Kontrolle des Makulaödems

Unter dem Einfluss von VEGF-A wird das Endothel bestehender Gefäße für Wasser durchlässig. Hierbei handelt es sich um einen normalen Schritt in der frühen von VEGF-A gesteuerten Angiogenese. Im Rahmen der pathologischen Angiogenese bei der diabetischen Retinopathie bleibt die Gefäßneubildung allerdings oft in dieser Phase stecken. Es kommt in der Folge zu einer Netzhautschwellung, die insbesondere die Makula als Stelle des schärfsten Sehens betrifft und hier über eine Sehverschlechterung symptomatisch wird.

Noch vor 10 Jahren ist beim diabetischen Makulaödem die geschwollene Netzhaut mittels Laser behandelt und partiell verödet worden. Hierdurch bildete sich zwar das Ödem zurück, allerdings hinterließ der Laser Narben, die ihrerseits die Sehfunktion gestört haben. Seit einigen Jahren stehen Medikamente zur Verfügung, die spezifisch VEGF-A neutralisieren können. Hierbei handelt es sich um großmolekulare Wirkstoffe, sogenannte Biologika, die im Rahmen einer kleinen Operation direkt in das Auge injiziert werden.

Die medikamentöse Blockade von VEGF-A hat die Möglichkeiten, Betroffenen zu helfen revolutioniert, denn die zentrale Netzhaut schwillt ab, ohne das Gewebe zu zerstören. Große Studien belegen, dass sich das Sehvermögen im Mittel um ungefähr 2 Zeilen in einem standardisierten Sehtest verbessert. Solche Ergebnisse waren vor Einführung der Medikamente nicht vorstellbar; das Ziel war damals eher eine Stabilisierung der Sehschärfe und Verhinderung weiterer Verschlechterung.

VEGF-Inhibitoren längerfristig geben

Mit zunehmender Erfahrung zeigt sich allerdings, dass VEGF-Inhibitoren längerfristig gegeben werden müssen. Je nach Wirkstoff und Schweregrad der Erkrankung müssen Injektionen alle 4-8 Wochen konsequent wiederholt werden, da es sonst zu Rückfällen mit erneuter Sehverschlechterung kommt. Nur im längerfristigen Verlauf über ein bis drei Jahre kann das Behandlungsintervall eventuell weiter gestreckt werden bis vielleicht die Behandlung sogar beendet werden kann.

Diese langfristige Therapie ist aufgrund der Applikationsroute, also der Injektion in das Auge, in der Umsetzung herausfordernd. Trotzdem ist der Nutzen für die meisten Patienten so signifikant, dass sie auch durch den betreuenden Diabetologen unbedingt motiviert werden sollten, die Behandlung stringent durchzuführen.

Management der peripheren Ischämie

Die Ischämie der peripheren Netzhaut führt zu einer kontinuierlichen Freisetzung von angiogenen Mediatoren, insbesondere VEGF-A. Somit wird durch die periphere Ischämie ein Makulaödem oder die Ausbildung von Gefäßneubildungen unterhalten. Mit neuen diagnostischen Methoden, insbesondere der Ultra-Weitwinkelbildgebung und der OCT-Angiographie kann die periphere Ischämie sichtbar gemacht werden.

Wenngleich die grundlegende Bedeutung der peripheren Ischämie für die diabetische Retinopathie lange bekannt ist, so kann das Ausmaß mit den neuen bildgebenden Verfahren eindrucksvoll sichtbar gemacht werden. Zur Reduktion des angiogenen Reizes sollte eine periphere Ischämie mittels Laserkoagulation eingedämmt werden.

Bei der Laserkoagulation wird das ischämische Netzhautgewebe punktuell verödet, sodass die zur Verfügung stehende Blut- bzw. Sauerstoffmenge für die verbliebene Netzhaut ausreicht. Da die Netzhaut nur sehr peripher und punktuell verödet wird, beeinträchtigt die Laserkoagulation der Netzhautperipherie das Sehen nicht oder nur minimal. Auch in Zeiten der VEGF-Inhibition hat die periphere Laserkoagulation eine wichtige Rolle.

Chirurgie der Traktionen: Spezialisten gefragt

In den Glaskörper eingewachsene Blutgefäße neigen zu Blutungen und wandeln sich in fibrotische Membranen um, die sich verkürzen und so die Netzhaut traktiv abheben können. Zum Erhalt des Auges und der Sehfunktion ist es notwendig, Blutungen zu entfernen. Traktionen müssen entlastet werden, um die Netzhaut wieder anzulegen. Hierbei kann es notwendig sein, das Auge vorübergehend mit Gas oder Silikonöl zu füllen. Die chirurgische Behandlung der diabetischen Retinopathie ist eine Synthese aus komplexer Chirurgie von Netzhautablösungen und Chirurgie bei Erkrankungen der Makula, also der Stelle des schärfsten Sehens. Diese Form der Chirurgie ist somit spezialisierten netzhautchirurgischen Zentren vorbehalten.

Ausblick

Die Einführung der VEGF-Inhibitoren hat die Behandlung der diabetischen Retinopathie revolutioniert. Trotzdem erreichen nicht alle Betroffene eine Sehschärfe, die Lesen oder Autofahren erlaubt. Das diabetische Makulaödem bleibt eine wichtige Ursache der Blindheit im mittleren Lebensalter mit enormen sozioökonomischen und persönlichen Konsequenzen.

Neuere klinische Daten legen nahe, dass die Ergebnisse der Behandlung mit VEGF-Inhibitoren durch zusätzliche Blockade von Angiopoeitin-2 noch weiter verbessert werden können. Inwieweit sich diese Daten in eine klinische Anwendung übersetzen lassen, werden künftige Studien zeigen.

Interdisziplinarität steht im Vordergrund

Die diabetische Retinopathie und ihre Folgen gehören zu den häufigsten Ursachen der Blindheit im mittleren Lebensalter. Die Therapie erfordert ein gutes Zusammenspiel von Diabetologen und Augenärzten, da die Basis der Behandlung nach wie vor eine optimale metabolische Kontrolle ist. Die augenärztliche Therapie ist eine Kombination aus konservativen, medikamentösen und chirurgischen Therapieverfahren, mit denen heutzutage bei vielen Patienten ein gutes Ergebnis in Bezug auf die Sehschärfe erreicht werden kann.

Trotzdem bleibt ein Bedarf für neue innovative Therapieverfahren, um mehr Patienten nach Behandlung eine Sehschärfe zurückzugeben, die ihnen die Erfüllung wichtiger Alltagsaufgaben wie beispielsweise Lesen, Erkennen von Gesichtern oder Teilnahme am Straßenverkehr ermöglicht.

Schwerpunkt „Diabetische Retinopathie“


Autoren: rof. Dr. med. Oliver Zeitz, Prof. Dr. med. Antonia M. Joussen
Klinik für Augenheilkunde
Campus Benjamin Franklin – Campus Virchow Klinikum
Charité Universitätsmedizin Berlin

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2018; 30 (12) Seite 10-13