Sowohl dem Patienten als auch dem Arzt helfen, die Therapie besser zu managen – das ist das Ziel der MyTherapy-App. Entwickelt wurde die Applikation für Smartphones vom Start-up „smartpatient“, integriert ist sie z. B. in das Kommunikationskonzept TheraKey des Unternehmens Berlin Chemie. Bei einer Veranstaltung von Berlin Chemie wurden die Ergebnisse einer Evaluationsstudie zur Anwendung von MyTherapy in Diabetologischen Schwerpunktpraxen vorgestellt.

In MyTherapy können die Nutzer ihre Medikamente eintragen bzw. ihren Medikationsplan einscannen und sich mit Hilfe der App an die Einnahme von Medikamenten erinnern lassen, Messwerte dokumentieren (z. B. Blutzucker (vor/nach dem Essen), Blutdruck, Gewicht), Symptome und Wohlbefinden festhalten, Berichte erstellen und sich auch an Termine (z. B. den täglichen Spaziergang) erinnern lassen.
Berlin Chemie und smartpatient sind Kooperationspartner und die MyTherapy-App fest in das von Berlin Chemie entwickelte Kommunikationskonzept TheraKey integriert.

Evaluationsstudie zur MyTherapy-App

Um zu untersuchen, wie MyTherapy Ärzten und Patietenten in der ambulanten Versorgung helfen kann, wurde eine Evaluationsstudie durchgeführt; für 186 Patienten liegt nun eine Abschlussdokumentation vor. Durchgeführt wurde die Evaluationsstudie bei niedergelassenen Diabetologen, die jeweils bis zu sieben ihrer Patienten mit Typ-2-Diabetes in die Studie einschließen konnten. Die Teilnehmer sollten mindestens drei Medikamente in Dauertherapie einnehmen und durften die MyTherapy-App bis zum Beginn der Studie noch nicht genutzt haben. Außerdem mussten sie ein Smartphone (iOs oder Android) besitzen.

Das leistet die MyTherapy-App: sie erinnert, dokumentiert und motiviert.

Mit Hilfe der Studie sollte ermittelt werden, wie sich die MyTherapy-App in den Alltag der Patienten integrieren lässt und ob die App den Arzt in seiner Zusammenarbeit mit seinen Patienten unterstützt. Die Diabetologen mussten für jeden der von ihnen eingeschlossenen Patienten einen elektronischen Fragebogen ausfüllen. Die Patienten wurden gebeten, den WHO-5-Fragebogen zum Wohlbefinden sowie den Morisky-8-Fragebogen zur Therapietreue auszufüllen.

Die Daten wurden durch den Arzt in ein internetbasiertes, elektronisches Datenerfassungssystem übertragen. 40 Ärzte haben 199 Patienten in die Studie aufgenommen (rund 5 Patienten pro Arzt) und eine Aufnahmeuntersuchung dokumentiert. Für 186 dieser Patienten liegt auch eine Abschlussdokumentation vor.

Das wichtigste Ergebnis der Studie: 63,5 Prozent der Patienten fühlten sich durch die App bei der Medikamenteneinnahme unterstützt, nur etwa 7 Prozent fühlten sich „gar nicht“ unterstützt. Fast 60 Prozent (59,2 %) der Ärzte gaben an, dass die App ein gutes Bindeglied zum Patienten darstellt, ebenfalls fast 60 Prozent (57,9 %) gaben an, dass die App das Arzt-Patienten-Gespräch positiv beeinflusst.

MyTherapy-App - wie sieht die Nutzung in der Schwerpunktpraxis aus?

Wie sieht nun die Nutzung der App in der Diabetologischen Schwerpunktpraxis aus? Darüber geben Dr. Tobias Ohde, Diabetologe aus Essen und Studienleiter, Dr. Payam Ardjomand, Diabetologe aus Bergisch Gladbach, und Dr. Martin Lange, Diabetologe aus Aschaffenburg, in einem Interview Auskunft.

Herr Dr. Ardjomand, Herr Dr. Lange – warum haben Sie an der Evaluationsstudie zur MyTherapy-App teilgenommen?
Adjormand:
Die App wurde während eines Workshops vorgestellt, und es hat mich einfach gereizt, sie in meiner Praxis und im Rahmen der Studie zu testen. Ich war neugierig, wollte daran teilhaben und mich auch aktiv einbringen.

Lange: Ich war schon im Vorfeld im Advisory Board für die App - also an der Entwicklung in gewisser Weise mit beteiligt. Ich habe MyTherapy auch schon im Vorfeld der Studie genutzt und nutze die App gemeinsam mit meinen Patienten auch weiterhin.

Was war das Ziel der Studie? Vielleicht können Sie, Herr Dr. Ohde, als Studienleiter etwas dazu sagen?
Ohde:
Geprüft werden sollte die App als Adhärenz-Tool: Haben Diabetologen das Gefühl, dass die Nutzung der App den Patienten hilft? Eine wichtige Frage war auch: Kann die Arbeit mit der App in den Praxisalltag integriert werden?


»Allgemein betrachte ich die Digitalisierung als Chance für uns Ärzte, sagen zu können, was wir selbst brauchen und was die Patienten brauchen. Sonst werden nämlich Apps entwickelt, die keiner richtig brauchen kann.«
Dr. Tobias Ohde

Ist es denn schwierig, die App in den Alltag zu integrieren?
Ohde:
Wie mit allen Neuerungen im Alltag ist es auch mit der MyTherapy-App: Man muss einen Kick off für die Nutzung der App haben und selbst Verbindlichkeiten schaffen, damit es sich verselbständigt und läuft. Man muss für sich selbst klare Ziele definieren: Was will man damit? Dann ist es auch relativ einfach umzusetzen. Ich habe die App schon vor Beginn der Studie genutzt und nutze sie auch weiterhin. Ich habe sie gut integriert, indem ich einen speziellen Abreißblock nutze.

Was ist Ihre Meinung zu digitalen Hilfsmitteln in der Arzt-Patienten-Kommunikation?
Ohde:
Allgemein betrachte ich die Digitalisierung als Chance für uns Ärzte, sagen zu können, was wir selbst brauchen und was die Patienten brauchen. Sonst werden nämlich Apps entwickelt, die keiner richtig brauchen kann.
Wir als Ärzte müssen von den Entwicklern einfordern, Anwendungen zu entwickeln, die nützlich sind, und wir müssen auch die Patienten auffordern, ihre Wünsche, ihre Sorgen und ihre Probleme weiterzugeben. Auf diese Weise bekommen wir digitale Tools, die uns nicht übergestülpt werden, sondern bei denen wir klare Linien vorgeben können. Die Entwickler von MyTherapy sind diesbezüglich relativ offen und sehr flexibel. Das, was sie umsetzen können, versuchen sie zu integrieren – das ist eher selten.

Auch Berlin Chemie ist ja als Kooperationspartner bei MyTherapy mit an Bord …
Ohde:
Ja, klar, Berlin Chemie hat früh erkannt, dass diese App zukunftsträchtig ist. Mittlerweile kommen immer mehr Firmen auf die Idee, nachzuziehen, aber Berlin Chemie und die Entwickler von smartpatient sind natürlich schon ganz, ganz weit vorne.


»Berlin Chemie und die Entwickler von smartpatient sind natürlich schon ganz, ganz weit vorne. «
Dr. Tobias Ohde

Welchen Nutzen hat die App für Sie im Praxisalltag?
Adjormand:
Die Patientencompliance wird dadurch unheimlich gefördert. Dadurch, dass wir über die Aufzeichnungen aus der App sprechen, fühlen sich die Patienten wertgeschätzt.


»Die Patientencompliance wird durch die App unheimlich gefördert.«
Dr. Payam Ardjomand

Ohde: Die Kommunikation verändert sich.

Adjormand: Ja, sehr. Für die Patienten, die sonst oft ein bisschen frustriert sind, weil sie viele Medikamente nehmen müssen, ist die Nutzung der App wie ein Spiel. Sie müssen nach der Einnahme jedes Medikaments auf O.k. drücken. Und wenn sie zu mir kommen, wissen sie, das unser Gespräch über das medizinisch Notwendige hinausgeht – das fördert die Compliance und die Patientenbindung und damit auch die Therapietreue.

Durch die Therapietreue geht es dem Patienten vielleicht auch körperlich insgesamt besser – und auch die Psyche profitiert davon. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass diese sieben Patienten, die durch mich in die Evaluationsstudie eingeschlossen wurden, sich in besonderer Weise von mir wertgeschätzt fühlten – und sich sogar auf den Termin gefreut haben. Welcher Patient freut sich sonst auf einen Arzttermin?


Kurze Statements von Dr. Ohde, Dr. Ardjomand und Dr. Lange zur MyTherapy-App sehen Sie hier im Video-Interview.


Konnten Sie feststellen, dass die MyTherapy-App die Kommunikation zwischen Ihnen und den Patienten verändert hat?
Ohde:
Was mir aufgefallen ist: Wie oft hat man das, dass man ein gutes Medikament verschreibt und ein Patient nach drei Monaten kommt und sich dafür bedankt? Das hat man sehr selten. Es kommt auch vor, dass Patienten mir sagen: „Die App ist super. Doktor, gut, dass du mir die empfohlen hast.“ Das ist schon ein Unterschied in der Kommunikation.

Lange: Ich habe auch erlebt, dass eine Patientin durch die App besser mit Rückschlägen umgehen konnte. Sie kam zu mir in die Praxis und sagte: „Wie Sie jetzt hier aus den Daten sehen, habe ich meine Medikamente einfach nicht regelmäßig genommen. Die App hat mir zwar ein bisschen geholfen, daran zu denken, aber ich habe es trotzdem nicht immer gemacht. Sie brauchen mir also keine anderen oder noch mehr Medikamente aufzuschreiben.“ Sie konnte also ganz offen kommunizieren, dass sie versuchen möchte, die Therapie bis zum nächsten Termin noch besser umzusetzen.


»Die App bietet die Gelegenheit, offener miteinander zu sprechen, ohne anzuklagen.«
Dr. Marin Lange

Die App bietet die Gelegenheit, offener miteinander zu sprechen, ohne anzuklagen. Ich kann einfach sagen: „O.k., bis zum nächsten Termin versuchen Sie weiter, durch die Erinnerungsfunktion der App Ihre Medikamente regelmäßiger einzunehmen.“ Dazu muss man aber dem Patienten unbedingt klarmachen: Bitte die Einnahme nur bestätigen, wenn Sie das Medikament wirklich geschluckt haben, bitte nicht hundert Prozent in der Therapietreue vorgaukeln. Ich mache schon im ersten Gespräch über die App klar: Es ist nicht schlimm, wenn es keine 100 Prozent sind.

Adjormand: Das ist ja eher normal.

Ohde: In einer Zeit, in der die Digitalisierung langsam Einzug hält, verändert sich die Arzt-Patienten-Kommunikation. Das sieht man sehr schön an diesem Beispiel von Dr. Lange. Für Patienten, die dafür bereit sind, kann der Arzt zum Therapiebegleiter werden. Durch die Digitalisierung bekommt er die Möglichkeiten, dem Patienten zu helfen, Fortschritte zu machen. Hätte die Patientin von Dr. Lange nicht externalisiert durch die App gesehen, dass sie ihre Medikamente nicht regelmäßig genommen hat, hätte es gut sein können, dass er aufgrund ihrer Werte die Therapie geändert hätte. So weiß er aber: Sie gibt sich Mühe, hat ihr Problem erkannt und kann daran arbeiten.

Das ist eine neue Form der Kommunikation, die durch Digitalisierung möglich wird. Die MyTherapy-App kann da ein wesentlicher Baustein sein. Die App ist zudem in ihrer Entwicklung schon weit fortgeschritten im Verhältnis zu dem, was wir sonst so an IT-Digitalisierung im Gesundheitswesen haben.

Was würden Sie sich als weitere Funktionen in der App wünschen?
Lange:
Ich könnte mir vorstellen, dass es interessant wäre, weitere Health-Daten, z. B. die am Tag zurückgelegten Schritte, die durch einen Fitness-Tracker aufgezeichnet werden, in die App einfließen zu lassen.

Ohde: Ja, oder auch Daten zum Schlaf, zum Schlafrhythmus … Und natürlich wäre es schön, wenn die App Praxis-personalisiert wäre, so dass man dem Patienten den Medikationsplan tatsächlich per Knopfdruck aktualisieren kann. Derzeit kann der Patient ja aus der App einen Gesundheitsbericht ausdrucken. Noch komfortabler wäre es aber, diesen Bericht direkt in der Praxis auf den Bildschirm zu bekommen. Das geht im Moment nur mit Zwischenschritten über andere Apps. Die Technik ist eigentlich da, man müsste die guten Ansätzen aber zusammenführen. Es wäre eine Aufgabe z. B. des Gesundheitsministeriums, das Inkompatibilitätsproblem im Gesundheitswesen zu lösen.


»Es wäre eine Aufgabe z. B. des Gesundheitsministeriums, das Inkompatibilitätsproblem im Gesundheitswesen zu lösen.«
Dr. Tobias Ohde

Adjormand: Ja, es wäre gut, wenn die Daten aus der App direkt in die elektronische Patientenakte übernommen werden könnten. Das Problem im Moment ist: Wir haben sehr viele Tools, die parallel laufen. Wir haben unser Praxis-Tools, wir haben diese App, wir haben Daten aus den kontinuierlichen Messsystemen und aus den Pumpen – wir haben eine Datenflut, und die Datenlieferanten kommunizieren nicht miteinander. Wichtig wäre, dass man das alles in einer Schnittstelle sammeln kann. Denn: Wenn alles parallel läuft, kostet das Geld, weil man verschiedene Tools kaufen muss und es bedeutet oft doppelte, manchmal sogar dreifache Dokumentation.

Zu TheraKey und MyTherapy-App
  • TheraKey ist ein ganzheitliches Kommunikationskonzept, das vom Unternehmen Berlin Chemie AG angeboten wird. Ziel von TheraKey ist es, Patienten besser zu informieren und das Arzt-Patienten-Gespräch zu unterstützen.
  • Der „TheraKey“ wird in Form von Zugangsdaten vom Arzt an den Patienten übergeben. Über das entsprechende TheraKey-Online-Portal gelangt der Patient dann zu Informationen, die zu seiner Indikation passen. Für Ärzte gibt es mit TheraKey Professional einen Universalschlüssel, der ein einfaches Wechsel zwischen den einzelnen Indikationen erlaubt.
  • Derzeit gibt es produktneutrale Informationen zu den Indikationen Typ-1-Diabetes, Typ-2-Diabetes (OAD und mit Insulin), Angina Pectoris, COPD, Ejaculatio praecox, Fettstoffwechselstörung, Gicht und Hypertonie.
  • Das TheraKey-Konzept erhielt 2017 für die Indikationen Typ-1- und Typ-2-Diabetes das Qualitätssiegel des unabhängigen Forschungsinstituts der Diabetes-Akademie Bad Mergentheim (FIDAM).

Integriert in das TheraKey-Konzept ist die MyTherapy-App des Münchner Adhärenz-Spezialisten smartpatient. Was leistet die App? „Sie erinnert Patienten an die pünktliche Medikamenteneinnahme, wichtige Messungen oder gesundheitsrelevante Aktivitäten. Wie in einer To-Do-Liste kann der Patient die anstehenden Aufgaben abhaken, bis keine Aktivität mehr ansteht. (…) Gleichzeitig dokumentiert das in MyTherapy integrierte Gesundheitstagebuch die erfassten Messwerte und das Wohlbefinden. Die strukturierte Dokumentation erleichtert das Arzt-Patienten-Gespräch und gibt dem Arzt einen schnellen Überblick über den Gesundheitsverlauf des Patienten“, - so heißt es zusammenfassend in einer Pressemitteilung von Berlin Chemie. Und weiter: „Die Steigerung der Medikamenten-Adhärenz durch die Nutzung von MyTherapy wurde bereits durch eine Pilotstudie der Charité-Universitätsmedizin Berlin bestätigt.“


Autorin: Nicole Finkenauer-Ganz.
Redaktion Diabetes-Forum
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