Diabetespatienten sind aufgrund der Vielfalt an Schulungsprogrammen meist bestens geschult. Was fehlt, ist eine Schulung für die Angehörigen. Der VDBD hat sich diesem Thema angenommen.

Diabetes mellitus beeinflusst nicht nur das Leben der Betroffenen, sondern auch deren direktes soziales Umfeld: Lebenspartner, Geschwister, Eltern, Verwandte oder Freunde und Kollegen. Schulungsprogramme richten sich bisher nahezu ausschließlich an den Patienten, eine explizite Angehörigenschulung ist die Ausnahme.

Dabei bietet sie einen hohen Mehrwert: ein Angehöriger, der über das notwendige Wissen und über Kompetenzen im Umgang mit der Krankheit verfügt, ist in der Lage, den Patienten im Alltag besser zu unterstützen. Diese Versorgungsleistung ist insbesondere für kognitiv eingeschränkte Patienten wichtig. So profitiert nicht nur der Angehörige von einer Schulung, sondern auch der Betroffene selbst.

Verbesserte Versorgung

Eine verbesserte Versorgung und Lebensqualität von erwachsenen Menschen mit Diabetes mellitus ist das Ziel eines Projektes, das der VDBD 2016 ins Leben gerufen hat. Zu diesem Zweck entwickelt der Verband ein Schulungsprogramm, das speziell auf Familienangehörige und Partner, aber auch auf Freunde oder Kollegen von erwachsenen Diabetespatienten zugeschnitten ist.

Das Projekt, das vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert wird, besteht aus drei Projektphasen. Während der ersten Projektphase in 2016 – Projektpartner des VDBD waren die Universität Jena und das RED-Institut - wurden zunächst zertifizierte Schulungsprogramme für Menschen mit Diabetes mellitus nach relevanten Aspekten für die Zielgruppe der Angehörigen analysiert. Auf der Basis dieser Bestandsaufnahme erfolgte eine Bedarfsanalyse mit qualitativen und quantitativen Methoden.

Hoher Schulungsbedarf

Im Zuge der qualitativen Erhebung fanden im Herbst 2016 drei Fokusgruppen an den Standorten München, Hannover und Jena mit Angehörigen von erwachsenen Diabetes-Patienten statt. In Kleingruppen von sechs bis neun Teilnehmern erörterten Angehörige, in welchem Maße und zu welchen Themen sie sich eine Schulung wünschen.

Die Fokusgruppen deckten ein breites Spektrum an Beziehungskonstellationen ab: so setzten sich die Gruppen aus Ehe- bzw. Lebenspartnern von Diabetes-Patienten zusammen; aber auch aus Teilnehmern, deren Elternteil, Schwester, Neffe, erwachsenes Kind oder Großelternteil erkrankt ist. Eltern von minderjährigen Kindern mit Typ-1 Diabetes gehörten explizit nicht zur Zielgruppe.

Nach Durchführung aller drei Fokusgruppen ließ sich ein klares Fazit ziehen: Bei Angehörigen von Menschen mit Diabetes mellitus besteht erheblicher Schulungsbedarf. Die Teilnehmer äußerten gruppenübergreifend die Bereitschaft und den Wunsch, an einer Schulung speziell für Angehörige teilzunehmen.

Welche Themen wünschen sich Angehörige?

Den eigenen Wissensstand zur Erkrankung schätzten die Angehörigen recht unterschiedlich ein: während einige gut bis sehr gut über die Krankheit Diabetes mellitus Bescheid zu wissen meinen, äußerten andere Unsicherheiten. In einem Fall hörte eine Angehörige im Rahmen der Fokusgruppe sogar zum ersten Mal vom Risiko der Folgeerkrankungen. Unisono erklärten die Teilnehmer der Fokusgruppen, dass sie sich bei Diagnosestellung bzw. beim Kennenlernen der/s Partner/in eine Schulung zum Thema Diabetes gewünscht hätten.

Gruppenübergreifender Konsens herrschte auch in Bezug auf die Schwerpunkte des Schulungsinhaltes. An erster Stelle sind zu nennen:

  • Grundlagenwissen über die Erkrankung
  • Folgeerkrankungen
  • Ernährung
  • Notfallsituationen
  • Gebrauch von Materialien, z.B. Messgeräten
  • Psychologische Unterstützung, z.B. Motivationsstrategien

Aber auch Informationen zu besonderen Situationen wie z.B. Familienplanung, Diabetes und Sport oder die Versorgung im ländlichen Raum stehen auf der Wunschliste der Angehörigen.

Expertensicht

Mehrere Experteninterviews rundeten die qualitative Erhebung ab. In den Gesprächen mit Diabetesberaterinnen, Hausärzten und Diabetologen bestätigten auch die Profis den Bedarf an einer Angehörigenschulung und zwar getrennt nach Typ-1 und Typ-2 Diabetes.

Aus Sicht der Experten können Angehörige in folgende Therapiebereiche unterstützend involviert werden: Erinnerung an Medikamenteneinnahme bzw. Insulininjektion, Erkennen von Hypo- und Hyperglykämien sowie deren Behandlung und Vorbeugung, Blutglukosemessung und Insulininjektion, Arztbesuche, Vorsorge- und Kontrolluntersuchungen, Fußpflege, Umgang mit der Erkrankung in der Öffentlichkeit sowie Motivation hinsichtlich Bewegung, Ernährung und Therapiemüdigkeit.

Kognitive Einschränkungen

Bei Patienten mit kognitiver Einschränkung sind Angehörige oft deutlich stärker in die Therapie eingebunden, so dass eine Schulung dieses Personenkreises von besonderer Bedeutung ist. Kognitive Einschränkungen, insbesondere die Demenz sind ein schleichender Prozess.

Angehörige sollten über deren Anzeichen, Ausprägung und Entwicklung informiert sein, damit sie sukzessive die Diabetestherapie in Anpassung an den Krankheitsverlauf übernehmen können. Dazu gehören Informationen über die Formen und Nebenwirkungen von antihyperglykämischen Medikamenten ebenso wie die Kontrolle der Einnahme.

Quantitative Erhebung

Aus den Erkenntnissen der Fokusgruppen und der Experteninterviews wurde ein Fragebogen entwickelt, um auf breiter Ebene das Interesse an einem Schulungsprogramm für Angehörige und die Bewertung der notwendigen Inhalte quantitativ zu erheben. Der Fragebogen erfasste mittels Likertskalen die Inhalte und Kenntnisse, die Angehörige von Menschen mit Diabetes mellitus Typ-1 und Typ-2 vermittelt werden sollen.

Für die Umfrage wurden Angehörige, Ärzte und – über das Netzwerk des VDBD – auch Diabetesberater/-innen und –assistenten/-innen um ihre Teilnahme gebeten. Insgesamt beantworteten 203 Personen den Fragebogen: davon waren rd. 40 % Angehörige; 2 % Ärzte; rd. 46 % Diabetesberater/-innen und 14 % Diabetesassistenten/-innen.

Bestätigung der qualitativen Erhebung

Mit 5.08 von maximal 6 Punkten bewerteten die Angehörigen in der quantitativen Erhebung ihr Interesse an einer Teilnahme an einer Angehörigenschulung und bestätigten eindrucksvoll damit das Ergebnis der qualitativen Untersuchung. Dies gilt auch für die gewünschten Inhalte des künftigen Schulungsprogrammes. Bemerkenswerterweise gibt es kaum Unterschiede zwischen den Angaben der Angehörigen von Typ-1 und Typ-2 Patienten, nur die Reihenfolge und damit Wertigkeit ändert sich.

Beide Gruppen nennen Notfallsituationen an erster Stelle. Doch während Angehörige von Typ-2 Patienten das Thema "Ernährung" am zweithäufigsten erwähnten, sind "Anzeichen und Behandlung einer Hypoglykämie bzw. Hyperglykämie" sowie "Folgeerkrankungen" für Angehörige von Typ-1 Patienten wichtiger.

Deutlichere Differenzen zwischen den beiden Gruppen gab es bezüglich der Kenntnisse, die Angehörige in einer Schulung erwerben möchten. Angehörige von Menschen mit Typ-2 Diabetes nennen in absteigender Reihenfolge: Interpretation der Blutzuckerwerte, Tipps bei mangelnder Therapieadhärenz, Insulinwirkung, Blutzuckermessung, Fußpflege, Kommunikations- und Konfliktstrategien und an letzter Stelle Insulininjektion.

Angehörige von Typ-1 Patienten möchten gern an erster Stelle den praktischer Umgang mit dem Notfall-Kit erlernen und listen anschließend die Interpretation von Blutzuckerwerten, Insulinwirkung, Kommunikations- und Konfliktstrategien sowie Tipps bei mangelnder Therapieadhärenz auf.

Keine Bevormundung

Wichtig war allen Befragten, dass Betroffene nicht bevormundet oder überwacht werden wollen bzw. sollen. Unterstützung bei der Therapie sollte nur soweit erfolgen, wie es erforderlich und gewünscht ist. Einen sehr wichtigen Aspekt spielt dabei die kognitive Fähigkeit des Betroffenen, die es bei der Schulungsintensität und Themenauswahl zu berücksichtigten gilt. Auch die unterschiedliche Versorgung von Typ-1 und Typ-2 Patienten – hier Schwerpunktpraxis und dort Hausarztpraxis – sollte sich im Schulungsprogramm widerspiegeln.

Was die Zeit anbelangt, die Angehörige in eine Schulung investieren würden, fanden die meisten Angehörigen einen Umfang von vier bis fünf Unterrichtseinheiten angemessen.

Ausblick

Im Laufe dieses Jahres entwickelt der VDBD in Kooperation mit der Uni Jena, der FH Gera und dem RED-Institut das Curriculum sowie die Materialien des künftigen Schulungsprogrammes. Auch erfahrene Diabetesberaterinnen werden in diesen Prozess einbezogen. Diese zweite Projektphase wird Ende des Jahres mit einer Machbarkeitsstudie zur Optimierung des künftigen Schulungsprogrammes komplettiert.

Für die dritte Projektphase 2018 ist eine wissenschaftliche Evaluationsstudie geplant; denn mittelfristiges Ziel ist es, das neue Schulungsprogramm vom Bundesversicherungsamt zertifizieren und in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufnehmen zu lassen.



Autorin: Dr. Gottlobe Fabisch
Projektleiterin und VDBD-Geschäftsführerin

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2017; 29 (5) Seite 44-46