Insulin spielt eine Schlüsselrolle bei der Regulation des zentralen Nervensystems. Möglicherweise haben Inhalationsanästhetika negativen Effekt auf das kognitive Outcome.
Kognitive Funktionsstörungen sind eine häufige Komplikation nach herzchirurgischen Operationen. Man unterscheidet das postoperative Delir (POD), das bis zum fünften postoperativen Tag auftritt, und die postoperative kognitive Dysfunktion (POCD), die noch bis zu einem Jahr anhalten und/oder in eine dauerhafte Demenz übergehen kann (1,2). Beide Krankheitsbilder können die Lebensqualität nach einem herzchirurgischen Eingriff maßgeblich negativ beeinflussen und sind mit einer erhöhten 1-Jahressterblichkeit assoziiert. Die Entwicklung von postoperativen kognitiven Funktionsstörungen ist multifaktoriell bedingt, u.a. gehäuft nach Delir auftretend und inkludiert z. B. das Alter, kardiovaskuläre Komorbiditäten (arterieller Hypertonus, periphere arterielle Verschlusskrankheit und chronische Niereninsuffizienz) und psychopathologische Störungen (z.B. Depression).
Auch Diabetes mellitus (DM) ist ein unabhängiger Risikofaktor für ein schlechteres Outcome nach herzchirurgischen Eingriffen (1). Dafür werden mitunter die generelle Krankheitslast durch Komorbiditäten des Diabetes verantwortlich gemacht, beispielsweise Mikro- und Makroangiopathie, Neuropathie und der gestörte Metabolismus. Aufgrund der kardiovaskulären Komorbiditäten müssen sich Patienten mit DM überdurchschnittlich oft einem herzchirurgischen Eingriff unterziehen. Als Ursache für diesen Anstieg sind vor allem die demographische Entwicklung und die epidemiologische Entwicklung von DM zu sehen. Bei Patienten, die sich einem herzchirurgischen Eingriff unterziehen müssen, liegt die Prävalenz in westlichen Ländern schon heute bei etwa 25 %, bei der koronaren Herzerkrankung bereits deutlich über 30 %.
Systemische Inflammation und Neuroinflammation
Pathophysiologisch für die Entstehung der POCD spielen die neuroendokrine Inflammationsreaktion, ausgelöst durch das chirurgische Trauma und der damit verbundene Postaggressions-Stoffwechsel eine Schlüsselrolle. Dies ist mit einer ausgeprägten Insulinresistenz und konsekutiven perioperativen Hyperglykämie assoziiert. Gleichzeitig kommt es zu einer Aktivierung der zerebralen Mikroglia im Sinne einer Neuroinflammation mit Diskonnektion neuronaler Netzwerke. Eine tragende Rolle spielt hier der fehlende cholinerge Reflex, der normalerweise die Inflammationskontrolle als Feedback-Mechanismus darstellt. Ebenso wird eine persistierende Aktivierung der Mikroglia mit der Entstehung neurodegenerativer Erkrankung, z.B. Alzheimer Demenz, in Verbindung gebracht (1, 2). Die inflammatorische Antwort kann bei DM verändert bzw. noch stärker ausgeprägt sein, was erklärt, dass diese Patienten ein besonders hohes Risiko für die Entwicklung von POCD nach herzchirurgischen Eingriffen haben.
Zerebrales Insulin als Schlüsselfunktion neuronaler Prozesse
Insulin ist im Gehirn maßgeblich in der Funktion der Neuronen und Gliazellen involviert und mit verantwortlich für die Steuerung der neuronalen Signalprozesse, die sich nicht nur zentral abspielen, sondern auch für die physiologischen und metabolischen Prozesse der peripheren Gewebe verantwortlich sind. Das Insulin agiert als Signalsystem der Neurone und Gliazellen des Gehirns und hat folglich eine protektive Schlüsselrolle bei der Regulation des zentralen Nervensystems und damit auch der Kontrolle über das Verhalten und die kognitive Funktion (3).
Bislang wurde die Wirkung von Insulin lediglich im Rahmen der Kontrolle des Metabolismus der peripheren Gewebe betrachtet. Havrankova und Kollegen (4) konnten erstmalig Insulin und seinen Rezeptor im Gehirn nachweisen. Eine veränderte Insulinsignalwirkung in den Neuronen und der Gliazellen, die auf eine Insulinresistenz und Insulinmangel im Gehirn zurückzuführen ist, werden in experimentellen und klinischen Studien als Ursache für neurodegenerative Erkrankungen, z. B. der Alzheimer Demenz, angenommen. Therapeutische Ansätze sind beispielsweise das Metformin mit der pharmakologischen Wirkung und dem Ziel, die Insulinsensitivität wieder zu erhöhen (5). Metformin ist das am häufigsten eingesetzte orale Antidiabetikum. Es verbessert bei DM Typ 2 die Insulinresistenz sowie Glukoseaufnahme. Seine protektive zerebrale Wirkung (schnellere Passage der Blut-Hirnschranke) wird bei neurodegenerativen Erkrankungen diskutiert. In klinischen Studien konnte bereits eine Verbesserung der kognitiven Dysfunktion bei Typ 2 DM nachgewiesen werden.
Anästhetika und Neuroinflammation im Kontext mit DM
Aus dem Blickwinkel der Kardioanästhesiologie bleibt die Frage bislang unbeantwortet, welchen Zusammenhang die verwendeten Anästhetika (Hypnotika) in diesem Kontext spielen, da sie ebenfalls unterschiedlich die Inflammationsreaktion nach einem operativen Eingriff beeinflussen (5). Neuere experimentelle Arbeiten (6) haben gezeigt, dass Inhalationsanästhetika mit einer erhöhten Expression dieser inflammatorischen Zytokinantwort assoziiert sind. Auch wird eine reduzierte neuronale Densität im Hippocampus für die Inhalationsanästhetika-assoziierte POCD diskutiert. Die Auswirkungen für Patienten mit DM sind bislang nicht endgültig geklärt, allerdings zeigen neuere tierexperimentelle Studien einen möglichen Zusammenhang im Sinne einer additiven Verschlechterung der kognitiven Funktion durch Inhalationsanästhetika.
So konnten die Autoren Yang et al. (7) beispielsweise in einem Streptomycin (STZ)-induziertem Diabetesmodell in Ratten nachweisen, dass das Inhalationsanästhetikum Isofluran zu einer additiven Aktivierung der oxidativen und inflammatorischen Stressantwort im Hippocampus führt und konsekutiv auch zu einer Verschlechterung der kognitiven Funktion. Isofluran hat keine Auswirkungen auf den Blutzuckerverlauf. Für das Hypnotikum Propofol gibt es keine Daten dazu. Seit mehr als 15 Jahren wird in der Kardioanästhesiologie die Verwendung von Inhalationsanästhetika bei herzchirurgischen Eingriffen von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI - Wissenschaftlicher Arbeitskreis Kardioanästhesiologie) aufgrund der protektiven myokardialen Wirkungen empfohlen. Neuere Metaanalysen können diesen protektiven Effekt im Vergleich zum Propofol nicht mehr nachweisen. Es stellt sich somit die Frage, ob Inhalationsanästhetika bei Patienten mit einem herzchirurgischen Eingriff und der Komorbidität DM einen negativen Effekt auf das kognitive Outcome haben. So konnte beispielsweise in einem experimentellen STZ-induziertem Diabetes-Mäusemodell für Metformin ein protektiver Effekt auf die durch Isofluran bedingte kognitive Verschlechterung nachgewiesen werden (8). Im perioperativen Setting wird das Absetzen von Metformin seit vielen Jahren vor einem operativen Eingriff aufgrund des Risikos einer Laktatazidose kontrovers diskutiert. Es bleibt offen, ob dieser protektive Effekt auf das postoperative kognitive Outcome dieser Patienten mit DM bislang unterschätzt wurde.
Klinische Implikationen für das anästhesiologische Management
Eine vorausschauende frühe Risikostratifizierung mit optimierter Blutglukoseeinstellung vor einem herzchirurgischen Eingriff ist präventiv der wichtigste Ansatz, um das Risiko für kognitive Funktionsstörungen nach herzchirurgischen Eingriffen bei Patienten mit DM zu reduzieren.
Im Institut für Anästhesiologie und Schmerztherapie des Herz- und Diabeteszentrums NRW werden die relevanten Komorbiditäten eines Patienten vor einer Operation im Rahmen des sogenannten ERSAS (early risk stratification and strategy)-Konzepts erfasst (9). Gleichzeitig erfolgt eine umfangreiche Erfassung der kognitiven und funktionalen Funktion mittels Frailty-Assessment. Vor allem bei Patienten mit DM ist ein kognitives Assessment empfehlenswert (z.B. Delir-Screening mittels CAM-ICU, Uhrenmaltest im Rahmen einer MINI-COG Testung, ggf. auch MOCA-Test), um frühzeitig vulnerable Patienten mit möglicherweise bereits bestehenden kognitiven Defiziten zu erkennen.
Dies hat für die folgende Strategieplanung eine hohe klinische Relevanz, da sich aus der Kenntnis eines vulnerablen Patienten (z.B. gebrechlich mit DM als Komorbidität) ein individualisiertes anästhesiologisches Management ergibt, wie z.B. intensives Neuromonitoring (EEG, transkranielle Dopplersonographie, zerebrale Oxymetrie), engmaschige Blutdrucküberwachung und Vermeiden von hypotensiven Perioden, engmaschige Blutzuckerüberwachung, frühzeitige Extubation und multimodale Schmerztherapie, rechtzeitige enterale Ernährung etc. und eventuell die Verwendung von Propofol als Narkotikum. All diese Maßnahmen sind Empfehlungen des internationalen ERACS (early recovery after cardiac surgery)-Konzepts, die auch dazu beitragen, das Risiko für die Entstehung postoperativer Kognitionsstörungen vor allem bei Patienten mit DM zu reduzieren und sich somit auch positiv auf den Langzeitverlauf auswirken.
Text in Kooperation mit dem Wissenschaftlichen Arbeitskreis Gerontoanästhesiologie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI)
- Diabetes – Schlaganfall – Demenz
- Veränderte Immunantwort und Entzündungsreaktion nach OP erhöht das Risiko kognitiver Funktionseinschränkungen
- Medikamentöse Therapie
- Aus dem Blickwinkel der Kardioanästhesiologie
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (6) Seite 25-27