Gibt es Evidenz für neuere Methoden der Wundtherapie – oder ist das alles Hokuspokus? Und wie sollte man mit der neuen Risikogruppeneinteilung beim DFS umgehen? Ein Symposium der AG Diabetischer Fuß auf der Diabetes Herbsttagung 2024 zeigt Diabetes-Teams Wege auf.
Zu den neueren Methoden der lokalen Wundtherapie, die über Druckentlastung und weitere Standards hinausgehen, gibt es nur wenige verblindete RCTs. „Die Hypes um so manche Methode sind auf der Basis der Studienlage nicht gerechtfertigt“, meinte Dr. Florian Thienel, Quakenbrück. So könne der Einsatz eines autologen Fibrin-Patches zwar leitliniengerecht „nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Standardbehandlung ohne Abheilungserfolg“ erwogen werden. Für autologe Leukozyten/Thrombozyten/Fibrin-Patches und synthetischen Hautersatz (Amnion/Chorion-Membranen) seien aber momentan weder die Verfügbarkeit in Deutschland noch die Kostenerstattung geklärt.
Die hyperbare Sauerstofftherapie (HBOT) und die Unterdruck-Wundtherapie (NPWT) seien unter bestimmten Voraussetzungen gemäß G-BA-Beschlüssen verordnungsfähig. Dies sei für Kaltplasma (CPT) und die topische Sauerstofftherapie noch nicht möglich. Dr. Thienel erachtet deren Anwendung derzeit nur in Studien als sinnvoll, um Evidenz zu generieren. Bei der Wundabdeckung mit Fischhaut reichen ihm die Ergebnisse der ersten gefäßchirurgischen Studie nicht aus, zumal er die Therapiefinanzierung auch für diese Methode als kritisch ansieht.
Wichtig: ein präziser Verordnungstext
Am 21.04.2024 wurde die neue Risikogruppeneinteilung beim Diabetischen Fußsyndrom (DFS) und bei analogen Neuro-Angio-Arthropathien von der AG Diabetischer Fuß der DDG und dem Beratungsausschuss der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie (DGOOC) für Orthopädieschuhtechnik verabschiedet.
Mit der Schuh- und Einlagenverordnung kennt sich der Kölner Orthopädieschuhmachermeister Leo Lelgemann aus. Es sei sehr wichtig, dass die Risikogruppen „von der Diagnose und der Verordnung gestützt werden“. Wie Lelgemann erklärte, ist die Risikogruppe 2a durch das Vorliegen einer Polyneuropathie (PNP)/peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK), nicht durch den Fußzustand gekennzeichnet. Betroffene erhalten eine schuhtechnische Regelversorgung durch für DFS geeignete Schuhe und ggf. Einlagen.
Einteilung in Risikogruppen
Die neue Risikogruppen-Einteilung bei DFS und bei analogen Neuro-Angio-Arthropathien wird in einem Artikel auf dem Fachportal des Bundesinnungsverbandes für Orthopädie-Technik vorgestellt. Einer der Autoren ist Dr. Karl Zink, Bad Mergentheim, stv. Sprecher der AG Diabetischer Fuß.
Tabelle mit den Risikogruppen
Risikogruppe | Diagnose | Versorgung |
Diabetes ohne Folgekomplikationen und ohne orthopädisch relevante Fußveränderungen | Fußgerechte Konfektionsschuhe, angemessene Fußhygiene | |
Keine diabetesbedingten Folgekomplikationen an den Füßen, aber orthopädische Probleme (von einfachen Spreizfüßen bis hin zu komplexen Deformitäten) | Versorgung nach rein orthopädischen Gesichtspunkten | |
Sensibilitätsverlust und/oder relevante periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) | Für DFS geeignete Schuhe mit ausreichendem Innenvolumen sowie herausnehmbare Weichpolstersohlen | |
| Keine zusätzlichen Risikofaktoren | Empfohlene Schuhversorgung ist keine GKV-Leistung |
| Zusätzliche Risikofaktoren wie drohende dorsale Ulzera bei unzureichender Zehenfreiheit im einlagengerechten Konfektionsschuh, präulzerative Veränderungen wie Clavi oder eingeblutete Hyperkeratosen, dialysepflichtige Niereninsuffizienz | DFS-Spezialschuhe mit diabetesadaptierten Fußbettungen (DAF) gemäß Hilfsmittelverzeichnis PG 31, damit zulasten der GKV verordnungs- und erstattungsfähig |
Abgeheiltes Ulkus mit Rezidivrisiko von ca. 35 bis 40 % pro Jahr | DFS-Spezialschuhe mit diabetesadaptierten Fußbettungen (DAF), ggf. Anpassung zur erforderlichen Druckentlastung | |
Risikogruppen 2 und 3 mit Deformitäten oder Dysproportionen wie z. B. Zehenfehlstellungen | Maßschuhe mit diabetesadaptierter Fußbettung und orthopädischen Zusatzfunktionen (Abrollsohle, Sohlenversteifung, Schaftverarbeitung) | |
Charcot-Neuroarthropathie (CNO), ersetzt die früheren Bezeichnungen DNOAP/Charcotfuß | Minimalversorgung: überknöchelhohe Maßschuhe mit DAF, in Ausnahmefällen auch Spezialschuhe bei DFS mit DAF. Je nach Ausprägung und Lokalisation zusätzliche Schaftversteifungen, Arthrodesenkappen oder gegebenenfalls Innenschuhe/Orthesen | |
Zustand nach Amputation auf mindestens transmetatarsalem Niveau | Orthopädische Maßschuhe mit exakt anmodellierten diabetesadaptierten Fußbettungen, wirkungsvollen Abrollsohlen, Sohlenversteifung und kosmetischem Vorfußersatz aus weichem Material. Je nach Zustand der Fußstümpfe ggf. zusätzliche Stützlaschen und Fersenführungen bzw. spezielle unterschenkelhohe oder bis zum Knie reichende Vorfußersatzprothesen | |
Akute Läsionen oder aktiver CNO | Vor Hilfsmittelverordnung ist eine notwendige chirurgische Intervention abzuklären | |
| Nicht plantare Läsionen | konfektionierte Verbandsschuhe |
| Aktive CNO ohne Läsion mit sehr großem Risiko drohender Sinterung der knöchernen Strukturen | Ausschaltung der Fußgelenkbewegungen und der Tibiarotation durch individuelle kniehohe Orthese mit DAF, alternativ Vollkontaktgips (TCC) |
| Plantare Läsionen außerhalb der Fersenregion | Nicht abnehmbare, kniehohe konfektionierte Orthese, um bessere Abheilungsrate der Wunden zu sichern (außer bei höhergradiger pAVK oder Infektion) |
| Plantare Fersenulzera | Individuelle, nicht abnehmbare, kniehohe Fersenentlastungsorthesen, die eine funktionelle Fixierung des Fußes in maximaler Dorsalextension im OSG ermöglichen |
Tabelle zusammengestellt von Antje Thiel; Quelle: 360-ot.de/neue-risikogruppeneinteilung-beim-diabetischen-fusssyndrom-dfs-und-bei-den-analogen-neuro-angio-arthropathien/ |
Die Risikogruppen „verlaufen nicht chronologisch“, so Lelgemann, „ab Risikogruppe 2b sprechen wir von einem DFS“, also einem Risikofuß, bedingt durch PNP/PAVK und zusätzliche Faktoren. Lelgemann betonte, wie bedeutend die Angabe der Zusatzkriterien ist, damit die Genehmigung durch die Krankenkasse ihren Gang nehmen kann. Als Beispiel beschrieb er Risikogruppe 4, den Risikofuß durch PNP/PAVK und Disproportion/Deformität. Hier gelte es, bei der Diagnose die konkrete Fuß-/Zehenfehlstellung anzugeben.
Risikogruppe 7 wurde in vier Untergruppen aufgeteilt. Neben Ruhigstellung und Entlastung richte sich die individuelle Auswahl der Hilfsmittel nach den Empfehlungen der IWGDF-Leitlinien. „Und, ganz wichtig, den Gegenausgleich nicht vergessen“, sagte Lelgemann. Für Risikogruppe 3 (Z. n. Ulkus) sollte die Ulkus-Lokalisation exakt angegeben werden. Denn: Patient*innen könnten aufgrund von Sprachbarrieren oder anderen Gründen, oft nicht genau genug beschreiben, was vorgefallen sei. Für die Risikogruppen 2 (a/b), 4 und 7 gebe es eine klare Empfehlung für die Regelversorgung. Dagegen bleibe für die Gruppen 3, 5 und 6 ein „Interpretationsspielraum“.
von Dr. Karin Kreuel