Nach einem Schlaganfall oder einem Herzinfarkt wird den Patienten oft Aspirin verordnet, um einem erneuten Gefäßverschluss entgegenzuwirken. Ob die Gabe des Blutverdünners auch in der Primärprävention sinnvoll ist ist dagegen umstritten. Mediziner um PD Dr. med. Thorsten Keßler vom Deutschen Herzzentrum München haben nun einen genetischen Risikofaktor identifiziert, der mit darüber entscheidet, ob Aspirin als vorbeugender Gefäßschutz wirksam ist – oder ob es sogar schaden kann. Die Forschungsarbeit, die einen möglichen Weg zu einer individualisierten und damit effizienteren Herz-Kreislauf-Prävention aufzeigt, wurde nun mit dem Präventionspreis der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) ausgezeichnet.

Genetische Risikovariante führt zu abgeschwächten gefäßschützenden Reaktionen

Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen die Todesursachenstatistik in den Industrienationen seit Jahren an. Die Suche nach Risikofaktoren und Präventionsmöglichkeiten hat daher eine hohe Priorität. Mittlerweile sind einige genetische Faktoren bekannt, die das Risiko für eine Atherosklerose, für Herzinfarkte und Schlaganfälle erhöhen können.

Einen dieser Faktoren, eine als rs7692387 bezeichnete genetische Variante im Erbgut, konnte der diesjährige Preisträger bereits in früheren Studien charakterisieren und seine Funktion im zellulären Geschehen genau beleuchten. Wie er herausfand, liegt rs7692387 nicht in einem kodierenden Abschnitt des Erbguts, beeinflusst also nicht direkt den Aufbau oder die Funktion eines Proteins. Vielmehr handelt es sich um eine so genannte Enhancer-Region, die die Expression anderer Gene beeinflusst. Die von Keßler und seinen Kollegen identifizierte Risikovariante führt über mehrere Zwischenschritte letztlich dazu, dass gefäßschützende Reaktionen nur abgeschwächt ablaufen. Unter anderem fällt die durch Stickstoffmonoxid vermittelte Hemmung der Blutgerinnung deutlich geringer aus, sodass Thrombozyten sich leichter zu Blutpfropfen zusammenlagern.

Träger der Risikovariante profitieren von präventiver Aspirineinnahme

Diese Beobachtung führte Keßler und seine Kollegen zu der Frage, ob Träger der Risikovariante – das sind in Westeuropa immerhin 63 Prozent der Menschen – womöglich von einer Primärprävention mit Aspirin profitieren, das bekanntermaßen die Thrombozytenaggregation hemmt. Für die Allgemeinbevölkerung hatten mehrere große Studien einen solchen Nutzen von Aspirin bislang nicht belegen können.

In Kooperation mit Wissenschaftlern der Harvard Medical School in Boston unterzogen die Münchener Mediziner zwei dieser Studien – die Women´s Health Study und die Physicians`Health Study – einer erneuten Analyse, wobei sie Träger der Risikovariante und Teilnehmer mit der Nichtrisikovariante gesondert betrachteten. In der Tat zeigte die getrennte Auswertung, dass Menschen mit der Risikovariante von rs7692387 deutlich von der Aspirineinnahme profitierten; ihr Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse sank um 21 Prozent. Interessanterweise zeigte sich bei den Trägern der Nichtrisikovariante sogar der gegenteilige Effekt: Ihr Risiko stieg um 39 Prozent an.

„Die Kenntnis solcher genetischen Varianten ist ein wichtiger Baustein für die individuell zugeschnittene Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, sagt Professor Dr. med. Georg Ertl, Generalsekretär der DGIM aus Würzburg. Die nun ausgezeichnete Arbeit mache deutlich, dass präventive – ebenso wie kurative – Ansätze nicht für alle Patienten gleich sinnvoll seien. Weitere Untersuchungen müssten nun zeigen, ob der Effekt des von Keßler identifizierten Risikofaktors sich auch in prospektiven Studien bestätigen lasse.

Den mit 10.000 Euro dotierten Präventionspreis verleiht die DGIM einmal im Jahr zusammen mit der Deutschen Stiftung Innere Medizin (DSIM).

Literatur
Kathryn T. Hall, Thorsten Kessler, Julie E. Buring, Dani Passow, Howard D. Sesso, Robert Y.L. Zee, Paul M. Ridker, Daniel I. Chasman, Heribert Schunkert. Genetic variation at the coronary artery disease risk locus GUCY1A3 modifies cardiovascular disease prevention effects of aspirin European Heart Journal (2019) 0, 1-8 ; doi:10.1093/eurheartj/ehz384

Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM)