Auf vielfache Weise unterstützt das Unternehmen Berlin-Chemie Diabetesteams und Patienten. Im Interview mit Michael Bollessen und Dr. Stephan Silbermann geht es um die Gründe für das Engagement, um kritische Diskussionen – und natürlich um die Zukunft.

Mit welchen Projekten engagiert sich Berlin-Chemie in der Diabetologie?
  • Schulungsprogramme: Insulinpumpenprogramm INPUT, Hypoglykämie-Wahrnehmungsschulung HyPOS, Elternprogramm DELFIN, Typ-1-Programm PRIMAS, geriatrische Schulung SGS (auch auf Türkisch, Hocharabisch, Russisch)
  • Patienten-Informationsportal TheraKey zu Typ-2- und Typ-1-Diabetes und 6 weiteren Indikationen
  • DiaLecT: Wissenstransfer vom ADA in deutsche Arztpraxen; Weitergabe wichtiger Forschungsergebnisse im DiaLecT-Symposium
  • DiaLoQ: Fortbildung zum Typ-1-Diabetes für Diabetologen in Workshops
  • DiaXperts: Diabetologen, die ihre Erfahrungen z. B. in neue Projekte einbringen
  • [Ein]Leben – Diabetes kultursensibel behandeln: Fortbildung für Beraterinnen
  • Hausärztliche/r DiabetesmanagerIn (HDM): Fortbildung von medizinischem Assistenzpersonal
  • Diabetes Sketchnotes: Bildtafeln mit wichtigen Therapiethemen
  • Preise: SilverStar, Menarini-Preis; demnächst: Preis für digitale Projekte in der Diabetologie
  • Zukunftsboard Diabetes (zd)
  • Digitalisierungs- und Technologiereport

Herr Bollessen, Herr Dr. Silbermann, die Berlin-Chemie AG engagiert sich sehr stark in der Diabetologie – unterstützt z. B. die Entwicklung von Schulungsprogrammen, bietet das Patientenportal TheraKey an und schafft Fortbildungsmöglichkeiten für Diabetologen und Diabetesberaterinnen. Wie kam es zu diesem breit angelegten Engagement?

Dr. Silbermann: Am Anfang, vor etwa 20 Jahren, standen wir in einem Diabetesumfeld, in dem Berlin-Chemie sich einerseits als Firma behaupten und auch positionieren wollte, auf der anderen Seite bot die Diabeteslandschaft insbesondere bei Fortbildung und Schulung noch sehr viel Platz. Es war aber nie so, dass wir auf den Plan getreten sind und gesagt haben: Da ist die Lücke, da muss Berlin-Chemie rein. Vielmehr sind in der Regel alle Ideen im Dialog mit Diabetologen und Diabetesberaterinnen aus Praxis und Klinik entstanden. Im Kontakt mit ihnen merkte man sehr schnell, wo etwas nicht rund lief, weil z. B. ein geeignetes Schulungsprogramm fehlte.

Unser Verständnis bei Berlin-Chemie ist, dass ein Arzneimittel nur dann optimal wirken kann, wenn auch alle Fachleute verstanden haben, was es kann oder nicht kann – und wenn der Patient verstanden hat, warum er das Medikament nehmen soll und es auch tatsächlich einnimmt und dabei begleitet wird. Dazu gehören für uns eine Reihe von Aktivitäten: Schulungsprogramme, Fortbildung von Ärzten und Beraterinnen und letztlich auch digitale Projekte, die wir in den letzten Jahren gestartet haben.

Bollessen: Wir sehen uns als Partner in der Diabetologie. Einmal natürlich mit unseren guten Produkten – aber wir wollen nicht nur Arzneimittel herstellen, sondern sehen unsere Rolle auch darin, die Menschen in der Diabetologie zu unterstützen, relevante Themen zu identifizieren und in diesen Bereichen Hilfe anzubieten. In den letzten Jahren hat unser Engagement ein noch stärkeres Profil bekommen, und wir haben für uns drei Handlungsfelder definiert: Schulung, Fortbildung und der dritte Bereich lässt sich unter dem Oberbegriff Digitalisierung zusammenfassen.

Also geht der Impuls für Neues durchaus von Berlin-Chemie aus – oder entstehen die Projekte mehr im Dialog oder auf Anregung von außen?

Bollessen: Herr Dr. Silbermann und ich arbeiten schon viele Jahre in der Diabetologie, so dass wir beide, glaube ich, die Kompetenz haben, relevante Themen zu erkennen. Wir sind aber immer im Austausch mit Diabetologen und Diabetesberaterinnen. Es wäre auch verrückt, ein Thema zu platzieren, ohne sich Feedback zu holen. Seit 10 Jahren haben wir z. B. mit den DiaXperts einen Kreis von Diabetologen, mit denen wir unsere Ideen besprechen. Das unterscheidet uns von anderen: Wir lassen immer eine kritische Diskussion zu. Das schützt uns vor Fehleinschätzungen und gibt uns Impulse für neue Ideen.

Kam es auf diese Art auch zum TheraKey-Konzept?

Bollessen: Diese Idee kam schon von uns und basiert auf einem aus unserer Sicht ganz relevanten Thema, nämlich dass für immer mehr Patienten Gesundheitsinformationen aus dem Internet immer wichtiger werden – und das wird auch immer mehr zum Thema in den Praxen.

Silbermann: Die Grundidee von TheraKey als Medium hat sich deshalb auch immer ein bisschen unterschieden von anderen digitalen Aktivitäten seitens der Industrie. Auf das TheraKey-Portal können die Patienten nur zugreifen, wenn der Arzt die Zugangsdaten dafür übergeben hat. Wir wollen mit TheraKey kein weiterer Teil einer Parallelwelt sein, sondern qualitätsgesicherte Begleitung über den Praxisbesuch hinaus ermöglichen.

Bollessen: TheraKey kann und will auch kein Ersatz sein für die Betreuung durch das Diabetesteam, und das TheraKey-Portal ersetzt auch nicht die Schulung. Aber natürlich bietet er hervorragende Möglichkeiten, das Angebot der Praxis zu erweitern.

Was für die Diabetologen und Beraterinnen auch noch wichtig ist: Alle Diabetes-TheraKeys sind inhaltlich von Diabetologen erstellt worden, geführt vom Forschungsinstitut Diabetes (FIDAM) in Bad Mergentheim. Das bedeutet, es gibt keinen Produktbezug, es ist alles völlig neutral. Bei der Entwicklung musste bedacht werden, dass die Affinität zu digitalen Angeboten noch immer sehr differenziert ist. Die Frage ist dann: Wie weit gehen wir mit einem Angebot wie dem TheraKey? Dafür müssen wir immer wieder neu ein Gefühl entwickeln, denn sonst hat man vielleicht etwas total Hippes und Cooles, aber nur wenige sind dafür bereit.

Silbermann: Unser Ziel bei Berlin-Chemie ist es schon, mit Neuerungen auch einmal voranzugehen. Das impliziert natürlich manchmal, dass es eine Lücke auch zu Fachleuten gibt, die wir mitnehmen müssen, aber diese Lücke darf nicht zu groß sein. Bei einem neuen Schulungsprogramm wie INPUT sagen alle sofort: Toll, das schließt eine Lücke, die es schon lange gibt. Aber manchmal gibt es Lücken, die viele nur ahnen. Wenn dann ein recht weit entwickeltes Tool wie TheraKey erscheint, wird selbst manch ein Experte unruhig oder stellt sich die Frage: Wird Diabetologie jetzt noch hausärztlicher? Genau deshalb ist der TheraKey vor dem Start von mehr als 100 Schwerpunktpraxen getestet worden.

Noch einmal zu den Schulungsprogrammen: Wie engagiert sich Berlin-Chemie da?

Bollessen: Beispiel INPUT: Vor fünf Jahren haben wir mit den Fachleuten aus Bad Mergentheim überlegt, wie ein Schulungsprogramm für die Pumpentherapie aussehen könnte. Wie viele Stunden muss es haben, welche Inhalte sind wichtig? In dieser Phase war sicherlich Bad Mergentheim der Treiber.

Es reicht uns aber nicht, nur im kleinen Kreis zu diskutieren. Wir haben für INPUT Diabetologen und Diabetesberaterinnen aus circa 50 Schwerpunktpraxen eingeladen und mit dieser Gruppe mehrfach diskutiert. Das ging über zwei Jahre. In vielen Feedbackrunden wurde das Programm immer weiter verbessert.

Silbermann: In die inhaltliche Gestaltung mischen wir uns kaum ein, das überlassen wir den Fachleuten z. B. vom FIDAM in Bad Mergentheim. Aber wir machen einen Großteil der Projektierung: Es muss Logistik bereitgestellt und Pläne müssen eingehalten werden, es muss zentrale Schaltstellen geben, über die die Aufgaben z. B. von Leuten aus dem PR-Bereich, aus dem Layout und dem inhaltlichen Bereich verzahnt werden.

Auch bei der klinischen Studie, die wir unterstützt haben und die für die Abrechenbarkeit wichtig ist, bleiben wir eher im Hintergrund, aber es interessiert uns natürlich, ob ein Schulungsprogramm wie INPUT auch im realen Setting funktioniert. Dafür stellen wir das Programm 80 bis 100 diabetologischen Praxen aus unserem Netzwerk zur Verfügung und bekommen so eine zusätzliche Bewertung.

Eine sehr wichtige Phase startet erst, wenn die Studie abgeschlossen und – als Voraussetzung für eine Akkreditierung durch das Bundesversicherungsamt – bei einem peer-reviewten Journal eingereicht ist: Kein Schulungsprogramm nützt etwas, wenn es nicht verbreitet wird – und zwar in mehreren tausend Praxen. Hier helfen wir mit unserer Logistik und koordinieren, dass dezentral über Deutschland verteilt in möglichst kurzer Zeit alle Praxen die Möglichkeit haben, sich zertifizieren zu lassen und auf diese Programme zu schulen.

Bollessen: Und wir schauen natürlich auch, dass die Programme wenn nötig weiterentwickelt werden. Das beste Beispiel dafür ist das Programm SGS, das in unserem Auftrag ein neues Layout bekommen hat und in verschiedene Sprachen übersetzt wurde. Wir sehen es schon als unsere Aufgabe an, die Programme frisch zu halten.

Welche Projekte sollen als Nächstes realisiert werden? Worüber denken Sie nach?

Bollessen: Für TheraKey steht die Version 4.0 an, die Personalisierung ist dabei ein großes Thema. Das ist ein großes Projekt, das uns sicher ein Jahr beschäftigen wird. Natürlich finden wir auch das Thema Digitalisierung in der Schulung sehr spannend. Es gibt, zusammen mit den Fachleuten aus Bad Mergentheim, schon erste Ideen: Macht es nicht Sinn, dass die Praxen zwischen den Kursstunden Impulse setzen und Patienten z. B. mit Hilfe einer App interaktive Aufgaben stellen? Wir sind fest davon überzeugt, dass das hervorragend funktionieren kann, und diese Rückmeldung bekommen wir auch von Diabetologen. Oder auch: Was geschieht mit einem Patienten, der die Diagnose Diabetes bekommen hat, in der Zeit bis zur Schulung? Da kann eine digitale Lösung aus und in der Hand von Fachleuten nützlich sein. Und: Mit der heutigen Art der Schulung werden wohl nicht alle Patienten erreicht – gibt es dafür eine gute Lösung?

Im großen Bereich Digitalisierung ist noch das Zukunftsboard Digitalisierung mit seinen neun Mitgliedern interessant und auch der Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes, mit dem jährlich der Status der Digitalisierung erhoben werden soll. Der erste Report soll im nächsten Januar auf dem DiaTec-Kongress zum ersten Mal vorgestellt werden.

Silbermann: Dieses Zukunftsboard ist im Grunde der Versuch, zum ersten Mal Leute zusammenzuführen, die Vordenker sind, die aber auch merken, dass sie alleine an ihre Grenzen kommen. In Planung ist außerdem neben dem Menarini-Preis und dem SilverStar ein weiterer Preis, mit dem für gute Projekte aus dem Bereich Diabetes und Digitalisierung eine Plattform geschaffen werden soll. Für uns geht es dabei darum, in der diabetologischen Landschaft Impulse zu setzen.

Bollessen: Der Preis soll während des DiaTec vorgestellt werden; kurz danach soll es schon die Möglichkeit geben, Projekte einzureichen. Zum ersten Mal verliehen werden soll der Preis während des DiaTec 2020.

Gibt es ein Projekt, auf das Sie besonders stolz sind?

Silbermann: Schwierig ... Wenn ich denn stolz auf etwas bin, dann darauf, dass wir seit Jahren konsequent Themen aufgreifen, die andere nicht aufgreifen, und uns dabei immer fokussieren auf die Bedürfnisse in den Praxen und Kliniken. Gleiches gilt für unsere Fortbildungskonzepte. Ein Angebot wie DiaLecT, für das fünf Experten aus der Diabetologie jedes Jahr die ADA-Jahrestagung besuchen und die neuesten Entwicklungen während eines Symposiums deutschen Diabetologen präsentieren und kommentieren – das war unsere Idee, und die Veranstaltung mit 200 Plätzen ist jedes Jahr schnell ausgebucht. DiaLoQ ist eine Fortbildungsveranstaltung zum Typ-1-Diabetes, die auf Anregung von Diabetologen entstanden ist und deren Inhalte immer wieder neu an den Bedürfnissen der Teilnehmer ausgerichtet werden.

Wenn ich es für mich zusammenfasse, bin ich stolz darauf, dass wir bei Berlin-Chemie einen sehr eigenständigen Weg gehen und dass Berlin-Chemie im Diabetesbereich ein eigenes Gesicht hat.

Bollessen: Ich glaube, wir können wirklich sehr stolz darauf sein, dass wir eine Struktur geschaffen haben, die eine Diskussion und einen Dialog ermöglicht. Die Rückmeldungen zu unseren Projekten sind sehr gut, und es macht mich stolz, dass wir uns auf dem Weg unsere Offenheit bewahrt haben und diese auch pflegen. Ansonsten sind mir alle Projekte und Produkte gleich lieb – sie sind schließlich alle auch ein bisschen wie Kinder, die man mit großgezogen hat.



Das Interview führte Nicole Finkenauer.


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2018; 30 (12) Seite 42-47