„Immunsystem stärken, Gewicht abbauen, Diabetes reduzieren“. Diese Themen standen bei einer digitalen politischen Podiumsdiskussion im Fokus, die am Abend des WDT mit Polit-Prominenz aus dem Bundestag und Food-Spezialisten stattfand und deutlich zeigte: Gesunde Ernährung rückt immer stärker ins gesundheitspolitische Blickfeld.

Bewegungsmangel und Übergewicht sind die Haupttreiber für Typ-2-Diabetes. Das ist sicher keine Top-News, aber ein Top-Thema der Gesundheitspolitik. Nicht nur, dass die beiden großen Diabetesrisikofaktoren seit Beginn der Coronavirus-Pandemie in der Bevölkerung noch weiter zulegen, wie aktuelle Umfragen zeigen: Diabetes und Adipositas steigern auch das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf bei COVID-19.

Zauberwort: Zuckerreduktion

Noch ein schwerwiegender Grund für die Politik also, um aktiv gegen ungesunde Ernährung vorzugehen. Das Zauberwort, das schon seit Jahren, spätestens aber seit Verabschiedung der Nationalen Diabetes-Strategie in diesem Sommer durch die Medien geistert, heißt Zuckerreduktion. „Die COVID-19-Pandemie hat es nochmals eindeutig gezeigt: Adipositas ist ein Risikofaktor“, betont Dr. Jens Kröger, Vorstandsvorsitzender von diabetesDE und ergänzt:

„Wir brauchen eine Verhaltens- und eine Verhältnisprävention!“ Hätten die Menschen in ihrem direkten Umfeld z. B. mehr Möglichkeiten sich zu bewegen, könnte man die Diabetesentstehung um 20 Prozent reduzieren, wie aktuelle Daten belegen.

Eine Umfrage vom Oktober 2019, die diabetesDE initiiert hat und an der mehr als 1500 Menschen mit Diabetes Typ 2 teilnahmen, gab Einblicke in die Versorgungsrealitäten von Typ-2-Patienten – mit interessanten Ergebnissen: 48 Prozent der Typ-2-er wünschen sich eine individualisierte Ernährungsberatung. Besonders wichtig ist ihnen beim Essen, dass es schmeckt (79 Prozent), gesund (66 Prozent) und einfach zuzubereiten ist (51 Prozent).

Neue E-Mail-Aktion der „Digitalen Allianz Typ 2“

„Menschen mit Diabetes wünschen sich auch leichte Hilfestellungen, etwa in Restaurants“, sagte Kröger. „Nährwerte auf Speisekarten muss Pflicht werden!“, heißt daher eine neue E-Mail-Aktion der „Digitalen Allianz Typ 2“, ein Zusammenschluss von 18 Diabetesorganisationen und Fachverlagen. Die aktuelle Aktion wurde im Weltdiabetestagmonat November gestartet (www.diabetes-stimme.de). Die Forderung, Speisekarten mit Nährwertangaben auszuweisen, richtet sich u. a. direkt an Bundesernährungsministerin Julia Klöckner.

Seit November ist auch die erweiterte Nährwertkennzeichnung, der Nutri-Score, in Deutschland erlaubt (wir berichteten). Das Label mit 5-stufiger Farbskala, das jetzt überall im Handel auf der Vorderseite verarbeiteter Produkte zu sehen ist, sei ein guter Anfang, könne Diabetespatienten bei der genauen Einschätzung von Lebensmitteln aber nur als Hinweis dienen, so Kröger. Die Nährwertangaben auf der Rückseite müssten sie weiterhin genau lesen. Denn Nahrungsmittel, die Kohlenhydrate (Zucker und Stärke) enthalten, wirken sich auf den Blutzuckerspiegel aus.

Die Hersteller nutzen die neue Ampelkennzeichnung derzeit nur auf freiwilliger Basis. Den Nutri-Score an sich wertet Dietrich Monstadt (MdB, CDU) als „große Chance“ für eine gesunde Ernährung, kritisierte aber die Freiwilligkeit der Angaben. Die Kennzeichnung müsse jetzt europaweit verbindlich geregelt werden, und dürfe vor allem auf Fertiggerichten nicht fehlen, die häufig sehr ungesund seien.

Enttäuschende Diabetes-Strategie „light“

Kann es jeder schaffen, mit einer gesunden Ernährung und viel Bewegung seinen Typ-2-Diabetes so in den Griff zu bekommen, dass auch auf Insulin verzichtet werden kann? „Ich bin von meinem Status, insulinpflichtig zu sein, bisher nicht runtergekommen“, betont Monstadt als langjähriger Typ-2-er. „Bei mir ist nach wie vor Insulin erforderlich. Ich habe eine relativ gute HbA1c-Einstellung – und liege immer um die 7 Prozent herum. Aber dass ich auf Insulin verzichten könnte, davon bin ich weit entfernt.“

Als Berichterstatter für Diabetes und Adipositas der CDU/CSU-Fraktion im Gesundheitsausschuss des Bundestags war und ist Monstadt maßgeblich an der Realisierung der Diabetes-Strategie beteiligt (wir berichteten mehrfach). Im Juli 2020 wurde die langjährig geforderte Strategie endlich im Bundestag verabschiedet. Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) begrüßte diesen Schritt, bezeichnete den Entwurf aber etwas enttäuscht als Nationale Diabetes-Strategie „light“.

Der Fachgesellschaft kommt hier vor allem die Ernährung zu kurz – ein Kernelement der Diabetesprävention. Die Lebensmittelindustrie müsse viel mehr in die Verantwortung genommen werden, lautet die Kritik. Bei den Softdrinks etwa nennt die Strategie weiterhin nur das Ziel einer freiwilligen Zuckerreduktion von 15 Prozent bis Ende 2025, was viel zu gering und damit quasi wirkungslos sei, betont die DDG.

Weitere Schritte müssen nun folgen

Was Monstadt 2014, als die Strategie gesundheitspolitisch langsam ins Spiel kam, noch nicht klar war: „dass es noch 6 Jahre dauert, um für ein solches Papier eine Mehrheit zu finden“, erinnert sich der CDU-Politiker. Der Koalitionspartner SPD habe sowohl in der Anfangs- als auch in der Mittelphase lange gebraucht, um das erarbeitete Konzeptpapier abzunicken. „Es war ein langer Weg, der nicht so lange hätte sein dürfen, aber immerhin: Wir haben ihn jetzt beschritten.“ Spannend bleibt die Frage: Was muss jetzt noch kommen? Die Corona-Krise habe die Politik erstmal „auf breiter Front in ihren Aktivitäten gebremst“, erklärte er.

Eins sei jedoch klar: Die Diabetes-Strategie in ihrer jetzigen Form dürfe nur der erste Schritt sein. „Wir müssen jetzt daran gehen, dass die Selbstverwaltung, das ganze Diabetesumfeld, aber auch die Politik weitere Schritte folgen lassen – auf den verschiedenen Ebenen, die diese Strategie anspricht“, so Monstadt, der allerdings gleich vor dem „ausgeprägten Ressortdenken“ in Deutschland warnte.

„Was wäre, wenn der Kollege Monstadt und ich gemeinsam einen Antrag stellen könnten?“, fragte Renate Künast (MdB, Bündnis 90/Die Grünen) scherzhaft. Wie Dietrich Monstadt wertet auch sie die Diabetes-Strategie als ersten Schritt, verwies aber deutlich darauf, dass sich ihre Fraktion bei der Abstimmung im Bundestag zur Strategie enthalten habe –„weil wir meinen, sie sei nicht hinreichend“, betonte sie.

Diabetesprävention: keine reine Privatsache

Als einen der wichtigsten Punkte in der Diabetesprävention sieht sie das individuelle Verhalten, aber eben nicht nur das. Vor allem an den Verhältnissen, in denen die Menschen leben und die sie umgeben, müsste die Politik interessiert sein. „Wir brauchen eine Debatte darüber, dass der öffentliche Raum anders wird – die gesamte Gemeinschaftsverpflegung: das Essen in Kindergärten, Schulen, Betriebskantinen, Krankenhäusern, Altersheimen. Hier müssen die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung gelten“, forderte Künast.

Auch eine verpflichtende Reduktionsstrategie für Salz, Fett und Zucker sei dringend erforderlich. Wie schnell oder langsam man diese Inhaltsstoffe reduziere, dürfe die Industrie aber nicht einfach selbst bestimmen, kritisierte sie.

Die digitale Podiumsdiskussion hat Almased Wellness unterstützt.


Autorin:
Angela Monecke
Redaktionsbüro Angela Monecke
Kopenhagener Str. 74, 10437 Berlin


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2020; 32 (12) Seite 6-7