Eine Vielzahl von nützlichen Mikroorganismen besiedeln unseren Darm ab der Geburt. In den ersten Lebensmonaten verändert sich die Gesamtpopulation der Darmbakterien, das Mikrobiom. Nach Zufuhr bestimmter Nahrungsbestandteile wachsen manche Bakterienstämme besser, andere schlechter. Unter dem Einfluss der Ernährung bildet sich bei Babys ebenso das Immunsystem heraus, und das Mikrobiom mischt hierbei kräftig mit. Daher ist nicht nur bei uns am Institut für Diabetesforschung am Helmholtz Zentrum München das Mikrobiom ins Blickfeld von Forschungsarbeiten zum autoimmunen Diabetes gerückt.

Verlaufsbeobachtungsstudien wie die BABYDIAB-, BABYDIET- und die TEDDY-Studie, die von Geburt an Daten von Kindern mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko sammeln, liefern uns wertvolle Hinweise zur Entstehung des Typ-1-Diabetes. Seit fast 20 Jahren werten wir zusammen mit internationalen Wissenschaftlern Daten zum Stoffwechsel von Kleinkindern mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko für Typ-1-Diabetes aus.

Dazu zählt die Untersuchung von Stuhlproben. Sie gibt uns Aufschluss über die Zusammensetzung der Darmflora und das funktionale Zusammenspiel der Darmbakterien bei Kindern mit und ohne späteren Typ-1-Diabetes.

Drei wesentliche Befunde ergeben sich aus den Forschungsergebnissen der genannten Studien:
  1. Das Mikrobiom wächst und gedeiht mit unseren kleinen Kindern und verändert sich besonders in den ersten Lebensmonaten und -jahren.
  2. Das Mikrobiom ist bei Menschen, die an einem Typ-1-Diabetes erkranken, NICHT grundlegend anders als bei Gesunden. Lediglich geringfügige Veränderungen wurden gefunden: Die Interaktion der Darmbakterien unterscheidet sich bei Kindern, die später eine Autoimmunität und einen Typ-1-Diabetes entwickeln, von denen, die nicht erkranken. Außerdem scheint die Zahl einiger Bakterienarten bei ihnen gegenüber gesunden Kontrollpersonen erhöht, die Zahl anderer dagegen reduziert zu sein. Dies trifft zum Beispiel auf Bakterien zu, die kurzkettige Fettsäuren produzieren und entzündungshemmend wirken.
  3. Die Ernährung und einige andere Umwelteinflüsse haben einen entscheidenden Einfluss darauf, wie sich das Mikrobiom zusammensetzt.

Drei Phasen der Entwicklung beim Mikrobiom

Die TEDDY-Studie untersuchte 12 500 Stuhlproben von 903 Kindern im Alter zwischen drei und 46 Monaten und ist somit das umfassendste je durchgeführte Mikrobiom-Projekt bei Kleinkindern. Die Untersuchungen haben ergeben, dass das Mikrobiom sich beim Baby in drei klar ausgeprägten Phasen entwickelt:
  • Die Entwicklungsphase im Alter von drei bis 14 Monaten, wenn sich im Darm erstmalig Bakterien ansiedeln,
  • eine Übergangsphase im Alter von 15 bis 30 Monaten, die durch Beikost und die Beendigung von Milchnahrung gekennzeichnet ist, und
  • eine stabile Phase (Alter 31 bis 46 Monate), die bereits dem Erwachsenen Mikrobiom zu ähneln scheint [1].

Stillen hat auf die Entwicklung der Darmflora einen besonders großen Einfluss: Man könnte sagen, es gibt den Takt an, denn frühzeitiges Abstillen oder Nichtstillen beschleunigt die Veränderung des Mikrobioms, während das Stillen diese eher verlangsamt. Bei Stillkindern finden sich mehr Spezies der Bifidobakterien [2]. Bei den Bifidobakterien handelt es sich um die wichtigste Gruppe der nützlichen Darmbakterien.

Sie erfüllen neben der Bekämpfung von Krankheitskeimen und Schadstoffen grundlegende Aufgaben für das Immunsystem: So versorgen sie unter anderem die Immunzellen im Darm mit wichtigen Informationen zur Bekämpfung von Erregern. Gleichzeitig stärken sie die Barrierefunktion der Darmschleimhaut. Sie sind ebenfalls in der Vagina gesunder Frauen zu finden.

Bei einer vaginalen Entbindung werden sie vom Säugling im Geburtskanal aufgenommen. Nach dem Abstillen und mit der Einführung von Milchnahrung und Beikost kommt es mit der zunehmenden Reifung des Darms zur Ansiedlung von Phylum Firmicutes, zu denen die Akkermansia gehören. Insgesamt nimmt die Vielfalt und Masse der Kulturen zu, insbesondere auch die der Bacteroides.

Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne Typ-1-Diabetes

Die BABYDIET-Studie war eine der ersten Studien, die das Mikrobiom von Babys und Kleinkindern mit Typ-1-Diabetes untersucht hat. Insgesamt wurden 298 Stuhlproben von 44 Kindern in den ersten drei Lebensjahren analysiert, davon 22 Kinder, die später Inselautoimmunität und Typ-1-Diabetes entwickelten [3].

Bereits bei dieser – im Vergleich zu TEDDY – kleinen Fallgruppe wurde klar, dass die Darmflora insbesondere in den ersten Lebensmonaten enorme Veränderungen erfährt und vor allem durch Stillen, die Einführung von Beikost, und den Geburtsmodus (Kaiserschnitt oder vaginale Entbindung) geprägt wird. Zwischen Kindern mit Diabetes-Autoantikörpern und Typ-1-Diabetes ergaben sich keinerlei Differenzen hinsichtlich der Bakterienvielfalt, der Zusammensetzung der Darmflora oder der Häufigkeit einzelner Bakterienarten.

Unterschiedlich waren jedoch die Interaktion zwischen den Bakterien und das gemeinsame Auftreten verschiedener Arten, das Mikrobiom-Netzwerk. Bereits im Alter von sechs Monaten und auch später im Alter von zwei Jahren wurden hier Abweichungen bei Kindern mit späterem Typ-1-Diabetes gefunden.

Ähnliche Befunde wurden in der TEDDY-Studie beobachtet. In einer Untergruppe der BABYDIET-Kinder, die bereits früh mit fester Beikost, insbesondere Fleisch, gefüttert worden, fand sich ein erhöhter Anteil von Bacteroides, und diese Kinder haben besonders häufig später Inselautoantikörper und Typ-1-Diabetes entwickelt.

Bei den TEDDY-Kindern hingegen fand sich ein gewisser Zusammenhang zwischen dem Fehlen von Bakterien, die kurzkettige Fettsäure produzieren, und dem Auftreten von Autoantikörpern und Typ-1-Diabetes. Beide Befunde, also die der gehäuften Bacteroides bei BABYDIET und die der fehlenden Fettsäurebildner bei TEDDY waren jedoch grenzwertig und wurden bisher durch keine weiteren Studien bestätigt.

Einflussfaktoren auf das frühkindliche Mikrobiom

Es ist nicht verwunderlich, dass Umweltfaktoren einen Einfluss auf die Entwicklung unserer Darmflora haben. Wir haben bereits erwähnt, dass die frühkindliche Ernährung entscheidend die Entwicklung der Darmbakterien bestimmt. Neben der Ernährung sind eine Reihe externer Faktoren wie die Hygiene, der Geburtsmodus, der Wohnort, oder auch die Existenz von Haustieren daran beteiligt [1, 4].

Im Jahr 2011 haben wir anhand von Daten aus der BABYDIAB-Studie [5] festgestellt, dass Kinder, die per Kaiserschnitt zur Welt kamen, ein mehr als doppelt so hohes Risiko für einen Typ-1-Diabetes haben wie Kinder, die spontan entbunden wurden. Eine mögliche Erklärung sahen wir darin, dass sich die sterile Geburt per Kaiserschnitt auf die Beschaffenheit der kindlichen Darmflora und damit auf das Immunsystem auswirkt. Nach einem Kaiserschnitt lassen sich zum Beispiel weniger Bifidobakterien nachweisen als nach vaginaler Entbindung.

Auch die Immunantwort der Kinder ist beeinträchtigt: So finden sich nach Kaiserschnittentbindung weniger Entzündungsbotenstoffe im Blut und die Immunreaktion auf Impfungen kann abgeschwächt ausfallen6). Insgesamt bestätigen die aktuellen Auswertungen, dass die Zusammensetzung und Zahl der Darmbakterien sich bei Kindern, die später einen Typ-1-Diabetes entwickelten, nicht grundlegend von denen gesunder Kinder unterscheidet.

Allerdings scheint das Zusammenspiel der verschiedenen Bakterienarten untereinander und deren Fähigkeit zum ‚Networking‘ bei Kindern mit Diabetes-Autoimmunität gestört zu sein, und zwar schon bevor sie die für Diabetes typischen Autoantikörper entwickeln. Ob die Kommunikationsfähigkeit und Vernetzung der Darmbakterien durch Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel verändert und dadurch das Immunsystem und die Anfälligkeit für einen Typ-1-Diabetes beeinflusst werden kann, bleibt bislang offen.


Literatur
über die Redaktion: heinz@kirchheim-verlag.de
Schwerpunkt: „Intestinales Mikrobiom“


Autoren: Prof. Dr. med. Anette-Gabriele Ziegler (Direktorin), PD Dr. med. Peter Achenbach (Stellv. Direktor), Claudia Pecher (Pressereferentin), Mona Walter (Referentin Kommunikation GPPAD)
Institut für Diabetesforschung
Helmholtz Zentrum München und Forschergruppe Diabetes
Klinikum rechts der Isar
Technische Universität München
Ingolstädter Landstraße 1
85764 Neuherberg

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2019; 31 (1/2) Seite 16-18