Für Eltern mit an Diabetes erkrankten Kindern gibt es nicht genug psychosoziale Hilfen. Der starke Druck durch die Herausforderungen des alltäglichen Krankheitsmanagements kann bei Vätern und Müttern Betroffener vermehrt zu psychischen Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen führen. Um ihre Belastungen insgesamt zu reduzieren, müssen die psychosozialen Behandlungsmöglichkeiten und Strukturen während der ambulanten Langzeitbehandlung gezielt verbessert werden, fordern Experten der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) anlässlich der Tagung „Psychosoziale Versorgung von Menschen mit Diabetes“ am 17. Oktober 2019 in Berlin. Die Situation von Kindern mit Diabetes steht exemplarisch für die von Erwachsenen.

Menschen mit Diabetes haben ein erhöhtes Risiko, eine psychische Störung zu entwickeln. Diabetes erfordert – mehr noch als bei den meisten anderen chronischen Erkrankungen – ein hohes Maß an Eigenverantwortung im Umgang mit der Therapie. Selbstmanagement ist gefordert. Um dieses zu erlernen, braucht es Unterstützung. Wenn Kinder und Jugendliche an Typ-1-Diabetes erkranken, ist es eine der vorrangigen Aufgaben der Eltern, nicht nur darauf zu achten, dass die Insulintherapie jeden Tag aufs Neue optimal angepasst wird, sondern ihr Kind auch auf eine lebenslange eigenverantwortliche Therapie vorzubereiten. „Eltern von Kindern mit Diabetes müssen liebevoll und zugleich sehr konsequent sein. Dieser autoritativ genannte Erziehungsstil lebt von viel emotionaler Wärme, klaren Regeln, Kommunikationsbereitschaft und einer starken Führung“, erläutert Professor Dr. rer. nat. Karin Lange, Leiterin der Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie an der Medizinischen Hochschule Hannover.

Psychologische und soziale Beratung von Familien ist unzureichend

Die Diagnose Diabetes Typ 1 bei einem Kind ist für alle Familien ein Einschnitt in der Lebensplanung. Auch wenn sie in spezialisierten pädiatrischen Diabeteszentren mit den Herausforderungen der Behandlung vertraut gemacht werden und Schulungen erhalten, so ist der Bereich der psychologischen und sozialen Beratung von Familien unzureichend. „Trotz eines insgesamt hohen Qualitätsniveaus in der Versorgung von Menschen mit Diabetes – und das gilt genauso für Menschen mit Diabetes Typ 2 – gibt es erhebliche Defizite vor allem in der ambulanten psychosozialen Versorgung“, kritisiert Professor Dr. med. Andreas Neu, Oberarzt an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Tübingen und Vizepräsident der DDG.

Nach der Entlassung aus der Kinderklinik schließt sich eine ambulante Langzeitbetreuung an. Zahlreiche Mütter reduzieren dann ihre Berufstätigkeit oder geben sie ganz auf, um sich intensiv um das Kind kümmern zu können. Das wiederum hat Auswirkungen auf die ökonomische Situation der Familie und kann zu weiteren psychischen Belastungen führen. Dies zeigte eine Untersuchung aus dem Jahr 2018 (die sogenannte AMBA-Studie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Diabetologie und Stoffwechsel, 2019). Deutlich wurde auch, dass sich Eltern in dieser Langzeitbetreuung mehr psychologische und soziale Beratung wünschen. „Die Belastung für Eltern ist immens und die sich mit zunehmendem Alter des Kinder aneinanderreihenden weiteren ‚Probleme‘, sei es durch Kitas oder Schulen, die eine diabetesgerechte Versorgung nicht zu leisten imstande sind, können ihnen leicht über den Kopf wachsen“, betont Lange. Eine Mischung aus Schuldgefühlen und Überlastung führe nicht selten dazu, dass Mütter oder Väter selbst krank werden. „Die Rate an Angststörungen und Depressionen steigt. Besonders betroffen sind dabei Alleinerziehende, Patchworkfamilien und sozioökonomisch benachteiligte Familien“, weiß die Expertin.

Finanzierungskonzepte und bedarfsgerechte multiprofessionelle Versorgung nötig um Behandlungserfolge nicht zu gefährden

Eltern mit an Diabetes erkrankten Kindern brauchen mehr psychosoziale Unterstützung. Dazu gehörten beispielsweise Finanzierungskonzepte in der Gesundheitsversorgung, die grundlegende Maßnahmen psychosozialer Versorgung ermöglichen, fordern die Experten. Erstens muss es für Eltern innerhalb der ambulanten Langzeitbetreuung die Möglichkeit geben, sich kurzfristig mit Diabetesberatern, Psychologen oder Sozialarbeitern zu besprechen, wobei auch telemedizinische Angebote eine wichtige Rolle spielen können. Zweitens muss für Mütter und Väter eine niedrigschwellige psychologische Unterstützung angeboten werden. Drittens sollte gesetzlich geregelt werden, wie die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes in KITAS und Schulen qualifiziert sichergestellt werden kann.

„Die psychosozialen Determinanten sind wichtige Einflussfaktoren auf den Stoffwechsel. Aus diesem Grund werden diese Aspekte auch ausdrücklich in den Behandlungsleitlinien genannt“, erläutert Neu. Eine bedarfsgerechte multiprofessionelle Versorgung von jungen (und alten) Menschen mit Diabetes und ihren Angehörigen ist nur dann erfolgreich, wenn die Defizite im psychosozialen Bereich schnell behoben werden. „Durch neue Diabetestechnologien, Schulungen und moderne Insuline hat sich die gesundheitliche Prognose von Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes verbessert. Diese Erfolge setzen wir aufs Spiel, wenn wir die psychosoziale Unterstützung der Familien nicht ausbauen“, bilanziert Lange.

Psychosoziale Hilfe sollte niedrigschwellig sein

„Die Situation von Kindern mit Diabetes steht exemplarisch für die von Erwachsenen, die ebenfalls von Typ-1- oder auch Typ-2-Diabetes betroffen sind. Auch sie müssen ihre anspruchsvolle Therapie jeden Tag mit beruflichen und persönlichen Herausforderungen im Alltag verbinden“, ergänzt Professor Dr. Dipl.-Psych. Bernhard Kulzer vom Diabetes-Zentrum Bad Mergentheim und 1. Vorsitzender und Sprecher der AG Diabetes und Psychologie der DDG. Und dies gelinge bei Weitem nicht immer und allen, sodass auch sie auf schnelle, niedrigschwellige psychosoziale Hilfen angewiesen seien. Diabetesschwerpunktpraxen wären dazu prinzipiell in Kooperation mit entsprechenden Fachkräften in der Lage, jedoch fehlen Möglichkeiten zur Finanzierung dieses Teils einer effektiven sprechenden psychosozialen Versorgung zur Prävention kostenintensiver Folgeerkrankungen und erhöhter Mortalität.



Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG)