"Keine Angst vor Insulin" dieser Aufruf gilt für Patienten immer noch, gelegentlich auch für Kollegen. Die Umstellung von oralen Antidiabetika auf Insulin, wie sie nach den verschiedenen Leitlinien zu Beginn der Behandlung des Typ-2-Diabetes im Rahmen einer pharmakologischen Therapie vorgesehen ist, geht in der Regel nicht ohne Probleme vonstatten.

Doch es gibt gute Nachrichten, die Probleme kann man in den Griff bekommen, wenn verschiedene Punkte beachtet werden. Dr. Gerhard-W. Schmeisl sagt Ihnen auf den folgenden Seiten, was zu tun ist.

Nach den Leitlinien kann neben einer zweifach oder auch dreifach Therapie mit oralen Antidiabetika auch primär auf Insulin umgestellt werden, wenn es die Umstände erfordern, z.B. im Rahmen einer akuten Entgleisung oder eines Krankenhausaufenthaltes, einer Operation – ansonsten ist die Behandlung mit Insulin in den Hintergrund getreten. Die Umstellung stellt aber gerade für viele ältere Typ-2-Diabetiker eine einschneidende Maßnahme dar, die nicht nur ausführlich mit dem Patienten selber besprochen werden muss, sondern die unbedingt von geeigneten Schulungsmaßnahmen begleitet werden muss (etwa zwei Millionen in Deutschland!).

Es hat sich bewährt bei der geplanten Umstellung eines Pateinten mit Typ-2-Diabetes auf Insulin, diesem einen Spielraum für seine Entscheidung zu dieser oft dauerhaften Therapie zu geben. Vorschlag: "Versuchen Sie es doch einmal, wir helfen Ihnen dabei und Sie werden sehen, ob es funktioniert – und ob es Ihnen nicht insgesamt besser mit Insulin geht. Sie können dann entscheiden, ob wir etwas anderes versuchen sollen bzw. auch können." Viele Patienten entscheiden sich dann, wenn nicht von vorn herein von "Alternativlosigkeit" gesprochen wird für einen derartigen Versuch und bleiben auch dabei. Sie müssen jedoch begleitet werden! Denn viele haben Angst vor der Injektion selbst und vor der Vorstellung dies wohl ihr ganzes Leben lang tun zu müssen.

Wie aus der Tabelle "Barrieren" zu sehen ist, gehört auch die Insulininjektion selbst zu den anfänglichen Ängsten, die man berücksichtigen sollte (Tab. 1).

Von den in Deutschland lebenden etwa 7-8 Millionen Menschen mit Diabetes haben etwa 90% einen Typ-2-Diabetes. Im Gegensatz zum Typ-1-Diabetes hat der Typ-2-Diabetiker keinen absoluten, sondern nur einen relativen Insulinmangel. Zu Beginn der Erkrankung fehlt zwar zu gewissen Zeiten das Insulin, aber es besteht meist noch über viele Jahre eine geringe eigene Insulinsekretion. Dazu kommt häufig, dass das Insulin aufgrund von Übergewicht nicht besonders gut wirkt – die Insulinresistenz. Diese nimmt mit zunehmendem Alter und der Dauer des Diabetes zu.

Da der Typ-2-Diabetes jedoch eine fortschreitende Erkrankung darstellt, etwa 6% der insulinproduzierenden Betazellen sterben pro Jahr ab, muss auch ein Mensch mit Typ-2-Diabetes irgendwann damit rechnen Insulin zu spritzen. Jede Situation, die zu einer Verschlechterung der Insulinwirkung oder zu einem Mehrbedarf an Insulin führt, z.B. Stress im Rahmen einer OP kann dazu führen, dass die oralen Antidiabetika nicht mehr ausreichen und auch ein Typ-2-Diabetiker auf Insulin eingestellt werden muss, z.B. im Rahmen einer Hüftoperation, im Rahmen eines grippalen Infektes oder einer harmlosen Cystitis (etwa zwei Millionen in Deutschland).

Menschen mit Typ-1-Diabetes – etwa 400 000 in Deutschland – überleben seit über hundert Jahren nur, weil sie sich regelmäßig bis zu ier- bis fünfmal täglich Insulin injizieren. Es hat sich seitdem vieles verbessert: es gibt neben den anfänglich hauptsächlich verwendeten tierischen Insulinen heute nach der Zwischenstufe über die Humaninsuline immer neuere, bessere Insuline, wie die kurz und langwirksamen Analoginsuline. Aber eine Regulation des Blutzuckerspiegels wie bei einem Gesunden hat man bisher trotzdem nicht erreicht. Man ist aber auf dem besten Weg dahin (autarke CGM-Systeme, Smart Insuline, die entsprechend dem aktuellen Blutzuckerwert wirken). Bisher wird das Insulin in der Regel immer noch an einem Ort gespritzt, wo es primär nicht hin gehört (Prof. Forst).

Bei der subkutanen Injektion wird das Insulin, das in Hexamer- Form vorliegt, zunächst in Dimere und schließlich in Monomere aufgebrochen – seine Hauptwirkungen kann es so deshalb nur sehr langsam entfalten und zwar unabhängig von den tatsächlich aktuellen Blutglukosewerten! Da die Injektion immer noch der primäre Vorgang bei der Applikation des Insulins darstellt und es dabei potentiell viele Fehlermöglichkeiten gibt – selbst bei Langzeit-Typ-1-Diabetikern – sollen diese möglichen Probleme im Folgenden dargestellt werden.

Bei der Umstellung auf Insulin sind einige Punkte zu beachten.

"Mein Insulin wirkt nicht mehr"

Wenn es plötzlich heißt "mein Insulin wirkt nicht mehr", dann sollte man bei einem Menschen mit Typ-1-Diabetes zwar primär an eine Ketoazidose denken, denn in dieser Situation kann die übliche Insulindosis absolut nicht mehr ausreichen. Wenn es aber regelmäßig zu einem "vermeintlichen Verlust der Insulinwirkung" kommt, oder auch zu Blutzuckerschwankungen, die man sich nicht erklären kann, dann muss man die Injektion selbst näher betrachten.

Der erstmals 2011 veröffentlichte Leitfaden des VDBD, hat erstmals nach intensiven langjährigen Vorarbeiten Leitlinien und Empfehlungen vorgestellt, die eine sichere und effektive Insulininjektion ermöglichen. Bis dahin wurden die Probleme und Fallstricke bei der Insulin-Injektion weltweit weitgehend unterschätzt und oft sträflich vernachlässigt – z.T. verursacht durch unzureichende Kenntnisse über die lokale Anatomie der Haut (A. Frid), insbesondere des subkutanen Fettgewebes, aber auch der Pathophysiologie der Insulinwirkung und Pathologie der Haut sowie der Vorgänge bei der Injektion und Wirkung des Insulins selbst. Fehler bei der Injektion, die mit Lipohypertrophien und auch sogenannten "unerklärlichen Glukoseschwankungen" verbunden waren, wurden in einer Studie in Deutschland 2009 (Schmeisl/Dobrinsky, Koinzidenzen: Injektionsgewohnheiten, Lipohypertrophien, Glukoseschwankungen. Diabetes, Stoffwechsel und Herz 2009; 18:251-258).) veröffentlicht.

Die dort genannten Probleme treten bis heute sowohl bei Typ-1-als auch bei Typ-2-Diabetikern auf, obwohl in den letzten Jahren zahlreiche Fortschritte bezüglich einer effektiveren und sicheren Insulininjektion gemacht werden konnten. Durch besondere Herstellungsverfahren wurde die Wand der Nadeln immer dünner bei gleichem Durchmesser – trotz dünnerer Nadeln kann so die gleiche Menge an Insulin fließen! (→ sicherer und schmerzärmer).

Da es bisher trotz zahlreicher Versuche keine echten alternativen Applikationsformen des Insulins gibt (incl. der Insulinpumpen-Applikation), ist das ständige Arbeiten an einer besseren, sichereren und effektiveren, für den Patienten auch schmerzärmeren und somit praktikableren Insulininjektion stete Verpflichtung.

Co-Inzidenzen zwischen Injektionsgewohnheiten, Lipohypertrophien und Glukoseschwankungen

Das Ergebnis der oben erwähnten Studie ergab: Die Kanülen wurden laut Patientenangaben für die Injektion von Kurzzeit-Insulin im Durchschnitt 4,4-mal verwendet, für die Injektion des Langzeitinsulins 3,2-mal.

Das Vorhandensein von Lipohypertrophien in den letzten 12 Monaten bestätigten 35% der Teilnehmer. Die objektive Begutachtung durch die Diabetesberaterin ergab einen höheren Prozentsatz von sogar 41,2%. Das Auftreten so genannter "unerklärlicher Blutzuckerschwankungen" innerhalb der letzten 4 Wochen gaben 42% der Patienten an, wobei Typ-1-Diabetiker häufiger betroffen waren als Typ-2-Diabetiker (45,3% versus 38%). Die vorliegenden Daten zeigten eindeutig, dass unerklärliche Blutglukoseschwankungen mit Lipohypertrophien signifikant häufiger auftraten als bei Patienten ohne Lipohypertrophien. Eine potentielle Erklärung für dieses Phänomen war die veränderte Insulinabsorption bei Injektion in Lipohypertrophien.

Bezüglich der aktuellen Empfehlungen zur Insulininjektion darf ich auf den mehrfach angesprochenen VDBD-Leitfaden hinweisen.

Insulinpens werden heute standardmäßig bei der Behandlung verwendet

Folgerungen

Obwohl sich in den letzten Jahren die Injektionsgewohnheiten und insbesondere die Verwendung von längeren Nadeln wie 12- oder 10-mm-Nadeln zugunsten von 8-, 6-, 5- oder 4-mm-Nadeln geändert haben, scheint es doch nach wie vor eine große Zahl von Betroffenen zu geben, denen nicht klar ist, dass es nicht egal ist an welcher Stelle des Körpers in die Haut injiziert wird, wie lang die Nadel ist und dass die Nadeln Einmalartikel sind. Die neueren sehr kurzen Nadeln stellen "High-Tech-Produkte" dar, die an der Spitze einen Mehrfachschliff und auch eine Beschichtung haben, die bereits nach der ersten Injektion "abgeschilfert" ist. So kann es bei jeder weiteren Injektion mit derselben Nadel zu Verletzungen kommen. Dadurch sind auch die schon früher festgestellten "unerklärlichen Blutzuckerschwankungen" und Lipohypertrophien zu erklären.

Welche Nadellänge ist denn nun die richtige?

Entscheidend ist, dass das Insulin ins Unterhautfettgewebe gelangt, wo es in den kleinen Blutgefäßen aufgenommen und abtransportiert wird. Dabei sollten weder ein Rückfluss noch Schmerzen oder eine Blutung auftreten ("Bruising"). In Studien zeigte sich, dass 4-mm- Nadeln selbst bei Erwachsenen, im rechten Winkel eingestochen, (90 Grad) zu gleich guten Blutzuckerwerten führen wie längere Nadeln. Die früher oft verwendeten längeren Nadeln (12, 10,8 mm) haben oft zu einer "intramuskulären Injektion" mit einer viel schnelleren Insulinwirkung geführt (→ Hypos!) – beim Basalinsulin fehlte dann aber die langsamere, gewünschte Wirkung später!

Kürzere und dünnere Nadeln sind auch aus physiologischen Gründen effektiver insbesondere durch den sehr feinen Schliff an der Spitze der Nadeln mit geringeren Schmerzen und einer reduzierten Angst! 4 mm-Nadeln sind auch beim Erwachsenen die sichersten Nadeln, um nicht in die Muskulatur zu spritzen! (senkrecht und ohne Hautfalte!).

Praktisches Vorgehen

  1. 1. Die Insulin Pen Nadeln sollten vor der Injektion auf Durchgängigkeit überprüft werden. Dazu wird die Nadel gerade auf den Pen aufgesetzt, dieser nach oben gehalten und zuvor eingestellte 2 – 3 Einheiten in die Luft gespritzt (Vorsicht nicht auf den Teppich, dies gibt Flecken!) Merke: bei einer Mehrfachnutzung der Nadeln kann es zu Verstopfungen kommen, die man beim Prüfen auf Durchgängigkeit bemerkt. Nadeln sind Einmalprodukte!

  2. 2. Einstechen senkrecht ohne Hautfalte bei Verwendung von 4 mm- Nadeln, bei längeren Nadeln ist oft eine Hautfalte zu bilden sinnvoll. Nach der Injektion sollte die Nadel noch einige Sekunden in der Haut verbleiben (bis 10 zählen), damit sich das Insulin besser verteilen kann und nicht durch den Stichkanal zurückläuft.

  3. 3. Vermeiden Sie Injektionen in "Lieblingsstellen" – meist Lipohypertrophien rechts und links vom Nabel oder auch an der Oberschenkelvorderseite. Man kann diese nicht immer sehen aber meist fühlen! Spritzen sollte man natürlich auch nicht in Operationsnarben etc.

  4. 4. Nadeln nach der Injektion sofort entsorgen – sie sind Einweg-Artikel!

Der ständige Wechsel der Spritzstellen ist eine der wichtigsten Maßnahmen zur besseren Wirkung des Insulins und der Vermeidung von Lipohypertrophien.

Ob dies nach einem Rotationssystem erfolgt oder einem bewussten ständigen Wechsel der Hautstellen ohne Verhärtungen (zum Beispiel Flanke, Gesäß, Oberschenkel Außenfläche) je nach Insulin, ist eigentlich egal (Tab. 2).

Welches Insulin wohin spritzen?

Neuere kurzwirksamen Analoginsuline können sowohl subkutan in Bauch, Flanke, Bein und auch Gesäß gespritzt werden (allerdings subkutan und auf keinen Fall intramuskulär!)

Neuere langwirksame Analoginsuline können ebenfalls subkutan im Bauch, Flanke oder Oberschenkel injiziert werden.

Trübe Basalinsuline spritzt man nach dem Schwenken (20-mal empfohlen) subkutan in Oberschenkel oder Po.

Was sollten Insulinpumpenträger bezüglich der Katheter, Kanülen beachten

Allgemein empfohlen wird ein Katheterwechsel bei Verwendung von Stahl Kanülen alle zwei Tage bei Teflon Kanülen alle drei Tage. Darüber hinaus hat die Firma Medtronic schon im Mai 2021 in Europa das weltweit erste Infusionsset mit einer Tragedauer von bis zu sieben Tagen eingeführt (Medtronic extended infusionsset). Es ist mit allen Insulinpumpen der Serien 600/700 kompatibel. Dieses System ist nur anwendbar in Kombination mit dem ebenfalls neuen "Medtronic extended reservoir" um Insulin bis zu 7 Tagen stabil zu halten.

Ärger an der Einstichstelle kann es bei Insulinpumpenträgern aber auch aus anderen Gründen geben:

  • Unverträglichkeit des Pflasters/Desinfektionsmittels
  • Kanülenpflaster hält nicht
  • Abknicken der Teflon -Kanüle
  • Schmerzen bei der Bolusabgabe
  • Insulin tritt an der Einstichstelle aus
  • Blut im Schlauch
  • Kanüle ärgert/ piekst beim Tragen etc.

Bei diesen Problemen hilft nur "Ursachenforschung", Geduld und ein Gedanken-Austausch mit ebenfalls Betroffenen, die meist wichtige praktische Tipps geben können.

Zusammenfassung

Die Injektion von Insulin ist für Millionen Menschen ein tägliches Muss. Sie ist immer noch mit einer "quasi Selbstverletzung" verbunden – durch neuere feinere Nadeln, Pens, Katheter/Pumpen und Insuline hat das regelmäßige Spritzen aber seinen ursprünglichen Schrecken verloren! Man sollte Menschen durch Schulung und "Vormachen/praktisches Üben" sowie Zeit lassen für ihre persönliche Entscheidung die Angst vor der Injektion nehmen.

Wenn bei langjähriger Diabetesdauer und regelmäßiger Insulininjektion "plötzlich unerklärliche Blutzuckerschwankungen" auftreten, sollte man sich als Arzt/DiabetesberaterIn nicht scheuen die Injektionsstellen an Bauch und Oberschenkel/Po bei dem Betroffenen zu inspizieren und die "Lieblingsstellen" zu befühlen. Nicht selten erlebt man so seine Überraschung! Dies ist deshalb so wichtig, da sonst ohne die eigentliche Ursache zu kennen oft ein Aktivismus in Gang gesetzt wird mit Wechseln des Insulins bzw. auch des gesamten Spritzenregimes – dann natürlich meist ohne Erfolg und verbunden mit einer Verunsicherung/Unzufriedenheit des Betroffenen.

Fortbildung im Diabetes-Forum

Liebe Diabetes-Forum-Leser, liebe Mitglieder des Verbandes der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e. V. !

In regelmäßigen Abständen gibt es in unseren Diabetes-Forum-Ausgaben Fortbildungsbeiträge. Zusammengestellt sind die informativen Artikel von Dr. Gerhard-W. Schmeisl aus Bad Kissingen. Thema diesmal: "Diabetisches Fußsyndrom – Wundmanagement". Die Mitglieder des VDBD und auch alle anderen Interessierten haben an dieser Stelle die Möglichkeit, ihr Wissen über das jeweilige Thema zu überprüfen. Wenn Sie an den Lösungen des Fragebogens auf der nächsten Seite interessiert sind, schicken Sie uns einfach eine E-Mail mit dem Betreff "Fortbildung im Diabetes-Forum" an heinz@kirchheim-verlag.de . Die richtigen Lösungen schicken wir Ihnen umgehend.

Die Redaktion wünscht Ihnen viel Erfolg!


Autor:
Dr. Gerhard-W. Schmeisl
Internist, Angiologe, Diabetologe und Sozialmediziner
ehem. Lehrbeauftragter der Universität Würzburg und Chefarzt Deegenbergklinik
PrivAS Privatambulanz (Schulung)


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2022; 34 (10) Seite 24-27