Im Fachgebiet Verkehrssystemplanung und Verkehrstelematik an der TU Berlin werden Daten aus der Verkehrsplanung genutzt, um ein neu entwickeltes Modell zur Ausbreitung des Corona-Virus unter verschiedenen Annahmen zu modellieren. Demnach wird die dritte Welle der Corona-Pandemie im Ergebnis zu deutlich höheren Inzidenzen führen als die zweite Welle, davon sind die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen überzeugt. Ein massiver Einsatz von Tests könnte die dritte Welle bremsen.

Die dritte Welle der Corona-Pandemie wird im Ergebnis zu deutlich höheren Inzidenzen führen als die zweite Welle, davon sind die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus dem Fachgebiet Verkehrssystemplanung und Verkehrstelematik von Prof. Dr. Kai Nagel an der TU Berlin überzeugt - auch eine potenzielle Notbremse werde daran nichts mehr ändern. Seit Mitte des Jahres 2020 nutzt das Team seine Daten aus der Verkehrsplanung, um ein neu entwickeltes Modell zur Ausbreitung des Corona-Virus unter verschiedenen Annahmen zu modellieren. Die Ergebnisse werden regelmäßig mit den Regierungen des Bundes und der Länder geteilt.

Das fortschreitende Impfprogramm und auch das wärmere Wetter können an dieser Prognose nichts ändern. „Bei Fortsetzung des derzeitigen Impftempos werden Mitte April knapp 15 Prozent der Bevölkerung mindestens eine Erstimpfung haben. Das senkt den R-Wert ungefähr um 15 Prozent und ist damit deutlich zu wenig, um die durch die Virus-Variante B.1.1.7 verursachte Erhöhung des R-Wertes um 35 bis 70 Prozent auszugleichen.

Selbst eine 50-prozentige Erhöhung des Impftempos ab 1. April 2021 würde daran nichts mehr ändern. Wir gehen also mit schlechteren Voraussetzungen als 2020 in die wärmere Jahreszeit“, summiert Kai Nagel. Die Reproduktionszahl (R) bezeichnet dabei die Anzahl der Menschen, die im Durchschnitt von einer Corona-positiven Person angesteckt werden.

Infektionen finden vor allem im eigenen Haushalt und bei privaten Besuchen statt

Die Simulationen zeigen deutlich: Infektionen finden praktisch nur in Innenräumen in den Bereichen eigener Haushalt, private Besuche, Arbeit und Schule statt, wenn es dort zu länger andauernden und ungeschützten Kontakten – also ohne Maske – kommt. „Unsere Berechnungen ergeben, dass es effektiver ist, alle Bereiche zu beteiligen, als in einem einzelnen Bereich weitere Schutzmaßnahmen hinzuzufügen. Zum Beispiel hat nach der Einführung der Maskenpflicht im Einzelhandel die vollständige Schließung nicht-essenzieller Geschäfte kaum zusätzliche Wirkung“, so Kai Nagel.

Ungeschütze Kontakte treiben R-Wert

Eindeutig konnten die Forschenden feststellen, dass Bereiche, in denen ungeschützte Kontakte in Innenräumen weiterhin möglich sind, dramatisch zum Infektionsgeschehen beitragen und den R-Wert deutlich über 1 treiben. Dabei haben sie die Beteiligung der einzelnen Bereiche an dem R-Wert errechnet:

  • Kontakte im eigenen Haushalt sind unvermeidbar; ihr Beitrag zum R-Wert beträgt 0,5.
  • Gegenseitige private Besuche finden in der Regel ohne Masken und Schnelltests statt. In dem Fall liegt der Beitrag solcher Besuche zum R-Wert bei 0,6.
  • Kontakte bei der Arbeit tragen 0,2 zum R-Wert bei, wenn man davon ausgeht, dass es sich nicht um Einzelbüros handelt und ohne Maske gearbeitet wird.
  • Der Beitrag der Kontakte in den Schulen beträgt ebenfalls 0,2 – wenn vollständig geöffnet wird.

„In der Summe führen diese einzelnen Beiträge zu einem R-Wert deutlich über 1 und damit nach allen unseren Simulationen zu höheren Inzidenzen und einer stärkeren Krankenhausbelastung als im Dezember 2020“, fasst Kai Nagel die Ergebnisse zusammen.

Einsatz von Schnelltests könnte Infektionsgeschehen bremsen

In einem weiteren Schritt hat das Team die Auswirkungen von Schnelltests auf das Infektionsgeschehen in drei verschiedenen Szenarien untersucht. „Sollte es möglich sein, eine Teststrategie durchzusetzen, die die Bereiche Bildung, Arbeit und Freizeit im großen Umfang abdeckt, könnten die Fallzahlen der dritten Welle effektiv abgesenkt werden – aber im besten Fall nur auf das Niveau der zweiten Welle Ende Dezember 2020. Allein für Berlin würde das die Durchführung von rund 3,4 Millionen Tests pro Woche bedeuten.

Teststrategie durch weitere Maßnahmen unterstützen

Personen, die dabei positiv getestet werden, müssten sich sofort in Quarantäne begeben und dort das Ergebnis eines PCR-Tests abwarten“, summiert Kai Nagel. Ob diese Menge an Tests überhaupt zur Verfügung steht, ist bislang unklar. Dies bedeutet, dass die Teststrategie durch weitere Maßnahmen unterstützt werden muss, zum Beispiel durch den Verzicht auf Kontakte in Innenräumen, wenn ein vorheriger Schnelltest oder das Tragen einer Maske nicht möglich sind.

Ihre Prognosen erstellen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anhand eines speziell entwickelten agenten-basierten Modells. Dieses verfügt für jeden einzelnen Wochentag für alle Personen über eine Simulation, wann, wo und wie sie sich bewegt, wo sie sich aufhält und welche Aktivitäten sie dort ausführt. Verschiedene Parameter des Modells simulieren die zur Verfügung stehenden Maßnahmen und können über den Verlauf der Zeit variiert und der Realität angepasst werden.

Weiterführende Informationen:
Alle Simulationen finden Sie hier: https://covid-sim.info/


Quelle: Mitteilung Technische Universität Berlin

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