Adolf Kußmaul war einer der bedeutendsten Internisten des 19ten Jahrhunderts mit breiten wissenschaftlichen Interessen. Er beschrieb erstmals die Periarteriitis nodosa, entwickelte eine Magenpumpe, machte erste Versuche mit einem Gastroskop und publizierte über Sprachstörungen. Den Gegnern der Pockenimpfung stellte er überzeugende wissenschaftliche Argumente entgegen. In die Medizingeschichte ging sein Name durch die präzise Beschreibung der Symptome des diabetischen Komas ein. Zenit seiner Karriere war das Wirken an der neu gegründeten Kaiser Wilhelm Universität Straßburg, zu deren hervorragendem Ruf er nicht unerheblich beitrug. Seine Hingabe an die Patienten brachte ihm die Hochachtung der Elsässer ein. Auch viele berühmte Patienten vertrauten der Kunst dieses hervorragenden Arztes.

Vor 200 Jahren, am 22. Februar 1822, wurde Adolf Kußmaul in Graben bei Karlsruhe geboren. Er war einer der bedeutendsten Internisten des 19ten Jahrhunderts. Weltweit kennt die Medizin seinen Namen durch die präzise Beschreibung der "tiefen" Atmung bei diabetischer Ketoazidose. Seine wissenschaftlichen Interessen erstreckten sich über viele Bereiche der Medizin: Er entwickelte die Magenpumpe, versuchte als erster eine Gastroskopie, beschrieb erstmals die Periarteriitis nodosa und forschte über Sprachstörungen. Und – kaum bekannt: Er erfand die Figur des "Herrn Biedermeier", mit dessen Gedichten sich der junge Kußmaul über die kleinbürgerlichen Gewohnheiten der Zeit lustig machte; viel später wurde Biedermeier der Name einer Epoche der deutschen Kulturgeschichte [Kußmaul 1899].

Hochachtung vor der Allgemeinmedizin

Der Arztsohn Kußmaul wurde zunächst im Schwarzwald als Allgemeinarzt tätig. Erst spät begann seine wissenschaftliche Karriere, er promovierte 1854 in Würzburg und habilitierte sich 1855 in Heidelberg. Es folgten Berufungen 1856 nach Erlangen und 1863 nach Freiburg. 1876 bis 1888 wirkte Kußmaul an der neu gegründeten Kaiser Wilhelm Universität Straßburg. Seinen Studenten vermittelte er Hochachtung vor den praktischen Landärzten, wiederholt ermahnte er seine Studenten, deren Krankenberichte aufmerksam zu lesen und verbat sich herablassende Äußerungen über Kollegen in der Praxis [Kluge 2002].

Kampf den Impfverweigerern

Ein Freiburger Kleriker bezeichnete die Pockenimpfung als "verbotenen Eingriff in die Vorsehung Gottes". Kußmaul antwortete mit einer Artikelserie in der Badischen Zeitung, in der er alle wissenschaftlichen Argumente für die Impfung gemeinverständlich darstellte. Aber er nutzte auch die Satire, er schrieb: "Ist die Impfung ein Eingriff in die Majestätsrechte Gottes, wie Herr Dr. Hansjakob zu verstehen gibt, so hole er zuerst den Blitzableiter von seinem Gotteshause, denn der Blitzableiter ist dann nicht minder eine solche Sünde". Kußmauls Artikel wurden 1914 von der Reichsregierung millionenfach nachgedruckt, um den Widerstand gegen die Pockenimpfung zu vermindern [Kußmaul 1870].

Die "Kußmaulsche Atmung"

1874 publizierte Kußmaul die Beobachtungen von drei Menschen mit Diabetes, die im Koma verstarben. Erstmals beschrieb er präzise die typische tiefe Atmung. Mangels Insulin konnte er in keinem Fall helfen, seine heroischen Therapieversuche einer Behandlung des diabetischen Komas mit Bluttransfusionen – in einem Fall sogar mit Hammelblut – waren völlig zwecklos und gefährlich. Bis zur ersten erfolgreichen Insulintherapie sollten noch 48 Jahre vergehen. Kußmaul beschrieb ebenfalls den typischen Geruch der Atemluft und vermutete als Ursache Azeton. In allen drei Fällen beschrieb er auch die im ketoazidotischen Koma häufig auftretende "Pseudoperitonitis" mit abdominellen Beschwerden, die immer wieder zu Fehldiagnosen geführt haben [Kußmaul 1874].

Forschung braucht Geld und nochmals Geld

1888 gehörte Kußmaul neben von Frerichs, von Leyden, Gerhardt und Seitz zu den Gründern des "Congresses für Innere Medizin" in Wiesbaden, der bis heute fortlebt. "Highlight" der ersten Tagung war der Vortrag von Robert Koch.

Ein Höhepunkt der Karriere von Kußmaul war die 58. Versammlung der Deutschen Naturforscher und Ärzte in Straßburg 1885, die er leitete. Am Ende seiner Eröffnungsrede sagte er zu den anwesenden Politikern: "Die Naturwissenschaft und Medizin, sollen sie mit Erfolg bebaut werden, brauchen sie Geld und nochmals Geld und immer wieder Geld!", ein auch heute noch notwendiges ceterum censeo akademischer Festreden.

Einer der beliebtesten Deutschen im Elsass

Kußmaul war bei den von der deutschen Okkupation wenig begeisterten Elsässern durchaus beliebt. Sein "unpreußisches" badener Naturell und seine aufopfernde Sorge um Pflege und Behandlung der Patienten beeindruckten auch die Frankophilen, er wurde sogar zu Vorträgen nach Paris eingeladen. Kußmaul trug wie unter anderem von Recklinghausen, Hoppe-Seyler und von Schmiedeberg zum hervorragenden Ruf der Straßburger Universität bei. Kußmaul hatte Tränen in den Augen, als er 1888 seinem Nachfolger Naunyn die Klinik übergab [Naunyn 1923]. Kurz zuvor hatte man ihn als einzigen Internisten an das Krankenbett des Kronprinzen Friedrich gerufen, er bestätigte die Diagnose eines fortgeschrittenen Kehlkopfkarzinoms. Kronprinzessin Victoria, die nur ihrem englischen Arzt vertraute, nannte Kußmaul einen "Rübezahl … einen verkalkten Mann, der noch dazu aus einer ganz veralteten Schule kommt" [Kußmaul 1874]. Kußmaul kommentierte das in einem Brief so: "Schließlich ist es immer die Schuld des Arztes, wenn Patienten durch ihre eigenen Unklugheiten Schaden leiden, die üblen Ausgänge werden stets uns zur Last gelegt." Als Emeritus in Heidelberg war Kußmaul weiterhin tätig, auch als hochgeschätzter Arzt vieler berühmter Patienten. Kußmaul verstarb am 28.5.1902. Die Großherzogin von Baden erschien, um am Sarg Abschied vom Hausarzt ihrer Familie zu nehmen, Kränze der Kronprinzessinnen von Schweden und Norwegen und des Prinzenpaars von Montenegro schmückten das Grab des Geheimrats und Ehrenbürgers der Stadt Heidelberg [Jörgens 2022 ].


Literatur
1. Jörgens V: Eine Geschichte des Diabetes. Kirchheim-Verlag, 2022, im Druck
2. Kluge F: Adolf Kußmaul, Arzt und Forscher, Lehrer der Heilkunst. Freiburg i. B: Rombach Verlag, 2002
3. Kußmaul A: Zwanzig Briefe über Menschenpocken und Kuhpocken-Impfung. Gemeinverständliche Darstellung der Impffrage. Wagnersche Buchhandlung, Freiburg i. B., 1870. https://digital.zbmed.de/gesundheitspflege/content/pageview/4621251
4. Kußmaul A: Zur Lehre vom Diabetes mellitus. Ueber eine eigenthümliche Todesart bei Diabetischen, über Acetonämie, Glycerin-Behandlung des Diabetes und Einspritzungen von Diastase ins Blut bei dieser Krankheit. Dtsch Arch klin Med, 1874; 14: 1-14
5. Kußmaul A: Jugenderinnerungen eines alten Arztes. Verlag Adolf Bonz, Stuttgart, 2. Aufl. 1899
6. Naunyn B: Erinnerungen, Gedanken und Meinungen. Verlag J.F. Bergmann, München, 1923


Korrespondenzadresse
Dr. med. Viktor Jörgens
Fuhlrottweg 15
405912 Düsseldorf

Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2022; 31 (1) Seite 60-61