Ist Diabetes ein Wahlkampfthema? Wohl kaum. Wir wollten es aber genau wissen und haben bei den gesundheitspolitischen Sprechern der Bundestagsfraktionen nachgehakt, was sie in der nächsten Legislaturperiode für eine optimale Diabetesversorgung so alles tun wollen.

Dieser Beitrag erschien erstmals in der Zeitschrift Diabetes-Forum, Ausgabe 4/2017, unter dem Titel „Politische Stimmen zum Diabetes“.

5 Fragen an die Gesundheitspolitik


1. Diabetes ist nicht unbedingt ein Thema, mit dem es sich politisch punkten lässt. Ist Diabetes inzwischen in der Politik angekommen und welche Rolle spielt für Sie die chronische Erkrankung in Ihrer politischen Arbeit, besonders jetzt im Wahlkampf?
2. Wie schätzen Sie die heutige Versorgungsqualität von Menschen mit Diabetes in Deutschland ein?
3. Was gibt es Neues zur Nationalen Diabetesstrategie - warum läuft deren Umsetzung so schleppend?
4. Haben Sie in Ihrem persönlichen Umfeld mit Diabetes zu tun?
5. Wie will Ihre Partei generell eine optimale Diabetesversorgung erreichen?

„Diabetes – enorme Herausforderungen“

Maria Michalk, gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

1. Chronische Erkrankungen - Ein Thema für den Wahlkampf 2017?

Diabetes mellitus gehört zu den großen nicht übertragbaren Volkskrankheiten in Deutschland.. Betroffene stehen im Alltag vor ernormen Herausforderungen. Auch mehr Kinder erkranken daran, was für die Familie noch einmal eine ganz besondere Herausforderung ist. Bislang gibt es für diese Erkrankung keine Heilung. Deshalb unterstützen wir die Forschung auf diesem Gebiet. Sowohl staatliche Forschungsförderung, als auch alle privaten Initiativen z.B. durch Spenden sind weiterhin erforderlich.

Jeder Patient erhält eine individuell auf ihn zugeschnittene Behandlung. Permanente Kontrolle der Werte sind mit erheblichen Beschwernissen im Alltag verbunden. Dennoch ist festzustellen, das inzwischen die medizinische Versorgung die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bis auf wenige Ausnahmen ermöglicht.

Inzwischen wissen wir, dass für eine gute Versorgung die interdisziplinäre Zusammenarbeit auf allen Ebenen des Gesundheitswesens eine ganz wichtige Voraussetzung ist. Die sektorübergreifende Versorgung zu intensivieren, wird in der kommenden Wahlperiode eine wichtige Aufgabe sein, was auch für Diabetiker weitere Optimierung der medizinischen Versorgung bedeutet.Inzwischen ist in der Gesellschaft angekommen, dass zur Vermeidung von chronischen Erkrankungen Bewegung und gesunde Ernährung äußerst wichtig sind.

Das endlich beschlossene Präventionsgesetz ist eine erste Antwort darauf. Jetzt geht es darum, die Umsetzung der Erkenntnisse vor Ort durch jedermann zu forcieren. Ein dringendes Augenmerk muss auf die Vermeidung von chronischen Erkrankungen gelegt werden. Mehr und mehr müssen wir dazu kommen, Leistungserbringern die präventive Arbeit zu honorieren, statt allein die Finanzierung an der Heilung bzw. Linderung von Krankheiten auszurichten.

2. Versorgungsqualität von Menschen mit Diabetes in Deutschland

Wir verfügen in Deutschland in allen Leistungsbereichen über eine breite medizinische Versorgung auf hohem Niveau. Grundsätzliche Versorgungsdefizite kennen wir nicht. Da wir Menschen immer älter werden und damit auch längerfristig und intensiver mit Krankheitsbildern konfrontiert werden als früher, ist eine ständige Anpassung der Versorgungsangebote unausweichlich. Das zu organisieren, bleibt eine politische Aufgabe.

Ich möchte in diesem Zusammenhang das breite Angebot der Selbsthilfegruppen erwähnen, die allesamt ehrenamtlich durch Information, Beratung und Anleitung viel Hilfestellung für neu an Diabetes erkrankten Menschen erbringen. Diese Leistung ist unbezahlbar und verdient hohe Wertschätzung. Gerade deshalb ist im neuen Präventionsgesetz u.a. dafür eine verlässliche Regelung enthalten. Die zielgerichtete Neustrukturierung der Finanzierung von Leistungen der Krankenkassen zur primären Prävention war uns wichtig.

Zu erwähnen ist auch die verbesserte Gesetzeslage nach dem Heil- und Hilfsmittelgesetz, u.a. durch die überfällige Aktualisierung und permanente Einbindung neuer Produkte im Hilfsmittelverzeichnis.

Wir haben den Anspruch, neue medizinische Erkenntnisse jedem rasch und flächendeckend in unserem Land zur Verfügung zu stellen. Da das Wissen darüber und die Fähigkeiten dafür immer spezieller werden, sind in Zukunft stärker als bisher fachbezogene medizinische Leistungszentren aufzubauen. Insofern muss die Telemedizin ausgebaut werden, was nur mit Ausbau der Breitbandinfrastruktur einher gehen kann.

Bereits in der Vergangenheit haben wir uns für Forschungsaktivitäten im Bereich der Diabetesforschung eingesetzt. So sind z.B. im Innovationsfonds Mittel für die Versorgungsforschung vorgesehen. Der Nutzen neuer wirksamer Maßnahmen für die Behandlung soll sich nicht nur in klinischen Studien zeigen, sondern muss sich im Versorgungsalltag unter Berücksichtigung aller Bevölkerungsgruppen belegen lassen. Die Förderung des Deutschen Diabetes-Zentrums in Düsseldorf und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung in München ist ebenfalls an diesen Anspruch gebunden.

Wir setzen politisch auch darauf, dass im Rahmen der Ausbildungs- bzw. Weiterbildungsangebote durch Universitäten und Ärztekammern das Wissen über Diabetes optimiert wird. Vor allem die Früherkennung dieser chronischen Krankheit ist zu verbessern.

3. Neues zur Nationalen Diabetesstrategie

In der Zeit zwischen Juli 2015 und Dezember 2019 wird am Robert Koch-Institut eine Nationale Diabetes-Surveillance aufgebaut. Ziel ist die Etablierung einer regelmäßigen indikatorenbasierten Diabetesberichterstatung. Auf der Grundlage der Verknüpfung von Primärdaten des RKI-Gesundheitsmonitorings mit relevanten Sekundärdaten auf Bundes- und regionaler Ebene werden neue Erkenntnisse erwartet. Dieser Prozess ist wichtig und braucht seine Zeit.

Ferner erinnere ich daran, dass wir in dieser Legislaturperiode im Bundeshaushaltsplan einen neuen Titel im Etat des Gesundheitsministeriums für Maßnahmen der Diabetesbekämpfung etabliert haben. Diese Mittel werden Jahr für Jahr für zweckdienliche Projekte eingesetzt.

Ich erinnere auch daran, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gleich nach der letzten Bundestagswahl eine schriftliche Positionierung zur Natlionalen Diabetesstrategie erarbeitet und beschlossen hat, an der wir uns weiter orientieren. Strategisch muss es uns gemeinsam gelingen, in absehbarer Zeit die Zahl der Neuerkrankungen erheblich zu reduzieren.

4. Persönliche Erfahrungen mit Diabetes

Ich habe beruflich als auch privat immer wieder mit Diabetikern zu tun und erlebe ganz Unterschiedliches. Einerseits legen Betroffene Wert auf viel Disziplin und befolgen die medizinischen Empfehlungen ihres Arztes strikt. Andererseits sehe ich aber auch viel Ignoranz der Anordnungen nach dem Motto „Das wird schon gut gehen.“ Gerade aus dieser Gruppe erlebe ich Verschlechterungen des Allgemeinzustandes bis hin zu Krankenhauseinweisungen.

Da wir unser solidarisches Gesundheitssystem erhalten wollen, erwarte ich gelegentlich mehr Respekt gegenüber ärztlichen Befunden und Anordnungen. Dennoch ist jeder selbst „seines Glückes Schmied“. Letztlich ist der Wille des betroffenen Kranken ausschlaggebend.

5. Parteiansatz für eine optimale Diabetesversorgung

Ich habe die Grundhaltung der Union für eine optimale Diabetesversorgung bereits beschrieben und will noch einmal darauf hinweisen, dass die Suche nach Wegen zur Vorbeugung der Erkrankung nie aufhört:

  • Wir sind mit Betroffenen darüber im Kontakt, um Vor- und Nachteile von Steuern und Verboten zu erwägen. Letzlich setzen wir auf Überzeugung.
  • Wir sprechen mit Hausärzten, die den ersten und fortwährenden Kontakt mit Patientinnen und Patienten haben, um auch ihre Erfahrungen in unsere politischen Erwägungen einzubeziehen.
  • Wir begleiten die Versorgung über die Fachverbände, um neueste Erkenntnisse zum Wohle der Erkrankten zu verallgemeinern.
  • Wir sehen die Verbindung zum Verbraucherschutz, insbesondere um die Einstellung der Gesellschaft zur gesunden Ernährung zu thematisieren.
  • Wir appellieren an Kindergärten, Schulen und Sportvereine in den Ländern, die nachhaltige Freude an Bewegung und Sport zu wecken.
  • Wir sind mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Gespräch, um die Aufklärung der Bevölkerung über diese anfangs schmerzfreie, aber heimtückische Erkrankung durch Initiativen und Aktionen zu forcieren.
  • Wir setzen alles daran, Betroffene und ihre Familien nicht zu stigmatisieren, sondern ihnen zu helfen und die Diabetes-Versorgung zu optimieren.



Nächste Seite: Die Antworten von Hilde Mattheis, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion.

5 Fragen an die Gesundheitspolitik


1. Diabetes ist nicht unbedingt ein Thema, mit dem es sich politisch punkten lässt. Ist Diabetes inzwischen in der Politik angekommen und welche Rolle spielt für Sie die chronische Erkrankung in Ihrer politischen Arbeit, besonders jetzt im Wahlkampf?
2. Wie schätzen Sie die heutige Versorgungsqualität von Menschen mit Diabetes in Deutschland ein?
3. Was gibt es Neues zur Nationalen Diabetesstrategie - warum läuft deren Umsetzung so schleppend?
4. Haben Sie in Ihrem persönlichen Umfeld mit Diabetes zu tun?
5. Wie will Ihre Partei generell eine optimale Diabetesversorgung erreichen?


„Versorgungsdefizite aufdecken“

Hilde Mattheis, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion

1. Chronische Erkrankungen - Ein Thema für den Wahlkampf 2017?

Die Vermeidung von chronischen Krankheiten und die gute Versorgung von chronisch kranken Patientinnen und Patienten sind seit Jahrzehnten ein zentrales Thema der Gesundheitspolitik der SPD. Hingewiesen sei beispielhaft auf die Einführung der Disease-Management-Programme (DMP) im Jahr 2002. Das DMP für die Erkrankung

Diabetes mellitus Typ 2 gibt es als eines der beiden ersten seit Juli 2002, mit stetig wachsenden Teilnehmerzahlen. Es ist darüber ein Erfolg jahrelanger beharrlicher Arbeit der SPD, dass Gesundheitsförderung in Lebenswelten als Aufgabe der gesetzlichen Krankenkassen nun gesetzlich geregelt ist. Wir haben die Früherkennungsuntersuchungen ausgeweitet, die Selbsthilfe gestärkt und die Präventionsausgaben der Kassen nahezu verdoppelt.

Dennoch werden wir weiter darüber zu beraten haben, wie chronische Volkskrankheiten wie Diabetes, die mit viel Leid für die Betroffenen und hohen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden sind, besser vermieden und behandelt werden können. Das Potenzial von Prävention und Gesundheitsför-derung ist noch lange nicht ausgeschöpft.

2. Versorgungsqualität von Menschen mit Diabetes in Deutschland

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat das Strukturierte Behandlungsprogramm für Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 im Januar 2016 in allen wesentlichen Punkten aktualisiert. 2015 waren laut KBV 4 Millionen Menschen in ein DMP „Diabetes mellitus Typ 2“ eingeschrieben. Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz haben wird darüber hinaus generell die Rahmenbedingungen für sektorübergreifende Versorgungsformen verbessert und die bereits bestehenden Instrumentarien zur Qualitätssicherung ausgebaut.

Im Juli 2015 hat beim Robert-Koch-Institut zudem der Aufbau eines Na-tionalen Diabetes-Überwachungs-Systems (sog. Diabetes-Surveillance-System) begonnen, das eine zuverlässige Datengrundlage zur Versorgungssituation bei Diabetes schaffen wird. Mit einem besseren Wissen über die Versorgung von Diabetes-Patientinnen und -Patienten werden wir konkrete Versorgungsdefizite aufdecken und gesetzgeberischen Handlungsbedarf ableiten.

3. Neues zur Nationalen Diabetesstrategie

Diabetes mellitus Typ 2: Erkrankungsrisiko senken, Erkrankte früh erkennen und behandeln“ ist als nationales Gesundheitsziel seit dem Präventionsgesetz im SGB V verankert und damit zentraler Bestandteil der nationalen Präventionsstrategie, ebenso wie das Gesundheitsziel „Gesund Aufwachsen: Lebens-kompetenz, Bewegung, Ernährung“ oder das neue Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“.

Auf Landesebene werden jetzt verbindliche Landes-vereinbarungen zur Umsetzung der Nationalen Präventionsstrategie auf Grundlage der bundeseinheitlichen Rahmenempfehlungen geschlossen.

Es ist wichtig, dass die Nationale Präventionsstrategie nun mit Leben erfüllt wird und sich alle verantwortlichen Akteure mit ganzer Kraft einbringen. Wir beobachten diesen Prozess sehr aufmerksam. Der Entwicklung einer Nationalen Diabetesstrategie, die neben der Nationalen Präventionsstrategie alle wissenschaftlichen Erkenntnisse, Maßnahmen und Aktivitäten explizit zu Diabetes bündelt, verschließen wir uns nicht.

4. Persönliche Erfahrungen mit Diabetes

In meinem Bekanntenkreis und Familie ist mir niemand mit Diabetes bekannt.

5. Parteiansatz für eine optimale Diabetesversorgung

Die SPD wird sich weiter wie bisher mit aller Kraft dafür einsetzen, dass jede Patientin und jeder Patient unabhängig von der Art der Erkrankung, dem Wohnort oder dem Alter medizinisch sehr gut versorgt wird.

Gleichzeitig ist es uns wichtig, mit Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung die Menschen zu erreichen, die sich um ihre eigene Gesundheit oder die Gesundheit ihrer Kinder nicht kümmern können. Die Schaffung gesundheitsfördernder Lebensbedingungen ist als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe von zentraler Bedeutung für die Vermeidung von Diabetes. Deshalb setzt sich die SPD seit mehr als einem Jahrzehnt für die Verankerung von Ge-sundheitsförderung in allen Politikbereichen im Bund, in den Ländern und in den Kommunen ein und wird hierin nicht nachlassen.



Nächste Seite: Die Antworten von Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke.

5 Fragen an die Gesundheitspolitik


1. Diabetes ist nicht unbedingt ein Thema, mit dem es sich politisch punkten lässt. Ist Diabetes inzwischen in der Politik angekommen und welche Rolle spielt für Sie die chronische Erkrankung in Ihrer politischen Arbeit, besonders jetzt im Wahlkampf?
2. Wie schätzen Sie die heutige Versorgungsqualität von Menschen mit Diabetes in Deutschland ein?
3. Was gibt es Neues zur Nationalen Diabetesstrategie - warum läuft deren Umsetzung so schleppend?
4. Haben Sie in Ihrem persönlichen Umfeld mit Diabetes zu tun?
5. Wie will Ihre Partei generell eine optimale Diabetesversorgung erreichen?


„Diabetologie als eigene Disziplin“

Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke

1. Chronische Erkrankungen - Ein Thema für den Wahlkampf 2017?

Diabetes ist eine sehr weit verbreitete Erkrankung, was für die Betroffenen Vor- und Nachteile bringt: Ein Vorteil ist, dass sie besser öffentlich wahrgenommen werden. Ein Nachteil ist, dass eine Verbesserung der Versorgung für derart große Gruppen immer gleich in der Summe zu erheblichen Mehrausgaben bei den Krankenkassen führt. Oft wird dabei vergessen, dass die Vorbeugung von Folgeschäden auch sehr viel Geld einspart und viel Leid bei den Betroffenen verhindert.

Als Linke setzen wir einen deutlichen Akzent auf Gesundheitsförderung und Prävention, um sozial bedingte gesundheitliche Unterschiede zu verringern (siehe Antrag der Linksfraktion „Gesundheitsförderung und Prävention konsequent auf die Verminderung sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheit ausrichten“, Bundestag-Drucksache 18/4322). Gerade auch bei Typ-2-Diabetes spielt ja die soziale Lage eine erhebliche Rolle – sowohl bei der Entstehung als auch beim Zugang zu optimaler Versorgung.

So wollen wir zum Beispiel Zuzahlungen für Medikamente, Hilfs- und Heilmittel abschaffen. Davon würden Diabetikerinnen und Diabetiker mit schmalem Geldbeutel besonders profitieren. Als Linke sage ich: Eine bestmögliche gesundheitliche Versorgung und Behandlung für alle Menschen ein Menschenrecht und Aufgabe eines Sozialstaats. Solidarität und Parität müssen Leitgedanken des Gesundheitssystems sein – nicht Wettbewerb und Privatisierung.

Eine gerechte und solide Finanzierung ist die Basis einer hochwertigen Gesundheitsversorgung. Alle in Deutschland lebenden Menschen werden Mitglied der solidarischen Gesundheitsversicherung und entrichten den gleichen Prozentsatz ihres gesamten Einkommens. Auf dieser Grundlage werden alle erforderlichen Leistungen zuzahlungsfrei finanzierbar.

2. Versorgungsqualität von Menschen mit Diabetes in Deutschland

Menschen mit Diabetes brauchen vor Ort kompetente Ansprechpartner und -partnerinnen sowie Beratung – diese muss sichergestellt werden. Verbesserungsbedarf besteht in der alltäglichen Versorgungspraxis über die Sektorengrenzen hinweg; erforderlich ist hier mehr Integration innerhalb der ärztlichen Versorgung (Hausarzt, Facharzt, Klinik), aber auch zwischen Ärzten und anderen Heilberufen.

Um die vorhandenen medizinischen Ressourcen optimal einzusetzen, müssen die stationären und ambulanten Einrichtungen besser kooperieren und auch zusammen geplant werden (vergleiche Antrag „Wohnortnahe Gesundheitsversorgung durch bedarfsorientierte Planung sichern“, Bundestags-Drucksache 18/4187). Die Diabetologie sollte als eigene Disziplin in der ärztlichen Bedarfsplanung berücksichtigt werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass auch in ländlichen Regionen und strukturell benachteiligten städtischen Regionen eine wohnortnahe Versorgung stattfinden kann.

Besonders darauf geachtet werden muss, dass die Schließung von Krankenhaus-Abteilungen für Diabetologie die Versorgung nicht beeinträchtigt. Ich setze mich auch dafür ein, dass Selbsthilfegruppen, die ja eine wichtige Funktion haben, so gefördert werden, dass sie wirklich unabhängig und frei von wirtschaftlichen Interessen im Interesse der Betroffenen arbeitsfähig sind.

3. Neues zur Nationalen Diabetesstrategie

Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum sich die Koalition aus Union und die SPD nicht auf Ziele einigen und die lange angekündigte Nationale Diabetesstrategie auf den Weg bringen kann. Dabei ist es sinnvoll und notwendig, gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Patientenverbänden, Wissenschaft und Medizin auf allen Ebenen von Prävention über Früherkennung bis hin zur Therapie an einem Strang zu ziehen. Das nationale Gesundheitsziel „Diabetes mellitus Typ 2: Erkrankungsrisiko senken, Erkrankte früh erkennen und behandeln“ gibt es seit über zehn Jahren. Doch konkret passiert ist zu wenig.

Die Nationale Diabetesstrategie muss klare und messbare Ziele definieren. Mir wäre es dabei besonders wichtig, dass mit zielgerichteten Präventionsmaßnahmen die Zahl der Neuerkrankungen reduziert wird. Dafür ist auch die Forschung zu Krankheitsursachen und gesunderhaltenden Faktoren auszubauen. Auch Früherkennung spielt eine wesentliche Rolle, um Spätfolgen und Begleiterkrankungen zu verringern.

Die Behandlungsqualität kann nur optimiert werden, wenn eine gute wissenschaftliche Bewertung von vorhandenen und neuen Therapiemethoden zuverlässig die Spreu vom Weizen trennt. Jede Innovation, die Vorteile für die Patientinnen und Patienten bringt, muss den Patientinnen und Patienten schnell und ohne Kostenvorbehalt zur Verfügung stehen. Nicht sinnvoll finde ich, extrem teure Therapien zu finanzieren, die keinen belegbaren Mehrwert für die Betroffenen bringen.

Eine konsequente und transparente Preisgestaltung von Arzneimitteln am patientenorientierten Nutzen halte ich daher für wichtig. Auch dafür haben wir Vorschläge unterbreitet (siehe Antrag „Für ein modernes Preisbildungssystem bei Arzneimitteln“, Bundestags-Drucksache 17/2324).

4. Persönliche Erfahrungen mit Diabetes

In meinem Bekanntenkreis gibt es einige Diabetikerinnen und Diabetiker, die alle sehr bewusst und offen mit ihrer Erkrankung umgehen. Kürzlich war ich Gast bei einer Familienfreizeit einer Elterninitiative mit Diabetes-Kindern. Dabei ist mir aufgefallen, dass wir beim Thema Inklusion häufig die Kinder mit chronischen Erkrankungen übersehen. Ihnen sieht man halt ihre Behinderung nicht an.

Daraufhin habe ich mir vorgenommen, mich regelmäßig an diese besondere Gruppe zu erinnern und habe direkt zum NRW-Landtagswahlprogramm konkrete Vorschläge für die bessere Betreuung chronisch kranker Kinder in Kitas und Schulen eingebracht.

5. Parteiansatz für eine optimale Diabetesversorgung

Wie schon beschrieben, setzt sich Die Linke für eine sektorenübergreifende Bedarfsplanung ein, um eine flächendeckende und integrierte Versorgung zu gewährleisten. Die Qualität der Behandlung hängt maßgeblich davon ab, dass der aktuelle wissenschaftliche Kenntnisstand berücksichtigt wird. Wir möchten daher die Ärztinnen und Ärzte und ihre Selbstverwaltung dabei unterstützen, auf eine noch stärker wissenschaftlich fundierte Therapie hinzuwirken.

Gerade in der Diabetologie ist eine interdisziplinäre Behandlung wichtig. Dafür wollen wir die Zusammenarbeit unter den verschiedenen ärztlichen Fachrichtungen und unter allen Gesundheitsberufen verbessern. Menschen mit chronischen Erkrankungen leiden oft darunter, dass sie quasi von Pontius zu Pilatus laufen müssen. Deswegen finden wir es gut, wenn in medizinischen Versorgungszentren oder Gesundheitshäusern viele verschiedene Leistungen fachübergreifend an einem Ort gebündelt sind. Für Menschen mit eingeschränkter Mobilität und in sehr ländlichen Regionen sind auch innovative Versorgungskonzepte wie Patientenshuttles oder fahrende Praxen denkbar.

Wir finden es wichtig, dass nicht nur die Behandlung der Erkrankung selbst, sondern auch die Begleitprobleme beachtet werden. Es ist nach wie vor schwierig für Patientinnen und Patienten, medizinische Hilfsmittel oder etwa orthopädisches Material voll erstattet zu bekommen. Bei den Hilfsmitteln wollen wir aufwändige Einzelgenehmigungen im Regelfall abschaffen und die Liste der zu erstattenden Hilfsmittel (Hilfsmittelverzeichnis) auf den neuesten Stand bringen. Auch die Qualitätsanforderungen, die momentan vom Krankenkassenverband bestimmt werden, sollen aktualisiert werden.

Dies fordert Die Linke in einem Entschließungsantrag zum Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (siehe http://Bundestags-Drucksache18/11208) . Hilfsmittelausschreibungen, die zu sinkender Qualität und teils empörendem Geschäftsgebaren einiger Anbieter geführt haben, wollen wir abschaffen. Der Regelfall muss eine Versorgung auf hohem Niveau und ohne Eigenbeteiligungen der Patientinnen und Patienten sein. Dafür wollen wir alle Zuzahlungen, nicht nur auf Hilfsmittel, sondern auch auf Krankenhausaufenthalte, Arzneimittel usw. abschaffen. Weil gerade Menschen mit geringen Einkommen teils wegen der Zuzahlungen auf notwendige Behandlungen verzichten, ist das für eine gute Versorgungsqualität wichtig.

Um speziell Kinder mit Diabetes besser zu unterstützen, setzen wir uns z.B. in meinem Bundesland Nordrhein-Westfalen für ein Programm zur Einführung von Schulkrankenschwestern ein, die Lehrkräfte und Eltern entlasten und den Kindern helfen, weitgehend normal am Alltag in Kitas und Schulen teilzunehmen. In Brandenburg mit einer Linken-Gesundheitsministerin, gibt es so etwas schon.



Nächste Seite: Die Antworten von Kordula Schluz-Asche, Sprecherin für Prävention und Gesundheitswirtschaft sowie für Bürgerschaftliches Engagement, Bündnis 90/ Die Grünen.

5 Fragen an die Gesundheitspolitik


1. Diabetes ist nicht unbedingt ein Thema, mit dem es sich politisch punkten lässt. Ist Diabetes inzwischen in der Politik angekommen und welche Rolle spielt für Sie die chronische Erkrankung in Ihrer politischen Arbeit, besonders jetzt im Wahlkampf?
2. Wie schätzen Sie die heutige Versorgungsqualität von Menschen mit Diabetes in Deutschland ein?
3. Was gibt es Neues zur Nationalen Diabetesstrategie - warum läuft deren Umsetzung so schleppend?
4. Haben Sie in Ihrem persönlichen Umfeld mit Diabetes zu tun?
5. Wie will Ihre Partei generell eine optimale Diabetesversorgung erreichen?


„Diabetesversorgung ist Teamarbeit“

Kordula Schluz-Asche, Sprecherin für Prävention und Gesundheitswirtschaft sowie für Bürgerschaftliches Engagement, Bündnis 90/Die Grünen

1. Chronische Erkrankungen - Ein Thema für den Wahlkampf 2017?

Nicht-übertragbare, meist chronische Krankheiten wie Diabetes sind weltweit auf dem Vormarsch: Allein in Deutschland wurde bei 6 Millionen Bundesbürgern Diabetes mellitus Typ 2 diagnostiziert. Diese Zahl ist alarmierend und gibt einen klaren Handlungsauftrag an die Politik sowie an alle Akteure im Gesundheitswesen und der Wissenschaft. Rund die Hälfte der Neuerkrankungen ließe sich jedoch durch eine gute Prävention verhindern. Deshalb darf der Blick bei Diabetes nicht auf die bloße Krankheitsbehandlung verengt werden.

Stattdessen müssen wir allen Menschen ermöglichen, Gesundheitskompetenzen zu entwickeln, und Gelegenheiten schaffen, ein gesundes Leben zu führen. Wir müssen die Institutionen in den Alltagswelten stärken, damit gesunde Ernährung, Bewegung und Stressreduktion zum festen Bestandteil in Kitas, Schulen, Betrieben, Pflegeeinrichtungen und Stadtteilen werden. Leider hat die Bundesregierung mit ihrem Präventionsgesetz die große Chance vertan, möglichst allen Bürgerinnen und Bürgern ein langes Leben bei guter Gesundheit zu ermöglichen.

Wir setzen uns auch in der nächsten Legislaturperiode für einen echten Kurswechsel zu einer Gesundheitsförderung, die die Verbesserung der Lebens- und Umweltbedingungen in den Fokus rückt, ein. Dafür müssen die Zuständigkeiten von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungsträgern klar geregelt werden. An der Finanzierung müssen sich aus grüner Sicht alle Sozialversicherungsträger und auch die private Kranken- und Pflegeversiche-rung beteiligen.

2. Versorgungsqualität von Menschen mit Diabetes in Deutschland

Ohne Frage ist seit den 1990er-Jahren die Diabetes-Versorgung besser geworden. Die von der rot-grünen Bundesregierung eingeführten strukturierten Behandlungsprogramme („Di-sease-Management-Programme“) für Typ-1 und Typ-2-Diabetes haben offensichtlich zu Verbesserungen im Behandlungsprozess geführt. Diabetikerinnen und Diabetiker erhalten abgestimmte Arzneimitteltherapien und nehmen häufiger an Kontrolluntersuchungen und Schulungen teil, als Patientinnen und Patienten außerhalb dieser Programme.

Doch immer noch hapert es an der Zusammenarbeit der an der Versorgung beteiligten Gesundheitsberufe. Für eine gute Diabetesversorgung benötigen wir deutlich bessere Teamarbeit. Hausärzte, Fachärzte, Diabetologen, Fachkliniken, Schulungseinrichtungen, aber auch Fußzentren müssen an einem Strang ziehen, damit der Diabeteskranke zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle behandelt wird.

Solche integrierten Versorgungsangebote haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Doch wie bei der Behandlung anderer chronischer Erkrankungen auch, ist auch im Bereich der Diabetologie die Integrierte Versorgung immer noch die Ausnahme. Aber gerade diese Patientinnen und Patienten sind auf eine verzahnte Behandlung ohne Unterbrechung und Informationsverluste angewiesen. Wir Grünen wollen deshalb die integrierte Versorgung zur Regelversorgung machen.

Dazu gehört eine gezielte Förderung solcher Versorgungsinnovationen. Denn der Aufbau von Versorgungsnetzen ist vielfach mit Anfangsinvesti-tionen verbunden, die sich erst im Zeitverlauf amortisieren. Und zur Teamarbeit gehört auch eine veränderte Aufgabenverteilung zwischen den Gesundheitsberufen.

Anders als zum Beispiel in Skandinavien, liegt die medizinische Grundversorgung in Deutschland fast aus-schließlich in der Zuständigkeit der Ärztinnen und Ärzte. Damit bleibt aber weniger Zeit für die Patientinnen und Patienten, die tatsächlich auf einen Arzt angewiesen sind. Und vieles, was zum Beispiel gut ausgebildete Pflegekräfte leisten könnten, wie die Beratung und Schulung der Betroffenen bis hin zu Hausbesuchen, liegt brach.

Wir teilen den Ansatz der vernetzten Versorgung, in die verschiedene Berufsgruppen einge-bunden sind, ebenso wie den Wunsch nach mehr Versorgungsforschung. Gleichzeitig muss auch berücksichtigt werden, dass, im Gegensatz zu anderen Themen, im Bereich Diabetes bereits einiges an Versorgungsforschung durch Bundesmittel finanziert wird. Im Blick auf die Weiterentwicklung der Versorgung setzen wir eher auf die Stärkung der Primärversorgung als auf eine weitere Spezialisierung im fachärztlichen Bereich.

3. Neues zur Nationalen Diabetesstrategie

Bis zum heutigen Tag vermissen wir seitens der schwarz-roten Regierung eine nationale Diabetesstrategie, obwohl diese seit 2013 sowohl vom Europäischen Parlament als auch von der Europäischen Kommission gefordert wird. Es ist daher sinnvoll, nach dem Vorbild anderer europäischer Länder, einen Nationalen Diabetesplan aufzulegen, der die medizinische und pflegerische Versorgung von Patientinnen in den Blick nimmt und gleichzeitig dazu beiträgt, dass die Alltagswelten gesund gestaltet werden, um Diabetes vorzubeugen. Fest steht aber auch: Eine Strategie allein reicht nicht aus, sondern muss von allen Akteuren auch mit Leben gefüllt werden.

4. Persönliche Erfahrungen mit Diabetes

Ich bin selbst Diabetikerin, was natürlich auch meine Auseinandersetzung mit dem Thema auf politischer Ebene stark beeinflusst.

5. Parteiansatz für eine optimale Diabetesversorgung

Wir sehen drei Handlungsmaxime: mehr Prävention, mehr Teamarbeit in der Versorgung und mehr Kooperation und Koordination zwischen allen Akteuren. Wir setzen uns für die Verbesserung der Primär- und Tertiärprävention ein. Denn Diabetes lässt sich in den meisten Fällen verhindern bzw. seine Verschlimmerung vermeiden. Zudem muss die Früherkennung ausgebaut werden. Nur ein kleiner Teil der Versicherten nimmt die bestehenden Angebote war.

Zudem setzen wir uns für die Weiterentwicklung der Versorgungsforschung ein. Denn bisher wissen wir zu wenig über wirksame Präventionsmaßnahmen, gute Behandlungsprogramme und angemessene Versorgungsstrukturen. Der Schlüssel für eine wirksa-me Bekämpfung von Diabetes liegt in der Verbesserung der PatientInneninformation sowie Schulungen. Kurzum: Es geht nicht in erster Linie darum, mehr als bisher zu machen. Es geht darum, besser und wirksamer zu werden. Und dafür braucht es auch eine gemeinsame Plattform zur Vereinbarung gemeinsamer Ziele und Handlungsschritte.

Im Bereich Ernährung setzen wir uns für eine Nährwertampel auf Lebensmitteln und in der System-Gastronomie ein. Ablehnend stehen wir dagegen Forderung nach speziellen Steuern gegenüber. Mehr zu unseren konkreten Ansätzen finden Sie im Beschluss der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen „Gesunde Ernährung von Anfang an“.

Im Bereich Bewegung scheint der Ansatz, täglichen Sportunterricht zu „verordnen“, weniger geeignet, als eine auf Gesundheitsfragen ausgerichtete Gestaltung der Schulen generell anzugehen: In einem partizipativen Prozess sollten Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer sowie Eltern die Schule und deren Umfeld mit- und umgestalten. Dabei könnten sie etwa dafür sorgen, dass Schulwege per Rad zurückgelegt werden können, die Gestaltung des Pausenhofes zur Bewegung anregt und Bewegungselemente in den Unterricht intergiert werden.

Für solche Ansätze müssen die Zuständigkeiten von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungsträgern klar geregelt werden. Wichtig wird aber vor allem sein, dass sich der Charakter und der Ort der Präventionsmaßnahmen verändern. Hier wollen wir eine deutliche Kurskorrektur.



Die Fragen hat Angela Monecke gestellt.
Redaktion Diabetes-Forum, Kirchheim-Verlag
Kaiserstraße 41, 55116 Mainz
Tel.: 06131/96070-0, Fax: 06131/9607090

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2017; 29 (3) Seite 29-39