Ein spannendes Vortragsprogramm und hochkarätige Referent:innen bescherten der diesjährigen Jahrestagung des VDBD einen neuen Teilnahmerekord. Am 20. September 2025 investierten rund 360 Diabetesfachkräfte aus ganz Deutschland ihren freien Samstag, um sich online zu hochaktuellen Themen der Diabetologie fortzubilden.
Bild oben: Moderatorenteam auf der Tagung: v.l. Theresia Schoppe, Dr. Gottlobe Fabisch, Dr. Lars Hecht.
Das kompakte, aber inhaltlich dichte Programm bot praxisnahe Einblicke und wertvolle Impulse für die tägliche Arbeit. Ein Vortrag legte sein Augenmerk dabei auf Mangelernährung im Alter.
Fokus: Mangelernährung im Alter
Dr. rer. nat. Beate Schlegel, Ernährungswissenschaftlerin und Diätassistentin am Klinikum Stuttgart, zeigte in ihrem Referat auf, dass bis zu zwei Drittel älterer Patientinnen und Patienten in Akut- und Rehabilitationskliniken von Mangelernährung betroffen sind. Im Alter verändert sich der gesamte Organismus, wodurch sich auch die Anforderungen an eine bedarfsgerechte Ernährung ändern. Mit dem natürlichen Alterungsprozess nehmen die funktionellen Reserven nahezu aller Organe ab und können sich unmittelbar auf den Stoffwechsel auswirken. Zudem können chronische Erkrankungen die Nährstoffaufnahme beeinflussen und das Risiko einer Mangelernährung im Alter weiter erhöhen.
Dr. rer. nat. Beate Schlegel, Ernährungswissenschaftlerin und Diätassistentin am Klinikum Stuttgart.
Dr. Beate Schlegel betonte, dass Ernährungsmaßnahmen bei älteren Menschen vor allem eine bedarfsgerechte Versorgung mit Energie, Proteinen, Flüssigkeit und weiteren wichtigen Nährstoffen sicherstellen sollen. Dadurch können Fehlernährungen vermieden oder ausgeglichen und der Ernährungszustand stabilisiert bzw. verbessert werden. Ein guter Ernährungszustand ist die entscheidende Grundlage für den Erhalt und die Verbesserung physiologischer Funktionen, für Krankheitsvorbeugung und -behandlung sowie für eine erfolgreiche Rehabilitation. Mit zunehmendem Alter gelte es daher besonders, Funktionen, Selbstständigkeit und Lebensqualität zu erhalten.
Ursachen von Mangelernährung
Die Ursachen für Mangel- oder Unterernährung im Alter sind vielfältig. Eine Abnahme der zerebralen Funktionen kann zu Vergesslichkeit, Verwirrtheit oder Demenz führen – oft verbunden mit einer Ablehnung von Mahlzeiten. Chronische Erkrankungen wie Diabetes begünstigen kognitive Einschränkungen, Gebrechlichkeit, ein geschwächtes Immunsystem sowie ein erhöhtes Risiko für Infektionen und Komplikationen. All diese Faktoren mindern die Bereitschaft und Fähigkeit zur Nahrungsaufnahme.
Auch die Medikation spielt eine Rolle. Laut Dr. Schlegel verschlechtert sich nachweislich der Ernährungszustand, wenn regelmäßig mehr als fünf Medikamente eingenommen werden. Weitere Risikofaktoren sind geringere körperliche Aktivität, Probleme beim Kauen und Schlucken, ein schlechter Zahnstatus oder soziale Belastungen wie Einsamkeit, finanzielle Schwierigkeiten oder ungünstige Wohnverhältnisse. All diese Aspekte können zu Appetitverlust und einer unzureichenden Ernährung führen.
Feststellen von Mangelernährung
Eine reine Blickdiagnose reicht zur Erkennung einer Mangelernährung nicht aus, erläutert Schlegel. Seit 2019 gelten die sogenannten GLIM-Kriterien (Global Leadership Initiative on Malnutrition) als internationaler Standard. Dabei wird zunächst ein Screening auf Mangelernährung durchgeführt. Fällt dieses positiv aus, muss zusätzlich mindestens ein phänotypisches und ein ätiologisches Kriterium vorliegen, um eine moderate oder schwere Mangelernährung sicher zu diagnostizieren. Zu den phänotypischen Kriterien zählen ein ungewollter Gewichtsverlust von mehr als fünf Prozent innerhalb von sechs Monaten, ein altersabhängiger Body-Mass-Index von unter 20 kg/m² sowie eine reduzierte Skelettmuskelmasse. Als ätiologische Kriterien gelten eine verminderte Nahrungsaufnahme oder Erkrankungen, die die Aufnahme und Verwertung von Nahrung beeinträchtigen.
Für das Screening selbst stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung. Die S3-Leitlinie "Klinische Ernährung und Hydrierung im Alter" empfiehlt das Mini Nutritional Assessment (MNA) des Nestlé Nutrition Institute. Dieses besteht aus sechs Fragen mit maximal 14 Punkten. Je niedriger die erreichte Punktzahl, desto höher ist das Risiko für eine drohende oder bereits bestehende Mangelernährung. Wird nach einem ausführlichen Assessment eine Mangelernährung festgestellt, gilt es, die individuellen Ursachen zu bestimmen, um frühzeitig multimodale und spezifische Maßnahmen einzuleiten.
Therapieziele bestimmen – Maßnahmen einleiten
Im Alter stehen vor allem die Erhaltung von Funktionen, Selbstständigkeit und Lebensqualität im Vordergrund. Maßnahmen gegen Mangelernährung müssen daher individuell auf die jeweiligen Ursachen sowie auf bestehende chronische Erkrankungen abgestimmt werden. Bei der Festlegung der Therapieziele sollten zudem der Wille und die persönlichen Vorlieben der Patientinnen und Patienten stets berücksichtigt werden. Je nach Ursache können unterschiedliche Ansätze sinnvoll sein: Dazu zählen eine gezielte Mund- und Zahnpflege, zahnärztliche Behandlungen, Schlucktraining, die Anpassung der Nahrungskonsistenz sowie Physiotherapie und Krafttraining. Auch praktische Hilfen wie Einkaufs- und Kochunterstützung, die Lieferung von Mahlzeiten oder eine angemessene Hilfe beim Essen spielen eine wichtige Rolle. Grundsätzlich sollte darauf geachtet werden, dass Mahlzeiten bedarfsdeckend, abwechslungsreich, optisch ansprechend und geschmacklich attraktiv zubereitet sind. Darüber hinaus tragen eine angenehme Essumgebung, gemeinsames Essen oder Gruppenaktivitäten entscheidend zum Therapieerfolg bei. Ergänzend ist eine regelmäßige Überprüfung von Medikamentenverordnungen notwendig, um gegebenenfalls eine Reduktion oder Anpassung vorzunehmen. Unverzichtbar bleibt dabei eine adäquate ärztliche Betreuung, die bei Bedarf durch eine diätetische Behandlung ergänzt wird.
Sonderfälle Adipositas und Diabetes
In ihrem Vortrag ging Frau Dr. Schlegel auch auf die besondere Situation von Adipositas im Alter ein. Grundsätzlich wird empfohlen, Übergewicht bei älteren Menschen nicht routinemäßig zu behandeln. Vor einer Gewichtsreduktion sollte stets sorgfältig abgewogen werden, ob der Nutzen die möglichen Risiken überwiegt – insbesondere, um einen Verlust an Muskelmasse und damit verbundene Funktionseinbußen zu vermeiden.
Für ältere Menschen mit Diabetes wird ein routinemäßiges Screening auf Mangelernährung empfohlen. Wird eine Mangelernährung diagnostiziert, gelten die gleichen Therapieempfehlungen wie für Betroffene ohne Diabetes, entsprechend der gültigen Leitlinien.
Weitere Themen der VDBD-Tagung
Neben Dr. Beate Schlegel trug Prof. Dr. med. Marcel Roos, Facharzt für Innere Medizin, Nephrologe, Diabetologe (BLAEK), Diabeteszentrum Bogenhausen, mit seinem Vortrag "Aktuelle Entwicklungen im Insulinmarkt: Bedeutung für die Diabetesberatung und Patientenschulung zur 12. VDBD-Tagung bei." Er stellte Neuigkeiten vom EASD-Kongress in Wien vor und zeigte, wie orale und inhalative Insuline sowie Konzepte für "smarte" Insuline die zukünftige Versorgung verändern könnten. Im gleichen Atemzug betonte er die Kernkompetenzen der Diabetesberatung, die auch in Zukunft gefordert sind.
Ein weiterer Höhepunkt war der Vortrag von Prof. Dr. med. Claudia Eberle, Fachärztin für Innere Medizin, Endokrinologie, Diabetologie, Ernährungsmedizin, Infektiologie, Hochschule Fulda, zum Thema "Fetale Programmierung - Gestationsdiabetes und CGM". Sie beleuchtete Risikofaktoren und präventive Ansätze für die langfristige Gesundheit von Mutter und Kind und betonte die Bedeutung einer leitliniengerechten Betreuung.
Mit Spannung erwartet wurde die Präsentation von Prof. Dr. Othmar Moser, klinischer Wissenschaftler am Institut für Sportwissenschaft der Universität Bayreuth und der Universitätsklinik Graz. Er stellte das neue EASD/ISPAD-Positionspapier 2025 zu AID-Systemen im Kontext sportlicher Aktivität vor, erstmals mit differenzierten Empfehlungen, wie Menschen mit Typ-1-Diabetes sicher und effektiv Sport treiben können.
In der Rubrik "Time for 2/Zeit für 2" griff Theresia Schoppe, Oecotrophologin B.Sc., Diabetesberaterin DDG in Warstein und stellvertretende VDBD-Vorsitzende, das eher selten behandelte Thema "Mukoviszidose und Diabetes" auf und gab Einblicke in die laufende Leitlinienarbeit. Sebastian Bittner, Diabetesberater DDG, VDBD-Vorstand, m&i-Fachklinik Bad Heilbrunn, überzeugte mit seinem praxisorientierten Vortrag zur "Ersteinstellung in der Klinik" und zeigte die Bedeutung eines strukturierten Vorgehens von Diagnostik bis Therapieeinleitung auf.
Die Resonanz war eindeutig: Die VDBD-Tagung ist längst ein fester Termin im Kalender von Diabetesfachkräften. Fachlich fundierte Inhalte, praxisnahe Tipps und intensiver Austausch machten auch 2025 wieder den Unterschied – mit neuem Besucherrekord und viel positivem Feedback.
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2025; 37 (5) Seite 40-42
