Einleitung
Das Jahr 2020 war bisher maßgeblich durch das Auftreten eines neuen Coronavirus – des severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (SARS-CoV-2) – geprägt, welches innerhalb weniger Monate zu einer globalen Pandemie eskaliert ist. Bis Ende August 2020 wurde die assoziierte Atemwegserkrankung – coronavirus disease 19 (COVID-19) – bei mehr als 23 Millionen Menschen diagnostiziert, von denen mehr als 800 000 Menschen verstarben [World Health Organization 2020]. In Italien, einem der von SARS-CoV-2 stark betroffenen Länder, war die Gesamtmortalität für den Zeitraum vom 1. März bis 4. April 2020 im Vergleich zur durchschnittlichen Anzahl der Todesfälle in den letzten 5 Jahren um 104,5 % erhöht [Rizzo 2020]. Bei der Bewertung der Mortalitätsraten fällt auf, dass diese deutlich stärker anstiegen, als es die offiziellen COVID-19-Todesfälle vermuten lassen [Mannucci 2020]. Neben Italien wurden diese Beobachtungen auch für andere europäische Länder gemacht [Vestergaard 2020]. Dies könnte auf Einschränkungen in der akuten und chronischen Versorgung in den jeweiligen Ländern zurückzuführen sein. Betrachtet man die hohen Mortalitätsraten, sollte berücksichtigt werden, dass nicht nur bei mehr als 80 % der Personen mit SARS-CoV-2-Infektion keine oder nur leichte Symptome beobachtet werden können, sondern auch zahlreiche andere Komplikationen, wie u. a. Gerinnungsstörungen und kardiovaskuläre Komplikationen häufiger auftreten [Wu 2020c].
Die Infektion mit SARS-CoV-2 und der Verlauf von COVID-19 ist durch eine anfängliche Infektionsphase, gefolgt von einer Phase der Atemnot und einem schweren Hyperinflammationszustand gekennzeichnet [Böhm 2020, Wu 2020c]. Das Eindringen des Virus in die Zellen wird über den Rezeptor für angiotensin converting enzyme 2 (ACE2) vermittelt, der in Zellen vieler Organe exprimiert wird. Die Expression des ACE2-Rezeptors in Endothelzellen könnte es dem Virus ermöglichen, Blutgefäße zu infizieren und eine Verbreitung des Virus im Organismus zu begünstigen [Varga 2020]. Als Reaktion auf das Virus wird das Immunsystem aktiviert, was in einer systemischen Entzündung resultieren und in einem Zytokinsturm kulminieren kann [Böhm 2020, Channappanavar 2017]. Infolgedessen führt die SARS-CoV-2-Infektion nicht nur zu einer Entzündung des Lungengewebes, sondern kann auch Schäden an anderen Organen wie Herz, Leber und Nieren verursachen [Huang 2020a, Wang 2020a]. In einigen Studien konnte eine höhere Inzidenz von COVID-19 bei Männern im Vergleich zu Frauen beobachtet werden. Sama und Kollegen vermuteten, dass eine höhere Plasmakonzentration von ACE2 bei Männern diese Diskrepanz erklären könnte [Sama 2020].
Eine Analyse von Daten, der OpenSAFELY-Plattform, die bei mehr als 17 Millionen Personen in Großbritannien gesammelt wurden, identifizierte Faktoren, die mit einer erhöhten Mortalität aufgrund von COVID-19 assoziiert sind [Williamson 2020]. Ein höheres Risiko für einen tödlichen COVID-19-Verlauf wurde bei Adipositas, Diabetes, schwerem Asthma, Atemwegserkrankungen, chronischen Herzkrankheiten, Lebererkrankungen, Schlaganfall/Demenz, anderen neurologischen Erkrankungen, reduzierter Nierenfunktion, Autoimmunerkrankungen und anderen immunsuppressiven Erkrankungen festgestellt [Williamson 2020]. Eine Analyse des ersten beschriebenen deutschen Kollektivs mit COVID-19 zeigte eine höhere Rate an Adipositas und eine Vorgeschichte von Atemwegserkrankungen bei Personen mit acute respiratory distress syndrome (ARDS) im Vergleich zu Personen mit weniger schwerem Krankheitsverlauf [Dreher 2020]. Eine weitere Beobachtungsstudie aus Deutschland ergab eine Krankenhaussterblichkeit von 22 %, vorwiegend bei Patienten mit mechanischer Beatmung, Patienten > 80 Jahre und bei Dialysepatienten [Karagiannidis 2020]. Die häufigsten zugrunde liegenden Komorbiditäten von COVID-19 waren chronische Erkrankungen wie Adipositas, Diabetes, Hypertonie und kardiovaskuläre Erkrankungen (cardiovascular disease, CVD) [Guo 2020b]. In diesem Übersichtsartikel möchten wir die Auswirkungen, die die zuvor genannten chronischen Erkrankungen auf die Infektion mit SARS-CoV-2 und den Verlauf von COVID-19 haben können, darstellen, die Empfehlungen internationaler wissenschaftlicher Organisationen hervorheben und Erkenntnisse für die Zukunft diskutieren.
COVID-19, Adipositas und Diabetes
Adipositas
Adipositas gilt als einer der wichtigsten Risikofaktoren für einen schlechteren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung. Verschiedene retrospektive Studien und Analysen deuten auf eine hohe Prävalenz von Adipositas bei COVID-19-Patienten hin [Bhatraju 2020, Caussy 2020, Chen 2020a, Mahase 2020, Simonnet 2020]. Eine französische Studie konnte zeigen, dass die Prävalenz der Adipositas, definiert durch einen Body-Mass-Index (BMI) von mindestens 30 kg/m2, bei Patienten mit einem schweren COVID-19-Verlauf um das 1,35-Fache (95-%-Konfidenzintervall [95 % KI] 1,08 – 1,66) höher war als in der französischen Allgemeinbevölkerung [Caussy 2020]. Die Prävalenz der Adipositas bei schwerkranken COVID-19-Patienten, die durch die Aufnahme auf eine Intensivstation definiert war, war ebenfalls höher als in der französischen Allgemeinbevölkerung [Caussy 2020]. Simonnet und Kollegen beobachteten eine große Anzahl übergewichtiger und adipöser Personen, die auf die Intensivstation eingewiesen wurden, was auf einen schwereren Krankheitsverlauf hinweist. Der mediane BMI der in der Studie untersuchten Personen, die eine invasive Beatmung (IV) benötigten, betrug 31,1 kg/m2, im Vergleich zu 27,0 kg/m2 bei denjenigen, die keine IV benötigten [Simonnet 2020]. In einer weiteren Studie war die Wahrscheinlichkeit eines ARDS oder einer Exazerbation der Erkrankung bei COVID-19-Patienten mit höherem BMI höher als bei Individuen mit niedrigerem BMI [Cai 2020]. Eine Studie aus New York ergab, dass Personen mit Adipositas mit höherer Wahrscheinlichkeit eine akutmedizinische Versorgung und eine Einweisung auf die Intensivstation benötigten; dies wurde besonders bei Personen unter 60 Jahren beobachtet [Lighter 2020]. Weiterhin hatten Personen mit Adipositas im Vergleich zu nicht adipösen COVID-19-Patienten einen längeren Krankenhausaufenthalt [Gao 2020b]. Adipositas scheint nicht nur mit einer schlechteren Prognose von COVID-19 assoziiert zu sein, sondern erwies sich auch als ein signifikanter Prädiktor für die Mortalität [Pettit 2020].
Adipositas wurde aufgrund des zugrunde liegenden chronisch-entzündlichen Phänotyps bereits früher als Risikofaktor für eine Reihe von Virusinfektionen diskutiert [Alberca 2020, Andersen 2016, Han 2014]. Diese chronische Entzündung wirkt sich negativ auf die Immunität aus; bei adipösen Personen liegen häufig erhöhte Zytokinspiegel vor. Diese zugrunde liegende Entzündung kann zu einer erhöhten Insulinresistenz führen, wodurch die proinflammatorische Kaskade weiter aktiviert wird. Adipositas ist weiterhin mit dem Entstehen von Dyslipidämien, Atherosklerose, Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM) und Hypertonie assoziiert, alles ebenfalls Risikofaktoren für einen schwereren Verlauf von COVID-19 [Guan 2020, Wang 2020b, Yang 2020b, Zhang 2020c]. So verschärft ein durch SARS-CoV-2 induzierter Zytokinsturm die bereits bestehende, mit Adipositas assoziierte subklinische Inflammation und prädisponiert adipöse Personen für ein erhöhtes Risiko eines schweren COVID-19-Verlaufs [Alberca 2020]. Zusätzlich zu den negativen Auswirkungen auf die Entzündung können Faktoren, die mit der Adipositas assoziiert sind und die mechanische Beatmung beeinflussen, den Schweregrad der Infektion der unteren Atemwege erhöhen und zu Sekundärinfektionen beitragen [Han 2014]. Darüber hinaus verursacht die Adipositas signifikante Veränderungen in der Mechanik der Lunge und der Brustwand. Diese erschweren die mechanische Beatmung und können zu asthmaähnlichen Symptomen wie Dyspnoe, Keuchen und Überempfindlichkeit der Atemwege führen [Dixon 2018]. Diese Symptome können Infektionen der Lunge aufgrund von COVID-19 verschlimmern.
Die Behandlung von COVID-19-Patienten mit Adipositas auf der Intensivstation kann eine Herausforderung darstellen, insbesondere im Hinblick auf das Unterstützen der Beatmung, Gefäßzugänge und das Auftreten eines Dekubitus [Chiappetta 2020, Selim 2016]. Angesichts der aktuellen Situation sollte die Behandlung der Adipositas durch eine Verbesserung der Immunmodulation, z. B. durch eine ausgewogene Ernährung, eine leichte Kalorieneinschränkung und körperliche Bewegung als Präventivmaßnahmen, für Risikopersonen empfohlen werden [Luzi 2020].
Empfehlungen
Die European Association for the Study of Obesity (EASO) veröffentlichte eine Stellungnahme zur globalen COVID-19-Pandemie [Frühbeck 2020], um für ihr Engagement zur Unterstützung von Personen mit Adipositas durch die Schaffung von Ressourcen für Angehörige der Gesundheitsberufe, Patienten und politische Entscheidungsträger einzutreten. Derzeit fehle es noch an Daten, die die gesundheitlichen Auswirkungen und die Auswirkungen von COVID-19 auf die Adipositas während des Lockdowns, der Quarantäne und der Selbstisolierung beschreiben. Daher fordert die EASO einen Fokus auf zeitgemäße und wirkungsvolle Forschung sowie das Bereitstellen von Tools zur Unterstützung des Managements der Adipositas insbesondere im Zusammenhang mit COVID-19 [Frühbeck 2020].
Diabetes
Bereits zu Beginn der Pandemie gab es Hinweise auf ein erhöhtes Risiko einer SARS-CoV-2-Infektion speziell für Menschen mit Diabetes [Li 2020a]. Berichte und Beobachtungsstudien aus China und Italien identifizierten eine hohe Anzahl von Personen mit Diabetes unter hospitalisierten COVID-19-Patienten und auch unter Patienten mit einem tödlichen COVID-19-Verlauf [Bhatraju 2020, Guan 2020, Huang 2020a, Onder 2020, Wang 2020a, Wu 2020a, Yang 2020b, Zhang 2020c]. Im weiteren Verlauf konnte jedoch definiert werden, dass nicht die Inzidenz einer SARS-CoV-2-Infektion bei Menschen mit Diabetes erhöht zu sein scheint. Stattdessen wurde beobachtet, dass der Schweregrad einer COVID-19-Erkrankung und auch die Mortalität bei Individuen mit Diabetes erhöht sind [Chung 2020, Fadini 2020, Guo 2020b, Li 2020a, Mantovani 2020, Roncon 2020, Wu 2020b, Wu 2020d, Yan 2020]. Beim Betrachten dieser Studien ist jedoch zu beachten, dass in den meisten Fällen weder die Prävalenz von COVID-19 noch der Schweregrad der Erkrankung bei Menschen mit Diabetes in Bezug auf die jeweilige Gesamtbevölkerung bewertet wurde – insbesondere nicht altersbereinigt.
Eine Beobachtungsstudie mit 193 Patienten mit einem schweren COVID-19-Verlauf zeigte eine erhöhte Sterblichkeitsrate von Patienten mit Diabetes im Vergleich zu Patienten ohne Diabetes (81,3 % vs. 47,6 %, mit einer Gesamtsterblichkeitsrate von 56,0 %) [Yan 2020]. Personen mit Diabetes hatten bereits bei der Aufnahme ins Krankenhaus höhere inflammatorische Laborparameter und wiesen mehr Komorbiditäten auf, was den Schweregrad von COVID-19 sowie die Mortalität zusätzlich beeinflusst haben könnte [Yan 2020].
In einer retrospektiven, longitudinalen, multizentrischen Studie wurde ein potenzieller Zusammenhang zwischen der glykämischen Kontrolle und den klinischen Ergebnissen bei Menschen mit T2DM und COVID-19 untersucht [Zhu 2020]. Die Studie schloss 7 337 Patienten mit COVID-19 ein, von denen 13 % einen T2DM aufwiesen. Dies entspricht der Prävalenz von T2DM in China, die bei etwa 10,9 % liegt [Wang 2017]. Die mediane Zeit zwischen den ersten Symptomen bis zur Krankenhauseinweisung betrug 10 Tage (Interquartil-Bereich 6 – 19); die Symptome waren in beiden Gruppen vergleichbar mit der allgemeinen Patientenpopulation. Menschen mit T2DM hatten während einer COVID-19-Erkrankung einen erhöhten Bedarf an medizinischen Interventionen und wiesen im Vergleich zu Kontrollpersonen eine höhere Sterblichkeitsrate im Krankenhaus auf. Das vermehrte Auftreten unerwünschter Ergebnisse bei Menschen mit T2DM hing mit dem Niveau der Blutzuckerkontrolle zusammen. Menschen mit einem HbA1c-Wert von 8,1 % wiesen schlechtere Laborwerte auf und benötigten ein intensiveres therapeutisches Management als Personen mit einem HbA1c-Wert von 7,3 %. Letztere waren in Bezug auf die meisten analysierten Parameter mit der Kontrollgruppe vergleichbar [Zhu 2020].
Auswertungen einer retrospektiven Beobachtungsstudie aus den USA deuten darauf hin, dass eine unkontrollierte Hyperglykämie (definiert als zwei oder mehr Point-of-Care gemessene Blutglukosewerte > 180 mg/dl innerhalb von 24 h und ein HbA1c < 6,5 % oder keine vorliegende HbA1c-Messung) einen stärkeren Einfluss auf die Krankenhausverweildauer und die Mortalität haben könnte als ein hoher HbA1c-Wert. In der Studie war die Mortalitätsrate von Patienten mit Diabetes (HbA1c 9,1 %) niedriger als bei COVID-19-Patienten mit unkontrollierter Hyperglykämie: 14,8 % vs. 41,7 % [Bode 2020]. Diese Daten werfen die Frage auf, ob eine hohe Glukosevariabilität und nicht die chronische Hyperglykämie vordergründig den Schweregrad und die Mortalität von COVID-19 bestimmen und ob die Verbesserung der Glukosevariabilität im Mittelpunkt der Blutzuckereinstellung stehen sollte.
- ARDS – acute respiratory distress syndrome
- ACC – American College of Cardiology
- ADA – American Diabetes Association
- AHA – American Heart Association
- ARB – Angiotensin-II-Rezeptorblocker
- ACE2 – Angiotensin-converting enzyme 2
- BMI – Body-Mass-Index
- CVD – cardiovascular disease(s)
- CSC – Chinese Society of Cardiology
- COPD – chronisch obstruktive Lungenerkrankung
- KI – Konfidenzintervall
- COVID-19 – Coronavirus disease 2019
- DDG – Deutsche Diabetes Gesellschaft
- DGK – Deutsche Gesellschaft für Kardiologie
- D&CVD – Study GroupDiabetes and Cardiovascular Disease Study Group
- DPP-4 – Dipeptidylpeptidase-4
- DPV – Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation
- EASD – European Association for the Study of Diabetes
- EASO – European Association for the Study of Obesity
- ESC – European Society of Cardiology
- ESH – European Society of Hypertension
- GLP-1 – glucagon-like peptide-1
- HR – hazard ratio
- HFSA – Heart Failure Society of AmericaI
- L-6 – Interleukin-6
- IV – invasive Beatmung
- MERS-CoV – Middle East respiratory syndrome coronavirus
- OR – odds ratio
- RAS – Renin-Angiotensin-System
- SARS-CoV – severe acute respiratory syndrome coronavirus
- SARS-CoV-2 – severe acute respiratory syndrome coronavirus 2
- SGLT-2 – Natrium-Glucose-Cotransporter 2T1DM Diabetes
- T1DM – Diabetes mellitus Typ 1
- T2DM – Diabetes mellitus Typ 2
Eine weitere Beobachtung einer retrospektiven, chinesischen Studie mit Patienten, die aufgrund einer COVID-19-Erkrankung hospitalisiert wurden, deutet auf eine stärkere Krankheitsschwere bei Menschen mit neu diagnostiziertem Diabetes im Vergleich zu Menschen mit bekanntem Diabetes, Hyperglykämie und normaler Glukose hin [Li 2020b]. Dies könnte die obigen Aussagen unterstützen, dass nicht nur die Hyperglykämie, sondern auch die glykämische Variabilität mit dem Verlauf einer COVID-19-Erkrankung assoziiert ist. Mehrere Studien unterstützen die Ansicht, dass die Hyperglykämie bei Krankenhausaufnahme als unabhängiger Faktor für eine schlechte Prognose bei Patienten mit COVID-19 nicht nur bei Personen mit Diabetes bewertet werden kann. Bei stationär behandelten Patienten ohne vorher bestehenden Diabetes hatte eine Hyperglykämie bei Krankenhausaufnahme eine um 30 % höhere Sterblichkeitsrate zur Folge. Analysen der Pisa-Studie lassen eine bidirektionale Beziehung zwischen der COVID-19-Prognose und Hyperglykämie vermuten, die durch einen Anstieg der ACE2-Aktivität vermittelt werden könnte [Cariou 2020, Coppelli 2020, Singh 2020c]. In einer retrospektiven Analyse von COVID-19-Patienten mit T2DM wiesen 56,6 % der Teilnehmer erhöhte Blutzuckerwerte auf, sowohl prä- als auch postprandiale Exkursionen eingeschlossen [Zhou 2020b]. Dies unterstreicht die Bedeutung eines strikten Glukosemanagements bei Personen mit T2DM, auch ohne das Vorliegen einer SARS-CoV-2-Infektion, insbesondere im Hinblick auf die schlechtere Prognose und Mortalität bei Personen mit unkontrollierter Glykämie.
Es gibt nicht nur eine potenzielle Wechselwirkung zwischen Diabetes und der Blutzuckereinstellung mit dem COVID-19-Schweregrad und der damit verbundenen Mortalität; SARS-CoV-2-Infektionen und die damit verbundenen Behandlungsmöglichkeiten können den Blutzuckerspiegel bei Menschen mit Diabetes ebenfalls negativ beeinflussen. Bereits bei früheren virusinduzierten Pandemien/Epidemien, wie bei der durch das severe acute respiratory syndrome coronavirus (SARS-CoV), das H1N1-Grippevirus und das Middle East respiratory syndrome coronavirus (MERS-CoV) ausgelösten, konnte gezeigt werden, dass das Vorhandensein eines Diabetes das Risiko für Komplikationen erhöhte [Allard 2010, Booth 2003, Nassar 2018, Yang 2006]. Es ist bekannt, dass Diabetes und insbesondere Hyperglykämie mit Immunfunktionsstörungen wie Zytokindysregulation und Inflammation einhergehen [Geerlings 1999, Ilyas 2011, Pearson-Stuttard 2016]. Wie auch bei der Adipositas wird davon ausgegangen, dass der proinflammatorische Zustand, der durch eine unangemessene Zytokinreaktion gekennzeichnet ist, ursächlich für den erhöhten Schweregrad von COVID-19 bei Personen mit Diabetes sein könnte. Der zusätzliche, durch SARS-CoV-2 induzierte Zytokinsturm führt zu ARDS, Schock und einer raschen Verschlechterung einer COVID-19-Erkrankung [Guo 2020b]. Zusätzlich verstärkt der prothrombotische Grundzustand bei Menschen mit Diabetes die Überaktivierung der Gerinnungskaskade bei COVID-19-Erkrankungen [Hussain 2020]. Ein direkter Effekt von SARS-CoV-2 auf die β-Zellen der Bauchspeicheldrüse kann zu einer Verstärkung der Insulinresistenz führen. Es hat sich gezeigt, dass eine Coronavirus-Infektion – insbesondere durch SARS-CoV – Inselzellen der Bauchspeicheldrüse schädigt und einen akuten insulinabhängigen Diabetes verursachen kann [Yang 2010]. 51 % der Patienten, die eine SARS-CoV-Infektion überlebt haben, entwickelten in einer Studie zur Untersuchung der Pathogenese der Glukoseintoleranz während eines Krankenhausaufenthalts Diabetes. Nach drei Jahren Nachbeobachtung hatten nur noch 5 % dieser Patienten Diabetes, was darauf hindeutet, dass die Schädigung der Inselzellen durch SARS-CoV vorübergehend war [Yang 2010]. Es wurde diskutiert, dass auch SARS-CoV-2 die Bauchspeicheldrüse infizieren könnte, was zu einer Hyperglykämie führen und dadurch eine Hochregulation von glykosyliertem ACE2 in der Lunge und damit eine weitere Virusbindung und Inflammation auslösen könnte [Bornstein 2020a, Brufsky 2020].
Die Behandlung von COVID-19 könnte die Blutzuckereinstellung bei Menschen mit Diabetes negativ beeinflussen. Kortikosteroide, Azithromycin und andere Therapeutika können zum Beispiel zu glykämischen Exkursionen führen und das Risiko einer Dysglykämie erhöhen [Pal 2020a]. Andererseits hat Hydroxychloroquin, das häufig zur Behandlung von COVID-19 eingesetzt wird, einen positiven Einfluss auf die Blutzuckereinstellung und ist ein zugelassenes glukosesenkendes Medikament für T2DM in Indien [Kumar 2018]. Daher könnten Dosisanpassungen für orale Antidiabetika und/oder Insulin erforderlich sein, um ein stabiles glykämisches Profil bei Personen mit COVID-19 und Diabetes zu gewährleisten.
Die Diskussion über den schwereren Verlauf von COVID-19-Erkrankungen bei Menschen mit Diabetes ist eng mit Aspekten therapeutischer Maßnahmen verbunden, z. B. der Fortsetzung oder dem Absetzen von glukosesenkenden Medikamenten. Es wurde vorgeschlagen, Natrium-Glucose-Cotransporter-2 (SGLT-2)-Inhibitoren aufgrund des Risikos von Dehydratation und diabetischer Ketoazidose abzusetzen. Ebenso sollten Ärzte den Abbruch der Metformintherapie in Erwägung ziehen [Drucker 2020, Singh 2020a]. Aktuelle Evidenz zu Pioglitazon und Liraglutid lässt keine negative Assoziation mit einer COVID-19-Erkrankung vermuten, daher sollten vorerst keine Änderungen der laufenden Medikation mit diesen Substanzen angestrebt werden [Pal 2020b]. Da Dipeptidylpeptidase-4 (DPP-4) der primäre Rezeptor für MERS-CoV ist [Song 2019], wurde spekuliert, ob eine Behandlung mit DPP-4-Inhibitoren im Zusammenhang mit COVID-19 vorteilhaft sein könnte. Eine Assoziation von DPP-4 und SARS-CoV-2 wurde bisher nicht beobachtet, und derzeit gibt es weder Studien, die für oder gegen einen positiven Einfluss von DPP-4-Inhibitoren bei Patienten mit COVID-19 sprechen, noch gibt es Informationen, die auf die Notwendigkeit eines Behandlungsabbruchs hinweisen. Bei hospitalisierten Patienten mit COVID-19, insbesondere denjenigen mit Atemnot, sollte über die Initiation einer Insulintherapie nachgedacht werden [Singh 2020a]. Eine frühe retrospektive Studie deutet jedoch darauf hin, dass die langfristige Insulinverwendung mit dem Fortschreiten zu einer schweren oder kritischen Erkrankung oder dem Tod im Krankenhaus assoziiert war (adjusted odds ratio (OR) 3,58, 95 % KI 1,37 – 9,35) [Chen 2020b]. Es ist jedoch unklar, ob dieser Zusammenhang eine direkte Folge der Insulinverwendung oder des Diabetesverlaufs ist.
Empfehlungen
In den letzten Monaten haben viele wissenschaftliche Verbände und Gesellschaften Stellungnahmen, Statements und Empfehlungen veröffentlicht, wie man sich der aktuellen Situation nähern sollte – im Großen wie im Kleinen. Die Infectious Diseases Society of America veröffentlichte eine Leitlinie zur Behandlung und zum Management von Patienten mit COVID-19, die regelmäßig aktualisiert wird [Bhimraj 2020]. Mit dem Schwerpunkt Diabetes bieten u. a. die amerikanischen, europäischen und deutschen Verbände (American Diabetes Association [ADA], European Association for the Study of Diabetes [EASD] und Deutsche Diabetes Gesellschaft [DDG]) den Angehörigen der Gesundheitsberufe Plattformen an, um sich über eine Vielzahl von Themen im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 und COVID-19 zu informieren. Die ADA gab zudem einen speziellen Abschnitt "Diabetes and COVID-19" in der Fachzeitschrift "Diabetes Care" heraus. Bislang liegen noch keine offiziellen Richtlinien oder Empfehlungen der ADA und der EASD vor. In Deutschland hat die DDG praktische Empfehlungen für erwachsene Personen mit Diabetes und COVID-19 veröffentlicht [Deutsche Diabetes Gesellschaft 2020]. Die Autoren empfehlen einen Verzicht auf SGLT-2-Inhibitoren sowie auf Metformin, Sulfonylharnstoffe und Pioglitazon bei Patienten mit Fieber > 38,5 °C; für glucagon-like peptide-1 (GLP-1)-Rezeptoragonisten und DDP-4-Inhibitoren sind keine Sicherheitsbedenken ersichtlich, dennoch sollte bei schweren COVID-19-Fällen eine Therapieanpassung zugunsten von Insulin erwogen werden. Das Management von Risikofaktoren wie Hypertonie und Dyslipidämie sollte fortgesetzt werden, eine genaue Überwachung der Parameter ist erforderlich [Deutsche Diabetes Gesellschaft 2020]. Die DDG-Stellungnahme enthält zusätzlich spezifische Empfehlungen und Ziele zum Glukosemanagement auf Intensivstationen unter intravenöser Insulintherapie [Deutsche Diabetes Gesellschaft 2020].
Es gibt eine Reihe unabhängiger Empfehlungen und Positionspapiere, die sich mit dem Diabetesmanagement bei COVID-19-Patienten befassen [Bornstein 2020b, Ceriello 2020, Hartmann 2020]. Diese sind klar als "Empfehlungen und Reflexionen auf der Grundlage von Expertenmeinungen in Erwartung der Ergebnisse randomisierter klinischer Studien" [Bornstein 2020b] formuliert. Menschen mit Diabetes, die nicht mit SARS-CoV-2 infiziert sind, sollten ihr Diabetesmanagement fortsetzen und Mittel zur Primärprävention von COVID-19 anwenden. Die Empfehlungen für Personen mit Diabetes und COVID-19 stimmen mit denen der DDG überein: Prüfung der Einstellung potenziell metabolisch störender Medikamente wie SGLT-2-Hemmer und Metformin [Bornstein 2020b, Ceriello 2020, Hartmann 2020]. Entscheidungen über Therapieanpassungen sollten nur im Einvernehmen mit den jeweiligen Fachkräften des Gesundheitswesens getroffen werden.
COVID-19, Hypertonie und kardiovaskuläre Erkrankungen
Hypertonie
Ähnlich wie bei den oben genannten Erkrankungen wird Hypertonie häufig als eine der häufigsten zugrunde liegenden Komorbiditäten von COVID-19 aufgeführt [Guo 2020b, Tadic 2020]. Dies könnte zum Teil auf die starke Assoziation der Hypertonie mit einem höheren Alter sowie mit anderen Komorbiditäten zurückzuführen sein. Eine Bereinigung dieser Einflussfaktoren deutet jedoch auch auf eine direkte Assoziation von Bluthochdruck mit der schlechteren Prognose einer COVID-19-Erkrankung und einer erhöhten COVID-19-bezogenen Mortalität hin. Ähnlich wie bei den oben genannten Erkrankungen war auch die Prävalenz der Hypertonie in der Gesamtzahl der mit SARS-CoV-2 infizierten Personen vergleichbar mit der jeweiligen länderspezifischen Prävalenz (z. B. China 26,6 %, Italien 25,9 % [Gao 2013, Tocci 2017]).
Eine Reihe von retrospektiven Studien sowie Propensity-Score- und Metaanalysen zeigten, dass eine Hypertonie den Schweregrad und die Sterblichkeitsrate von COVID-19 signifikant erhöhen kann [Huang 2020b, Nandi 2020, Parveen 2020, Pranata 2020, Singh 2020b, Yanai 2020, Yang 2020a, Zhang 2020b]. In einer retrospektiven Beobachtungsstudie hatten COVID-19-Patienten mit Hypertonie eine höhere Mortalitätsrate (24,8 % vs. 15,2 %), einen höheren Anteil an Patienten mit schwerem COVID-19-Verlauf (63,7 % vs. 42,1 %), einen höheren Anteil an Patienten, die nicht invasiv mechanisch beatmet wurden (16,8 % vs. 7,6 %), und einen höheren Anteil an Patienten, die auf die Intensivstation verlegt wurden (23,9 % vs. 12,2 %). Auch nach Bereinigung für Komplikationen wurde weiterhin ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung und die Einweisung auf die Intensivstation beobachtet, während bei der Mortalität und der Dauer des Krankenhausaufenthalts kein signifikanter Unterschied zwischen Personen mit und ohne Bluthochdruck bestand [Huang 2020b]. Eine kürzlich als "Letter to the Editor" veröffentlichte Metaanalyse fasste zusammen, dass die Prävalenz der Hypertonie bei Patienten mit schwerem COVID-19-Verlauf signifikant höher war als bei Patienten mit weniger schwerwiegendem COVID-19-Verlauf [Yanai 2020]. In einer weiteren Metaanalyse wurde Hypertonie bei Patienten mit COVID-19 mit einem erhöhten Risiko für eine schlechte Prognose assoziiert. Unter Berücksichtigung von Begleitfaktoren wie Alter, Geschlecht, Vorhandensein von CVD, Diabetes oder chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) wurde diese Assoziation nicht beeinflusst [Pranata 2020]. Eine Propensity-Score-Matching-Analyse unter Einbeziehung von COVID-19-Patienten aus Wuhan zeigte, dass Patienten mit Bluthochdruck ein signifikant höheres Sterberisiko hatten (Hazard Ratio [HR] 2,679, 95 % KI 1,237 – 5,805, p = 0,012) [Yang 2020a].
Es wurde diskutiert, ob Hypertonie aufgrund einer starken Abhängigkeit vom Alter oder aufgrund einer möglichen Endorganschädigung bei hypertensiven Personen ein Risikofaktor für einen schweren COVID-19-Verlauf sein könnte [Kulkarni 2020]. Wie bereits erwähnt, waren viele Studien und Metaanalysen jedoch in der Lage, für Effekte wie Alter und CVD zu bereinigen, was die oben erwähnte Theorie in Frage stellt [Gao 2020a, Huang 2020b, Pranata 2020]. Andererseits wurde ein möglicher Zusammenhang zwischen Inflammation und Immunität und Hypertonie (und CVD) in den Mittelpunkt gestellt [De Miguel 2015, Harrison 2011], der ähnlich wie bei Adipositas und Diabetes zu einem erhöhten Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf beitragen könnte. Beispielsweise werden Entzündungsreaktionen bei Hypertonie hauptsächlich durch Interleukin-6 (IL-6) reguliert. IL-6 ist ein Parameter, der in der Pathogenese von SARS-CoV-2 eine wichtige Rolle spielt und daher mit klinischen Endpunkten einer COVID-19-Erkrankung verknüpft ist [Chou 2018, Perrotta 2018].
ACE-Hemmer/Angiotensin-II-Rezeptorblocker
Für Hypertonie, wie auch für Diabetes und CVD, wurde diskutiert, dass das höhere Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf mit ACE2 und einer Dysregulation des Renin-Angiotensin-Systems (RAS) assoziiert ist [Hanff 2020]. Daher wurde die Frage gestellt, ob eine Behandlung mit ACE-Hemmern/Angiotensin-II-Rezeptorblockern (ARBs) bei hypertensiven Patienten mit COVID-19 schädlich sein könnte. Eine retrospektive Studie aus China verglich die Gesamtmortalität von Personen, die mit ACE-Hemmern/ARBs oder die ohne behandelt wurden. Personen mit COVID-19 und koexistierender Hypertonie hatten ein geringeres Mortalitätsrisiko, wenn sie mit ACE-Hemmern/ARBs behandelt wurden [Zhang 2020d].
Empfehlungen
Alle großen wissenschaftlichen Gesellschaften haben Positionspapiere veröffentlicht, die sich speziell mit der Verwendung von ACE-Hemmern/ARBs befassen [Deutsche Gesellschaft für Kardiologie 2020, European Society of Cardiology 2020b, European Society of Hypertension 2020, Heart Failure Society of America 2020, Kreutz 2020, World Hypertension League]. Die European Society of Hypertension hat eine Übersicht über den Zusammenhang von Hypertonie, RAS und dem Risiko für Infektionen der unteren Atemwege und Lungenschäden erstellt [Kreutz 2020]. Sie weist nachdrücklich darauf hin, dass die derzeit verfügbaren Daten eine differenzierte Anwendung von ACE-Hemmern/ARBs bei Patienten mit COVID-19 nicht unterstützen. Entscheidungen zum Absetzen bei Patienten mit schweren Symptomen, Sepsis oder hämodynamischer Instabilität sollten von Fall zu Fall getroffen werden [European Society of Hypertension 2020]. Die American Heart Association (AHA), die Heart Failure Society of America (HFSA) und das American College of Cardiology (ACC) gaben eine gemeinsame Erklärung heraus, in der sie nachdrücklich die Fortsetzung einer Therapie mit ACE-Hemmern/ARBs bei hypertensiven Personen mit COVID-19 empfehlen [Heart Failure Society of America 2020]. Die europäische Gesellschaft für Kardiologie erklärte im März 2020, dass Spekulationen über die Sicherheit der ACE-Hemmer-/ARB-Behandlung in Bezug auf COVID-19 nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und daher die Behandlung nicht aufgrund einer SARS-CoV-2-Infektion eingestellt werden sollte [European Society of Cardiology 2020b].
Kardiovaskuläre Erkrankungen
In Übereinstimmung mit den oben genannten Risikofaktoren sind kardiovaskuläre Erkrankungen wie koronare Herzkrankheit, Myokardinfarkt und Herzinsuffizienz mit einer schlechteren Prognose einer COVID-19-Erkrankung assoziiert [Aggarwal 2020, Guo 2020a, Li 2020a]. Ähnlich wie bei Adipositas, Diabetes und Bluthochdruck zeigen viele Studien und Berichte erhöhte Mortalitätsraten bei Patienten mit COVID-19 und einer bereits bestehenden kardiovaskulären Erkrankung [Aggarwal 2020]. In einer retrospektiven Kohortenstudie wiesen die tödlichen Fälle im Vergleich zu den Überlebenden eine höhere Rate von z. B. koronarer Herzkrankheit auf: 24 % gegenüber 1 % [Zhou 2020a]. In einer weiteren kleinen retrospektiven Studie war CVD in tödlichen COVID-19-Fällen häufiger als bei den Überlebenden: 13 von 68 gegenüber 0 von 82 [Ruan 2020]. Eine Metaanalyse deutete auf ein fünfmal höheres Mortalitätsrisiko bei Personen mit CVD im Vergleich zu COVID-19-Patienten ohne CVD hin (unbereinigte OR 4,85, 95 % KI 3,06 – 7,70, p < 0,001) [Li 2020c]. Eine weitere Studie konnte zeigen, dass das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs bei Personen mit CVD im Vergleich zu Personen ohne CVD höher war (27,8 % vs. 8,8 %). Die Mortalitätsraten zeigten eine ähnliche Tendenz (22,2 % vs. 9,8 %) [Zhang 2020a].
Herzschädigungen sind nicht nur eine Komorbidität, die stark assoziiert ist mit dem Verlauf einer COVID-19-Erkrankung, sondern auch eine häufige Erkrankung bei Personen, die mit SARS-CoV-2 infiziert sind [Inciardi 2020, Shi 2020, Xu 2020, Zheng 2020]. Das Herzgewebe ist häufig von Virusinfektionen betroffen, die z. B. zu Myokarditis, akutem Koronarsyndrom oder Herzinsuffizienz führen können [Madjid 2020, Zhou 2020a]. Studien aus China berichten außerdem über eine erhöhte Morbidität und Mortalität bei Personen mit COVID-19 und Myokarditis [Guo 2020a, Shi 2020, Xu 2020]. So benötigten beispielsweise mehr Personen mit Herzschädigung eine nicht invasive oder invasive mechanische Beatmung als Personen ohne Herzschädigung. Auch die Mortalitätsraten sind bei Patienten mit COVID-19 und einer Herzkrankheit höher als bei Patienten ohne Herzkrankheit (42 von 82 [51,2 %] gegenüber 15 von 334 [4,5 %], p < 0,001) [Shi 2020]. Autopsieberichte konnten zeigen, dass bei mehr als der Hälfte der untersuchten Personen mit tödlichem COVID-19-Verlauf SARS-CoV-2 im Myokard nachweisbar war, was die bei COVID-19-Patienten häufig beobachteten Herzschädigungen erklären könnte [Lindner 2020]. Frühere Erfahrungen mit virusinduzierter Myokarditis deuten auf eine direkte zelluläre Reaktion des Immunsystems auf den Viruseintritt hin, die zu einer Myokardnekrose führen kann [Cooper 2009]. Abgesehen von einer viralen Präsenz in Kardiomyozyten kann spekuliert werden, dass Myokardverletzungen eine Folge der Inflammationsreaktion auf eine SARS-CoV-2-Infektion und/oder mikrovaskulärer Schäden sind, die durch intravaskuläre Gerinnung und Thrombose verursacht werden [Lala 2020, Zheng 2020].
Die langfristigen Auswirkungen von COVID-19 auf Einzelpersonen können noch nicht abgeschätzt werden. Wahrscheinlich ist davon auszugehen, dass die kardialen Schädigungen persistieren können, was das Risiko für zukünftige CVD erhöht [Rowland 2020, Xiong 2020]. Langzeit-Follow-up-Studien mit SARS-CoV-Überlebenden zeigten z. B. 12 Jahre nach der Genesung eine hohe Morbiditätsrate, wobei z. B. 44 % der Patienten Anomalien im kardiovaskulären System aufwiesen [Wu 2017].
Empfehlungen
Die europäische Gesellschaft für Kardiologie hat einen Leitfaden zur Diagnose und zum Management von CVD während der COVID-19-Pandemie erstellt und dabei nachdrücklich auf den vorläufigen Charakter des Dokuments und den Mangel an evidenzbasierter Behandlung von SARS-CoV-2-Infektionen hingewiesen. Der Leitfaden gibt einen Überblick über den Zusammenhang zwischen CVD und COVID-19 und enthält detaillierte Empfehlungen zum Management und zur Diagnose von CVD unter den gegenwärtigen Umständen [European Society of Cardiology 2020a]. In ähnlicher Weise veröffentlichte die chinesische Gesellschaft für Kardiologie (Chinese Society of Cardiology, CSC) einen Expertenkonsens zu den Prinzipien des klinischen Managements von Personen mit CVD während der COVID-19-Pandemie [Han 2020]. Dieser gibt Einblicke in allgemeine Aspekte wie Risikobewertung und Schutz von Patienten und medizinischem Personal sowie in Therapien, kardiovaskuläre Interventionen und die Einführung der Telemedizin zum Unterstützen der Betreuung von Personen mit CVD [Han 2020]. Die AHA stellt auf ihrer Website eine Reihe von Ressourcen zur Verfügung, in denen sich Ärzte und Menschen mit kardiovaskulären Erkrankungen z. B. über das Management des Blutdrucks informieren können [American Heart Association 2020], während das ACC derzeit an einer Clinical Guidance for Global Cardiovascular Clinicians arbeitet [American College of Cardiology 2020]. In einer Konsenserklärung von Ärzten aus Australien und Neuseeland wird die "Bedeutung der Aufrechterhaltung des Kontakts mit Patienten durch Hausärzte" betont, um eine verzögerte Intervention zu vermeiden und Menschen mit CVD z. B. im Hinblick auf die Medikation angemessen zu behandeln [Zaman 2020]. Stellungnahmen von nationalen wissenschaftlichen Gesellschaften wie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) unterstreichen die Notwendigkeit, sich auf die leitlinienempfohlene Versorgung von Personen mit kardiovaskulären Erkrankungen zu konzentrieren [Deutsche Gesellschaft für Kardiologie 2020b]. Dazu gehört die Fortführung von Therapien wie ACE-Hemmer/ARBs [Deutsche Gesellschaft für Kardiologie 2020a].
Praktische Aspekte
Die gegenwärtige Situation stellt eine große Herausforderung für die Routineversorgung bei chronischen Erkrankungen dar. Regelmäßige Konsultationen waren begrenzt, das Krankheitsmanagement wurde meist auf ein Minimum reduziert. Eine Studie aus den USA zeigte einen Rückgang des HbA1c-Testvolumens im März und April 2020 [Fragala 2020]. Obwohl in den folgenden Wochen eine gewisse Konversion beobachtet wurde, könnte dies zu einem Anstieg des HbA1c-Werts geführt haben [Karter 2004, Samuels 2008]. Im Gegensatz zu der oben erwähnten Studie zeigten die Auswertungen der Glykämie bei Personen mit Diabetes mellitus Typ 1 (T1DM) sowie T2DM während des Lockdowns in Italien eine stabile oder sogar verbesserte Glykämieeinstellung [Bonora 2020, Capaldo 2020, Maddaloni 2020]. Obwohl bei der Versorgung von Menschen mit chronischen Erkrankungen erhebliche Kürzungen notwendig, die Möglichkeiten zur körperlichen Betätigung begrenzt waren und die Gesamtsituation schwere psychische Belastungen mit sich brachte, konnten sich Menschen mit Diabetes offenbar auf das Diabetesmanagement konzentrieren [Bonora 2020, Capaldo 2020]. Darüber hinaus wurde angedeutet, dass das Wissen, dass Diabetes den Krankheitsverlauf von COVID-19 verschlechtern kann, zu einem kooperativeren Diabetesmanagement beigetragen haben könnte [Bonora 2020, Capaldo 2020].
Verzögerungen in der medizinischen Versorgung und praktische Auswirkungen
Eine Analyse aus den USA evaluierte die Veränderungen der Krankenhauseinweisungen, der Behandlung von Notfallpatienten und der annullierten Behandlungen in den ersten 16 Wochen der Jahre 2019 und 2020 [Baum 2020]. Die Zahl der ins Krankenhaus eingewiesenen Patienten ging von Januar bis März 2020 im Vergleich zu März bis April 2020 um mehr als 40 % zurück. Ein ähnlicher Rückgang wurde bei den Krankenhauseinweisungen im gleichen Zeitraum im Jahr 2019 nicht beobachtet [Baum 2020]. In Italien wurde ein noch stärkerer Rückgang der Aufnahmen in der pädiatrischen Notaufnahme beobachtet – zwischen 73 % und 88 % im Vergleich zum gleichen Zeitraum in den Jahren 2018 und 2019 [Lazzerini 2020]. In Deutschland gingen die Krankenhauseinweisungen in den ersten 22 Wochen des Jahres 2020 im Vergleich zu 2019 um 13 % zurück, mit einem Rückgang um 38 % in Woche 14, in der die COVID-19-Raten am höchsten waren [Slagman 2020]. Viele der von den Studienautoren angeführten Beispiele für verspätete oder ausgefallene Krankenhauseinweisungen unterstreichen das Risiko, welches diese Verzögerungen für die Patienten darstellen: Intensivstationseinweisung nach verspäteter Diagnose von T1DM, Tod infolge von akut einsetzender Leukämie und andere [Lazzerini 2020]. In ähnlicher Weise berichtete das deutsche Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentations (DPV)-Register über einen Anstieg der diabetischen Ketoazidosen bei Kindern zum Zeitpunkt der Diabetesdiagnose zwischen März und Mai 2020 im Vergleich zu den Vorjahren. Diese Beobachtung könnte durch die geringere Verfügbarkeit medizinischer Dienstleistungen während des Lockdowns, aber auch durch die Angst, Gesundheitseinrichtungen zu betreten, erklärt werden [Kamrath 2020].
Neben dem stetigen Rückgang der medizinischen Versorgung hat die COVID-19-Pandemie auch indirekte Folgen für Personen mit chronischer und/oder akuter CVD. Eine Studie aus den USA berichtete beispielsweise über eine 40 %ige Verringerung der Behandlung von ST-Hebungsinfarkten [Garcia 2020], in einer anderen Studie wurden die wöchentlichen Krankenhausaufenthalte wegen eines akuten Myokardinfarkts um 48 % reduziert [Solomon 2020]. Ähnliche Ergebnisse wurden in einer Studie aus Norditalien beobachtet [De Filippo 2020]. In Frankreich ergab eine bevölkerungsbezogene Beobachtungsstudie einen signifikanten Anstieg der außerklinischen Herzstillstände zwischen März und April 2020 im Vergleich zu den Vorjahren von 1 342 (95 % KI 1 277 – 1 407) auf 2 664 (2 572 – 2 753) pro Million Einwohner (p < 0,0001) [Marijon 2020]. Es wurde diskutiert, dass die in Frankreich verhängten Ausgangs- und Bewegungsbeschränkungen sowie die Zurückhaltung der Patienten, Notfalldienste zu rufen und Krankenhäuser zu besuchen, ursächlich für diesen markanten Anstieg sind [Marijon 2020].
Langfristige Konsequenzen und Möglichkeiten
Bei einer großen Zahl von Personen, die sich kürzlich von einer SARS-CoV-2-Infektion erholt haben, scheint eine Beeinträchtigung des Herzens (78 %) und eine anhaltende Myokardentzündung (60 %) vorgelegen zu haben, unabhängig von bereits bestehenden Komorbiditäten und dem Verlauf der COVID-19-Erkrankung [Puntmann 2020]. Die Erkenntnisse dieser Studie sind im Hinblick auf eine potenziell erhebliche Belastung der Gesamtbevölkerung durch entzündliche Erkrankungen von großer Bedeutung. Obwohl die Ergebnisse für eine größere Kohorte verifiziert werden müssen, bleiben die Implikationen für kommende Herausforderungen bestehen.
Nicht nur die physischen Gesundheitsaspekte der SARS-CoV-2-Infektion, sondern auch der psychische Stress, den die COVID-19-Pandemie auf die Bevölkerung ausgeübt hat, müssen weiter verfolgt werden. Laut einer Umfrage im Rahmen einer britischen Studie stieg die Prävalenz klinisch signifikanter psychischer Belastungen in der Bevölkerung von 18,9 % in den Jahren 2018/2019 auf 27,3 % im April 2020. Dieser Anstieg war bei Personen zwischen 18 und 34 Jahren sowie bei Menschen, die mit kleinen Kindern zusammenleben, besonders ausgeprägt [Pierce 2020]. Die Umfrage könnte ein Hinweis auf eine erste emotionale Reaktion der Menschen auf die COVID-19-Pandemie und die damit verbundene Isolation sein. Es ist unklar, ob sich die Menschen an die aktuelle Situation angepasst haben und sich ihr psychisches Befinden stabilisiert hat [Pierce 2020]. Die psychische Belastung durch diese herausfordernde Situation sollte jedoch anerkannt und mit angemessenen Ressourcen bewältigt werden.
Die COVID-19-Pandemie ist eine Herausforderung nicht nur für jeden Einzelnen, der regelmäßig Vorkehrungen wie "Social Distancing" treffen muss, sondern mehr noch für Menschen mit chronischen Erkrankungen und jedes Gesundheitssystem. Menschen mit chronischen Erkrankungen wird empfohlen, ihre Medikation fortzusetzen, es sei denn, ihr Arzt weist sie ausdrücklich darauf hin, etwas anderes zu tun. Wissenschaftliche Gesellschaften haben in ihren jeweiligen Fachgebieten Empfehlungen veröffentlicht, um Ärzte und Patienten beim täglichen Management zu beraten [Bhaskar 2020]. Der oben erwähnte Rückgang von Personen, die sich auf Notfallstationen vorstellen, deutet darauf hin, dass eine Anpassung der Gesundheitsdienste mit Schwerpunkt auf telemedizinischer Unterstützung erforderlich ist. Die gegenwärtige Situation könnte sich daher als Chance erweisen, den Einsatz der Telemedizin bei der Behandlung chronischer Erkrankungen erheblich auszuweiten. Dies legt eine Online-Umfrage nahe, die sich an Fachleute des Gesundheitswesens richtete (202 Teilnehmer aus 47 Ländern). Sie berichteten über einen Wechsel von der persönlichen Routineversorgung zu virtueller Kommunikation, wobei Diabetes, COPD und Bluthochdruck die am häufigsten betroffenen Erkrankungen sind [Chudasama 2020].
Wissenslücken
Die Auswirkungen, die SARS-CoV-2 und COVID-19 bereits auf den Einzelnen sowie auf die Gesundheitssysteme hatten, sind kaum messbar. Wissenschaftliche, medizinische und wirtschaftliche Entscheidungsträger haben ununterbrochen daran gearbeitet, die Situation so gut und unkompliziert wie möglich zu handhaben. Der Versuch, sowohl das Virus als auch die daraus resultierende Krankheit zu verstehen, war das Hauptaugenmerk von Wissenschaftlern weltweit. Im August 2020 lag die Zahl der Publikationen zum Schlagwort COVID-19 bei PubMed NCBI bei über 43 000. Beobachtungsstudien und Fallberichte aus peer-reviewed Publikationen bieten erste Einblicke in Wirkmechanismen, Risikofaktoren für das Fortschreiten der Krankheit und therapeutische Ansätze. Dennoch bleiben viele Fragen offen und können nur langfristig beantwortet werden, z. B.: Wie beeinflusst eine SARS-CoV-2-Infektion das Immunsystem? Was sind die Langzeitfolgen von COVID-19? Wie hat sich die Pandemie auf die medizinische Versorgung chronischer Erkrankungen ausgewirkt? Welche Maßnahmen zur Eindämmung des Virus waren am wirksamsten und wie wirkten sie sich auf die medizinische Versorgung oder die psychische Gesundheit aus? Was haben wir in Bezug auf Telemedizin und Fernversorgung gelernt? Bei steigenden Infektionszahlen sind diese Fragen nach wie vor von großer Bedeutung und müssen bei der Erörterung der Vorgehensweise zur Bewältigung dieser einzigartigen Situation berücksichtigt werden.
Zusammenfassung
Die Zahl der SARS-CoV-2-Infektionen nimmt weltweit immer noch zu. Diese Pandemie besteht weiterhin, daher ist die Anpassung des täglichen Managements chronischer Erkrankungen an dieses "neue Krankheitsgeschehen" von größter Bedeutung. Die Assoziation von z. B. kardiovaskulären Komorbiditäten wie Adipositas, Diabetes mellitus, Hypertonie und kardiovaskulären Erkrankungen mit einem höheren Risiko für Morbidität und Mortalität bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 unterstreicht die Verantwortung der Angehörigen der Gesundheitsberufe und der Gesundheitssysteme bei der angemessenen Versorgung von Personen mit chronischen Erkrankungen.
Manuskript eingegangen: 10. September 2020
Manuskript angenommen: 23. September 2020
Danksagung: Die Erstellung der Publikation wurde durch AstraZeneca GmbH unterstützt.
Interessenkonflikte: Dirk Müller-Wieland gibt an, Honorare für Beratung und Referententätigkeiten von den Unternehmen Amarin, Amgen, AstraZeneca, Boehringer Ingelheim, Daiichi-Sankyo, Lilly, Novo Nordisk, MSD, Novartis und Sanofi erhalten zu haben.
Nikolaus Marx, Michael Dreher und Katharina Fritzen geben an, keinen Interessenkonflikt in Bezug auf die Inhalte dieser Publikation zu haben.
Oliver Schnell ist Gründer und Geschäftsführer der Sciarc GmbH (Baierbrunn) und gibt an, Honorare für Beratertätigkeiten von den Unternehmen Abbott, AstraZeneca, Bayer, Boehringer Ingelheim, Eli Lilly, Mundipharma, Novo Nordisk, Roche Diabetes Care und Sanofi erhalten zu haben.
Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2020; 29 (6) Seite 349-361