Mit INPUT gibt es erstmals ein evaluiertes Schulungs- und Behandlungsprogramm für die Insulinpumpentherapie. Entwickelt wurde INPUT von FIDAM mit Unterstützung der Berlin-Chemie AG. Professor Bernhard Kulzer ist einer der INPUT-Autoren. Hier spricht er über Standards, die Reaktionen von Diabetesteams und Patienten und darüber, was eine gute Schulung ausmacht.

Herr Professor Kulzer, bis zum fertigen Schulungs- und Behandlungsprogramm INPUT war es ein langer Weg – mit der Entwicklung wurde 2013 begonnen …

Kulzer: Ja, das ist eine lange Zeit, aber es hat auch viel Spaß gemacht. Zum einem haben wir das Programm mit über 100 Ärzten und Diabetesberatern entwickelt sowie Patienten befragt, was ein wenig länger dauert, sich aber absolut lohnt, da INPUT wirklich ein Programm von der Praxis für die Praxis ist. Es hat uns sehr gefreut, dass alle angefragten Schwerpunktpraxen auch tatsächlich mitgemacht haben. Die Begeisterung der beteiligten Diabetesberater und -beraterinnen und Ärzte und Ärztinnen hat uns motiviert, es richtig gut zu machen und hat auch das Unternehmen Berlin-Chemie motiviert, zu sagen: ‚Mensch, das unterstützen wir, das ist toll, hier gibt es einen wirklichen Bedarf.’

Aber all das nützt natürlich nichts, wenn die Patienten nicht begeistert sind. Vor allem deren positive Rückmeldung hat uns sehr viel Wind unter die Flügel gegeben! Zum anderen waren wir auch sehr gründlich und haben – glaube ich – alle Themen abgedeckt, die für die Schulung der Insulinpumpentherapie notwendig sind. Und natürlich dauert auch die Durchführung, Auswertung und Publikation einer randomisierten Studie eine gewisse Zeit.

An welchem Punkt der Therapie setzt INPUT ein?

Kulzer: Ein Schulungs- und Behandlungsprogramm für die DMP-Programme muss nach den Vorgaben des Bundesversicherungsamts völlig produkt- und industrieneutral sein – das ist eine Voraussetzung für die Zertifizierung.

Daher muss die Entscheidung für die Pumpe und die Einweisung in das jeweilige Pumpenmodell vor der Schulung erfolgen. Erst danach, wenn der Nutzer schon eine gewisse Grunderfahrung mit der Pumpe gesammelt hat, kommt die Schulung für die Insulinpumpentherapie.

Gab es denn einen bestimmten Impuls dafür, 2013 mit der Entwicklung von INPUT zu beginnen?

Kulzer: Ein wichtiger Punkt ist, dass für die Schulung der aufwendigen Insulinpumpentherapie bisher kein abrechenbares Schulungs- und Behandlungsprogramm existiert hat. Das bedeutet: Die Diabetesberaterinnen nehmen sich viel Zeit für die Beratung und Schulung der Patienten, bekommen dafür aber keine Honorierung. Außerdem soll INPUT die Insulinpumpentherapie nach vorne bringen. Ich glaube, dass die Pumpentherapie in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird. Da ist es schon wichtig, dass es einheitliche Strukturen gibt und die Schulungsinhalte in den verschiedenen Zentren zumindest ähnlich sind. Dass das bisher nicht so ist, haben wir schon am Anfang gemerkt. Bei der Entwicklung von INPUT haben wir mit 60 Schwerpunktpraxen zusammengearbeitet, und es wurde schnell klar: Jede Praxis macht die Pumpenschulung völlig anders.

Indem wir gemeinsam das Programm entwickelt haben, haben wir einige Standards gesetzt, die bestimmt jedem guttun werden – den Patienten und den Teams. Dass es das ist, was sich auch die Diabetesteams wünschen, zeigt sich an der großen Nachfrage nach den Anwenderseminaren.

Die Standardisierung war ein wichtiger Punkt des Pumpen-Pioniers Professor John Pickup während des DDG-Symposiums zu INPUT im Mai (s. Diabetes-Forum 6/2018).Er verspricht sich von einer Standardisierung der Schulung bessere Therapieergebnisse und eine bessere Kosten-Nutzen-Relation der Pumpentherapie – und damit gute Argumente gegenüber den Kostenträgern für eine stärkere Verbreitung der Pumpentherapie. Welche Standards werden jetzt durch INPUT gesetzt? Welche Anregungen der involvierten Diabeteszentren haben INPUT beeinflusst?

Kulzer: Bisher wird die Insulinpumpenschulung in Deutschland sehr, sehr unterschiedlich gelebt. Es gibt alles: von einer Krankschreibung über ein bis zwei Wochen bis hin zu einer Schulung, die wirklich nur die wesentlichen Grundlagen vermittelt. Auch Intervallschulungen werden angeboten. Zudem gibt es beim Umfang große Diskrepanzen.

Wir wollten am Anfang ein Programm, das mit sechs Stunden auskommt, aber die Vertreter der Praxen haben uns davon überzeugt, dass eine gute Schulung ja auch bedeutet, dass man sich wirklich mit den Werten beschäftigt und die heruntergeladenen Daten auswertet, dass man sich die Basalratenprofile anguckt.

Deshalb sind aus den sechs Stunden letztendlich zwölf geworden. Und es hat sich herausgestellt, dass die Besprechung der Daten von den Patienten besonders geschätzt wird und von den Ärzten als besonders effektiv angesehen wird.

"INPUT – so pumpt das Leben!"
INPUT ist das weltweit erste evaluierte Schulungs- und Behandlungsprogramm für die Insulinpumpentherapie. Entwickelt wurde es vom Forschungsinstitut der Diabetes-Akademie Bad Mergentheim (FIDAM) mit Unterstützung der Berlin-Chemie AG.
  • Zielgruppe: Menschen mit Insulinpumpentherapie, Erst- und Wiederholungsschulung
  • Umfang: 12 Kursstunden à 90 Minuten; ein bis zwei Termine pro Woche; ambulante Schulung; eine Schulungsstunde mit Angehörigen
  • empfohlene Gruppengröße: 3 – 8 Teilnehmer
  • Theorie: Empowerment, Selbstmanagement
  • evaluiert: ja, Evaluationsstudie mit 268 Patienten mit Insulinpumpentherapie; Ergebnisse: signifikante Senkung des HbA1c-Wertes und des Anteils der Patienten mit schweren Hypoglykämien im Vergleich zur Kontrollgruppe, Erhöhung des psychosozialen Wohlbefindens, signifikant positive Effekte auf die Behandlungskompetenz
  • Seminare für Anwender: Forschungsinstitut der Diabetes-Akademie Bad Mergentheim (FIDAM), Tel.: 0 79 31/5 94-170, E-Mail: seminare@fidam.de
  • Autoren: Prof. Bernhard Kulzer, Prof. Norbert Hermanns, Dr. Dominic Ehrmann, Dr. Bernhard Lippmann-Grob, Dr. Melanie Schipfer, Prof Thomas Haak

Material: 440 Charts für die Beamer-Präsentation, Curriculum, Karten- und Skalen-Set, Patientenbuch mit wesentlichen Kursinhalten und Arbeitsblättern (inkl. Code für den kostenlosen E-Book-Download) Die Materialien für Schulende und das Patientenhandbuch sind im Kirchheim-Shop erhältlich. Die INPUT-App soll ab Mitte 2019 erscheinen.

Was halten die Patienten, die als erste mit INPUT geschult wurden, von dem Programm?

Kulzer: Die fanden den Coaching-Ansatz und die Verfolgung eines eigenen Projektes während der Schulung sehr, sehr gut. Wir waren uns gar nicht so sicher, ob das von jedem akzeptiert wird – aber es ist hervorragend bewertet worden. Das Zweitwichtigste für die Patienten war tatsächlich die Besprechung der Glukosewerte, und die meisten fanden es auch sehr gut, dass sie endlich einmal strukturiert gezeigt bekommen haben, wie sie die Daten herunterladen und die Glukoseprofile interpretieren können.

Waren auch die Diabetologen und Diabetesberaterinnen mit dem Coaching-Ansatz einverstanden? Die haben bisher ja vielleicht ganz anders gearbeitet …

Kulzer: Beim Auswertungstreffen hat mich sehr überrascht, dass zwei Elemente sehr gut angekommen sind. Das eine ist der Coaching-Ansatz. Die Beraterinnen haben sich teilweise selbst ein Projekt vorgenommen und von ganz vielen tollen Projekten berichtet, die die Teilnehmer selbst gewählt und während der Schulung verfolgt haben.

Und das zweite sind die Emotionskarten. Wir waren uns nicht sicher, ob jeder damit umgehen kann. Aber die Arbeit mit den Karten haben viele als sehr gut bewertet. Es ist ein sehr einfacher Zugang, um über Einstellungen und Emotionen bezüglich des Diabetes zu sprechen.

Haben Sie ein persönliches INPUT-"Lieblingswerkzeug"?

Kulzer: Ich finde den Coaching-Ansatz wirklich wichtig. Der ist etwas Neues und für diese Patientengruppe sehr geeignet.

Was auch sehr gut angenommen worden ist, ist das Thema Fehlermanagement. Da geht es um den positiven Umgang mit Fehlern. Jeder Patient ist frustriert, wenn er sich anstrengt und die Werte dann doch ganz anders sind als erhofft. Den Umgang mit "Misserfolgen" in die Schulung aufzunehmen, hat sehr viel Sinn gemacht.

Gab es auch Teilnehmer, die mit der Art der Schulung nicht zurechtkamen?

Kulzer: Zu Anfang haben viele Ärzte und Berater gewarnt: Es wird ganz schwierig sein, die Patienten zu motivieren, die ja im Schnitt schon an vier Schulungen teilgenommen hatten. Viele Patienten sagen sich nämlich zu Recht: ‚Jetzt gehe ich wieder in eine Schulung und erfahre wieder, was eine BE und was eine Basalrate ist. Mich würden aber spezielle Inhalte zur Pumpe, zur Mustererkennung und zur Motivation interessieren.’

Deshalb war es ganz wichtig, dass die Teilnehmer vorher einen Flyer bekommen haben, auf dem stand, dass INPUT anders ist als eine normale Schulung, und dass es vor allem darum geht, die Technik besser zu nutzen (z. B. die verschiedenen Bolus- und Basalratenprofile) und dass es auch um die Einstellung zur Erkrankung und die Motivation gehen wird.

Waren demnach auch alle Teilnehmer bereit, sich auf Neues einzulassen?

Kulzer: Ja, und die Rückmeldung war oft: ‚Ich habe viel Neues gelernt.’ Die meisten der Teilnehmer haben ja schon sehr lange Diabetes. Die haben viel Erfahrung und haben trotzdem gesagt: ‚Von dieser Schulung habe ich profitiert. Der Ansatz ist neu und hat mir wirklich gut geholfen.’ Das war für uns das Wichtigste.

Wie geht es bei FIDAM weiter mit INPUT?

Kulzer: Ein großes Thema ist die Digitalisierung. Drei Punkte stehen auf unserer Agenda: Wir wollen Erklärfilme über die Pumpe drehen, die man in der Schulung einsetzen kann, die aber auch z. B. für Angehörige geeignet sind. Und dann wollen wir eine INPUT-App entwickeln, die bestimmte Elemente aus der Schulung aufgreift und Schulungsinhalte auf eine andere Art und Weise aufbereitet (z. B. Videos statt Folien). Auch Arbeitsblätter sollen über die App abrufbar sein.

Wir wollen auch eine Gamifizierung, also spielerische Elemente, einbauen. Mit einem Quiz oder Einschätzungsfragen soll man so mit Spaß sein Wissen testen können. Außerdem planen wir als drittes Element eine App für die Zeit nach der Schulung. Und schon jetzt besteht die Möglichkeit, das Schulungsbuch als E-Book auf jedes Endgerät – z. B auf ein Smartphone – herunterzuladen.

Bei INPUT ist vieles neu und anders. Wird sich das auf andere Schulungsprogramme auswirken?

Kulzer: Ja. Ich glaube schon, dass man die Schulung digital unterstützen und ergänzen kann mit den Inhalten, die Menschen sich zu Hause selbst durchlesen können. Das wird die Zukunft sein: Die Präsenzschulung wird ergänzt durch weitere Möglichkeiten, mehr über die Pumpentherapie zu erfahren und zu lernen.

Die Evaluationsstudie brachte sehr positive Ergebnisse. Hatten Sie das so erwartet?

Kulzer: Ich habe noch nie so durchgängig positive Ergebnisse bei einer Schulungsstudie gesehen. Dass sich gleichzeitig der HbA1c-Wert sowie die Lebensqualität verbessert und die Rate an Hypoglykämien sowie der diabetesbezogene Stress reduziert, habe ich bisher noch in keiner unserer Schulungsstudien so konsistent gesehen.

Und Sie freuen sich sogar mehr über die Verbesserung der Selbstmanagement-Fähigkeiten als über die Verbesserung des HbA1c-Wertes, oder?

Kulzer: Ja, weil ich finde, dass das eigentlich die wichtigste Outcome-Variable einer Schulung ist. Dass die Teilnehmer intensiver als zuvor die Funktionen der Pumpe nutzen, ist ja genau das, was man mit der Schulung erreichen will. Die Umsetzung der Schulungsinhalte im Alltag – das ist das, was man sich als Entwickler wünscht und was die Grundlage für eine langfristige Verbesserung der Therapie ist.

Und für uns ist natürlich auch wichtig, dass die Teilnehmer die Rückmeldung geben, dass es ihnen nach der Schulung besser geht, dass sie das Gefühl haben, die Schulung hilft ihnen bei der Bewältigung der Erkrankung, dass sie das Gefühl haben, selbstwirksam zu sein und ihre Selbstmanagement-Fähigkeiten verbessert zu haben. Viele Menschen mit Diabetes haben eine reduzierte Lebensqualität – für sie sollte Schulung natürlich auch ein Problemlöser sein und nicht nur eine HbA1c-Verbesserung bringen.

Wie ist der Stand bei der Publikation der Studie?

Kulzer: Die Studie wurde gerade von Diabetes Care zur Publikation angenommen. Damit können wir den nächsten Schritt der Zertifizierung angehen und INPUT über eine Krankenkasse beim Bundesversicherungsamt (BVA) einreichen. Wenn der Bescheid des BVA positiv ist, heißt das erst einmal nur, dass das Programm in die DMPs integriert werden kann. Es muss dann in den verschiedenen KV-Bezirken in die Verträge aufgenommen werden – erst dann wird INPUT auch vergütet.

Es liegt also noch ein letzter Schritt vor uns … Wobei man da auch nicht zu kritisch sein darf. Die Mühlen mahlen in Deutschland ein bisschen langsam, aber es gibt kein anderes Land, wo es, wenn ein Schulungsprogramm erst einmal in den Verträgen steht, eine so große Planungssicherheit für Patienten, Diabetesteams und auch die Ärzte gibt.



Interview: Nicole Finkenauer
Redaktion Diabetes-Forum
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2018; 30 (10) Seite 38-41