Eine aktuelle Langzeitstudie belegt: Mit gezielten Maßnahmen lässt sich der Ausbruch von Typ-2-Diabetes bei Menschen mit Prädiabetes deutlich verzögern – in vielen Fällen um mehrere Jahre. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) sehen in diesen Ergebnissen einen klaren Handlungsauftrag an die Politik. Gefordert wird ein systemischer Wandel, der verhaltens- und verhältnispräventive Strategien flächendeckend etabliert.

Die in The Lancet Diabetes & Endocrinology veröffentlichte Studie untersuchte über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahrzehnten den Effekt von Lebensstilinterventionen sowie des Medikaments Metformin bei mehr als 3.000 Menschen mit Prädiabetes. Das Ergebnis: Eine intensive Änderung des Lebensstils oder die Gabe von Metformin kann den Ausbruch von Typ-2-Diabetes um bis zu 3,5 Jahre verzögern. Besonders profitieren jüngere Menschen und solche mit hohem Diabetesrisiko.

Neben der reinen Zeitverzögerung zeigten sich auch qualitative Vorteile. Die Lebensstilgruppe wies eine dauerhaft höhere gesundheitsbezogene Lebensqualität auf, insbesondere Frauen erkrankten seltener an mikrovaskulären Komplikationen wie Retinopathie oder Nephropathie.

„Wir brauchen Programme, die individuelle Lebensrealitäten und Belastungen mitdenken – etwa von Frauen in Familienverantwortung. Nur so gelingt Prävention dort, wo sie am meisten bewirken kann. Erste gesundheitsökonomische Analysen deuten zudem auf ein langfristig günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis hin“, bilanziert Professor Dr. Julia Szendrödi, Präsidentin der DDG und Ärztliche Direktorin am Universitätsklinikum Heidelberg.

Langfristiger Nutzen belegt – aber noch nicht konsequent umgesetzt

Die jüngsten Daten knüpfen an die Ergebnisse der ursprünglichen Diabetes Prevention Program (DPP) Study an, in der durch Lebensstilintervention die Diabetesrate nach drei Jahren um 58 Prozent, durch Metformin um 31 Prozent im Vergleich zur Placebogruppe gesenkt werden konnte. Die nun publizierte DPP Outcomes Study (DPPOS) bestätigt diese Effekte nach 21 Jahren Beobachtungszeit. Die Lebensstilgruppe hatte ein um 24 Prozent geringeres Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, die Metformin-Gruppe ein um 17 Prozent reduziertes Risiko.

Die Ergebnisse sind differenziert zu betrachten: Während Lebensstilinterventionen altersunabhängig wirksam waren, zeigten sich bei Metformin vor allem bei Personen zwischen 25 und 44 Jahren positive Effekte. Die Hälfte der Lebensstilgruppe konnte den Diabetesausbruch um durchschnittlich 3,5 Jahre verzögern, in der Metformin-Gruppe waren es 2,5 Jahre.

„Die Ergebnisse zeigen, dass frühe und risikoadaptierte Präventionsmaßnahmen das Fortschreiten zum Typ-2-Diabetes verzögern können – ein wichtiger Baustein im Umgang mit der zunehmenden Krankheitslast. Metformin ist zurzeit nicht zur Behandlung des Prädiabetes zugelassen – eine Neubewertung erscheint jedoch angesichts der Evidenz sinnvoll“, betont Szendrödi.

Multimorbidität als systemische Herausforderung

Der Druck auf das Gesundheitssystem steigt: Immer mehr Menschen erkranken früher und leben mit mehreren chronischen Leiden gleichzeitig – ein Zustand, den Fachleute als „multimorbides Zeitalter“ bezeichnen. Neben dem demografischen Wandel tragen auch soziale Ungleichheiten und ein früher Krankheitsbeginn zur Dynamik bei. Eine aktuelle Nature-Analyse bestätigt diesen Trend.

„Wir müssen diese Entwicklung ernst nehmen und handeln, bevor die Gesellschaft von der steigenden Krankheitslast überwältigt wird“, warnt Szendrödi. „Steigt die Zahl chronischer Erkrankungen weiter, geraten Gesundheitssysteme zunehmend an ihre Grenzen. Ohne strukturierte Prävention wird Typ-2-Diabetes voraussichtlich früher auftreten und vermehrt mit weiteren Erkrankungen einhergehen.“

Politik in der Pflicht: Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe

DDG und DANK fordern deshalb tiefgreifende politische Veränderungen: Prävention müsse systematisch und flächendeckend in allen Lebenswelten verankert werden. Dazu gehören sowohl individuelle Maßnahmen als auch gesundheitsfördernde Rahmenbedingungen. „Wir wissen, was wirkt – nun braucht es auch den politischen Willen, Prävention allen zugänglich zu machen“, fordert Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der DDG und Sprecherin der DANK. „Gesundheitsförderung darf nicht vom Wohnort oder Einkommen abhängen. Prävention ist keine Privatsache – sie ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung.“

Um diesem Ziel näher zu kommen, hat DANK einen 6-Punkte-Plan vorgestellt. Dieser beinhaltet unter anderem eine Abgabe auf stark zuckergesüßte Getränke, steuerliche Entlastungen für gesunde Lebensmittel, verbindliche Standards für Kita- und Schulverpflegung sowie Maßnahmen zur Bewegungsförderung im Kindesalter. Auch der verpflichtende Nutri-Score und strenge Regeln für Werbung ungesunder Produkte, die Kinder adressieren, gehören zum Konzept. „Wir brauchen jetzt eine gesundheitsfördernde Infrastruktur“, betont Bitzer. „Gesund essen, sich ausreichend bewegen und Erkrankungen vorbeugen – das muss in Deutschland einfacher werden.“


Literatur:
[1] William C Knowler et al., Long-term effects and effect heterogeneity of lifestyle and metformin interventions on type 2 diabetes incidence over 21 years in the US Diabetes Prevention Program randomized clinical trial, Lancet Diabetes Endocrinol 2025; 13: 469–81 Published Online April 28, 2025; https://doi.org/10.1016/S2213-8587(25)00022-1
[2] Diabetes Prevention Program (DPP) Research Group , The Diabetes Prevention Program (DPP): description of lifestyle intervention, Diabetes Care 2002 Dec; 25(12):2165-71. doi: 10.2337/diacare.25.12.2165. Informationen zum Diabetes Prevention Program (DPP): www.niddk.nih.gov
[3] Gregg, E.W., Holman, N., Sophiea, M. et al. Multiple long-term conditions as the next transition in the global diabetes epidemic. Commun Med 5, 42 (2025). https://doi.org/10.1038/s43856-025-00742-9


von Redaktion diabetologie-online
mit Materialien der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK)