In Deutschland erkranken jährlich etwa 3 000 Kinder und Jugendliche neu an Diabetes Typ 1. Obwohl er die häufigste chronische Stoffwechselerkrankung in der Altersgruppe der bis 19-Jährigen ist, werden typische Symptome häufig zunächst falsch gedeutet und erst bei einer schweren Stoffwechselentgleisung mit Blutübersäuerung diagnostiziert. Diese diabetische Ketoazidose (DKA) kann im schlimmsten Fall tödlich verlaufen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, startete die Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie (AGPD) der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) gemeinsam mit dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) eine Aufklärungskampagne zur Diabetes-Früherkennung.

Während des pandemiebedingten Lockdowns im Frühjahr 2020 hat sich hierzulande die Zahl der Kinder mit einer DKA sprunghaft verdoppelt. Im Rahmen einer Pressekonferenz am Freitag, den 14. Mai 2021, stellte Privatdozent Dr. med. Thomas Kapellen, unter anderem Sprecher der AGPD, die DKA-Aufklärungskampagne vor. Darüber hinaus berichtet die Mutter eines betroffenen Jugendlichen aus eigener Erfahrung, wie sie den Beginn der Diabetes-Erkrankung bei ihrem Sohn erlebt hat.

Anzeichen: Gewichtsverlust, unstillbarer Durst, Harndrang, Leistungsminderung

Diabetes Typ 1 trifft Familien plötzlich und unverschuldet. „Die Bildung von Autoantikörpern gegen insulinproduzierende Zellen der Bauchspeicheldrüse führt bei Kindern und Jugendlichen zu einem schleichenden Insulinmangel, der typischerweise Gewichtsverlust, unstillbaren Durst, vermehrten Harndrang und Leistungsminderung verursacht“, erklärt Privatdozent Dr. med. Thomas Kapellen, Sprecher der AGPD und Chefarzt der MEDIAN Kinderklinik „Am Nicolausholz“ in Bad Kösen.

Lebensgefahr und langfristig schlechtere Stoffwechsellage

Unentdeckt könne dies, vor allem bei Vorschulkindern, zu einer diabetischen Ketoazidose (DKA) führen. Diese Stoffwechselentgleisung zeigt sich auch durch Übelkeit oder Erbrechen, beschleunigte Atmung und einen säuerlichen Acetongeruch des Atems. Sie kann mitunter tödlich verlaufen. „In jedem Fall verlängert sich mit einer DKA der zur Erstbehandlung eines Diabetes Typ 1 notwendige Klinikaufenthalt, oft müssen Betroffene sogar zunächst auf die Intensivstation“, sagt der Kinderdiabetologe. Außerdem weisen Daten darauf hin, dass eine DKA bei Erkrankungsbeginn auf lange Sicht eine schlechtere Stoffwechsellage zur Folge hat.

Zahl der diabetischen Ketoazidosen im Lockdown nahezu verdoppelt

Dr. Kapellen mahnt: „Die diabetische Ketoazidose ist in Deutschland mit derzeit 26,4 Prozent bei neu Erkrankten seit Jahren konstant und damit viel zu hoch.“ Laut aktuellen Daten sei die Zahl der DKA bei Kindern während des ersten Lockdowns stark angestiegen: „Vom 13. März bis 13. Mai 2020 hat sich die DKA-Rate mit 238 Fällen gegenüber den Vergleichszeiträumen der Vorjahre nahezu verdoppelt; insbesondere die Fallzahl der Vorschulkinder mit einer schweren DKA ist angestiegen.“

Aufklärungskampagne zur Diabetes-Früherkennung gestartet

Um das Risiko für eine Ketoazidose im Kindesalter zu senken, startete die AGPD Anfang des Jahres zusammen mit dem BVKJ eine Aufklärungskampagne zur Früherkennung eines Typ-1-Diabetes: Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte informieren Eltern bei jeder U6- und U7a-Vorsorgeuntersuchung, die Ende des ersten sowie dritten Lebensjahres stattfinden, über die vier Hauptwarnzeichen der Stoffwechselerkrankung. „Aus der Erfahrung des zwischen 2015 und 2017 durchgeführten Stuttgarter Ketoazidose-Präventionsprogramms wissen wir, dass eine solche Aufklärung die Häufigkeit einer DKA stark senken kann", betont Dr. Kapellen.

Die aktuelle Kampagne ist für mindestens drei Jahre geplant. Hierzu werden gerade Mittel eingeworben.

Erfahrungsbericht verdeutlicht Handlungsbedarf

Neben dem Kinderdiabetologen war auf der Kongress-Pressekonferenz auch die Mutter eines Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes anwesend.

Heike Hensel, deren Sohn mit 15 Jahren an Diabetes mellitus Typ1 erkrankte, berichtet, sie habe Anzeichen wie ständige Müdigkeit, Gewichtsabnahme und das viele Trinken eher auf die Pubertät geschoben und erklärt: "Man denkt ja nicht, dass sein Kind krank ist!" Erst als sich die Atmung verändert und ihr Sohn nicht mehr flüssig spricht, fährt die Familie in die Tübinger Kinderklinik, wo er sofort intensivmedizinisch betreut wird.

Nach diesem dramatischen Verlauf rund um die Diagnosestellung habe es ein Jahr gebraucht, bis für die Familie wieder so etwas wie Alltag eingekehrt sei und sie sich sicher gefühlt hätten, berichtet Heike Hensel weiter. Sie rät allen Eltern, spätestens dann medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn das Kind ordentlich isst und dennoch abnimmt.

Wie wichtig eine frühzeitige Diagnosestellung ist verdeutlicht auch der behandelnde Kinderdiabetologe Prof. Dr. med. Andreas Neu, Tübingen, er erklärt: "Wird aufgrund einer Ketoazidose eine intensivmedizinische Intervention erforderlich, ist die Behandlung mit enormen Risiken verbunden."


Quelle: Deutsche Diabetes Gesellschaft, 2. Kongress-Pressekonferenz anlässlich des Diabetes Kongresses
„Diabetes bei Kindern verhindern, früh erkennen und behandeln“ am Freitag, 14. Mai 2021