Zahlreiche metabolische Erkrankungen gehen mit ophthalmologischen Veränderungen einher, die jedoch über lange Zeit symptomlos bleiben. In diesem Zusammenhang nimmt die Retina als ein vaskularisiertes neuronales Gewebe und Teil des Zentralnervensystems eine besondere Rolle ein. Ihre Zugänglichkeit ermöglicht es, vaskuläre und neurodegenerative Veränderungen mit Hilfe der optischen Kohärenztomographie als einem nicht-invasiven Verfahren darzustellen.

Der Typ-1-Diabetes (T1DM) stellt eine der häufigsten endokrinen Erkrankungen in der Pädiatrie dar. Die progrediente Zerstörung insulinproduzierender ß-Zellen in den Langerhansschen Inseln des Pankreas bedingt einen absoluten Insulinmangel mit daraus resultierender lebenslanger Insulinabhängigkeit. Demgegenüber ist der Typ-2-Diabetes (T2DM) durch Insulinresistenz gekennzeichnet. Neben genetisch bedingter Disposition tragen Adipositas und ein insgesamt ungesunder Lebensstil (Fehlernährung, Bewegungsmangel, Nikotin- und Alkoholabusus) zu der Entwicklung des T2DM bei.

Ungeachtet der Pathogenese betreffen die Sekundärkomplikationen des DM nicht nur das Gefäßsystem, sondern auch das periphere und zentrale Nervensystem. Da bei Kindern und Jugendlichen Alters- und-/oder mit dem Lebensstil assoziierte Veränderungen für die Entwicklung von Komorbiditäten in der Regel vernachlässigbar sind, bieten Untersuchungen an pädiatrischen Patienten mit einem T1DM die Chance, die Ätiologie der Sekundärkomplikationen besser zu verstehen.

Mikrovaskuläre Probleme klinisch lange unauffällig

Akute Komplikationen des T1DM, wie Hypoglykämie oder diabetische Ketoazidose, können inzwischen weitestgehend vermieden und gut behandelt werden. Dennoch haben pädiatrische Patienten mit Typ-1-Diabetes ein deutlich erhöhtes Risiko, schon im jungen Erwachsenenalter eine Vielzahl an Komplikationen und Komorbiditäten zu erleben. Neben der Entwicklung weiterer Autoimmunerkrankungen (z.B. Autoimmunthyreoiditis oder Zöliakie) sind hier insbesondere die vaskulären und neurologischen Komplikationen als Folge einer chronischen Hyperglykämie zu nennen.

Die mikrovaskulären Veränderungen betreffen primär die kleinen Gefäße der Netzhaut, der Niere sowie der peripheren Nerven und bleiben lange klinisch stumm. Die Makroangiopathie ist durch Arteriosklerose der Leitungsgefäße gekennzeichnet und führt vor allem zu schwerwiegenden Komplikationen am Herzen, Gehirn oder an peripheren Gefäßen (Hürter et al. 2005).

Ab 15 Jahren Krankheitsdauer hohe Wahrscheinlichkeit für Retinopathie

Die häufigste Form der Mikroangiopathie, die bereits bei Jugendlichen beobachtet werden kann (Hürter et al. 2005), ist die diabetische Retinopathie (DR). Sie wurde lange Zeit primär als klassische Mikrozirkulationsstörung der Netzhaut betrachtet, die aufgrund der schädlichen metabolischen Effekte der Hyperglykämie per se und durch die dadurch ausgelösten metabolischen Veränderungen an den Gefäßen entsteht (Villarroel et al. 2010).

Wie häufig eine Retinopathie bei Patienten mit Diabetes mellitus auftritt, hängt neben der Stoffwechsellage auch vom Alter bei Krankheitsbeginn und damit von der Erkrankungsdauer ab. Mehr als 95% der Patienten mit Typ-1-Diabetes zeigen ab einer Krankheitsdauer von 15 Jahren Zeichen einer diabetischen Retinopathie, während dies "nur" bei 60% der Patienten mit Typ-2-Diabetes der Fall ist (Kellner & Joachim 2008). Damit ist das Auftreten einer DR bei einem jungen Erwachsenen, der in der frühen Kindheit an T1DM erkrankte, eine reale und belastende Komorbidität.

Verdickung der Retina kann in Makulaödem gipfeln

Da die Retinopathie über lange Zeit symptomfrei verläuft, werden auch ohne Verschlechterung des Sehvermögens regelmäßige ophthalmologische Kontrollen empfohlen. Patienten mit T1DM sollten ab einem Alter von 11 Jahren oder ab einer Erkrankungsdauer von mehr als 5 Jahren alle 1 bis 2 Jahre eine Funduskopie in Mydriasis durch einen für die Fragestellung routinierten Augenarzt erhalten (Danne & Ziegler 2017).

Eines der frühesten Zeichen einer vaskulären DR ist eine durch die Schädigung der Basalmembran und des Endothels und der damit einhergehenden Zerstörung der Blut-Netzhaut-Barriere bedingte erhöhte Permeabilität der Netzhautgefäße (Cunha-Vaz et al. 1975; Kellner & Joachim 2008). Die resultierende Verdickung der Retina kann in einem Makulaödem gipfeln.

Eine Sehverschlechterung nehmen die Patienten jedoch erst wahr, wenn die Fovea centralis selbst mitbetroffen ist (Barber 2003; Kollias & Ulbig 2010). Weitere Merkmale diabetesbedingter vaskulärer Veränderungen sind die Entwicklung von Mikroaneurysmen, die Ablagerung von Exsudaten, Blutungen und schließlich Neovaskularisationen an der Papille im Sinne einer proliferativen DR (s. Abb. 1).

Retinopathie auch Folge von Schäden an Nervenzellen in Netzhaut

Seit einigen Jahren mehren sich die Hinweise, dass auch neurodegenerative Mechanismen in der Pathogenese der diabetischen Retinopathie eine Rolle spielen (Lang 2013). Durch den Einsatz der optischen Kohärenztomographie (OCT) konnten sowohl in tierexperimentellen als auch in klinischen Studien diabetesbedingte Änderungen an der Retina erfasst werden.

An Ratten mit einem Streptozotocin induzierten Diabetes wurde zudem gezeigt, dass bereits nach 1 Monat eine ausgeprägte Apoptose in der Neuroretina nachweisbar ist und dass nach 7,5 Monaten die Zahl der retinalen Ganglienzellen sowie die Dicke der inneren plexiformen und nuklearen Schichten signifikant reduziert sind (Barber et al. 1998). Bei Menschen wurde dieser Vorgang nach einer Diabetesdauer von etwa 6 Jahren beobachtet.

Zudem wird die retinale Neurodegeneration auch im Rahmen anderer Netzhauterkrankungen, wie dem Glaukom und der Retinitis Pigmentosa, beobachtet (Glovinsky et al. 1991; Baumgartner 2000). Daher wird die DR nicht mehr nur als Folge einer reinen Mikrozirkulationsstörung, sondern auch als Folge von Schäden an retinalen Nervenzellen angesehen. Dennoch wird weiterhin entsprechend der S3-Leitlinie der Deutschen Diabetes Gesellschafft (DDG) auch bei Kindern und Jugendlichen ausschließlich die Funduskopie als Methode der Wahl zur Früherkennung einer Retinopathie genannt.

Optische Kohärenztomographie der Ultraschalluntersuchung überlegen

Die optische Kohärenztomographie (OCT) des Auges ist ein diagnostisches Verfahren, das ermöglicht, in kurzer Zeit und ohne direkten Kontakt mit dem Auge mikroskopisch genaue Schnittbilder der Retina anzufertigen. Analog zur Sonographie werden auf der Grundlage von Reflexionsvermögen und Streueigenschaften Querschnittsbilder erzeugt.

Bei der OCT wird ausgenutzt, dass die optische Dichte in biologischen Geweben variiert. Dies impliziert, dass nur ein Teil des Lichts an der Luft-Gewebegrenzschicht reflektiert wird, während ein anderer Teil des Lichts in das Gewebe eindringt und dort in unterschiedlicher Weise interagiert. Essentiell für die OCT ist insbesondere die Reflexion, da nur Photonen, die entgegen ihrer ursprünglichen Einfallsrichtung wieder aus dem Gewebe austreten, detektiert werden können und damit für die OCT nutzbar sind.

Im Gegensatz zur Sonographie verfügt die OCT nur über eine Eindringtiefe von wenigen Millimetern, ist aber hinsichtlich des Auflösungsvermögens einer Ultraschalluntersuchung deutlich überlegen. Mit einer axialen Auflösung von zwei bis drei Mikrometern ist die OCT mehr als 10- bis 100-mal feiner als der klinische Ultraschall (Huang et al. 1991; Fujimoto et al. 2000; Drexler &Fujimoto 2008; Horstmann et al. 2016) und hat sich zum Goldstandard für die Diagnostik und Verlaufsbeobachtung ophthalmologischer Erkrankungen (Jaffe & Caprioli 2004; Nouri-Mahdavi et al. 2004) entwickelt (Abb. 2).

Einsatz im Rahmen neurodegenerativer Veränderungen wird diskutiert

Als nicht-invasive Untersuchungsmethode erlaubt die OCT schmerz- und berührungsfreie sowie detailgetreue Darstellung von intraretinalen Mikrostrukturen und ermöglicht als "optische Biopsie" frühe und kleinste Veränderungen der Retinamorphologie zu erkennen. Eine qualitative Analyse geschieht üblicherweise sektorbasiert (Abb. 3).

Neben dem Einsatz unter rein ophthalmologischen Aspekten wird der Einsatz im Rahmen neurodegenerativer Erkrankungen diskutiert, da die retinalen Neurone und Axone Teil des Zentralnervensystems (ZNS) sind und pathologische Veränderungen des ZNS durch die OCT am Auge erfasst werden können. Neben dem Nachweis neurodegenerativer Veränderungen bei Patienten mit DM wird der diagnostische Nutzen der OCT auch bei Patienten mit multipler Sklerose, Morbus Parkinson und Morbus Alzheimer untersucht (Albrecht et al. 2012; Larrosa et al. 2014; Liu et al. 2016; Satue et al. 2016; Chen et al. 2016; Picconi et al. 2017).

Wirkung des Diabetes auf Retina in frühem Krankheitsstadium

In einer Querschnittsstudie bei pädiatrischen Patienten mit T1DM und ohne Nachweis einer DR konnten wir signifikante Unterschiede für die Gesamtdicke der Retina sowie für einzelne Netzhautschichten im Vergleich zu gesunden Probanden feststellen (Abb. 4 und 5). Die OCT zeigte, dass bei den Patienten die retinale Ganglienzellschicht (GCL) und die innere plexiforme Schicht (IPL) im Bereich der Parafovea betroffen sind. Dies spricht, trotz der insgesamt noch relativ kurzen Erkrankungsdauer von 5,25 ± 4,29 Jahren für eine höhere Anfälligkeit der GCL und IPL.

Darüber hinaus gehören die beiden veränderten Zellschichten zur inneren Netzhaut, die äußeren Netzhautschichten zeigten hingegen keine wesentlichen Unterschiede. Als Ursache für die Ausdünnung der GCL kann von einem Untergang der retinalen Ganglienzellen (RGC) und damit von einem neurodegenerativen Prozess ohne Vorliegen klinisch relevanter Symptome ausgegangen werden. Da die Dendriten der RGC bis in die IPL hinein reichen, ergab sich in der Folge offenbar auch die Abnahme dieser Schichtdicke.

Dieser Zusammenhang konnte zusätzlich durch die signifikante Korrelation zwischen GCL- und IPL-Dicke belegt werden. Die parafoveale Ausdünnung der GCL und der IPL spricht für eine neurodegenerative Wirkung des Diabetes mellitus auf die Retina in einem frühen Krankheitsstadium. Die Netzhautveränderungen waren weder mit der Erkrankungsdauer noch mit dem Blutdruck oder dem HbA1c assoziiert.

Retinopathie keine reine Gefäßerkrankung, sondern vielmehr neurovaskuläre Erkrankung

Wir interpretieren diese Veränderungen als Zeichen einer beginnenden diabetischen Retinopathie und als weiteren Beleg für die Hypothese, dass die DR nicht mehr ausschließlich als reine Gefäßerkrankung, sondern vielmehr als neurovaskuläre Erkrankung verstanden werden sollte (Glovinsky et al. 1991; Baumgartner 2000).

Ähnliche Ergebnisse veröffentlichten El-Fayoumi et al. (2016), die in ihrer Studie 46 Kinder (12,21 ± 3,04 Jahre) mit T1DM ohne Vorliegen einer DR mit 50 gleichaltrigen gesunden Probanden verglichen. Mit einer Erkrankungsdauer von etwa 7 Jahren zeigten die betroffenen Kinder bereits eine Ausdünnung der retinalen Nervenfaserschicht (RNFL) sowie des Ganglienzellkomplexes (GCC), den die Autoren als Abstand von der inneren Grenzmembran bis zur äußeren Begrenzung der IPL definierten.

Zudem waren auch hier die Ergebnisse unabhängig vom Alter bei Erstmanifestation, der Erkrankungsdauer und dem HbA1c. In der Studie von Karti et al. (2017) konnte für pädiatrische T1DM-Patienten unter Verwendung der OCT ebenfalls eine signifikante Reduktion der GCL-IPL-Dicke (GC-IPL) schon vor dem Auftreten einer vaskulären diabetischen Retinopathie nachgewiesen werden.

In den letzten Jahren konnte hauptsächlich bei erwachsenen Patienten eine selektive Ausdünnung der inneren Netzhautschichten, überwiegend der RNFL sowie der GCL und der IPL, als Folge des Diabetes mellitus nachgewiesen werden (van Dijk et al. 2009; van Dijk et al. 2010; Cabrera DeBuc & Somfai 2010; Araszkiewicz et al. 2012; Olcaysu et al. 2014; De Clerck et al. 2015; Chen et al. 2016; Sohn et al. 2016). Allerdings existieren derzeit nur wenige Studien, die OCT-Ergebnisse pädiatrischer Patienten, also von Patienten mit relativ kurzer Erkrankungsdauer und wenigen bis keinen lebensstilassoziierten Begleiterkrankungen, vorlegen.

Fazit

Anhand der vorgestellten Ergebnisse sollte evaluiert werden, ob und inwieweit eine Neurodegeneration an der Retina im Rahmen eines Diabetes mellitus Typ 1 bereits bei pädiatrischen Patienten nachgewiesen werden kann. Neurodegenerative Prozesse sind durch einen progredienten Untergang von Nervenzellen gekennzeichnet und können im Rahmen vieler Erkrankungen auftreten. Die Zugänglichkeit der Netzhaut, als Bestandteil des zentralen Nervensystems, ermöglicht es, neurodegenerative Veränderungen abzubilden. Eine etablierte, nicht-invasive Methode ist die optische Kohärenztomographie, mit deren Hilfe hochauflösende Bilder der Retina generiert werden können.

In einer 2018 publizierten Studie wurden OCT-Daten von Patienten mit T1DM im Kindes- und Jugendalter mit OCT-Daten von 30 gleichaltrigen gesunden Probanden verglichen. Keiner der Kinder zeigte zum Untersuchungszeitpunkt klinische Zeichen einer ophthalmologischen oder neurologischen Erkrankung. Die OCT-Untersuchung stellte sich als eine für Kinder in diesem Alter gut geeignete und reproduzierbare Messmethode heraus.

Im Rahmen der Erkrankungen waren im Vergleich zu den gesunden Probanden die Gesamtdicke der Retina sowie die Ganglienzellschicht und die innere plexiforme Schicht ausschließlich parafoveal reduziert. Diese Veränderungen erwiesen sich als unabhängig vom Alter, dem Blutdruck, der geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) sowie dem HbA1c der Patienten.

Durch OCT konnten in dieser Studie frühe neurodegenerative Veränderungen mit selektiver Ausdünnung der inneren Netzhautschichten bei pädiatrischen Patienten mit T1DM nachgewiesen werden. Aktuell existieren noch keine Richtlinien, die routinemäßig den Einsatz der OCT empfehlen. Die Standardisierung von OCT-Geräten sowie die Festlegung von Referenzwerten sind als Voraussetzung für die Einführung in die Patientenversorgung und für den Vergleich zwischen verschiedenen Gruppen dringend erforderlich.

Offen bleibt, ob diabetesbedingte vaskuläre Netzhautveränderungen tatsächlich durch die Funduskopie ausreichend beurteilt werden können und in welcher (zeitlichen) Beziehung neurodegenerative und vaskuläre Netzhautschäden bei beiden Erkrankungen zueinanderstehen.

Schwerpunkt „Diabetische Retinopathie“

Literatur
Auszugsweise aus der Dissertationsschrift "Die optische Kohärenztomographie zur Diagnostik früher neurodegenerativer Veränderungen der Retina bei pädiatrischen Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ 1 oder einer chronischen Nierenerkrankung" von Dr. Alline Götze in Ko-Betreuung von PD Dr. D.-Ch. Fischer und Prof. Dr. O. Stachs.


Autoren: PD Dr. rer. nat. habil. Dagmar-Christiane Fischer, Prof. Dr. rer. nat. Oliver Stachs.
PD Dr. rer. nat. habil. Dagmar-Christiane Fischer
Kinder- und Jugend-klinik
Universitätsmedizin Rostock
Prof. Dr. rer. nat. Oliver Stachs
Experimentelle Ophthalmologie
Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde
Universitätsmedizin Rostock

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2018; 30 (12) Seite 14-18