Kürzlich wies ein Bericht der Vereinten Nationen (UN) darauf hin, dass durch die Corona-Pandemie die psychischen Belastungen weltweit dramatisch ansteigen [1]. Für Patienten mit Hormon- und Stoffwechselerkrankungen können zusätzlicher Stress und die Pandemie erhebliche Folgen für das Therapiemanagement haben, da das Stresshormon Kortisol viele Stoffwechselprozesse steuert. Was Betroffene in dieser Krisenzeit zu beachten haben und inwiefern das Hormon auch in Zusammenhang mit einem eventuell schwereren Krankheitsverlauf bei COVID-19 steht, erklärten Experten auf der gemeinsamen Online-Pressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) am 30. Juni 2020. Außerdem berichten sie über den aktuellen Wissensstand zum Kortisol-Präparat „Dexamethason“, dessen Anwendung bei schweren COVID-19-Verläufen derzeit diskutiert wird.

„Zusätzlich zu den alltäglichen Belastungen, die jeden während der Corona-Pandemie getroffen haben und derzeit immer noch beschäftigen, sind chronisch Erkrankte weiteren Stressfaktoren ausgesetzt: Sie sorgen sich in besonderer Weise um ihre Gesundheit, da sie häufig als Risikopatienten gelten“, gibt Professor Dr. med. Matthias M. Weber, Mediensprecher der DGE, zu Bedenken. Insbesondere Menschen, die an mehreren Erkrankungen zugleich leiden, seien häufig verunsichert und verängstigt – das bestätigt auch der UN-Bericht. „Auch mentaler Stress hat einen großen Einfluss auf Hormon- und Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus und Bluthochdruck. Daher geraten Betroffene schnell in einen Teufelskreis aus Angst, Stress und schlechter Stoffwechsellage, was zu besonderen gesundheitlichen Herausforderungen führt“, so Weber.

Stress beeinflusst Stoffwechsellage

Bei Stress wird aus der Nebennierenrinde das Hormon Kortisol freigesetzt. Dieses Stresshormon ist an vielen Stoffwechselprozessen beteiligt. Es hat unter anderem Einfluss auf den Blutzucker, den Fettstoffwechsel, den Herzkreislauf und wirkt entzündungshemmend. „Da ein erhöhter Kortisolspiegel auch den Blutzucker ansteigen lässt, beeinflusst Stress auch die Stoffwechsellage von Menschen mit Diabetes mellitus und kann so möglicherweise auch zu einer erhöhten Infektanfälligkeit und einem schweren Krankheitsverlauf bei COVID-19 beitragen“, erklärt Weber, Leiter des Schwerpunktes Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen der Universitätsmedizin Mainz.

Kortisol könnte Schlüsselrolle im Krankheitsverlauf spielen

Dass das Stresshormon Kortisol eine Schlüsselrolle im Infektionsverlauf von COVID-19 spielen könnte, darauf weist auch eine aktuelle britische Kohortenstudie [2] mit 535 Patienten hin. Sie zeigte erstmals, dass die Kortisolkonzentration im Blut bei Patienten mit COVID-19-Erkrankung höher ist als bei Patienten ohne SARS-CoV-2 Infektion. „Die Studie stellt auch einen möglichen Zusammenhang zwischen erhöhten Hormonkonzentrationen und Sterblichkeit auf“, resümiert Weber. „Kortisol könnte also als Biomarker für die Infektionsschwere fungieren.“ Weitere Studien müssten dies jedoch noch bestätigen.

Einfluss auf Überleben bei schweren Infektionen

„Hormone und Hormonerkrankungen spielen bei Infekten allgemein eine große Rolle und stellen Patienten und Ärzte insbesondere während der Corona-Pandemie vor besondere Herausforderungen“, so Weber. „Speziell Kortisol kann sowohl in einer Mangelsituation als auch bei Überdosierung zu lebensbedrohlichen Krankheitszuständen führen und hat einen starken Einfluss auf das Überleben bei schweren Infektionen“, führt Weber aus. Daher sei es wichtig, gerade Patienten mit einer Über- oder Unterfunktion des Kortisolstoffwechsels während der Corona-Pandemie besonders gut zu überwachen und vor einer Infektion zu schützen. Darunter fallen Menschen mit Nebenniereninsuffizienz wie beim Addison Syndrom, bei dem zu wenig lebensnotwendiges Kortisol gebildet wird, was dann eine Kortisol-Ersatztherapie notwendig macht, oder das Cushing Syndrom, bei dem die Nebenniere wiederum zu viel Kortisol produziert. Aber auch Patienten, die aufgrund einer Autoimmunerkrankung oder einer rheumatischen Erkrankung hochdosierte Kortison-Präparate einnehmen, müssen gut medizinisch begleitet werden.

Therapeutischer Einsatz von Stresshormonen bei COVID-19 denkbar

Gegenstand intensiver medizinischer Forschung ist derzeit, dass Stresshormone auch bei einer COVID-19 Erkrankung therapeutisch eingesetzt werden könnten. Aktuell wird das Kortisol-Medikament „Dexamethason“ diskutiert, welches bei sehr schweren COVID-19-Verläufen helfen könnte. Die WHO und die Endokrinologen warnen allerdings davor, eine routinemäßige Kortisontherapie bei COVID-19 außerhalb klinischer Studien durchzuführen. „Auch hier müssen noch weitere Untersuchungen folgen, um sowohl positive als auch negative Wirkungen von Kortisol bei Patienten mit COVID-19-Erkrankung darzustellen“, erklärt Weber.


Literatur:

Our Response to COVID-19 as Endocrinologists and Diabetologists, J Clin Endocrinol Metab, May 2020, 105(5):1–3



Quelle: Mitteilung Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE)

SARSCoV2COVID19List