Immer mehr und immer kompliziertere Technik – führt dies zur Überforderung von Mensch und Maschine? Aus Sicht der Diabetesberatung sind unterschiedliche Faktoren zu berücksichtigen.

Technik ist vor allem für Menschen mit Typ-1-Diabetes ein Thema, das viele Hoffnungen birgt. In den letzten Jahren wurde die Glucosemessung revolutioniert. Die Sensormessung ist aus dem Forschungsbereich in den Alltag geschwappt und heute hier nicht mehr wegzudenken.

Immer mehr Geräte und Systeme kommen auf dem Markt. Es kamen auch weitere Pumpensysteme, kombinierte Pumpen-Sensor-Systeme und immer weitere neue Rechenmodelle zur Therapievereinfachung werden daraus noch erwachsen. Hier den Überblick zu bewahren und das richtige System für einen selbst zu finden, sind die heutigen Herausforderungen. Zudem führen häufig unrealistische Vorstellungen zu Enttäuschungen.

Wieviel Technik wird bereits genutzt?

Laut dem aktuellen Technikbericht D.U.T-Report 2021 sieht man sowohl bei Typ-1-Patienten als auch bei Typ-2-Patienten einen Zuwachs an Techniknutzung. So sind es bei Menschen mit Typ-1-Diabetes etwa 26 Prozent mehr CGM-Nutzer (wie beispielsweise Dexcom G6 oder Guardian), 20 Prozent mehr Libre-Nutzer und ca. 19 Prozent mehr Insulinpumpenträger. Bei den Hybridsystemen ist ein Plus von 176 Prozent und bei den DIY-Loopern von etwa 100 Prozent zu beobachten.

Auch bei den Menschen mit Typ-2-Diabetes gibt es zunehmend mehr Techniknutzer, laut dem D.U.T-Report. Gerade bei den kontinuierlichen Messsystemen wie CGM (+ 180 Prozent) und Libre (+ 73 Prozent), aber erstaunlicher Weise auch bei der CSII-Therapie (+ 67 Prozent).

Spannend sind hierbei auch die Hochrechnungen aus dem D.U.T-Report (angenommen wurden dabei 360 000 Menschen mit Typ-1- Diabetes): ca. 450.000 Menschen mit Typ 1 nutzen das FGM-System (Libre), ca. 128.000 ein CGM-System, ca. 126.000 tragen eine Pumpe, davon ca. 11.000 Hybrid-Closed-Loop und ca. 6.000 ein DIY-Closed-Loop System.

Dieses Zahlen werden vermutlich in den nächsten Jahren noch extrem ansteigen und gerade bei den vielen Menschen mit Typ-2-Diabetes ist auch damit zu rechnen, dass die Zahlen der kontinuierlichen Messung steigen werden. Apps sind heute auf allen Bereichen im Vormarsch und nicht mehr wegzudenken, ob wir allerdings wirklich so viele Diabetes Apps brauchen, ist fraglich. Und auch bei der Rechtslage sind noch viele Fragen offen.

Inzwischen hat gerade bei Menschen mit Typ-1-Diabetes das Thema Technik einen großen Bereich in den Schulungen eingenommen. Hier werden nicht nur verschiedene Techniksysteme vorgestellt, verglichen und besprochen, sondern ein Schwerpunkt ist vor allem der Umgang mit der Flut an Daten. Dies ist sehr wichtig, damit die Systeme ihren Nutzen voll entfalten können. Diese Messgeräte sind nicht nur ein bloßer Ersatz der Blutzuckermessung und hier müssen die Patienten und Behandler umdenken. Lernen die User richtig damit umzugehen, können sie die gesamte Therapie und die Alltagsanpassung verbessern.

Fehlt dies, kann aus dem Segen sehr schnell ein Fluch werden. Die Menschen werden bildlich erschlagen mit den ständigen Messwerten, Trendpfeilen und Alarmen. Der Diabetes nimmt zunehmend mehr Raum im Leben ein ohne dass diese Flut sortiert werden kann. Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes gibt es zwar das eine oder andere Schulungsprogramm für die kontinuierliche Messung, aber im Alltäglichen fehlt der Zugang zum Umgang mit den Daten und leider sind auch nicht alle Menschen mit Typ-1-Diabetes ausreichend geschult.

Viele Behandler sind positiv gegenüber Digitalisierung eingestellt. 74 Prozent der Diabetolog*innen schätzen sich als kompetent ein und 77 Prozent haben täglichen Umgang mit Technik. Bei den Diabetesberater*innnen schätzen sich 57 Prozent kompetent ein und 54 Prozent haben täglichen Umgang. 85 Prozent (Diabetolog*innen) (74 Prozent Diabetesberater*innen) glauben, dass die Betreuung komplexer wird. 68 Prozent der Diabetesberater*innen sehen Fortbildungsbedarf (laut D.U.T-Report).

Was die Systeme können und was nicht?

Beginnen sollte die Schulung mit realistischen Zielklärungen. Viele Patienten glauben, dass die Systeme, die es heute auf dem Markt gibt, das eigene Therapiekönnen ersetzen – dass die Systeme also künstliche Bauchspeicheldrüsen sind, die alles andere überflüssig machen. Viele sind enttäuscht, dass die Geräte (noch) nicht beliebig gegen einander austauschbar sind – das Stichwort lautet hier Interoperabiltät.

Dies ist sicherlich ein großes Ziel für die Zukunft, aber leider derzeit noch nicht so greifbar wie sich dies alle wünschen würden. Viele Patienten sehen auch nicht, dass die Hybrid-closed-Loop Systeme, viel Einsatz, Wissen und Können verlangen, um gut laufen zu können.

Viele Patienten machen sich nicht bewusst, dass sie mit der Flut der Daten auch ein Stück Privatsphäre aufgeben. Wir Therapeuten können auch ohne genaue Buchführung Tagesabläufe und Verhalten der Patienten sehen und sprechen die Patienten bei den Schulungen auch darauf an. Viele Patienten kommen mit der ständigen Konfrontation ihrer Werte nicht zu Recht, viele reagieren zu schnell auf den einen oder anderen Wert ohne ihn vorher zu überlegen und zu analysieren.

Dass bei einigen Systemen „Follower“ eingerichtet werden können, ist bestimmt hilfreich, aber auch hier verlieren viele Patienten wiederum ihre Privatsphäre. Viele Patienten kommen auch nicht damit zu Recht, dass durch das Tragen eines Sensors der Diabetes nach außen sichtbar wird. Und schlussendlich ist auch der Datenschutz noch nicht in allen Bereichen gesetzlich geklärt.

Die meisten Firmen lagern die Daten auf Clouds, die dann nach Freigabe auch vom Therapeuten eingesehen werden können. Das ist wiederum sehr hilfreich, aber die Dreiecksbeziehung Patient–Therapeut–Firma unterliegt dem Prinzip der gemeinschaftlichen Verantwortung. Bei manchen Herstellern ist dabei das Recht auf Löschung nicht erfüllt, und die amerikanische Firma muss die Daten erst nach Antrag löschen, wenn das gewünscht ist. So sollte Datenschutz eigentlich nicht aussehen – schon gar nicht bei so sensiblen medizinischen Daten, die auch noch so viel über das private Leben der Patienten aussagen.

Fazit

Bei aller Begeisterung für die Vorteile der Technik und Digitalisierung, wir alle müssen lernen, damit sorgfältig umzugehen, damit aus dem Segen kein Fluch wird. Das beinhaltet gute Besprechung der Ziele, sorgfältige Planung und gute Schulung wie Weiterbildung für alle Patienten, Angehörige und Behandler.

Schwerpunkt „Immer mehr Technik“

Autorin:
Dr. oec. troph. Astrid Tombek
Leiterin Diabetes- und Ernährungsberatung
Diabetes Zentrum Mergentheim
Theodor-Klotzbücher-Straße 12, 97980 Bad Mergentheim


Erschienen in: Diabetes-forum, 2021; 33 (6) Seite 14-15