Mit einem neuen Gesetz will die Bundesregierung die gesetzlichen Krankenversicherungen finanziell stabilisieren. Gesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach versprach anlässlich der Lesung im Bundestag, dass es trotzdem keine Leistungskürzungen für Patienten geben wird. Diese Einschätzung teilt die Pharmaindustrie allerdings nicht. Sie sieht auch bei Diabetes den medizinischen Fortschritt in Gefahr.

Der Bundestag hat unlängst das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz beschlossen. Ein wesentlicher Baustein des Reformkatalogs: Pharmaunternehmen können künftig nur noch dann einen höheren Preis für neue Medikamente abrechnen, wenn diese einen erheblichen oder beträchtlichen Zusatznutzen für den Patienten haben. Bei nur geringfügigen Verbesserungen gegenüber älteren Präparaten gilt weiterhin der alte Preis. Bewertet wird der Nutzen neuer Präparate im Rahmen des AMNOG-Verfahrens, das den Ausgangspunkt für die Preisverhandlungen zwischen dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen und den pharmazeutischen Herstellern darstellt.

Diese Neuregelung könnte dazu führen, dass Patienten seltener vom medizinischen Fortschritt profitieren, wie unlängst in einer Pressekonferenz des Arzneimittelherstellers Novo Nordisk mit Hans-Holger Bleß von Beratungsunternehmen fbeta deutlich wurde. Gerade bei Erkrankungen wie Diabetes, für die es schon zahlreiche Behandlungsoptionen gibt, sei der Zusatznutzen neuer Präparate oftmals nur gering, erklärte Bleß. Kleine Innovationsschritte bildeten vielfach jedoch die Grundlage des langfristigen medizinischen Fortschritts, hieß es. Wenn sich diese Schritte für die Medikamentenhersteller nicht mehr auszahlen, lohnt sich Forschung in diesem Bereich nicht mehr, warnte Bleß sinngemäß – denn Quantensprünge seien in der Diabetestherapie derzeit nicht zu erwarten.

Knackpunkt ist in diesem Zusammenhang die Bewertung des Zusatznutzens eines neuen Medikaments, die vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) vorgenommen wird. Damit ein erheblicher oder beträchtlicher Zusatznutzen bescheinigt wird, müssen für den Patienten deutliche Verbesserungen eintreten – zum Beispiel die Chance auf Heilung oder auch eine messbare Verlängerung der Lebenserwartung. Derartige Effekte sind bei gut erforschten Erkrankungen jedoch selten, so der Experte, der sogar damit rechnet, dass es durch das neue Gesetz zu Marktrücknahmen bereits eingeführter Medikamente kommen könnte.

Bleß äußerte überdies sein Unverständnis darüber, dass das Erreichen von Therapiezielen aus dem Disease-Management-Programm (DMP) nicht ausreicht, um einen erheblichen oder beträchtlichen Zusatznutzen eines neuen Medikaments nachzuweisen. Dabei seien Verbesserungen des HbA1c-Werts, Gewichtsreduktion oder auch das Verhindern von Hypoglykämien bei Menschen mit Diabetes aus ärztlicher Sicht durchaus erstrebenswerte Therapieziele.

Lauterbach hatte in seiner Rede zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz hingegen die rhetorische Frage aufgeworfen, warum ein Medikament, das „nicht besser ist, deutlich besser bezahlt werden soll“. Dafür gebe es keinen Grund, hatte der Bundesgesundheitsminister ausgeführt. Neuzulassungen mit einem nur geringen Zusatznutzen sollen künftig deshalb zu Preisen abgerechnet werden, die den bisherigen Arzneimitteln entsprechen, so Lauterbach. Die praktische Umsetzung des neuen Gesetzes ist nun in Arbeit. Eine Weiterentwicklung des Verfahrens der Nutzenbewertung, die von der Pharmaindustrie gefordert wird, steht derweil noch aus.



Autor:
Thorsten Ferdinand
Redaktion diabetologie-online
Verlag Kirchheim & Co GmbH
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