Bald wird es soweit sein. Die Firma Abbott wird die zweite Generation des FreeStyle Libre auf den Markt bringen. Dr. Martin Lederle mit einer Einschätzung. Außerdem ein Kurzinterview mit dem Hersteller.Interview In Sachen Freestyle Libre 2, das bald erhältlich sein wird, haben wir mit Astrid Tinnemans, Head of Public Affairs Germany der Firma Abbott, gesprochen.

Seit Oktober 2014 ist das System zur kontinuierlichen Gewebeglukose-Messung FreeStyle Libre der Firma Abbott in Deutschland für Patienten verfügbar. In einer Pressemeldung hieß es damals:

"Mit FreeStyle Libre ist es ab Oktober 2014 möglich, den Glukosewert durch einen einfachen und schmerzlosen Scan eines Sensors am Oberarm mit einem Lesegerät zu erfassen. Und nicht nur das. Neben dem aktuellen Glukosewert zeigt das Lesegerät nach jedem Scan das Glukoseprofil der letzten 8 Stunden und einen Trendpfeil für die Entwicklung in der näheren Zukunft an. Eine unglaubliche Erleichterung im Alltag und viel mehr Information."

FreeStyle Libre: viele Kassen übernehmen inzwischen die Kosten

Inzwischen wird dieses System zur kontinuierlichen Gewebe-Glukosemessung mit intermittierendem Scannen = iscCGM-System (die Firma Abbott hat dem System selbst den Namen Flash Glukose Messsystem gegeben) von vielen Patienten mit Diabetes mellitus genutzt, und die meisten von ihnen können sich ihr Leben ohne das iscCGM-System nicht mehr vorstellen: sie können sich jederzeit ihren aktuellen Gewebeglukose-Wert anzeigen lassen und mit Hilfe dieser Daten die Insulinzufuhr besser an ihren Insulinbedarf anpassen.

Die meisten Patienten haben damit ein besseres Stoffwechsel-Management erreichen können, ablesbar am besseren HbA1c–Wert bzw. an der verminderten Anzahl von Hypoglykämien, und empfinden dieses Messverfahren als großen Gewinn für ihre Lebensqualität. Obwohl das iscCGM–System bisher nicht in das Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen wurde, übernehmen inzwischen viele Krankenkassen im Rahmen einer Satzungsleistung die Kosten dafür (die aktuelle Krankenkassenliste finden Sie hier.

ICT-Definition des G-BA
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat den Begriff "intensivierte Insulintherapie" wie folgt definiert:

"Als intensiviert ist eine Insulintherapie anzusehen, bei der die Patientin oder der Patient entsprechend ihres oder seines Lebensstils den Zeitpunkt und die Zusammensetzung der Mahlzeit selbst frei festlegt und dementsprechend die Dosierung des Mahlzeiteninsulins anhand der Menge der aufzunehmenden Kohlenhydrate und der Höhe des präprandialen Blutzuckerspiegels steuert."

FreeStyle Libre ist kein rtCGM–System (real time CGM = Messsystem mit kontinuierlicher Datenübertragung). Trotzdem gelten bei der Verordnung bisher die für die rtCGM-Systeme festgelegten Regularien: es kann für Patienten verordnet werden, die eine intensivierte Insulintherapie durchführen.

Mit der Nutzung von CGM-Systemen hat sich ein neuer Wert als weiteres Mass für die Güte der Glukosestoffwechseleinstellung etabliert: die time in range (TIR) = Anteil in Prozent einer definierten Zeitspanne (in der Regel 24 Stunden), in der der Gewebeglukosewert im Zielbereich von 70 bis 180 mg Prozent liegt.

In der Diabetespraxis Ahaus nutzen inzwischen etwa 400 Patienten das FreeStyle Libre. Obwohl die Patienten keine Kalibrationen durchführen müssen (der Sensor ist werkskalibriert), stimmen bei den meisten Patienten der berechnete HbA1c-Wert (aus dem Durchschnittswert der letzten 30 bis 90 Tagen) gut mit dem gemessenen HbA1c-Wert überein. Dies zeigt für mich die gute Messgenauigkeit des Systems.

So geht es weiter

Die Firma Abbott hat angekündigt, dass sie demnächst die nächste Generation ihres iscCGM-Systems auf den Markt bringen wird: das FreeStyle Libre 2. Es ist zertifiziert für Kinder ab 4 Jahren sowie für Erwachsene, einschließlich Schwangere.

Gegenüber den bisherigen Eigenschaften, die erhalten bleiben (Sensorlaufzeit von 14 Tagen; keine Kalibration erforderlich) wird es über drei optionale Alarme verfügen: Alarm bei niedrigen Glukosewerten (Einstellungsbereich: 60 bis 100 mg Prozent bzw. 3,3 bis 5,6 mmol/l), Alarm bei hohen Glukosewerten (Einstellungsbereich 120 bis 400 mg Prozent bzw. 6,7 bis 22,2 mmol/l) und Alarm bei Signalverlust (keine Verbindung zwischen Lesegerät und Sensor bei einem Abstand von mehr als 6 m).

Die Kommunikation zwischen dem Sensor und dem Lesegerät finden jetzt auf zwei Wegen statt:
  • Über das Verfahren "Bluetooth Low Energy" (BLE) übermittelt der Sensor jede Minute automatisch Glukosedaten an das Lesegerät, um Alarme bei niedrigen oder hohen Glukosewerten auszulösen.
  • Über das Verfahren "Near Field Communikation" (NFC) werden wie bisher beim Scannen des Sensors mit dem Lesegerät die Glukosedaten übertragen und angezeigt.

Wenn am Lesegerät ein Alarm ertönt (Datenübertragung durch BLE), wird also nicht automatisch der aktuelle Wert angezeigt, sondern der Sensor muss mit dem Lesegerät aktiv gescannt werden (Datenübertragung durch NFC), um den Wert angezeigt zu bekommen. Dies wurde bewusst so eingerichtet, nach dem Motto "Warnen, Scannen, Handeln".

Nach Aussagen der Firma Abbott wurde die Messgenauigkeit des Sensors noch einmal verbessert, insbesondere in den ersten 24 Stunden der Sensorlaufzeit. Die Messgenauigkeit eines Glukosemesssystems wird häufig mit der MARD beschrieben (s. Kasten).

MARD
MARD ist die Abkürzung für "mean absolute relative deviation" = "mittlere absolute relative Abweichung". Dieser Wert gibt an, wie weit der Messwert des geprüften Systems für alle durchgeführten Messungen über den gesamten Messbereich von der Referenzmethode abweicht. Je kleiner dieser Wert ist, desto näher liegen die Messwerte des geprüften Systems an der Referenzmethode.

Laut Abbott wird der Preis für FreeStyle Libre 2 im Vergleich zum bisherigen System nicht erhöht werden. Dies wird die Patienten, aber auch die Krankenkassen freuen: wenn sie sich dafür entscheiden, die Kosten für das iscCGM-System der nächsten Generation weiter zu übernehmen, dann werden sie für das gleiche Geld einen größeren Gegenwert = optionale Alarmfunktionen erhalten.

Ich denke, die Patienten werden von dieser Weiterentwicklung begeistert sein.


Interview
Probleme mit dem Brexit? Ob das auch für die Firma Abbott gilt, wollten wir von Astrid Tinnemans wissen.

Wie viele Patienten nutzen derzeit in Deutschland das iscCGM-System FreeStyle Libre?

Astrid Tinnemans: Abbott legt keine konkreten Verkaufszahlen offen, aber wir können Ihnen sagen, dass weltweit über eine Million Menschen mit Diabetes FreeStyle Libre nutzen.

Meines Wissens verfügt die Firma Abbott in Europa über 2 Produktionsstätten für das System: eine in Irland und eine in Großbritannien.

Tinnemans: Das ist korrekt. Abbott hat je eine eigene Produktionsstätte in Großbritannien und eine in Irland.

Wenn diese Information zutrifft: Wird sich der sich abzeichnende Brexit möglicherweise negativ auf die weitere Lieferfähigkeit des Messsystems auswirken?

Tinnemans: Wir gehen nicht davon aus, dass der Brexit sich auf die Lieferfähigkeit von FreeStyle Libre auswirkt.

Die aktuelle Liefersituation spricht dafür, dass die aktuelle Nachfrage nach ihrem System derzeit Ihre Liefermöglichkeiten übersteigt.

Tinnemans: Seit der Einführung von FreeStyle Libre im Jahr 2014 haben wir eine enorme Akzeptanz und damit eine beispiellose Nachfrage nach dem Produkt auf der ganzen Welt erlebt und arbeiten daran, unsere Produktionskapazitäten kontinuierlich zu erhöhen, um diesem Wachstum gerecht zu werden.

Im vergangenen Juli wurde unser zweiter Schritt in Steigerung der Produktionskapazitäten für Großserien abgeschlossen, mit dem wir unsere Kapazität für FreeStyle Libre-Sensoren verdoppelt haben, um den Zugang zu bestehenden Kunden regelmäßig und kontinuierlich zu verbessern. Wir arbeiten derzeit auch an unserer nächsten Phase der Kapazitätserweiterung von FreeStyle Libre, mit erheblichen Investitionen in die Fertigung.

Wann wird das Messsystem FreeStyle Libre 2 in Deutschland verfügbar sein?

Tinnemans: FreeStyle Libre 2 wird in den nächsten Wochen in Deutschland erhältlich sein.

Wie lange werden beide Systeme von Ihrer Firma noch zeitgleich angeboten werden?

Tinnemans: In den nächsten Wochen kommt in Deutschland FreeStyle Libre 2 auf den Markt. Die Entscheidung, ab wann die Kosten für FreeStyle Libre 2 anstelle von FreeStyle Libre übernommen werden, hängt von der individuellen Vereinbarung mit der jeweiligen Krankenkasse ab.

FreeStyle Libre-Nutzer deren Krankenkasse die Kostenübernahme von FreeStyle Libre 2 genehmigt hat, werden von Abbott informiert und ab der nächsten Verordnung mit FreeStyle Libre 2 versorgt. Bei der ersten Lieferung von FreeStyle Libre 2 ist automatisch ein FreeStyle Libre 2-Lesegerät enthalten.



Autor und Interview: Dr. Martin Lederle
Arzt für Innere Medizin, Diabetologie
Diabetespraxis
MVZ Ahaus GmbH

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2018; 30 (12) Seite 24-26