Der Paradigmenwechsel in der Behandlung des Typ-2-Diabetes war eines der Themen bei der Online-Pressekonferenz im Vorfeld des diesjährigen virtuellen Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), der vom 16. bis 19. März 2022 stattfindet.

Bei der Behandlung von Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2, die häufig gleichzeitig an einem metabolischen Syndrom leiden, zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab: Der therapeutische Fokus liegt nun von Anfang an auch auf der Behandlung der Begleiterkrankungen und nicht nur auf der Einstellung des Blutzuckerspiegels. Langzeitschäden und Sterblichkeit konnten in Studien so drastisch reduziert werden [1-12]. Möglich wird dies durch eine mehrgleisige Therapie, die auch den frühen Einsatz von sogenannten SGLT2-Inhibitoren und GLP-1 Rezeptoragonisten beinhaltet.

Oft tritt Diabetes mellitus Typ 2 im Rahmen eines sogenannten metabolischen Syndroms auf. Dann leiden die Patientinnen und Patienten auch an Adipositas, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung, Gerinnungsstörung und niederschwelliger Entzündung. „Das ist eine toxische Kombination“, sagt Univ. Professor Dr. med. Jochen Seufert, Leiter der Abteilung Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Freiburg, „denn sie bildet die Grundlage für schwerwiegende Folgeerkrankungen“.

Therapieziel: Langzeitschäden verhindern

Dazu gehören etwa kardiovaskuläre und mikrovaskuläre Komplikationen, wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Durchblutungsstörungen, aber auch Niereninsuffizienz, Erblindung, Nervenschädigungen und das diabetische Fußsyndrom. Aufgrund dieser Komplikationen erhöht sich auch die Sterblichkeit der Betroffenen deutlich. „Das therapeutische Ziel in der Behandlung muss deshalb auf die Verhinderung von Langzeitschäden dieses Syndroms ausgerichtet sein. Und das bedeutet Therapie ein ganzes Leben lang“, so Seufert, der Präsident des diesjährigen DGE-Kongresses ist.

Das metabolische Syndrom von Anfang an mitbehandeln

Bei dieser sogenannten „multifaktoriellen Therapie“ werden Adipositas, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung und der Diabetes mellitus Typ 2 gleichzeitig behandelt. „Dies kann heute durch den sinnvollen Einsatz von neuen Medikamenten gelingen“, sagt Seufert. Für die Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 habe sich in Studiendaten aus den letzten Jahren gezeigt, dass gerade neuere antidiabetisch wirksame Medikamente wie SGLT2-Inhibitoren und GLP-1 Rezeptoragonisten einen wesentlichen Beitrag nicht nur zur Verbesserung des Stoffwechsels, sondern auch zur Gewichtsreduktion und zur Blutdruckreduktion leisten können. Dazu gehöre auch das Verhindern von Langzeitschäden und Folgekomplikationen sowie die Reduktion der Sterblichkeit.

SGLT2-Inhibitoren und GLP-1 Rezeptoragonisten sind Gamechanger

Die Substanzklasse der SGLT2-Inhibitoren – mit den Vertretern Dapagliflozin, Empagliflozin, Canagliflozin, Sotagliflozin und Ertugliflozin – sind Antidiabetika zur oralen Einnahme. Über die Hemmung eines Natrium/Glukose-Cotransporters an der Niere führen sie zu einer vermehrten Ausscheidung von Glukose, jedoch ohne die Gefahr einer Unterzuckerung. Dadurch wird der Blutzuckerspiegel schonend gesenkt, die Adipositas geht zurück und der Blutdruck fällt. „Die Studienergebnisse haben darüber hinaus auch einen echten Schutz vor Langzeitschäden an Herz und Niere, im Sinne eines Langzeit-Organschutzes, gezeigt“, so der Diabetologe und Endokrinologe (1-3).

Auch für die Medikamentengruppe der GLP-1 Rezeptoragonisten mit den Vertretern Exenatid, Lixisenatid, Liraglutid, Semaglutid, Dulaglutid, Albiglutid und Efpeglenatid sind in den letzten Jahren überzeugende Studiendaten zur Reduktion von Langzeitschäden bei Diabetes mellitus Typ 2 und des metabolischen Syndroms vorgelegt worden (4-12). Diese Medikamente imitieren die Wirkung des körpereigenen Inkretin und Darmhormons Glukagon-like Peptide 1 (GLP-1).

Sie führen zu einem ausgeprägten Rückgang von Übergewicht und Adipositas, bei gleichzeitiger positiver Wirkung auf Blutzucker und Blutdruck. „Der Blutzucker-senkende Effekt ist hierbei durchaus mit Insulin zu vergleichen. Entsprechend empfehlen die nationalen und internationalen Leitlinien, GLP-1 Rezeptoragonisten vor dem Einsatz von Insulin zu erwägen“, ergänzt Seufert. Studien konnten darüber hinaus belegen, dass die Substanzgruppe das Risiko für Langzeitschäden durch das metabolische Syndrom reduzieren kann. Besonders der Rückgang von Herzinfarkten und Schlaganfällen war ausgeprägt.

HbA1c ist nicht mehr der einzige Zielparameter der Behandlung

„Wir beobachten einen Paradigmenwechsel – statt der vorwiegenden Fokussierung auf den Zielparameter HbA1c, der den langfristigen durchschnittlichen Zuckergehalt im Blut angibt, rückt eine Behandlungsstrategie in den Vordergrund, die auch die Begleiterkrankungen in den Blick nimmt “, fasst DGE-Mediensprecher Professor Dr. med. Stephan Petersenn aus Hamburg zusammen.

Aufgrund der Corona-Pandemie findet der 65. Deutsche Kongress für Endokrinologie vom 16. bis 19. März 2022 online statt. Weitere Informationen unter www.dge2022.de.

Literatur
(1) Zinman B et al. N Engl J Med 2015;373(22):2117-28
(2) Wanner C et al. N Engl J Med 2016; 375:323-334
(3) Neal B et al. N Engl J Med 2017; 377:644-657
(4) Wiviott S et al. N Engl J Med 2019;380:347-57
(5) Pfeffer M et al. N Engl J Med. 2015; 373(23), 2247-2257
(6) Holman R et al. N Engl J Med 2017; 377:1228-1239
(7) Marso SP et al. N Engl J Med. 2016;375(4):311-22.
(8) Mann JFE et al. N Engl J Med. 2017 Aug 31;377(9):839-84
(9) Marso SP er al. N Engl J Med 2017; 376:890-892
(10) Husain M et al. N Engl J Med. 2019; DOI: 10.1056/NEJMoa1901118.
(11) Hernandez A et al. Lancet 2018; 392:1519–1529
(12) Gerstein HC et al. Lancet 2019; 394:121-130

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) | Redaktion