Deutschland ist führend in der invasiven Diagnostik von kardiologischen Erkrankungen – allerdings ohne messbare Verbesserung der Herzgesundheit. Nun soll eine weitere Untersuchung Kassenleistung werden. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) begrüßt diese Entscheidung grundsätzlich, warnt jedoch davor, das neue Verfahren als Add-on einzusetzen.
Kürzlich hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschlossen, dass die nicht-invasive koronare Computertomografie (CT-Koronarangiografie/CCTA) bei Verdacht auf chronische/stabile koronare Herzkrankheit (KHK) auch ambulant Kassenleistung werden soll. Die Entscheidung ist nachvollziehbar: Die Untersuchungsqualität ist im Vergleich zu invasiven Koronarangiografien bei CT-Koronarangiografien mindestens gleichrangig, außerdem gibt es weniger Komplikationen. Strahlenbelastung gibt es jedoch bei beiden Verfahren.
„Die Entscheidung des G-BA kann zu einer echten Weichenstellung in der Koronar-Diagnostik werden. Damit können wir neue Versorgungswege beschreiten, die nicht zwangsläufig über das invasive Katheter-Labor führen müssen“, kommentiert Prof. Martin Scherer, Präsident der DEGAM. „Allerdings kann es sich in zwei Richtungen entwickeln: Entweder wird die CCTA als Add-on zusätzlich zum Herzkatheter eingesetzt (wie in Dänemark zu beobachten) oder die CCTA ersetzt zunehmend die invasive Koronarangiografie (wie in England). Das dänische Beispiel sollte Warnung für uns sein, die bereits jetzt bestehende Überdiagnostik nicht weiter zu verstärken. Andernfalls wird sich die gegenwärtige Unterversorgung im Bereich von anderen und insbesondere rasch zugänglichen kardiologischen Leistungen weiter verschlechtern.“ Prof. Erika Baum, Pastpräsidentin der DEGAM, ergänzt: „Bisher wird nur in 25 Prozent der Fälle ein nicht-invasives Verfahren gemäß den aktuellen Leitlinien angewendet, wie auch die Studie ENLIGHT kürzlich gezeigt hat. Damit wird erneut deutlich: Im Bereich der Koronarangiografien leistet sich Deutschland eine klare Überversorgung – das bindet Ressourcen und gefährdet die Patientensicherheit, auch in Hinblick auf den Strahlenschutz.“
Zur Leitlinie Schutz vor Über- und Unterversorgung – gemeinsam entscheiden: https://www.degam.de/leitlinie-s2e-053-045lg
Die Diagnostik und Therapie von koronaren Herzerkrankungen (KHK) liegt an der Schnittstelle von Kardiologie und hausärztlicher Praxis. Die DEGAM setzt sich schon seit vielen Jahren dafür ein, die Versorgung der Herzpatientinnen und -patienten zielgerichteter anzulegen und gleichzeitig die bestehende Überdiagnostik abzubauen – und hat das Thema auch in ihrer Leitlinie „Schutz vor Über- und Unterversorgung“ aufgegriffen. Bereits im vergangenen Herbst hatte die DEGAM an Anhörungen im G-BA teilgenommen. „Die hohe Zahl der Koronarangiografien in Deutschland ist – vor allem im internationalen Vergleich – medizinisch nicht zu erklären“, betont Präsidiumsmitglied Dr. Günther Egidi, der das Thema innerhalb der DEGAM federführend begleitet. „Mit dem nicht-invasiven Verfahren haben wir eine neue Option, die Versorgung zu verbessern. Dabei ist es unsere Aufgabe als Hausärzte, im Sinn des Strahlenschutzes dafür zu sorgen, dass die Patientinnen und Patienten nach CCTA nicht routinemäßig auch noch einen Herzkatheter bekommen. Die ambulante CCTA soll für Betroffene mit intermediärem Risiko (Vortestwahrscheinlichkeit zwischen 15 und 50 Prozent) und ohne Kontraindikationen zum Goldstandard werden – wie es auch in der Nationalen VersorgungsLeitlinie steht.“ Für Hausärztinnen und Hausärzte ist – neben der Anamnese und der körperlichen Untersuchung – der Marburger Herz-Score ein wichtiges Instrument, um die betroffenen Patientinnen und Patienten mit mittlerem KHK-Risiko zu identifizieren.
Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e. V. vom 14. Juni 2024
Für die Version 7 der NVL Chronische KHK hat die multidisziplinäre Leitliniengruppe die Kapitel Definition und Epidemiologie, Diagnostik und Medikamentöse Therapie und Versorgungskoordination überarbeitet. Alle weiteren Kapitel haben sie hinsichtlich Aktualität und Gültigkeit bestätigt. Die aktualisierte NVL ist kostenlos im Internet verfügbar.
Als wichtige Neuerung empfiehlt die Leitliniengruppe in der Diagnostik, die CT-Koronarangiographie (CCTA) bevorzugt einzusetzen, wenn nach den Voruntersuchungen mit mäßiger Wahrscheinlichkeit eine KHK vorliegt. Für die Überlegenheit der CCTA liegen Daten mit hoher Aussagesicherheit vor. Die Leitliniengruppe beruft sich dabei unter anderem auf den Evidenzbericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).
Die gemeinsame Entscheidungsfindung sieht die Leitliniengruppe als wichtiges Instrument zur Sicherung der Selbstbestimmung der Betroffenen. Daher formuliert sie zur Stärkung der patientenzentrierten Versorgung eine ergänzende Empfehlung. Zur Förderung der Kommunikation zwischen den beteiligten Professionen und Sektoren hat die Leitliniengruppe das Kapitel Versorgungskoordination angepasst, unter anderem mit neuen Empfehlungen zum DMP KHK sowie zur Kooperation. Im Kapitel zur medikamentösen Therapie gibt es keine grundlegenden Änderungen, aber einige Anpassungen in den Unterkapiteln Thrombozytenaggregationshemmer und Lipidsenker sowie zwei neue Algorithmen. Um Patientinnen und Patienten bei wichtigen Therapieentscheidungen zu unterstützen, gibt es mehrere Entscheidungshilfen, die eigens für diese NVL entwickelt wurden. Neu sind zwei Entscheidungshilfen zur Statintherapie, alle weiteren Patienteninformationen wurden geprüft und aktualisiert.
Das Programm für Nationale VersorgungsLeitlinien steht unter der Trägerschaft von Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Mit der Durchführung ist bis zum 31. Dezember 2024 das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin beauftragt. Zu ausgewählten Krankheitsbildern arbeiten Expertinnen und Experten verschiedener Organisationen zusammen, um im Rahmen der strukturierten Versorgung chronisch kranker Menschen die angemessene und evidenzbasierte Patientenversorgung darzustellen.
URL zur Pressemitteilung: http://www.khk.versorgungsleitlinien.de/
Pressemitteilung des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin vom 03. September 2024
Kontakt: Corinna Schaefer M.A., Pressesprecherin, Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin, Tiergarten Tower Straße des 17. Juni 106 - 108, 10623 Berlin, E-Mail: mail@azq.de
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Kontakt:
Natascha Hövener
Pressesprecherin
E-Mail: hoevener@degam.de
Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM),
Schumannstr. 9, 10117 Berlin
Präsident: Prof. Dr. med. Martin Scherer (Hamburg),
http://www.degam.de
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (12) Seite 20-21