Im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) nach eigenen Angaben aktuelle medizinische Leitlinien zum Darmkrebs recherchiert und deren Empfehlungen zum Darmkrebsscreening mit den aktuell geltenden Regelungen der organisierten Darmkrebsfrüherkennung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgeglichen sowie die Evidenzbasis, die jeweilige Begründung für eine diskrepante Empfehlung, extrahiert und inhaltlich zusammengefasst.

Internationale Leitlinien empfehlen u. a. früheren Start und obere Altersgrenze

Dabei zeigte die Auswertung von fünf evidenzbasierten Leitlinien, dass deren Empfehlungen in einigen Aspekten von der G-BA-Richtlinie für organisierte Krebsfrüherkennungsprogramme abweichen: bei Altersgrenzen, Screeningintervall bzw. -frequenz und Auswahl der Untersuchungsverfahren, heißt es in einer Pressemeldung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).

Die Leitlinien empfehlen einen früheren Start des Darmkrebsscreenings sowie eine obere Altersgrenze: Die organisierte Früherkennung solle ab einem Alter von 45 Jahren und bis zu einem Alter von 75 Jahren durchgeführt werden. Die Empfehlungen zu Screeningintervall bzw. -frequenz als auch zur Auswahl der betrachteten Untersuchungsverfahren – immunologischer Test auf okkultes Blut im Stuhl (iFOBT) oder Darmspiegelung (Koloskopie) – sind dagegen nicht nach Alter oder Geschlecht differenziert, so die Pressemeldung weiter.

Schwache Evidenzbasis

Die Evidenzbasis für diese Empfehlungen fußt nach Angaben des IQWiG allerdings im Wesentlichen auf Modellierungsstudien und – sofern Primärstudien angegeben werden – auf nicht randomisierten kontrollierten Studien (non-RCT).

Rapid Report des IQWiG als Entscheidungsgrundlage für den G-BA

Langsam wachsende, noch gutartige Neubildungen (Adenome) frühzeitig, bevor sie bösartig werden zu entfernen, und Karzinome zu beseitigen, bevor sie Beschwerden verursachen und Metastasen bilden: Dies sind die Ziele des Darmkrebsscreenings. So sollen die Rate von Neuerkrankungen und deren Folgekomplikationen sowie die Sterblichkeit bei Darmkrebs gesenkt werden.

Das IQWiG berichtet weiter: In Deutschland haben gesetzlich Krankenversicherte ab 50 Jahren Anspruch auf Darmkrebsfrüherkennungsuntersuchungen. Für Frauen im Alter zwischen 50 und 54 Jahren ist ein jährlicher immunologischer Test auf okkultes Blut im Stuhl (iFOBT) vorgesehen und für Männer ab 50 Jahren eine Koloskopie oder ein jährlicher iFOBT. Ab 55 Jahren können sich Frauen und Männer zwischen einer Koloskopie und regelmäßigen iFOBT im Abstand von zwei Jahren entscheiden. Der Anspruch auf Koloskopien als Früherkennungsuntersuchung ist auf insgesamt zwei begrenzt, wobei die zweite frühestens zehn Jahre nach der ersten durchgeführt wird. Ist das Ergebnis des Tests auf okkultes Blut im Stuhl positiv, besteht Anspruch auf die Durchführung einer Koloskopie zur Abklärung.

Nationale wie internationale Organisationen sind vom Nutzen des Darmkrebsscreenings überzeugt, heißt es in der Pressemeldung. Wobei es Unterschiede in den Screeningstrategien gebe. So haben US-Amerikanische Institutionen nach Angaben des IQWiG jüngst ihre Altersempfehlungen für den Beginn des Screenings bei Personen mit einem durchschnittlichen Darmkrebsrisiko überprüft und schlagen nun ein Alter von 45 Jahren für den Screeningstart vor. Vor diesem Hintergrund soll der jetzt vorgelegte Rapid Report Leitliniensynopse zur organisierten Darmkrebsfrüherkennung des IQWiG dem G-BA eine Entscheidungsgrundlage liefern, um den Bedarf für eine Überprüfung der aktuellen Regelungen zur organisierten Darmkrebsfrüherkennung in Deutschland beurteilen zu können.

Altersgrenzen: früherer Start und obere Altersgrenze?

Eine Leitlinie befürwortet laut IQWiG mit hohem Empfehlungsgrad einen früheren Start des Darmkrebsscreenings als derzeit für die gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland vorgesehen – bereits ab einem Alter von 45 Jahren. Zwei Leitlinien legen im Gegensatz zur aktuellen deutschen Richtlinie (oKFE-RL) mit hohem Empfehlungsgrad eine obere Altersgrenze von 75 Jahren fest.

Die Empfehlungen basieren vornehmlich auf Modellierungen mit epidemiologischen Daten, die einen Trend für ein zunehmendes Auftreten von kolorektalen Karzinomen bei US-amerikanischen Erwachsenen unter 50 Jahren zeigen. Unter der Voraussetzung, dass diese Altersgruppe ein erhöhtes Darmkrebsrisiko hat, empfehlen die Leitlinien die organisierte Darmkrebsfrüherkennung bereits ab einem Alter von 45 Jahren und bis zu einem Alter von 75 Jahren. Dadurch würde ein angemessenes Gleichgewicht zwischen Nutzen (= gewonnene Lebensjahre) und Belastung bzw. möglicher Schaden (= Anzahl der Koloskopien) dargestellt, so das IQWiG weiter.

Die für Deutschland verfügbaren Daten des Robert-Koch-Instituts würden allerdings keine Hinweise auf einen Trend für ein gestiegenes Darmkrebsrisiko bei Erwachsenen unter 50 Jahren zeigen. Es sei daher zweifelhaft, dass die Grundannahme der für die Leitlinien-Empfehlung ausschlaggebenden Modellierungsstudie auch für den deutschen Versorgungskontext zutreffe.

Weitere Unterschiede zur aktuellen deutschen Richtlinie

Abschließend heißt es in der Pressemeldung: In der abweichenden Leitlinienempfehlung zur Auswahl von Koloskopie oder iFOBT wird nicht nach Alter und Geschlecht unterschieden. Anders als derzeit in der GKV-Richtlinie beinhalten die Leitlinien zu Screeningintervall und -frequenz sowohl für iFOBT und Koloskopie zudem keine Differenzierung nach Alter. Auch hier fußen die Empfehlungen im Wesentlichen auf Ergebnissen aus Modellierungsstudien. In keiner Leitlinie finden sich geschlechtsspezifische Empfehlungen.

Zum Ablauf der Berichterstellung
Der G-BA hatte das IQWiG im September 2021 beauftragt, den Bericht über die Leitliniensynopse zur organisierten Darmkrebsfrüherkennung in einem beschleunigten Verfahren als Rapid Report zu erarbeiten. Zwischenprodukte wurden daher nicht veröffentlicht und nicht zur Anhörung gestellt. Dem Auftraggeber ist dieser nun veröffentlichte Rapid Report am 16.03.2022 zugegangen.

Originalpublikation:

Quelle: Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen | Redaktion