Prof. Dr. Dr. Andreas Pfützner erklärt, welche Grippeimpfstoffe für Menschen mit Diabetes zur Verfügung stehen und wieso er seinen hausärztlich tätigen Kollegen empfiehlt, ihre Diabetespatienten für eine Impfung zu ermuntern.

Einleitung

Aufgrund der harten Lockdown-Maßnahmen der nationalen Gesundheitsbehörden innerhalb der Europäischen Union im Herbst und Winter 2020 ist die Grippesaison 2020/2021 praktisch ausgefallen. Von Oktober 2020 bis Juni 2021 wurden in Deutschland gerade einmal 564 bestätigte Influenzainfektionen registriert. In der Saison davor (2019/2020) lag diese Zahl laut Robert Koch-Institut noch bei 186 989 gemeldeten Fällen für den gleichen Zeitraum [Robert Koch-Institut 2021 (a)].

In diesem Herbst nun trifft zum ersten Mal die Corona-Pandemie mit gelockerten Maßnahmen auf die nächste Grippesaison. Wie bereits in der letzten Ausgabe von Diabetes, Stoffwechsel und Herz kommentiert [Pfützner 2021], wird die Influenzaimpfung in diesem Jahr von allen Gremien des Gesundheitswesens vor allem auch für Diabetespatienten besonders ausdrücklich empfohlen, um das Gesundheitssystem zu entlasten.

Wie im Vorjahr gilt die allgemeine Influenza-Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) generell für Personen über 60 Jahre sowie für Schwangere ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel, Bewohner von Alten- oder Pflegeheimen, chronisch Kranke und medizinisches Personal.

Des Weiteren sollen sich Menschen gegen Influenza impfen lassen, die viel Kontakt mit anderen haben wie Busfahrer, Erzieher oder Lehrpersonal, sowie alle, die eine mögliche Infektionsquelle für Risikopatienten sind. Menschen mit direktem Kontakt zu Geflügel und Wildvögeln sind aufgrund möglicher Wirtswechsel eine weitere gefährdete Gruppe [Robert Koch-Institut 2021 (b)]. Die Hersteller für die Impfstoffe haben sich vorbereitet und prinzipiell kann die Impfung für alle angegebenen Personenkreise zur Verfügung gestellt werden.

Welche Impfstoffe stehen zur Verfügung?

Für Kinder und Jugendliche kann (insbesondere bei Spritzenangst) ein nasal zu verabreichender Lebendimpfstoff eingesetzt werden, der für das Alter von 2 bis 17 Jahren zugelassen ist (Fluenz Tetra, AstraZeneca). Alle anderen Impfstoffe werden subkutan (s. c.) oder intramuskulär (i. m.) verabreicht und sind für verschiedene Altersstufen und Indikationen zugelassen.

Schon seit der letzten Saison ist z. B. mit Vaxigrip Tetra (Sanofi) ein Vakzin ausdrücklich auch für Schwangere zugelassen. Lassen sich Frauen während der Schwangerschaft impfen, schützen sie damit auch ihr Kind. Die gebildeten Antikörper gehen über die Plazenta auf das Ungeborene über und bieten ihm von der Geburt bis zu einem Alter von sechs Monaten einen passiven Schutz. Ein Überblick über die verschiedenen aktuell in Deutschland erhältlichen Impfstoffe findet sich in Tabelle 1.

Spezielle Impfstoffe für Menschen ab 60 Jahren

Besonders für Menschen ab dem vollendeten 60. Lebensjahr und noch nachdrücklicher ab dem vollendeten 65. Lebensjahr ist die jährliche Influenzaimpfung eine wichtige präventive Maßnahme. Gerade in dieser Altersgruppe finden sich bekanntlich auch viele Diabetespatienten, für die die Impfung noch wichtiger ist, da sie aufgrund ihrer Grunderkrankung und den damit häufig assoziierten Komorbiditäten bekanntlich zu einer besonderen Hochrisikopopulation gehören [Pfützner 2021].

Für Personen ab dem vollendeten 60. bzw. 65. Lebensjahr wird die Impfung mit einem der neuen Impfstoffe empfohlen, die speziell für diese Altersgruppe entwickelt wurden. Dafür stehen in der Saison 2021/2022 für Personen ab dem vollendeten 60. Lebensjahr der inaktivierte tetravalente Hochdosisimpfstoff Efluelda (Sanofi) und für Personen ab dem vollendeten 65. Lebensjahr zusätzlich noch der inaktivierte, tetravalente, adjuvantierte Impfstoff Fluad Tetra (Seqirus) zur Verfügung. Der neue hochdosierte Impfstoff enthält die vierfache Antigenmenge im Vergleich zu den standarddosierten Influenzaimpfstoffen. Er wurde speziell zum Verbessern des Impfschutzes für ältere Menschen entwickelt.

Sowohl der adjuvantierte, tetravalente Impfstoff als auch der tetravalente Hochdosisimpfstoff haben den Vorteil, dass in dieser Altersgruppe höhere Antikörperspiegel induziert werden. Allerdings sind die publizierten Studien zum Beurteilen von Wirksamkeit und Sicherheit für den hochdosierten Impfstoff Efluelda deutlich umfangreicher [DiazGranados 2014, Gravenstein 2017, Gravenstein 2018] und die Datenlage ist im Ergebnis auch deutlich vorteilhafter als für den adjuvantierten Impfstoff Fluad Tetra [Beran 2021, McConeghy 2020, Vesikari 2018]. Auf der Basis dieser Daten empfiehlt die STIKO daher speziell den hochdosierten Impfstoff für die Altersgruppe ab 60 Jahren, für den die Zulassung ab dieser Altersstufe Mitte diesen Jahres erteilt wurde.

Ausblick

Natürlich ist zu erwarten, dass unsere Diabetespatienten auch in diesem Winter durch die zahlreichen Hygiene- und Pandemiemaßnahmen besser vor Ansteckung auch mit Influenza geschützt sind. Den Effekt konnte man, wie in der Einleitung berichtet, bereits im Vorjahr erkennen. Allerdings bedeutet diese Situation im Umkehrschluss auch, dass das Immunsystem durch die vielfältigen Hygienemaßnahmen in den letzten eineinhalb Jahren nicht so stark gefordert wurde.

Es ist daher gerade bei Diabetespatienten möglicherweise anfälliger für Infektionen und der Impfschutz gewinnt zusätzlich an Bedeutung. Auf gar keinen Fall sollte man sich als Risikopatient jetzt nur auf die Hygienemaßnahmen verlassen. Die hausärztlich tätigen Kollegen sind meines Erachtens dazu aufzurufen, ihre Diabetespatienten aktiv anzusprechen und zur Grippeimpfung zu ermuntern.


Literatur
Beran J, Reynales H, Poder A, Yu CY, Pitisuttithum P, Yuan LL, Vermeulen W, Verhoeven C, Leav B, Zhang B, Sawlwin D, Hamers-Heijnen E, Edelman J, Smolenov I: Prevention of influenza during mismatched seasons in older adults with an MF59-adjuvanted quadrivalent influenza vaccine: a randomised, controlled, multicentre, phase 3 efficacy study. Lancet Infect Dis 2021; 21: 1027-1037
DiazGranados CA, Dunning AJ, Kimmel M, Kirby D, Treanor J, Collins A, Pollak R, Christoff J, Earl J, Landolfi V, Martin E, Gurunathan S, Nathan R, Greenberg DP, Tornieporth NG, Decker MD, Talbot HK: Efficacy of high-dose versus standard-dose influenza vaccine in older adults. N Engl J Med 2014; 371: 635-645
Gravenstein S, Davidson HE, Han LF, Ogarek JA, Dahal R, Gozalo PL, Taljaard M, Mor V: Feasibility of a cluster-randomized influenza vaccination trial in U.S. nursing homes: lessons learned. Hum Vaccin Immunother 2018; 14: 736-743
Gravenstein S, Davidson HE, Taljaard M, Ogarek J, Gozalo P, Han L, Mor V: Comparative effectiveness of high-dose versus standard-dose influenza vaccination on numbers of US nursing home residents admitted to hospital: a cluster-randomised trial. Lancet Respir Med 2017; 5: 738-746
McConeghy KW, Davidson HE, Canaday DH, Han L, Saade E, Mor V, Gravenstein S: Cluster-randomized trial of adjuvanted vs. non-adjuvanted trivalent influenza vaccine in 823 U.S. nursing homes. Clin Infect Dis 2020: ciaa1233
Pfützner A: Stellenwert der Grippeimpfung bei Diabetes mellitus in Zeiten von Corona. Diabetes Stoffw Herz 2021; 30: 329-335
Robert Koch-Institut: Arbeitsgemeinschaft Influenza. Stand: 19.10.2021. 2021 (a). http://https://influenza.rki.de (Zugriff: 26.10.2021)
Robert Koch-Institut: Für wen wird die Impfung gegen die saisonale Influenza empfohlen? Stand: 06.10.2021. 2021 (b). http://https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/Influenza/FAQ01.html (Zugriff: 26.10.2021)
Vesikari T, Kirstein J, Go GD, Leav B, Ruzycky ME, Isakov L, deBruijn M, Oberye J, Heijnen E: Efficacy, immunogenicity, and safety evaluation of an MF59-adjuvanted quadrivalent influenza virus vaccine compared with non-adjuvanted influenza vaccine in children: a multicentre, randomised controlled, observer-blinded, phase 3 trial. Lancet Respir Med 2018; 6: 345-356

Autor:
Prof. Dr. Dr. Andreas Pfützner
Pfützner Science & Health Institute
Haifa-Allee 20, 55128 Mainz

Interessenkonflikte:
Andreas Pfützner gibt an, dass er Forschungsunterstützung vom Unternehmen CNOGA Medical erhalten hat.


Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2021; 30 (6) Seite 390-391