Erste Ergebnisse der POInT-Studie zeigen: Die Wirksamkeit einer oralen Insulinbehandlung zur Typ-1-Diabetes-Prävention hängt von der individuellen Insulin-Genvariante ab. Diese neuen, im Fachmagazin The Lancet publizierten Erkenntnisse sind laut der beteiligten Forschenden ein Meilenstein für personalisierte Therapieansätze.

Die von der Global Platform for the Prevention of Autoimmune Diabetes (GPPAD) koordinierte randomisierte, kontrollierte klinische POInT-Studie (Primary Oral Insulin Trial) umfasste 1.050 Kinder mit erhöhtem genetischem Risiko in fünf europäischen Ländern. Ziel war es zu untersuchen, ob eine orale Insulingabe die Entstehung einer Inselautoimmunität und damit die Entwicklung von Typ-1-Diabetes bei gefährdeten Kindern verhindern kann.

Die tägliche Einnahme von Insulinpulver wurde von den teilnehmenden Kindern gut toleriert. Das primäre Studienziel – eine generelle Reduktion der Inselautoantikörper-Entwicklung – wurde jedoch nicht erreicht. Die explorativen Analysen zeigten dennoch vielversprechende sekundäre Ergebnisse: Kinder der Interventionsgruppe entwickelten im Vergleich zur Placebo-Gruppe verzögert einen klinischen Typ-1-Diabetes.

Genetische Determinanten bestimmen Ansprechen auf Therapie

Besonders bedeutsam war die Beobachtung, dass die Behandlungseffekte stark von der individuellen Insulin-Genvariante abhingen. „Die POInT-Studie könnte die Art und Weise verändern, wie wir antigenbasierte Therapien bei Typ-1-Diabetes einsetzen. Auch wenn die orale Insulintherapie die Bildung von Inselautoantikörpern nicht wie erhofft verhindert hat, deuten die Daten darauf hin, dass sie den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen könnte", erläutert Studienleiterin Prof. Dr. Anette-Gabriele Ziegler, Direktorin des Instituts für Diabetesforschung bei Helmholtz Munich.

„Zum einen zeigte sich bei den Kindern, die oral Insulin erhalten hatten, eine Verzögerung des Übergangs zur klinischen Erkrankung – das ist bereits eine ermutigende Nachricht. Zum anderen fiel auf, dass der Behandlungseffekt stark von der genetischen Ausstattung der Kinder abhängt. Besonders bei Kindern mit Risikovarianten des Insulin-Gens für Typ-1-Diabetes scheint eine Verzögerung des Erkrankungsbeginns möglich zu sein. Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten für gezielte, personalisierte Präventionsstrategien", erklärt Prof. Ziegler. „Da POInT jahrzehntelange Pionierarbeit zum Verständnis und zur Prävention von Typ-1-Diabetes zusammenführt, stellt die Studie einen wichtigen wissenschaftlichen Meilenstein dar. Gleichzeitig folgt sie meiner persönlichen Mission: eine Welt ohne Typ-1-Diabetes."

Differenzielle Wirkung je nach Genotyp

Prof. Dr. Ezio Bonifacio, Mitglied der GPPAD-Studiengruppe und Professor am Zentrum für Regenerative Therapien der TU Dresden, präzisiert die genetischen Zusammenhänge: „Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden hatte Varianten, die das Risiko für Typ-1-Diabetes erhöhen. Bei diesen Kindern schützte die orale Insulinbehandlung vor der Entwicklung von Diabetes. Im Gegensatz dazu nahm bei Kindern ohne Risikovariante die Zahl der Inselautoantikörper unter der oralen Insulinbehandlung sogar zu."

Diese Befunde deuten auf eine genetisch definierte Subgruppe hin, für die eine orale Insulinbehandlung vorteilhaft sein könnte. „Auch wenn der genaue Mechanismus noch unklar ist, geben die Resultate Anlass zu vorsichtigem Optimismus: Mit der gezielten Auswahl der zu behandelnden Kinder könnte es in Zukunft möglich sein, den Krankheitsverlauf entscheidend zu beeinflussen", ergänzt Prof. Bonifacio.

Originalpublikation:
Ziegler et al., 2025, Efficacy of once-daily high-dose oral insulin immunotherapy in children genetically at-risk for type 1 diabetes: a European randomised, placebo-controlled primary prevention trial. The Lancet. DOI: 10.1016/S0140-6736(25)01726-X

Studienfortsetzung und Langzeitbeobachtung

Die POInT-Studie wird mit einer erweiterten Nachbeobachtung bis zum zwölften Lebensjahr der Teilnehmenden fortgesetzt, weiterhin gefördert durch den Leona M. and Harry B. Helmsley Charitable Trust. Bis zum sechsten Lebensjahr entwickelten etwa zehn Prozent der Kinder Inselautoantikörper, die bei der Mehrheit später in einen klinischen Typ-1-Diabetes übergehen.

Die verlängerte Beobachtungsphase ermöglicht die Untersuchung langfristiger Effekte der frühen oralen Insulinbehandlung bei kontinuierlicher Betreuung der Studienteilnehmenden. Zusätzlich werden die gesammelten biologischen Proben und Daten für begleitende Forschungsprojekte genutzt, um die Mechanismen der oralen Insulintherapie auf die Autoimmunreaktion und den Krankheitsverlauf zu verstehen.

Screening-Programm und Studienrekrutierung

Für die Identifikation von Säuglingen mit einem genetischen Typ-1-Diabetes-Risiko von über zehn Prozent etablierte GPPAD ein multinationales Screening-Programm (in Deutschland als Freder1k bekannt). Insgesamt wurden fast 242.000 Säuglinge unter vier Monaten an Standorten in Belgien, Deutschland, Polen, Schweden und Großbritannien gescreent. Mittels genetischem Risikoscore konnte etwa ein Prozent der Kinder als Hochrisikogruppe identifiziert werden.

Die vorzeitige Beendigung der Rekrutierung nach Einschluss von 1.050 Kindern demonstriert sowohl das hohe Engagement der teilnehmenden Familien als auch die Effektivität des multinationalen Ansatzes. Die Studie belegt damit die Praktikabilität eines bevölkerungsbasierten Neugeborenenscreenings als Grundlage für Primärpräventionsstudien.

Wissenschaftliche Grundlage der oralen Immunintervention
Typ-1-Diabetes entsteht durch eine Autoimmunreaktion gegen insulinproduzierende Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Dieser Prozess beginnt häufig im frühen Kindesalter und ist durch spezifische Autoantikörper charakterisiert, wobei Insulin selbst oft im Zentrum der Immunreaktion steht.

Die Studienrationale basierte auf der Hypothese, dass eine orale Gabe hoher Insulindosen zur Entwicklung einer Immuntoleranz beitragen könnte, analog zu etablierten Ansätzen in der Allergieprävention. Zwischen dem vierten und siebten Lebensmonat erhielten die POInT-Teilnehmenden bis zum dritten Lebensjahr entweder täglich orale Insulinmengen (initial 7,5 mg, innerhalb von vier Monaten auf 67,5 mg gesteigert) oder Placebo. Die Nachbeobachtung erstreckte sich bis zum Alter von sechs Jahren und sechs Monaten.

POInT stellt die erste randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte klinische Studie dar, die den Einfluss oraler Insulingabe auf die Entwicklung von Inselautoimmunität und Typ-1-Diabetes bei Kindern mit erhöhtem Risiko untersucht. Die langfristige Zielsetzung liegt in der Identifikation pharmakogenetischer Zusammenhänge, die eine personalisierte Prävention ermöglichen könnten.

von Redaktion diabetologie-online
mit Materialien des Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH)