Vor nun mehr als 12 Jahren fiel am 1. Juli 2002 mit der 4. Verordnung zur Änderung der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung in Deutschland der Startschuss für die Disease-Management-Programme (DMP). Ab 2003 wurden die ersten Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 in diese Programme eingeschrieben.
Die DMP sind ein Organisationsansatz, der die Gesundheitsversorgung von Patientengruppen über den gesamten Verlauf einer Krankheit und über die Grenzen der Leistungserbringer hinweg koordinieren und optimieren soll. Heute kann man sich es kaum noch vorstellen, aber zu Beginn der "DMP-Ära" gab es erhebliche Kritik an dieser Form der Patientenversorgung, nachzulesen z. B. im Deutschen Ärzteblatt vom 27. Februar 2004.
Auf Initiative der Fachkommissionen Diabetes von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wurde Ende 2003 eine Meinungsumfrage bei Hausärzten und Diabetologen durchgeführt. Ernüchterndes Fazit der damaligen Umfrage: Nur 4 % der Hausärzte und 2 % der Diabetologen sahen ein DMP Diabetes mellitus Typ 2 hilfreich für die Patientenversorgung an; 37 % der Hausärzte und 54 % der Diabetologen erwarteten eher eine Verschlechterung der medizinischen Versorgung.
Grund dafür: Über 90 % der befragten Ärzte schätzten die DMP-Therapievorgaben im Hinblick auf Wissenschaftlichkeit als niedrig bzw. mittel ein.
Ende 2014: Rund 10.000 DMPs mit 6,5 Millionen Teilnehmern
Das Bundesversicherungsamt (BVA) überwacht die korrekte Durchführung der Programme. Ende 2014 waren 9.917 Programme (jede gesetzliche Krankenkasse muss ihre eigenen DMP beim BVA einreichen) zugelassen, in denen 6.511.158 Versicherte in einem oder mehreren DMP eingeschrieben waren. Am 31.12.2014 waren in den DMP Diabetes mellitus Typ 2 3.969.019 Versicherte eingeschrieben, in den DMP Diabetes mellitus Typ 1 172.775 Versicherte.
Im Rahmen der DMP werden natürlich viele Daten gesammelt und auch aufbereitet. Meiner Ansicht nach gibt es im Bereich der KV Nordrhein seit Jahren eine vorbildliche Präsentation der DMP-Daten. Der Qualitätsbericht 2013 – Disease-Management-Programme in Nordrhein, herausgegeben von der Nordrheinischen Gemeinsamen Einrichtung Disease-Management-Programme GbR und vom Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland erstellt, ist seit einigen Wochen im Internet verfügbar.
Nordrhein: 80 bis 90 Prozent der Diabetiker in DMPs
Zum 1. Juli 2013 waren in der Region Nordrhein 8.009.527 Menschen gesetzlich krankenversichert. Ende 2013 waren über 500.000 Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 und über 22.000 Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 in die DMP in Nordrhein eingeschrieben. Die Autoren des Berichtes gehen davon aus, dass somit etwa 80 – 90 % der von diesen Erkrankungen Betroffenen im "DMP-System" versorgt werden.
Bei Patienten mit Diabetes Typ 2 wurden 2013 sechs der zehn patientenbezogenen Ziele erreicht. Defizite bestehen noch bei der regelmäßigen Netzhautuntersuchung ("Ist": 69,5 %; "Soll": 80 %) und bei der Versorgung von Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom (Überweisung in eine spezialisierte Fußbehandlungseinrichtung, "Ist": 32,8 %; "Soll": 65 %).
Patienten mit Typ-2-Diabetes profitieren von der Teilnahme
Die präsentierten Daten belegen, dass Patienten mit Typ-2-Diabetes von der Teilnahme an diesem Programm profitieren. Dazu das folgende Zitat: "Eine erstmals für den Zeitraum 2003 bis 2013 durchgeführte Analyse der Häufigkeit von Amputationen, einer Dialyse oder Erblindung innerhalb der DMP-Population zeigt, unter Berücksichtigung einer eventuell bereits vorliegenden Neuro-, Nephro- oder Retinopathie, eine deutlich rückläufige Entwicklung.
So sinkt bei Vorliegen mindestens einer der drei genannten diabetischen Folgekomplikationen die Häufigkeit einer Amputation von 292 auf 59, die einer Dialyse (2005–2013) von 98 auf 53 und die einer Erblindung von 100 auf 15 Fälle unter jeweils 10.000 Patienten."
Versorgung von Patienten deutlich und messbar verbessert
Diese Ergebnisse finde ich sehr beachtlich. Vor allem der deutliche Rückgang der Amputationszahl ist eine sehr erfreuliche Entwicklung und zeigt, dass die koordinierte Zusammenarbeit der verschiedenen Leistungserbringer über die Sektorengrenzen hinweg in der täglichen Patientenversorgung funktioniert. Die DMP-Programme haben meiner Ansicht nach die Versorgung von Patienten mit Diabetes mellitus in den letzten Jahren in Deutschland deutlich und messbar verbessert – eine Erfolgsgeschichte mit einem zunächst holprigen Start.
Meiner Wahrnehmung nach werden Patienten mit Diabetes mellitus, die in ambulanten oder stationären Pflegeeinrichtungen betreut werden, in der Regel nicht in ein DMP-Programm eingeschrieben. Gerade sie könnten von einer diabetologischen Mitbetreuung profitieren. Da diese Patienten meist nicht mehr so einfach in eine ambulante Diabeteseinrichtung kommen können, muss die diabetologische Kompetenz zu ihnen kommen.
Die Hausarztpraxen haben ihre VerAH (Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis) oder EVA (entlastende Versorgungsassistentin). Die ambulant tätigen Diabeteseinrichtungen könnten ihre Diane (Diabetes-Nurse) haben, die vor Ort tätig wird. Das wäre meiner Ansicht nach eine sinnvolle Weiterentwicklung der DMP-Versorgung.
von Dr. Martin Lederle
Diabetes-Forum-Chefredakteur
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2015; 27 (4) Seite 7
