Den Schwerpunkt zum Intestinalen Mikrobiom wollen wir mit einem erklärenden Frage-Antwort-Spiel beginnen. Die Themen Typ-1-Diabetes und Ernährung sparen wir dabei weitgehend aus, da sie in den Folgeartikeln ausführlicher behandelt werden.

1. Was ist das intestinale Mikrobiom?

Der menschliche Darm beherbergt eine enorme Masse (ca. 1,5 kg) und Anzahl verschiedenster Bakterien, Archaeen, Viren, Phagen, Hefen und Protozoen. Die Gesamtheit dieser Mikroorganismen und ihrer Gene wird als das intestinale Mikrobiom eines Individuums bezeichnet.

2. Warum rückte das intestinale Mikrobiom erst in den letzten Jahren in das besondere Interesse der Wissenschaft?

Lange Zeit war das wichtigste Hilfsmittel in der Stuhldiagnostik, die Petrischale mit der entsprechenden Agarlösung, auf der sich die Keime vermehrten oder auch nicht. Hinter dem "auch nicht" versteckt sich eines der Hauptprobleme dieser Methode. Viele Darmkeime lassen sich außerhalb des Darmes nicht anzüchten und entziehen sich damit dem diagnostischen Nachweis.

Erst als es methodisch gelang, das Genom des intestinalen Mikrobioms aufzuschlüsseln, eröffnete sich die neue sehr breitgefächerte Wunderwelt. Inwieweit die einzelnen Keimarten des intestinalen Mikrobioms in vivo miteinander interagieren wird durch die genetischen Sequenzierung auch weiterhin nicht erfasst und schränkt damit viele der neuen Befunde in ihrer Aussagefähigkeit ein.

3. Was versteht man unter dem ersten und zweiten Genom?

Im Vergleich zum menschlichen oder ersten Genom ist der Informationsgehalt des intestinalen Mikrobioms mindestens um den Faktor 100 höher warum inzwischen häufig der Begriff des zweiten Genoms gebraucht wird.

Darüber hinaus zeichnet sich das intestinale Mikrobiom durch seine hohe Individualität aus: Erste Genome variieren zwischen Individuen nur in ca. 1% ihrer Sequenz, zweite Genome oder das intestinale Mikrobiom dagegen um mehr als 50 %. Deshalb ist es auch nicht sehr verwunderlich, dass die genetische Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms von eineiigen Zwillingen sehr unterschiedlich sein kann (Abbildung 1).

4. Ist die Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms altersabhängig?

Die bakterielle Vielfalt des intestinalen Mikrobioms steigt in den ersten 5 Lebensjahren steil an und flacht danach bis zum 12. Lebensjahr zunehmend ab. Im Erwachsenenalter ist die bakterielle Diversität des intestinalen Mikrobioms relativ stabil, um ab dem 50. Lebensjahr wieder sukzessive bis ins hohe Alter abzunehmen.

Die Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms wird schon sehr früh von Faktoren wie natürliche Geburt versus Sectio caesare oder Dauer des Stillens beeinflusst. Prägend sind aber insbesondere die unterschiedlichen regionalen, nationalen und Länder spezifischen Ernährungsweisen. Der Begriff des intestinaler Fingerprint leitet sich von der Beobachtung ab, dass die Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms bei einem gesunden Erwachsenen über die Jahre sehr stabil ist aber im Vergleich zu anderen erwachsenen Personen ein Alleinstellungsmerkmal aufweist.

5. Was ist ein Präbiotikum, Probiotikum und Symbiotikum?

Im Zusammenhang mit dem intestinalen Mikrobiom kommen immer wieder die Begriffe Präbiotikum, Probiotikum und Symbiotikum zur Sprache, deren Bedeutung deshalb kurz erläutert werden soll. Als Präbiotikum wird ein Nahrungsmittel bezeichnet, das für den Menschen eigentlich unverdaulich ist, aber sein intestinales Mikrobiom im Wachstum und Diversität verändert und von ihm verstoffwechselt werden kann.

Industriell hergestellte Präbiotika sind inzwischen ein fester Bestandteil des Lebensmittel- und Gesundheitsmarktes. Ein Probiotikum enthält lebensfähige Mikroorganismen, die ihrer Wirkung, sofern sie den Magen passieren, im Dünndarm aber vorwiegend im Dickdarm entfalten können. Die am längsten als Probiotika angewendeten Organismen sind Milchsäurebakterien, aber auch Hefen und andere Spezies sind in Gebrauch. Ein Synbiotikum besteht aus einer Kombination eines Probiotikums mit einem Präbiotikum, die im Idealfall eine synergistische Wirkung aufweisen.

6. Wo ist das Mikrobiom im Verdauungstrakt nachweisbar?

Das Mikrobiom ist in allen Abschnitten des Verdauungstraktes nachweisbar, aber die Keimarten und Keimzahlen sind in den einzelnen Abschnitten sehr unterschiedlich. Das Zentrum unseres intestinalen Mikrobioms ist der Dickdarm, wo unser eigenes Verdauen eigentlich vorbei ist. Ein Blick ins Tierreich zeigt, dass der Hauptwirkort des intestinalen Mikrobioms nicht immer der Dickdarm sein muss. Kühe lassen ihre vegane Kost mikrobiell in ihrem Magen verdauen und resorbieren anschließend ihre Mikroben in den unteren Darmabschnitten und nutzen sie damit als zusätzliche Proteinquelle.

Abschließend sei angemerkt, dass Rauchen das Mikrobiom der Mundhöhle charakteristisch verändert und mit einem Kuss etwa 80 Millionen Kleinstlebewesen ausgetauscht werden. Aber: auf einen Quadratzentimeter Zunge kommen etwa 1 Milliarde Bakterien, so dass der bakterielle Kusstransfer auch weiterhin seinen erotischen Zauber behalten kann (Tabelle 1).

7. Beeinflussen Medikamente das intestinale Mikrobiom?

Diese Frage ist leider mit einem ausdrücklichen Ja zu beantworten. Aus der Fülle der möglichen medikamentösen Kandidaten möchte ich nur die Antibiotika und Metformin herausstellen. Unter einer Antibiotikagabe kann es zu einer drastischen Veränderung der Keimflora im Dickdarm des Patienten kommen. Diese Dysbiose kann Monate, aber auch Jahre anhalten und zu dauerhaften Darmbeschwerden einschließlich einer Clostridium difficele Infektion führen. Dabei gilt: je länger ein breit wirkendes Antibiotikum eingenommen wird, desto wahrscheinlicher ist eine starke Schädigung des intestinalen Mikrobioms.

Die Verbindung zwischen Metformin und dem intestinalen Mikrobiom ist im doppelten Sinne spannend. Metformin verändert das Keimspektrum des intestinale Mikrobiom, so dass darüber die bekannten gastrointestinalen Nebenwirkungen wie Übelkeit und Durchfall erklärt werden können und durch die Gabe von Prä- und Probiotika beeinflussbar werden. Es scheint aber auch so zu sein dass das nach Einnahme von Metformin veränderte intestinale Mikrobiom eine antidiabetische Wirkung besitzt wie man mit Stuhltransplantaten an Mäusen nachweisen konnte.

8. Gibt es eine Verbindung zwischen Mikrobiom und Psyche?

Überraschende Zusammenhänge zeigen sich zwischen psychiatrischen Erkrankungen und der intestinalen Flora. Kleinere Studien an Patienten mit einer autistischen Störung offenbarten auffällige Abweichungen in der Zusammensetzung des intestinalen Mikrobioms. Bei Personen mit Depressionen zeigten sich im Vergleich zu einem gesunden Kontrollkollektiv signifikante Änderungen der Darmflora.

Überträgt man die Darmflora depressiver Patienten auf keimfreie Mäuse, so konnte man bei diesen Tieren depressive Verhaltensweise induzieren. Mit dem intestinalen Mikrobiom von gesunden Personen zeigten sich bei den Tieren keine Veränderungen. Wie oben bereits angedeutet, wollen wir in einem weiteren Schwerpunkt dieses spannende Thema weiter vertiefen.

9. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Adipositas und intestinalem Mikrobiom?

Gleiches gilt auch für diese Frage. Um Sie für diesen kommenden Schwerpunkt neugierig zu machen, wollen wir Ihnen im Vorgriff ein klassisches Mensch-Tierexperiment zu dieser Thematik vorstellen. Transplantiert man die Darmflora von Zwillingen, von denen der eine schlank und der andere adipös ist auf keimfreie Mäuse, so hängt der weitere Gewichtsverlauf der Mäuse vom Ausgangsgewicht des jeweiligen Zwilling ab.

Das intestinale Mikrobiom des adipösen Zwilling lässt auch die betreffende Mäusepopulation an Gewicht zulegen, während im umgekehrten Fall die Mäuse weiterhin schlank bleiben. Lebten beide Gruppen jedoch seit der Übertragung zusammen, bleiben alle schlank. Vermutlich liegt der Grund darin, dass die Nager den Kot der Artgenossen fressen, wobei sich das intestinale Mikrobiom des schlanken Zwillings durchsetzt (Abbildung 2).

10. Ist die Transplantation des Mikrobioms sinnvoll?

Stuhltransplantationen helfen erfolgreich bei chronischen therapierefraktären Darminfektionen mit dem Keim Clostridium difficele. Diese Infektionen sind in der Regel eine Folge einer Dysbiose des intestinalen Mikrobioms nach einer zu breit angelegten und zu lange erfolgten Antibiotikabehandlung. Besonders anfällig für eine Dysbiose sind in diesem Zusammenhang Kinder.

Um die Darmflora eines Patienten mit einer chronischen Infektion mit Clostridium difficele wieder ins Gleichgewicht zu bringen, werden gereinigte Fäkalien eines Gesunden in den Darm des Kranken übertragen – üblicherweise per Magen- oder Darmsonde. Inzwischen funktioniert das Ganze auch mit Kapseln zum Schlucken. Die Kapseln enthalten konzentrierten Kot von gesunden Freiwilligen. Das mikrobielle Medikament passiert dabei ungeschoren den Magen, bevor es seine wertvolle Fracht in den distalen Darmabschnitten frei setzt.

Die Erfolgsraten dieser beiden Behandlungsformen sollen bei über 80 % liegen. Der Leser soll selber entscheiden, zu welcher Behandlungsform der Autor im Bedarfsfall greifen würde.

Schwerpunkt: „Intestinales Mikrobiom“


Autor: Prof. Dr. Reinhard Zick
Medicover Osnabrück
Möserstraße 4a
49074 Osnabrück

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2019; 31 (1/2) Seite 12-14