Wie das Glukosemonitoring die Diabetestherapie und die Schulung verändert, das erfahren Sie von Dr. Jens Kröger und Prof. Dr. Dipl.-Psych. Bernhard Kulzer in diesem Beitrag.

Während Menschen mit Diabetes für die Bestimmung des aktuellen Blutzuckerwertes lange Zeit nur die Blutzuckermessung zur Verfügung stand, gibt es mittlerweile kontinuierliche Messsysteme, bei denen die Glukosewerte im Gewebe kontinuierlich bestimmt werden:
  • Bei der kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) werden die gemessenen Werte automatisch an ein Empfängergerät gesendet (Real-Time-CGM, rtCGM).
  • Dem gegenüber stehen kontinuierliche Messsysteme, bei denen die Anwender durch Scannen des Sensors die in den letzten Stunden kontinuierlich gemessenen und im Sensor gespeicherten Werte abrufen (iCGM, iscCGM, Flash Glukose-Monitoring (FGM)).

Da die Messgenauigkeit der CGM-Systeme sich in den letzten Jahren kontinuierlich verbessert hat, können diese Systeme zur täglichen Therapiesteuerung von Menschen mit Diabetes verwendet
werden.

Immer häufigere Anwendung

Nach einem viel zu lange andauernden Genehmigungsprozess verschiedener Player des Gesundheitswesens hat der G-BA im Juni 2016 beschieden, die kontinuierliche Glukosemessung (rtCGM) in die vertragsärztliche Versorgung aufzunehmen, und eine entsprechende Richtlinie erlassen.

Damit haben Typ-1- und Typ-2-Diabetes-Patienten bei vorliegender Indikation und nach Verordnung ihres behandelnden Diabetologen Anspruch auf die Versorgung eines rtCGM zur kontinuierlichen Glukosemessung. iscCGM in Form des Freestyle libre 2 Systems wurde gerade ins Hilfsmittelverzeichnis im Sinne eines rt-CGM Messsystems von den Krankenkassen aufgenommen.

Der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hinsichtlich der rtCGM-Systeme war ein Meilenstein für viele Menschen mit insulinpflichtigem Diabetes, die eine intensivierte Insulintherapie (ICT) oder Insulinpumpenbehandlung (CSII) durchführen, und spiegelt sich auch in der stetig wachsenden Zahl von rtCGM-Nutzern wider.

Nicht zuletzt durch die stetig steigende Anzahl von iscCGM-Nutzern, die mittlerweile auf über 1,3 Millionen Patienten weltweit angestiegen ist, wurden viele Erkenntnisse gewonnen, die die Therapieempfehlungen maßgeblich beeinflusst haben. In Deutschland verwenden schätzungsweise ca. 300.000 Menschen iscCGM- und ca. 40.000 Menschen rtCGM-Systeme (weltweit ca. 400.000), die Tendenz ist stark steigend.

Vorteile des Glukosemonitorings

Sowohl für die Patienten als auch für Ärzte/Diabetesteams bieten Messsysteme zur kontinuierlichen Glukosemessung einige wichtige Vorteile und verändern bedeutsam die Kriterien zur Beurteilung der Therapie.
  • Einfachere, schmerzlose Glukosemessung: Im Gegensatz zur herkömmlichen Blutzuckermessung erfolgt die Glukosemessung unblutig und erlaubt es, stets einfach, ohne großen Aufwand, den aktuellen Glukosewert auf dem Display zu sehen.
  • Überblick über den bisherigen Glukoseverlauf: Für Menschen mit Diabetes ist es sehr wertvoll, dass ihnen als Hilfe zur Therapieanpassung bei beiden Methoden der bisherige Glukoseverlauf mit verschiedenen Auswertmöglichkeiten (z. B. Zeit der Glukosewerte im Normalbereich, Anzahl der Unterzuckerungen) im Display zur Verfügung steht.
  • Trendanzeige über den künftigen Glukoseverlauf: Sowohl Real-Time-Glukosemesssysteme als auch "intermittierende Glukosemesssysteme" (FGM/iscCGM) nutzen Trendpfeile, mit denen der Anwender in grafischer Form eine Prognose zum künftigen Glukoseverlauf erhält.
  • Bessere Einschätzung des persönlichen Glukoseverlaufs und bestimmter Einflussfaktoren:Durch die Möglichkeit, die direkten Auswirkungen von z. B. Insulinkorrekturen, Essen und Trinken, körperliche Bewegung auf den Glukoseverlauf zu erkennen, können individuelle Einflussfaktoren und Glukoseverläufe besser eingeschätzt werden.
  • Auswertungsmöglichkeiten: Verschiedene Download-Möglichkeiten ermöglichen es dem Patienten selbst und auch dem Arzt/Diabetesteam, die Glukoseverläufe systematisch im Hinblick auf verschiedenste Parameter auszuwerten und Hinweise zur Optimierung der Therapie zu bekommen.
  • Digitale Anwendungen, artificial pancreas: Schon heute gibt es integrierte Insulinpumpensysteme mit kontinuierlicher Glukosemessung, die zur automatisierten Abschaltung der Insulinzufuhr bei tiefen oder abfallenden Glukosewerten und zur zusätzlichen Insulinabgabe bei erhöhten Glukosewerten benutzt werden. Die kontinuierliche Glukosemessung ist Voraussetzung für alle automatisierten Steuerungen des Insulins (artificial pancreas).
  • Bessere Therapieergebnisse: In Studien konnte gezeigt werden, dass mit Systemen der kontinuierlichen Glukosemessung sowohl eine bessere glykämische Kontrolle, weniger leichte und schwere Unterzuckerungen als auch eine bessere Lebensqualität, geringere diabetesbezogene Belastungen und eine höhere Behandlungszufriedenheit erzielt werden können [1].
  • Empowerment: Die kontinuierliche Glukosemessung stellt dem Patienten mehr Informationen für seine täglichen Therapieentscheidungen zur Verfügung und erlaubt durch die Auswertmöglichkeiten und zukünftig immer ausgereifteren Algorithmen und Entscheidungshilfen (Patient-Support-Systems) einen selbstbestimmteren Umgang mit dem Diabetes.

„Time in Range“ als Ergänzung zum HbA1c

Obwohl der HbA1c als Zielparameter für die Langzeitglukosemessung beim Diabetes etabliert ist, hat dieses durchaus auch Limitationen (z. B. ist seine Aussagekraft in Bezug auf externe Faktoren, die Glukosevariabilität limitiert). Für Patienten ergeben sich durch die Möglichkeit, die jeweiligen Phasen der Hypo-, Normo- und Hyperglykämie auswerten zu können, zusätzliche Optionen zur Analyse und Optimierung der Therapie.

Zur Bewertung der Güte einer Therapie ist die Zeit im Zielbereich (Time in Range, TIR) von besonderem Interesse: Bergenstahl et al. definierten als Glukosezielbereich für die meisten Patienten die Grenzen von 70 bis 180 mg/dl (3,9 bis 10,0 mmol/l), wobei Überschreitungen mit steigendem Risiko für Hyper- und Hypoglykämien einhergehen [2]: Je höher die TIR, desto niedriger die Glukosevariabilität und desto niedriger die Gefahr von hypo- und hyperglykämischen Komplikationen [3 – 4].

Einige Beobachtungsstudien legen einen Zusammenhang zwischen einer verringerten TIR (erhöhten Glukosevariabilität) und diabetesassoziierten Komplikationen nahe [5 – 7]. Sowohl rtCGM als auch iscCGM erleichtern somit die Überwachung der Zeit im Zielbereich (TIR) und können ein differenzierteres Bild über die Qualität der Glukoseeinstellung geben [8 – 11].

Interpretation kontinuierlicher Glukoseverläufe mittels Ambulanten Glukoseprofil (AGP)

Der aktuelle Glukosewert, die Glukoseverläufe sowie die Trendpfeile bieten wertvolle und zusätzliche Informationen im Vergleich zu punktuellen Einzelmesswerten der Blutzuckerselbstmessung (BZSM), aus denen die Patienten und die Diabetesteams in den letzten Jahrzehnten Therapieempfehlungen abgeleitet haben.

Die standardisierte Auswertung der kontinuierlich gemessenen Glukosedaten sollte vorzugsweise mit Hilfe des Ambulanten Glukoseprofils (AGP) erfolgen [12]. Beim AGP werden die kontinuierlich gemessenen Glukosewerte von mindestens 5 Tagen zusammen mit den Glukoseschwankungen eines definierten Zeitraums graphisch dargestellt [13]. AGP ist somit ein Ansatz zur standardisierten Analyse von interstitiellen/kontinuierlichen Glukosedaten und erlaubt eine Vorhersage möglicher Muster in den Glukoseverläufen [14 – 15].

Tab. 1: Die Darstellung mittels AGP ermöglicht eine strukturierte Auswertung kontinuierlich gemessener Daten. Die Konsensus-Gruppe der kürzlich erschienenen Publikation empfiehlt eine Analyse des AGPs anhand 5 aufeinanderfolgender Schritte/Fragestellungen [16].

Die Verwendung des AGP-Ansatzes wurde von einem Expertengremium aus Klinikern in einer Konsensuskonferenz im Jahr 2012 befürwortet [2]. Auch in dem kürzlich erschienenen internationalen CGM-Konsensus-Statement um Prof. Dr. Thomas Danne wird AGP als Standard-Methode zur Visualisierung von CGM-Daten empfohlen [12]. Zeitgleich hat eine deutsche Expertengruppe eine praxisbezogene Empfehlung zum AGP entwickelt [16].

Schritt 1 – Wie ist die Datenqualität?

Im ersten Schritt erfolgt eine Bewertung, ob genügend Daten vorhanden sind, um eine qualifizierte Auswertung vornehmen zu können.

Schritt 2 – Wie ist der Zielbereich (Time in Range)?

Betrachtung und Bewertung des Zielbereichs.

Schritt 3 – Sind Unterzuckerungen aufgetreten?

Mit Hilfe der Darstellung der kontinuierlichen Glukosedaten in Form des AGPs können die Häufigkeit von Hypoglykämien bewertet werden und diese auch anhand definierter Parameter klassifiziert und in Stufen, entsprechend dem Schweregrad, eingeordnet werden [16].

Schritt 4 – Wie sieht es mit der Glukosevariabilität bzw. den Glukoseschwankungen aus?

Die Bewertung der Glukosevariabilität (z. B. Interquartil-Bereich (IQR), der dem 25. bis 75. Perzentil entspricht, oder Interdezil-Bereich (IDR) des 10. bis 90. Perzentils) gibt Aufschluss darüber, ob die Glukosevariabilität eher therapiebedingt oder verhaltensbedingt ist (siehe Abb. 1). Der Einfluss von z.B. Ernährung und Sport wird so direkt sichtbar [16].

Abb. 1: Die dunkelrote Linie im Mittelpunkt des AGPs stellt den Median dar, der den mittleren Glukosewert zur jeweiligen Tageszeit angibt. Die 25. bis 75. Perzentile zeigen 50 %, die 10. bis 90. Perzentile zeigen 80 % der um den Median gestreuten Glukosewerte an. Darüber hinaus kann man anhand des IDR bzw. des IQR erkennen, ob die Glukoseschwankungen eher therapiebedingte (IQR) oder eher verhaltensbedingte Ursachen (IDR) haben.

Schritt 5 – Wie stabil ist das Glukoseprofil?

In dem letzten Schritt folgt die Betrachtung der Stabilität des Glukoseprofils, welcher die Steilheit der Glukoseanstiege und -abfälle bewertet.

Das AGP bietet sowohl Ärzten/Diabetesteams bei der Betreuung ihrer Patienten eine bessere Grundlage für Therapieentscheidungen, hilft aber besonders auch Patienten besser zu verstehen, wie sich die eigenen Glukoseverläufe verhalten, welche Einflussfaktoren bedeutsam sind und wie die Therapie im Alltag angepasst werden sollte [2, 17 – 18].

Eine Online-Befragung von 80 Diabetologen ergab, dass 90 Prozent der Ärzte kontinuierliche Glukosedaten in Form des AGPs einem Blutzuckertagebuch vorziehen [19] und 63 Prozent der Ärzte die übersichtliche Aufbereitung der Glukosewerte gefällt. AGP kann somit die Analyse der Verläufe vereinfachen und die Bearbeitungszeit deutlich verkürzen, was auch kürzlich durch eine amerikanische Untersuchung bestätigt wurde [19 – 20].

Beurteilung und Bewertung von Trendpfeilen bei kontinuierlichen Glukosemonitoring-Systemen

Die Trendpfeile sind für viele Menschen mit Diabetes eine wichtige Grundlage für Stoffwechselkorrekturen. Gleichwohl gibt es einige Herausforderungen bei der Interpretation der Trendpfeile einzelner Systeme und der Umsetzung in der Diabetestherapie [21 – 23], was auch auf die unterschiedliche rechnerische Grundlage der Darstellung von Trendpfeilen der einzelnen Hersteller zurückzuführen ist [21].

Eine weitere Hürde für Diabetesteams und Menschen mit Diabetes ist das Fehlen einheitlicher und nutzbarer Handlungsempfehlungen zur Interpretation und Umsetzung der Trendpfeilinformationen in Therapieentscheidungen in deutscher Sprache.

Eine deutsche Expertengruppe hat daher aktuelle Empfehlungen zu Therapieanpassungen auf Basis von Trendpfeilen erstellt [21]. Darin wird zum einen auf die Relevanz der Trendpfeile für Therapieentscheidungen eingegangen, zum anderen wird auch eine Interpretationsmatrix für Trendpfeile mit Therapieanpassungsempfehlungen für Kinder mit Typ-1-Diabetes, Erwachsene mit Typ-1-Diabetes und Erwachsene mit Typ-2-Diabetes vorgestellt (siehe Tab. 2).

Tab. 2: Vereinfachtes Schema zur Insulindosisanpassung auf Basis der Trendpfeilausrichtung. Die Empfehlungen zur Insulindosisanpassung (weiß) richten sich jeweils nach den Veränderungsraten aller Hersteller (grau) unter Beachtung des Glukoseausgangswerts (hellrot) und der individuellen Insulinsensitivität (dunkelrot) [21].

Berücksichtigt wurden bei den Therapiedosisempfehlungen nicht nur die unterschiedliche Ausrichtung der Trendpfeile, sondern auch die Glukoseausgangswerte sowie die individuelle Insulinsensitivität, die sich in den individuellen Korrekturfaktoren widerspiegelt [21 – 24]. Die Dynamik des Glukoseverlaufs kann somit Menschen mit insulinpflichtigem Diabetes nähergebracht werden und bietet einen wichtigen Vorteil gegenüber der statischen Blutzuckerselbstmessung [25].

Schulung als Fundament einer erfolgreichen Diabetestherapie mit kontinuierlichen Messwerten

Die kontinuierliche Glukosemessung stellt Patienten vor neue Herausforderungen, da für Therapieentscheidungen deutlich mehr Informationen zur Verfügung stehen und die Bewertung der Glukosewerte zusätzliches Wissen und Fähigkeiten erfordert. Die Voraussetzung für die richtige Nutzung der Systeme stellen die korrekte Interpretation der gewonnenen Daten und das Wissen um die richtigen Schlussfolgerungen und Therapiehandlungen dar.

Zudem birgt die Methode auch neue Risiken wie eine Überforderung durch die ständige Verfügbarkeit von Glukosewerten, die häufige Unterbrechung der Tagesroutine aufgrund von Alarmen oder Trendpfeilen oder die zu schnelle Korrektur erhöhter Glukosewerte mit einem erhöhten Risiko für Unterzuckerungen.

Eine Schulung ist daher absolut notwendig, um einerseits das Potential der kontinuierlichen Glukosemessung zu nutzen und auf der anderen Seite mögliche negative Effekte zu minimieren. Dies wird auch in dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hinsichtlich der rtCGM-Systeme gefordert.

In Deutschland stehen zwei Programme zur strukturierten Schulung und Behandlung zur Verfügung:
  • SPECTRUM: ein Schulungs- und Behandlungsprogramm zur kontinuierlichen Glukosemessung (rtCGM) für Menschen mit Typ-1-Diabetes aller Altersgruppen. Das Programm ist curriculär ausgearbeitet und ist für die Anwendung in ambulanten und stationären Diabeteszentren gedacht. SPECTRUM wurde gemeinsam von der "Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Technologie" und der "Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie" (AGPD) der DDG entwickelt und im Kirchheim-Verlag (Mainz) publiziert. Aktuell läuft die Evaluationsstudie.
  • flash: Das strukturierte Schulungs- und Behandlungsprogramm "flash" ist für Patienten mit Flash-Glukose-Messsystemen entwickelt worden und richtet sich sowohl an Typ-1- als auch an Typ-2-Diabetes-Patienten ab 16 Jahren. Das ebenfalls curriculär aufgebaute Programm wurde vom Forschungsinstitut der Diabetes-Akademie Mergentheim (FIDAM) und Dr. Kröger in Zusammenarbeit mit Diabetes-Schwerpunktpraxen entwickelt. Es ist ebenfalls im Kirchheim-Verlag (Mainz) erhältlich. Eine Anerkennung von "Flash"durch die DDG ist erfolgt, eine Zertifizierung durch das Bundesversicherungsamt wird hoffentlich Ende 2019 erfolgen.

Wenn Sie mehr zu diesem Thema von den beiden Autoren lesen möchten, bekommen Sie im Gesundheitsbericht 2019 weitere Informationen.


Literatur
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Schwerpunkt Glukosemanagement


Autoren:

Dr. med. Jens Kröger
Vorstandsvorsitzender Deutsche Diabetes-Hilfe (DiabetesDE)
Zentrum für Diabetologie Bergedorf
Glindersweg 80, Haus E
21029 Hamburg Bergedorf
Tel: 040-854051-0

Prof. Dr. Dipl.-Psych. Bernhard Kulzer
Diabetes Zentrum Mergentheim
Theodor-Klotz­bücher-Str. 12
97980 Bad Mergentheim

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2019; 18 (6) Seite 18-21