1976 wurde die Insulinpumpe erfunden. 2018 gibt es erstmals ein evaluiertes Pumpen-Schulungs­programm: INPUT. Was macht INPUT aus? Was kann es? Antworten gab es während der DDG-Tagung in Berlin.

Auch in der Diabetologie treffen Voraussagen für die Zukunft selten zu 100 Prozent ein. Die Besucher des Symposiums zur Einführung von INPUT, dem neuen Schulungsprogramm zur Insulinpumpentherapie, schmunzelten, als der Vorsitzende Professor Dirk Müller-Wieland daran erinnerte, dass Pumpen-Pionier Professor John Pickup 1984 für die nähere Zukunft ein gut funktionierendes Closed Loop-System prophezeit hatte. Und John Pickup selbst wies wenig später darauf hin, dass Experten in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts der Meinung waren, schon bald würden Diabetiker von einem künstlichen Pankreas profitieren können.

Manchmal dauert es eben etwas länger – das zeigt sich auch an INPUT, das neben dem prominenten Gastredner Pickup aus London der Star des Symposiums war. Kein Wunder: INPUT ist wirklich das weltweit erste evaluierte Schulungs- und Behandlungsprogramm für die Insulinpumpentherapie.

Entwickelt wurde INPUT vom Forschungsinstitut der Diabetes-Akademie Mergentheim (FIDAM) mit Unterstützung der Berlin-­Chemie AG. An dem sechsjährigen Entwicklungsprozess waren maßgeblich Diabetologen und Diabetesberaterinnen aus ganz Deutschland beteiligt; wichtig war zudem das ­direkte Feedback der Patienten.

Bewährte Kooperation

Wie schon bei den Programmen PRIMAS und HyPOS hat FIDAM auch bei INPUT auf die Unterstützung des Unternehmens Berlin-Chemie AG zählen können.

„Mit Berlin-Chemie haben wir deshalb einen guten Partner, weil sich das Unternehmen in die Inhalte der Schulung zu 0 Prozent einmischt. (...) Ich finde auch gut, dass es bei Berlin-Chemie eine gewisse Kontinuität gibt, so ein Commitment für Aufklärung, für Patientenedukation. Das ist eine strategische Ausrichtung, die über lange Jahre verfolgt wird, und nicht wie bei anderen Firmen nur ein kurzzeitiges Strohfeuer“, so INPUT-Autor Professor Bernhard Kulzer in einem früheren Interview.

Große Herausforderungen

Wie wichtig es ist, ein Schulungs- und Behandlungsprogramm für die Insulinpumpentherapie zu entwickeln und zu evaluieren, machte Professor John Pickup deutlich. Voraussagen für die Zukunft wollte er keine treffen – wohl aber nannte er vier Herausforderungen, die die nächsten Jahren prägen werden:

  1. Den Zugang zu Insulinpumpen verbessern. Wie viele Menschen mit Diabetes eine Insulinpumpe nutzen können, unterscheidet sich von Land zu Land sehr stark, oft gibt es sogar große regionale Unterschiede innerhalb eines Landes.
  2. Die Insulinpumpentherapie erschwinglich machen. Die Insulinpumpentherapie ist kosteneffektiv, wird aber aufgrund der anfänglichen Kosten für die Pumpe trotzdem nicht in allen Fällen, in denen sie sinnvoll wäre, angewandt.
  3. Neben High-Tech auch Low-Tech realisieren. Außer hoch technisierten Pumpen sollte es auch einfacher ausgestattete, robuste Pumpen geben. „Wir wissen, dass Pumpen auch bei Typ-2-Diabetes effektiv sind und Kosten sparen – aber nicht mit dem, was man Typ-1-Pumpe nennen könnte“, so Pickup.
  4. Die Technik bestmöglich nutzen. Viele Pumpennutzer „erreichen das Ziel von einem HbA1c von 6,5 Prozent nicht“, so Pickup. „Überraschenderweise fehlten bis jetzt standardisierte, schriftlich festgehaltene und getestete Schulungprogramme. Der Beweis, dass solche Programme gebraucht werden, ist die große Variabilität in der Effektiviät der Insulinpumpentherapie.“ Würden Pumpen effektiv genutzt, könnten sie rentabler werden.

Das ist INPUT

Die Arbeit an INPUT hat schon 2013 begonnen; es folgten Workshops mit Diabetologen und Diabetesberaterinnen aus ca. 60 Schwerpunktpraxen, die Evaluationsstudie und „Train the Trainer“-Seminare. Was sagen diejenigen, die an der Entwicklung mitgewirkt und schon Erfahrungen gesammelt haben? „Das Besondere an INPUT ist, dass es wirklich interaktiv ist.“ – „Es zeigt den Patienten: Was steckt denn noch alles in meinem Gerät drin?“ – „INPUT ist cool!“ – Es wird von den Patienten deshalb so gut angenommen, weil es viel Raum gibt für Erfahrungsaustausch (…), und die Patienten haben die Möglichkeit, selbst ihre Erkrankung zu managen.“ (Zitate aus einem Video, das während des Symposiums gezeigt wurde.)

Wie erklärt sich diese Begeisterung? Antworten konnte man aus Professor Kulzers ausführlicher Vorstellung von INPUT heraushören. Zielgruppe sind alle Menschen mit einer Insulinpumpe über 16 Jahre mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes. Gedacht ist die Schulung nicht nur für Pumpeneinsteiger – sondern insbesondere auch für Patienten, die eine Wiederholungsschulung brauchen und die, so Kulzer, eine „suboptimale Therapie haben“.

Dass diese Patienten meist schon einige Schulungen besucht haben, war für die INPUT-Entwickler und -Gestalter eine besondere Herausforderung. Professor Kulzer: „Wir haben uns sehr bemüht, ein Schulungsprogramm zu machen, das nicht so ausschaut wie die anderen 4, 5 Schulungen, die die Patienten vorher schon gemacht haben. (...) Und deshalb haben wir versucht, die Materialien sehr patientenzentriert und motivierend zu gestalten.“

Selbstmanagement extrem

INPUT soll motivieren, soll zur Zielbestimmung und zum Fehler­management anregen und soll helfen, „generalisierbare Problemlösestrategien für Patienten in differenzierten Alltagssituationen zu finden“. Kulzer nannte als theoretischen Hintergrund den Selbstmanagement-Ansatz: „Diesen Ansatz haben wir hier extremst gelebt.“ Und: „Schulung lebt nur, wenn sie in den Alltag der Patienten transferiert wird. (…) Die Patienten wissen schon eine ganze Menge. Sie schaffen es nur nicht, dieses Wissen jeden Tag umzusetzen.“ Gelingen soll das u. a. mit einer Bestandsaufnahme der derzeitigen Situation und mit Projekten, die die Teilnehmer selbst definieren und umsetzen.

INPUT beinhaltet deshalb sehr viele Übungsaufgaben. Alle Teilnehmer müssen außerdem ihre Daten in den Kurs mitbringen. Etwa ein Drittel der Schulungszeit wird für die gemeinsame Besprechung der Werte reserviert, so Kulzer, „und das wird von den Patienten sehr wertgeschätzt. Eigentlich redet man dann nicht mehr über die Werte, sondern über den Alltag des Patienten – man sieht an den Werten, wie ein Patient fühlt, tickt und wie er sich verhält.“

Struktur, Struktur, Struktur

Ein wichtiges Ziel bei INPUT ist, zu lernen, wie man Strukturen und Muster in den Glukosewerten erkennt und für sich nutzt, wie man die für die Therapieanpassung wichtigen Informationen herausfiltert und wie ein erfolgreiches Datenmanagement gelingt. Zu diesem Themenkomplex gehören auch die regelmäßige Überprüfung der Basalrate, der Bolusraten, der KE/BE-Faktoren, der Korrekturfaktoren – und die Fähigkeit, das Gelernte im Alltag anzuwenden.

Jeder Teilnehmer muss während der Schulung ein oder zwei unterschiedliche Basalratenprofile anlegen und auch den Bolus­kalkulator einmal bedienen. So sollen die Teilnehmer lernen, die technischen Möglichkeiten der Pumpe besser zu nutzen. Auch die Schätzung von KE/BE-Gehalten wird geübt.

Nicht frontal, sondern gemeinsam

Bei INPUT steht im Vordergrund nicht der Frontalvortrag vor der Schulungsgruppe, sondern die Vorstellung von Beispielen, mit deren Hilfe die Patienten einen eigenständigen Umgang mit bestimmten ­Situationen erarbeiten können (z. B. Pumpe in der Öffentlichkeit, Sex, kurzes Ablegen der Pumpe). Eine wichtige Rolle spielt der Erfahrungsaustausch, „das regen wir sehr stark an, mit geleiteten Diskussionen zu wichtigen Themen“, so Kulzer. In die zehnte INPUT-Stunde werden die Angehörigen eingebunden. ­Fehlermanagement ist ein weiteres zentrales INPUT-Element.

Ganz neue Möglichkeiten

Folien gibt es bei INPUT keine mehr, sondern ausschließlich eine Beamer-Version, die immer wieder aktualisiert werden kann und Schulenden viele Möglichkeiten bietet: Folien können ausgeblendet oder in eine andere Stunde gezogen werden, eine Folie kann sich langsam aufbauen, wenn Inhalte zuerst mit den Patienten erarbeitet werden sollen. Auch speziell gekennzeichnete „optionale Folien“ können eingeblendet werden.

Schulende können außerdem auf ein Curriculum von 380 Seiten zurückgreifen. In den Stunden können Emotionskarten und Selbsteinschätzungskarten genutzt werden. Das Patientenbuch (mit E-Book-Code) ist zweigeteilt, so dass die Arbeitsblätter einen eigenen Platz haben.

So wirkt INPUT – die Evaluationsstudie

Die spannendste Frage für die Autoren und alle aus dem INPUT-Team: Zeigt die Schulung mit INPUT auch die gewünschte Wirkung? Dr. ­Dominic Ehrmann, Psychologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei FIDAM, stellte die Ergebnisse der Evaluationsstudie vor – und dankte ausdrücklich den Studienzentren und dem Unternehmen Berlin-Chemie, „nicht nur für die Unterstützung bei der Entwicklung, sondern auch für die Unterstützung der Studie“.

Eingeschlossen in die randomisierte, kontrollierte Studie wurden 268 Teilnehmer zwischen 16 und 75 Jahren mit ­Typ-1- oder Typ-2-Diabetes, bei denen die Therapieparameter für die Insulinpumpentherapie bereits etabliert waren. Dr. Ehrmann: „So konnten wir den Schulungseffekt abgrenzen vom Therapieeffekt der Insulinpumpentherapie.“ Der HbA1c-Wert der Teilnehmer lag bei mindestens 7,5 und höchstens 13 Prozent.

Ende 2017 wurden die Daten ausgewertet. Das wichtigste Ziel im Hinblick auf die Zertifizierung wurde erreicht: Das HbA1c war in der INPUT-Gruppe im 6-Monats-Follow-up signifikant gesunken, und zwar von 8,33 auf 8,04 Prozent. Zieht man hiervon die Senkung von 0,06 Prozent in der Kontrollgruppe ab, ergibt sich ein Netto-Effekt von 0,22. Beeindruckend: Der HbA1c-Wert verbesserte sich über die ganze Bandbreite der Ausgangswerte.

Wie sieht es bei den sekundären Endpunkten aus? Sechs Monate nach der Schulung war die Rate an schweren Hypos (mit ­Fremdhilfe) signifikant niedriger „Die Kontrollgruppe hat ein dreieinhalb bis viereinhalb erhöhtes Risiko für eine schwere Hypo“, so Ehrmann.

Schulungs- und Behandlungsprogramm „INPUT – So pumpt das Leben!“
INPUT ist das weltweit erste evaluierte Schulungs- und Behandlungsprogramm für die Insulinpumpentherapie. Entwickelt wurde es vom Forschungsinstitut der Diabetes-Akademie Bad Mergentheim (FIDAM) mit Unterstützung der Berlin-Chemie AG.
  • Zielgruppe: Menschen mit Insulinpumpentherapie, Erst- und Wiederholungsschulung
  • Umfang: 12 Kursstunden à 90 Minuten; ein bis zwei Termine pro Woche; ambulante Schulung; eine Schulungsstunde mit Angehörigen
  • empfohlene Gruppengröße: 3 - 8 Teilnehmer
  • Ansatz: Empowerment, Selbstmanagement
  • evaluiert: ja, Evaluationsstudie mit 268 Patienten mit Insulinpumpentherapie; Ergebnisse: signifikante Senkung des HbA1c-Wertes und des Anteils der Patienten mit schweren Hypoglykämien im Vergleich zur Kontrollgruppe, Erhöhung des psychosozialen Wohlbefindens, signifikant positive Effekte auf die Behandlungskompetenz
  • Seminare für Anwender: Termine über diabetes-schulungsprogramme.de
  • Autoren: Prof. Bernhard Kulzer, Prof. Norbert Hermanns, Dr. Dominic Ehrmann, Dr. Bernhard Lippmann-Grob, Dr. Melanie Schipfer, Prof. Thomas Haak
  • Material: 440 Charts für die Beamer-Präsentation, Curriculum, Karten- und Skalen-Set, Patientenbuch mit wesentlichen Kursinhalten und Arbeitsblättern (inkl. Code für den kostenlosen E-Book-Download)

Die Materialien für Schulende und das Patientenhandbuch sind unter www.kirchheim-shop.de erhältlich.

Zudem ist es gelungen, durch INPUT psychosoziale Effekte zu erzielen: Diabetesbezogene Belastungen und Depressivität konnten gesenkt werden, Selbstmanagement und Empowerment verbesserten sich, die Zufriedenheit war größer als vor der INPUT-Schulung. Und auch verhaltensbezogene Effekte ließen sich nachweisen, denn in der INPUT-Gruppe war der Anteil derjenigen, die die temporäre Basalrate nicht nutzten, signifikant reduziert, auch wurden die Bolus-Optionen häufiger genutzt.

Die Inhalte von INPUT entsprechen den aktuellen Leitlinien zur Insulinpumpentherapie und zur ­Diabetesschulung. INPUT ist kompatibel mit der Risikostrukturausgleichsverordnung (rechtliche Grundlage für DMPs).

Zertifizierung und Abrechenbarkeit

Regionale, zur Zertifizierung angemeldete Fortbildungsseminare für Ärztinnen und Ärzte, Diabetesteams und qualifiziertes Schulungspersonal werden (ab Sommer) von FIDAM in Kooperation mit Berlin-Chemie angeboten. Dafür wurden an der Evaluationsstudie beteiligte Diabetesberater und Ärzte ausgebildet. Die Teilnahme berechtigt dazu, INPUT abzurechnen, sobald es in die KV-Verträge aufgenommen wurde. Professor Kulzer: „Die Publikation ist eingereicht, und wir hoffen, nach Annahme der Publikation auch den Antrag auf Zertifizierung bei der DDG und dem BVA einreichen zu können.“

Blick in die Zukunft: die App

Ist die Digitalisierung für die Praxen gut oder schlecht? Brauch man sie oder nicht? Aus Sicht des niedergelassenen Diabetologen Dr. ­Stefan Gölz aus Esslingen hat die Digitalisierung schon Einzug gehalten: „Die Betreuung von Menschen mit Typ-1-Diabetes und Pumpentherapie ist bereits eine digitale Betreuung.“

Gehört dann nicht zum INPUT-Schulungsprogramm auch eine begleitende App? Ja, aber die wird voraussichtlich erst ab Mitte 2019 verfügbar sein. Als mögliche Features nannte Dr. Gölz: Arbeiten direkt in der App – Zugriff auf INPUT-Arbeitsblätter – Auswertung der Arbeitsblätter – Erinnerungsnachrichten (Push-Nachrichten) – Videos – Lernspiele.



Autorin: Nicole Finkenauer
Redaktion Diabetes-Forum
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2018; 30 (6) Seite 28-31