In Deutschland werden jedes Jahr 40.000 Beinamputationen bei Menschen mit Diabetes durchgeführt, jede zweite oberhalb des Sprunggelenks (Majoramputation). Die Hälfte wäre vermeidbar, würden die Patienten früher in spezialisierten Ambulanzen oder stationären Einrichtungen behandelt – und wäre der Fußerhalt nicht vergleichsweise ökonomisch unattraktiv. Wie das geändert werden kann, diskutieren Experten Anfang Dezember auf dem 2. Nürnberger Wundkongress.

Das diabetische Fußsyndrom ist gefürchtet und die im wahrsten Sinne einschneidendste Diabeteskomplikation: Denn häufig wird das Fußsyndrom von Infektionen begleitet, die in einer Amputation enden können. 40.000 Patienten erleiden jedes Jahr den Verlust von Gliedmaßen infolge eines diabetischen Fußulkus.

Strukturierte Behandlungsansätze reduzieren die Ampuationsrate

Gerade die Zahl der Majoramputationen ist in Deutschland nach wie vor viel zu hoch, kritisiert Prof. Dr. Ralf Lobmann, ärztlicher Direktor der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie am Klinikum Stuttgart und Sprecher der AG Fuß der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG): „Das Risiko für eine Majoramputation beträgt in der Regelversorgung 10 bis 20 Prozent. Dagegen warten die DDG-zertifizierten Einrichtungen mit einer Rate von 3,2 Prozent auf. Die Zahl zu reduzieren ist also machbar!“ Vorausgesetzt, dass rechtzeitig strukturiert auf den Fußerhalt hin behandelt werde.

Natürlich ist der Hausarzt der erste Ansprechpartner. Doch müssten Patienten mit Diabetes, einer bekannten Gefäßkomplikation und einer schlecht heilenden Wunde zügig in eine Schwerpunktpraxis, Fußambulanz oder geeignete stationäre Einrichtung geleitet werden. „Viele Patienten kommen zu spät in zertifizierte Zentren“, sagt Lobmann. Oft vergingen 12 Wochen und mehr und damit wertvolle Zeit.

In Holland etwa ist geregelt, dass eine Wunde, die fünf Wochen keine Heilungstendenz zeigt, in einer speziellen Wundsprechstunde vorgestellt werden muss. „Sieben Wochen mehr Zeit, auf höherstufiger Versorgungsebene den Fuß zu retten“, sagt Lobmann.

Fehler im System: Amputationen ökonomisch attraktiver als Fußerhalt

Dazu kommt ein strukturelles Problem in Deutschland: Im Rahmen der Ökonomisierung der Medizin gerate der Extremitätenerhalt leicht in den Hintergrund zugunsten der finanziell attraktiveren und von der Liegezeit her angemessenen Amputation, erläutert der Fachmann.

Die langwierigen konservativen Bemühungen um den Fuß bedeuteten bis zu 40 Tage Krankenhausaufenthalt – und der mögliche Erfolg der Behandlung spielt bislang für die Vergütungsbewertung keine Rolle. „Das ist ein Fehler im System“, so Lobmann. Zumal die Kostenrechnung in Deutschland insgesamt viel zu kurz greife.

Ganz davon abgesehen dürften an erster Stelle die Konsequenzen für die Betroffenen nicht unterschätzt werden: Jeder fünfte Patient verstirbt infolge der Operation, weitere 20 Prozent innerhalb der folgenden 12 Monate. Gerade für ältere Patienten mit Herz-Kreislauf-Vorerkrankungen bedeute der Verlust eines Beins eine enorme Kreislaufumstellung und die Gefahr einer deutlichen Verschlechterung der kardialen Erkrankung. Auch der Mobilitätsverlust bildet sich unmittelbar in der Sterblichkeit ab.

Pilotversuch in Baden-Württemberg: Telemedizinische Zweitmeinung

Um die Zahl der Majoramputationen zu senken fordern Experten ein obligatorisches Zweitmeinungsverfahren. Um ein solches aber insbesondere in ländlichen Regionen realisieren zu können, in denen es an spezialisierten Fußambulanzen oder „dem Experten um die Ecke“ schlicht fehlt, hat die AG Fuß in Baden-Württemberg ein telemedizinisches Zweitmeinungsverfahren auf den Weg gebracht.

Dabei werden via Tablet die entscheidungsrelevanten Daten und Befunde an einen Spezialisten übermittelt. Auf diese Weise ließe sich auch sicherstellen, dass keine zwingend nötigen Untersuchungen ausgelassen wurden. Ohne eine Bildgebung der Gefäße beispielsweise dürfe bei einem elektiven Eingriff gar nicht über eine mögliche Amputation entschieden werden, betont Lobmann. Über einen Testlauf für ein Jahr mit fünft beteiligten Kliniken ausdrücklich nicht der Maximalversorgung wird aktuell mit Kostenträgern verhandelt.

„Das Konzept ist auch unter dem Aspekt der Qualitätssicherung im Krankenhaus interessant“, sagt Lobmann. Es verschaffe dem Operateur, vor allem aber dem Patienten Sicherheit. Denn klar ist: Nicht immer wird sich eine Amputation vermeiden lassen. Mit der Zweitmeinung eines Experten, ist Lobmann sicher, ist ein solch gravierender Einschnitt für den Patienten eher zu akzeptieren und zu ertragen.

Nürnberger Wundkongress: „Wunde des Diabetikers – ein unlösbares Problem?“

Als klassische interdisziplinäre Herausforderung steht das diabetische Fußsyndrom beim interdisziplinär und interprofessionell ausgerichteten Nürnberger Wundkongress in verschiedenen Sitzungen, Seminaren und Workshops im Fokus, die sich je nach Schwerpunkt an Ärzte und an Pflegefachkräfte richten und die bestmögliche Versorgung der Patienten zum Ziel haben.

Alles auf einen Blick:


Was:  2. Nürnberger Wundkongress
Schirmherrschaften:   Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e. V. (DGfW), Initiative Chronische Wunden e. V. (ICW) und Klinikum Nürnberg mit der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität
Wann:  5. bis 7. Dezember 2019
Wo:   Messezentrum Nürnberg
NürnbergConvention Center (NCC West)
Messezentrum
90471 Nürnberg
Weitere Infos:   www.nuernberger-wundkongress.de

So werden beispielsweise neue Erkenntnisse zur Entstehung des Diabetischen Fußsyndroms erörtert, innovative Versorgungskonzepte vorgestellt, optimale Behandlungsstrukturen aufgezeigt, neue Verbandstechniken zur Druckentlastung vermittelt oder die Bedeutung der Patientencompliance hinterfragt. Einen Überblick gibt das Kongressprogramm.



Quelle: Pressemitteilung von Conventus Congressmanagement