Wann ist mit neuen Leitlinien zur Empfehlung Ernährung und Diabetes zu rechnen? Welche Inhalte werden sie haben. Dr. Astrid Tombek und Dr. Nicola Haller berichten hier.

Die aktuellen Leitlinien zur Empfehlung Ernährung und Diabetes sind bekannterweise in die Jahre gekommen. Das Original stammt aus der Übernahme der EASD-Leitlinien von 2004. Problematisch ist, dass die Evidenz nach wie vor in vielen Bereichen nicht ausreichend ist. Einige internationale Vereinigungen haben sich daher für Empfehlungen ausgesprochen, um einen aktuellen praktischen Stand für die Beratung zur Verfügung zu stellen.

Die amerikanische Diabetesgesellschaft ADA hat dazu Empfehlungen im letzten Jahr veröffentlicht. [1, 2, 4] Die europäische Vereinigung EASD vermutet dieses Jahr mit einer Publikation herauszukommen. Der Ausschuss Ernährung der DDG hat sich vorgenommen, eine Leitlinie S 1 bzw. eine Empfehlung noch in diesem Jahr zu zur Verfügung zu stellen, bis heute ohne ein definitives Datum.

Verschiedene Hürden sind zu nehmen: Die Evidenz zu den verschiedenen Ernährungsempfehlungen ist als schlecht zu bewerten. Viele langfristige Evaluierungen fehlen. Schwierig ist weiterhin, dass die Einteilung in Typ 1 und Typ 2 nicht mehr so klar umrissen werden kann. Es gibt diverse Gen- und Phänotypvarianten von Typ 2 Diabetes und es gibt Typ 1 Diabetes mit Insulinresistenz bzw. metabolischen Syndrom - auch Doppeldiabetes genannt. [3]

In vielen Bereichen besteht dazu weitere Verunsicherung. Kleinere wie größerer Einzelstudien widersprechen sich zu den immer noch gültigen Leitlinien. Dies führt zu einem Wildwuchs in der Beratung. Das Ziel für die neuen Empfehlungen tendiert für eine klare Einsortierung in 1. "klar evident", 2. "eventuell möglich" oder 3. "es ist nicht sicher". Dies soll zu einer sicheren Beratungssituation führen.

Was ist bisher sicher?

Eine hohe Evidenz besteht bei der Empfehlung bezüglich der Energieaufnahme. Es sollen nur so viele Kalorien zu geführt werden, wie der der Körper benötigt. Die Gewichtsabnahme, vor allem die viscerale Bauchfettabnahme gilt bei der Therapie des Typ 2 Diabetes als evident. Daher sollten Menschen mit Typ 2 Diabetes weniger Energie zuführen und/oder mehr Energie verbrauchen. Weiterhein besteht Einigkeit beim Benefit hinsichtlich der Ballaststoffe. Warum die Ballaststoffe eine so positive Wirkung haben, ist unklar. Sicher ist jedoch, dass sie sie haben.

Möglich ist hierbei der Einfluss auf das Mikrobiom. Menschen mit Diabetes, allen voran Menschen mit Typ 2 Diabetes oder Menschen mit einer Insulinresistenz können durch einen Erhöhung der Ballaststoffe (wasserlöslich wie wasserunlöslich) die Insulinempflindlichkeit und damit deren Wirkung verbessern. Die Menge der empfohlenen Ballaststoffmenge in g/Tag ist nicht gesichert. Empfohlen werden hierbei so viel wie möglich im individuellen Alltag einzusetzen.

Die jüngst veröffentliche von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Beitrag, Rubrik Praxis Wissen Ernährung die Auswahl von mehr Gemüse für eine bessere Ballaststoffqualität für eine positive Beeinflussung der Diversität des Microbioms (5, S. 13). Weiterhin wird die Grundregel beschrieben Lebensmittel mit niedriger Energiedichte zu bevorzugen, um sich satt essen zu können. Das gleichnamige Buch (7) Satt essen und abnehmen proklamiert eine Sortierung der Lebensmittel nach der Energiedichte, um das Ernährungsverhalten und somit die Diabetestherapie zu unterstützen.

Viele Wege führen nach Rom, vielleicht auch eine Kombination verschiedener Ansätze. Hinweise für optimale Nährstoffrelationen sind nicht beschrieben, jedoch, dass der GBA die Präventionsleistung für Kinder und Erwachsene geregelt hat (www.zentrale-pruefstelle-praevention.de, u.a. um die individuelle Ernährungsweise und das Ernährungsverhalten nachhaltig zu verbessern, ggfs. Ernährungsprobleme zu lösen (vgl. (5) S. 21).

In allen internationalen Empfehlungen ist man sich weiterhin einig, dass verarbeitetes Fleisch (Wurst und Wurstwaren) zu reduzieren sind. [2, 3, 4]

Eine sichere Diskussion wird darüber geführt, dass es unerheblich ist, wie viele Prozent der Makronährstoffe zugeführt werden. Sowohl low carb-Empfehlungen wie low-fat-Empfehlungen führen letztendlich zum Erfolg, wenn die Adhärenz stimmt. Dieser Tatbestand wird in der Literatur mehrfach bestätigt (6,7, 8), auch im Zusammenhang mit Ersatzmahlzeiten. Daher haben alle gültigen Leitlinien bzw. Empfehlungen den Rat zur Individualisierung festgehalten. Aussagen zu den Kohlenhydraten sind klar in der Empfehlung, Kohlenhydrate mit einer hohen qualitativen Nährwert zu erhöhen und Kohlenhydrate mit hoher Energiedichte zu vermeiden.

Ähnlich wird der Umgang im Bereich der Fette empfohlen: einfach ungesättigte, mehrfach ungesättigte Fette und Omega 3 Fettsäuren sollten vermehrt und bevorzugt einsetzt werden, im Austausch zu gesättigten Fetten.. Transfettsäuren sollten vermieden werden, wobei die praxisnahe Umsetzung dieser Empfehlung sicherlich bedeutet wenig industriell hergestellte Lebensmittel zu empfehlen. Dies wird auch im Zusammenhang mit der Korrelation aller Diabetestypen mit kardio-vaskulären Erkrankungen diskutiert. [2, 4]

Neben der Diskussion zur Individualisierung der Mengenzufuhr bei den Hauptnährstoffen Fett und Kohlenhydrat, wird auch die Mengen zu Eiweiß unterschiedlich bewertet. Viele Langzeitstudien zu high-Protein stehen aus. Als eher sicher gelten, dass verschiedene Eiweißquellen unterschiedlich bewertet werden müssen. Pflanzliche Proteine scheinen einen höheren Benefit zu haben. [3]

In den neuen Empfehlungen hat man von den prozentualen Empfehlungen zu den Hauptnährstoffen Abstand genommen. Neben der Individualisierung liegt ebenfalls ein Schwerpunkt auf die Praktikabilität. Die neuen Empfehlungen sind Muster orientiert. So wird beispielsweise die mediterrane Ernährung als sehr günstig angesehen. [1,2,3,4]. Dem Ernährungsverhalten sollte idealerweise ergänzend viel Aufmerksamkeit geschenkt werden, wo, wie oft und warum gegessen wird.

Im Fazit heißt das für uns in der Beratung: eine möglichst individuelle Ernährungsberatung maßzuschneidern, mit vielen Ballaststoffen, pflanzlichen Proteinquellen und nur so viel wie der Körper braucht.


Literatur
1. Feingold KR., Anawalt B., Boyce A., et al: Nutritional Recommendations for Individuals with Diabetes. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK279012
2. Forouhi N., Misra A., Mohan V., Taylor R., Yancy W.: Dietary and nutrional approaches for prevention and management of type 2diabetes. BMJ 2018; 361: k2234 doi: 10,1136/bmj.k2234
3. Uuitupa M., Schwab, U.: Evolving Nutritional Therapy for Diabetes Mellitus. Nutriens 2020, 12, 423
4. Evert A., Dennsion, M., Gardner CD., et al: Nutrional Therapy for Adults with Diabetes or Prediabetes: A Consensus Report, Diabetes Care 2019 May; 42(5): 731-754. https://doi.org/10.2337/dci19-0014
5. Kassenärztliche Bundesvereinigung (2020) Ernährung, KBV Praxiswissen
6. www.thelancet.com (2017) published online DIRECT Studie http//dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(17)33102-1
7. Erdmann, J.; Hausmann, M.; Bayer, J. (2020) Satt essen und abnehmen, riva Verlag
8. Huntriss, R.; Campbell, M.; Bedwell, C. The interpretation an effect of low-carbohydrate diet in the management of typ 2 diabetes: a systematic review and metaanalysis of randomised controled trials (2018 macmillan Publishers Limited, part of Springer Nature 2018 (https://doi.org/10.1038/s41430-017-0019-4


Schwerpunkt: CGM und Ernährung

Autorinnen:
Dr. Nicola Haller
Vorstandsvorsitzende des Verbands der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland (VDBD)
Dipl. Med. Päd., Diabetesberaterin, Diätassistentin
Am Bühl 7 1/2, 86199 Augsburg

Dr. oec. troph. Astrid Tombek
Leiterin Diabetes- und Ernährungsberatung,
Diabetes Zentrum Mergentheim,
Theodor-Klotzbücher-Straße 12, 97980 Bad Mergentheim,


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2020; 32 (6) Seite 16-17