„Diabetes – nicht nur eine Typ-Frage“, so lautete das Motto der 54. Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Die Teilnehmer diskutierten neueste Entwicklungen der Diabetesforschung und -behandlung.

Der Diabetes-Kongress hat in diesem Jahr rund 6 000 klinisch tätige und niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, Forschende sowie nichtärztliche Mitglieder des Diabetes-Behandlungsteams angezogen. Vom 29. Mai bis zum 1. Juni fand der Kongress wieder im CityCube Berlin statt. Die DDG begeht in diesem Jahr auch ihr 55. Jubiläum.

Daher stand der traditionelle Diabetes-Lauf unter dem Motto "Gemeinsam läuft es besser – 55 Jahre DDG". Der für alle Interessierten offene Lauf war 5,5 Kilometer lang, 450 Laufbegeistert nahmen teil.

Typen-Klassifikation und Gendermedizin im Fokus

"Neue Studien weisen darauf hin, dass die klassische Einteilung in Diabetes-Typen möglicherweise einer Revision bedarf", sagt Professor Dr. med. Michael Roden, Kongresspräsident des Diabetes-Kongresses 2019. "Wir haben festgestellt, dass es mehrere Formen oder auch Subphänotypen oder Cluster des Diabetes geben könnte", erklärt der Direktor der Klinik für Endokrinologie und Diabetologie an der Heinrich-Heine-Universität und am Universitätsklinikums Düsseldorf.

"Wenn wir Patienten früh besonderen Clustern zuordnen können, ergeben sich neue Möglichkeiten für eine maßgeschneiderte Betreuung und Therapie im Sinne der aktuellen Präzisionsmedizin." Im Rahmen eines Haupt-Symposiums des Diabetes Kongresses diskutieren Forschende und Kliniker diesen und weitere neue Subphänotypen der Stoffwechselerkrankung.

Ein weiterer Themenschwerpunkt widmet sich genderbezogenen Aspekten. Professor Roden erläuterte: "In der Entstehung wie auch im Verlauf des Diabetes gibt es große Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die nach wie vor nicht hinreichend untersucht und erklärt sind." Insbesondere Risikofaktoren und Komplikationen müssten auch geschlechtersensibel betrachtet werden.

"Gerade die Begleiterkrankungen des Diabetes bedeuten eine hohe persönliche Belastung für jeden einzelnen Patienten, aber auch unser Gesundheitssystem", betont der Kongresspräsident.

Große Themenvielfalt in Symposien und Workshops

Auch zu diesem Bereich gebe es aktuelle Forschungsergebnisse zu diskutieren: So können bestimmte Biomarker-Muster im Blut von Menschen mit Diabetes auf Entzündungsprozesse hinweisen, die Jahre später zu einer Neuropathie führen. Gelingt es, die zugrunde liegenden Mechanismen zu verstehen, können Risikopatienten für spätere Nervenschäden frühzeitig identifiziert und in der Folge neue Therapien entwickelt werden.

Die Kongressteilnehmer erörtern auch das Thema "Heilung" beziehungsweise Remission des Diabetes Typ 2. "Neue Studien unterstellen, dass man allein mit diätetischen Maßnahmen den Diabetes sogar heilen könnte – die Fragen sind, wie lange und bei wem dies überhaupt möglich ist", so Professor Roden.

Darüber hinaus behandeln die Symposien, Workshops, fallbasierten Veranstaltungen und Podiumsdiskussionen auch Themen zu Umweltfaktoren, psychosozialen Aspekten und zur Lebensqualität von Menschen mit Diabetes mellitus. Eröffnet wurde der Diabetes-Kongress mit Keynote Speaker Ijad Madisch. Der promovierte Virologe gründete 2008 Researchgate, das mittlerweile größte Forschernetzwerk der Welt.

Diabetes-Lauf: 5,5 km für gute Zwecke

Am Kongress-Donnerstag fiel um 18 Uhr der Startschuss zum Diabetes-Lauf mit Daniel Schnelting, 200-m-Europameister, dreifacher Deutscher Meister und Typ-1-Diabetiker. Der Diabetes-Lauf ist offen für alle Interessierten: Mit der Teilnahmegebühr (mindestens 10 Euro) unterstützen die Läuferinnen und Läufer, Walkerinnen und Walker zu gleichen Teilen die "Ferienfreizeiten für Kinder mit Typ-1-Diabetes" von diabetesDE und das Projekt "Barrierefreier Zugang zu Diabetes-Informationen" der Deutschen Diabetes Stiftung.

Die 5,5-km-Strecke führte vom CityCube Berlin durch den Sommergarten unter dem Funkturm und zurück. Im Anschluss gab es ein geselliges Beisammensein. Der Lauf fand mit freundlicher Unterstützung von Astra Zeneca statt.

Wenn Zucker das Herz aus dem Takt bringt

Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 haben ein deutlich erhöhtes Risiko für die Entwicklung kardiovaskulärer Erkrankungen und Komplikationen, wie etwa Herzschwäche und akute Gefäßverschlüsse: Nach wie vor sterben etwa drei Viertel aller Betroffenen daran, vor allem am Herzinfarkt, gefolgt von Schlaganfall. Dadurch verliert zum Beispiel ein heute 60-jähriger Mann mit Diabetes im Vergleich zu einem Stoffwechselgesunden im selben Alter sechs Lebensjahre. Bei Herzinfarktpatienten mit Diabetes verkürzt sich die Lebenszeit im Durchschnitt sogar um zwölf Jahre.

Professor Dr. med. Nikolaus Marx vom Universitätsklinikum Aachen erörterte im Rahmen einer Pressekonferenz, in welche Risikokategorien Menschen mit Diabetes nach aktuellen Leitlinien eingeteilt werden sollten und was die klinische, aber auch die grundlagenwissenschaftliche Forschung leisten muss, um künftig maßgeschneiderte Therapiestrategien zu entwickeln.

"Menschen mit Diabetes mellitus sind gehäuft von kardialen Erkrankungen betroffen. Umgekehrt kommen Störungen des Glukosestoffwechsels bei über der Hälfte aller Herzkranken vor", sagte Marx.

Herzerkrankungen verschlechtern die Prognose und Lebenserwartung bei Menschen mit Diabetes Typ 1 oder Typ 2 deutlich. Daher sei es wichtig, das kardiovaskuläre Risiko frühzeitig individuell einzuschätzen, erklärt Professor Marx: "Bei Menschen mit Diabetes und einer schon vorliegenden Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems, Nierenschädigungen oder einer Fettstoffwechselstörung ist das Risiko für akute Herz-Kreislauf-Ereignisse, wie Herzinfarkt oder Schlaganfall, sehr hoch."

Das gelte insbesondere auch für Raucher. "Die meisten anderen Menschen mit Diabetes haben ein hohes kardiovaskuläres Risiko – lediglich einige junge Patienten mit Diabetes Typ 1 können ein niedriges oder mäßig hohes Risiko aufweisen", betont der Kardiologe.

Therapiestrategie anpassen

Die medikamentöse Therapiestrategie muss an die Risikokategorie angepasst erfolgen. Aber auch Lebensstiländerungen sind ein wichtiger Therapiebaustein: Raucher sollten eine strukturierte Beratung zur Tabakentwöhnung erhalten. Außerdem empfehlen Diabetologen eine mediterrane Diät, angereichert mit vielfach ungesättigten sowie einfach ungesättigten Fettsäuren.

Darüber hinaus fördert Bewegung die Herz-Kreislauf-Gesundheit: "Menschen mit Diabetes sollten in Absprache mit ihrem behandelnden Arzt mindestens 150 Minuten pro Woche moderat bis anstrengend körperlich aktiv sein", sagt Professor Marx.

Für die Entwicklung zukünftiger Therapien hoffen Diabetologen, dass Clusteranalysen großer klinischer Studien und Kohorten unter anderem zur Identifizierung neuer prognostischer Parameter beitragen. "Bislang wenig erforscht ist auch die Herzinsuffizienz bei Diabetes", betont Professor Marx. "Um für die Behandlung dieser Hochrisikopatienten individualisierte Strategien zu etablieren, benötigen wir dringend neue grundlagenwissenschaftliche Erkenntnisse und weitere Studien."

Alle Informationen zum Diabetes Kongress 2019 sind im Internet unter www.diabeteskongress.de zu finden.

Stipendien gegen Nachwuchsprobleme

Wir gehen derzeit von etwa 6,5 Millionen Menschen in Deutschland aus, die an Diabetes erkrankt sind, jedes Jahr kommen ungefähr 500.000 Neuerkrankte dazu. Demgegenüber hat die Zahl der Lehrstühle für Diabetologie deutlich abgenommen. Während es zu Beginn meiner Karriere noch etwa 20 waren, gibt es heute an den 33 medizinischen Hochschulen in Deutschland nur noch 8 klinische Lehrstühle für Diabetologie und Stoffwechsel.

Der Rückgang ist sicher darin begründet, dass erfahrene Diabetologen in den Ruhestand gegangen sind und dass die Diabetologie als "sprechende Medizin" nicht so rentabel ist wie andere Fachrichtungen. Darüber hinaus sind aufgrund der Ökonomisierung in der Medizin auch an Krankenhäusern Abteilungen mit den Schwerpunkten Endokrinologie und Diabetes geschlossen worden.

Als Folge dieser Einschnitte sind Defizite in der Medizinerausbildung entstanden, die schließlich nicht nur die Versorgung der an Diabetes erkrankten Patienten gefährden, sondern auch den wissenschaftlichen Fortschritt einschränken.

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) reagiert seit 2007 auf diese Situation, indem sie die Kongressbesuche im Frühjahr und Herbst für junge Menschen aus Medizin und Naturwissenschaften mit Reisestipendien unterstützt. Das Stipendiaten-Programm selbst hat sich kontinuierlich weiterentwickelt. Zunächst stieg die Zahl der vergebenen Stipendien, und seit 2015 bietet die DDG in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) den 150 (Frühjahr) bzw. 50 (Herbst) Studenten, Doktoranden und jungen Assistenzärzten ein Mentoring-Programm an.

Mehrere Professoren, Ärzte aus Schwerpunktpraxen und Kollegen aus der Industrie stehen als Mentoren den Stipendiaten zur Verfügung und geben einen Überblick über den aktuellen Kenntnisstand der Diabetes-Erkrankungen und die verschiedenen Karrieremöglichkeiten, aber auch Tipps für das gute Schreiben von Abstracts und Publikationen. Durch den Besuch der anderen Veranstaltungen auf dem Kongress erfahren die jungen Leute Neues aus der Grundlagenforschung, von klinischen Studien, Therapieansätzen und der Versorgungsforschung.

Termin für 2020

Der Diabetes Kongress 2020 findet vom 20. Bis 23. Mai 2010 in Berlin statt. Die Kongresspräsidentschaft übernimmt Prof. Dr. med. Hendrik Lehnert aus Lübeck. Alle Informationen und Impressionen zum Diabetes Kongress 2019 sind im Internet unter www.diabeteskongress.de zu finden. Webcasts zu verschiedenen Vorträgen und Fotos finden Sie unter www.ddg.info/mediathek.

SilverStar-Förderpreis 2020
Die Firma BERLIN-CHEMIE AG hat vor Jahren unter dem Motto „Unsere Zukunft wird älter: Zeit zu handeln“ eine umfassende Initiative gestartet, um die Versorgung von älteren Patienten mit Diabetes mellitus in Deutschland zu verbessern. Ein ganz wichtiger Baustein dieser Initiative ist der SilverStar Förderpreis, der erstmals 2011 vergeben wurde. Der mit 25.000 Euro dotierte Preis würdigt und fördert das Engagement von Menschen und Institutionen, die sich aktiv für ältere Patienten mit Diabetes mellitus einsetzten und deren Versorgung verbessern wollen.

Die Herausforderungen in der guten Versorgung von älteren Patienten mit Diabetes mellitus sind jetzt schon groß: aktuell leben in Deutschland etwa 81,4 Millionen Personen. Laut aktueller Alterspyramide sind etwa 17 Prozent dieser Menschen älter als 70 Jahre. In der Gruppe der über 70 Jährigen liegt die Diabetes – Prävalenz aktuell bei etwa 20 – 25 Prozent. Somit leben in Deutschland derzeit etwa 3 Millionen über 70 Jährige mit einem Diabetes mellitus, die vom Gesundheitssystem qualifiziert versorgt werden müssen.

Diese Situation spiegelt sich natürlich auch in der Diabetespraxis Ahaus wider: von den etwa 1.300 Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2, die im 1. Quartal 2019 betreut worden sind, waren 47 Prozent 70 Jahre alt und älter. Auch die Zahl der älteren Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 nimmt kontinuierlich zu; das ist einerseits eine schöne Entwicklung, andererseits ist dies mit zusätzlichen Herausforderungen verbunden. Die Diabetikerversorgung muss immer mehr Aspekte der Altersmedizin berücksichtigen.

Die sich abzeichnende Entwicklung der Alterspyramide in den nächsten Jahren wird unweigerlich dazu führen, dass die Zahl der älteren Patienten mit Diabetes weiter deutlich ansteigen wird. Auch diese Menschen wollen sich in Zukunft gut versorgt wissen: sie können zu Recht eine gute Behandlung und Begleitung erwarten, die vor allem ihre Lebensqualität erhält oder verbessert und die sie aber auch vor zu viel unnötiger Diagnostik und Therapie schützt.

Somit wurde mit dem SilverStar Förderpreis schon 2011 eine Themenfeld in den Blick genommen, das in den nächsten Jahren eine immer größere Bedeutung erhalten wird: auch in den nächsten Jahren werden neue Projekte, Versorgungskonzepte und Services benötigt und gesucht, die eine Verbesserung der Versorgung von älteren Patienten mit Diabetes mellitus bewirken können. Die prämierten Preisträger können sich über eine finanzielle Förderung freuen, die ihr Projekt weiter voranbringen kann.

Einer der ersten Preisträger war 2011 das Projekt „Die Süße des Lebens“, ein Theaterstück zum Thema Lebensfreude im Alter und dem Umgang mit Diabetes mellitus. Auch heute noch wird dieses Theaterstück z.B. in Pflegeeinrichtung mit viel Freude und viel Erfolg aufgeführt. Dies zeigt: der SilverStar Förderpreis wirkt nachhaltig.

Die bisherigen Preisträger finden Sie auf der folgenden Internetseite: https://www.silverstar-preis.de/PreistraegerInnen/Projekte

Bei der diesjährigen SilverStar Förderpreis Veranstaltung am 29. Mai 2019 in Berlin gaben die Jurymitglieder einen Rückblick auf die letzten 8 Jahre: aus 240 Bewerbungen von Einzelpersonen, Praxen, Kliniken, Unternehmen, Vereinen und Verbänden wurden insgesamt 22 Preisträger ausgewählt und mit insgesamt 175.000 Euro gefördert. Einige der bisherigen Preisträger berichteten in Berlin über die „Wirkung“, die das jeweils erhaltene Preisgeld für die weitere Entwicklung ihres Projektes entfaltet hat.

Der Vorsitzende der Preisjury Privatdozent Dr. med. Dr. Univ. Rom Andrej Zeyfang gab dann zusammen mit den anderen Jurymitgliedern einen Ausblick auf die weitere Entwicklung des Förderpreises und stellte das Motto für den SilverStar 2020 vor: „Diabetes in Bewegung“.

Sport und Bewegung sind wichtige Faktoren in der Therapie von Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2: Körperliche Aktivität hilft dabei, das Körpergewicht und den Blutdruck zu senken und den Glukosestoffwechsel zu stabilisieren oder zu verbessern. Auch kognitiver Abbau bis hin zur Demenz kann durch Bewegung verhindert oder in seinem Auftreten verzögert werden. Gerade ältere Patienten mit Diabetes mellitus profitieren von Bewegung zudem in Hinblick auf Sturzprävention und Autonomie.

Gesucht werden zum Beispiel Projekte mit präventiven Ansätzen: das können auf die Bedürfnisse älterer Diabetes-Patienten konzipierte Bewegungskurse oder spezielle Gruppenveranstaltungen sein. Auch Projekte, die zum Beispiel bei der Bewältigung körperlicher Einschränkungen wie etwa dem Diabetischen Fußsyndrom oder der Prävention von Demenz und Stürzen helfen, können sich bewerben.

Es wird aber nicht nur nach innovativen Projekten gesucht, die das Thema „körperliche Bewegung“ im engeren Sinne betreffen, sondern die Bandbreite von Bewerbungen kann und soll viel breiter sein. „In Bewegung sind auch viele andere Bereiche der Diabetesbehandlung im Alter“, so Zeyfang. „Wir wollen mit dem Motto „Diabetes in Bewegung“ ein breites Spektrum an Projekten ansprechen und mit dem offenen Titel auch Spielraum für Kreativität bieten“, betont der Jury-Vorsitzende.

Angesprochen sind also auch alle Projekte, die in der Versorgung von älteren Patienten mit Diabetes mellitus für „neuen Schwung“ sorgen oder „neue Wege“ aufzeigen.

Haben Sie ein solches Projekt? Wenn ja: dann bewerben Sie sich für den SilverStar-Förderpreis 2020. Die Unterlagen dafür finden Sie hier: https://www.silverstar-preis.de/Bewerbung-2020/Bewerbungsformular

Dr. Martin Lederle, Chefredakteur Diabetes-Forum, Mitglied der Preisjury des SilverStar-Förderpreises seit 2011, Diabetespraxis der MVZ Ahaus GmbH, Wüllener Str.101, 48683 Ahaus


Autor: Matthias Heinz
Redaktion Diabetes-Forum, Kirchheim-Verlag
Wilhelm-Theodor-Römheld-Straße 14, 55130 Mainz
Tel.: 06131/96070-0, Fax: 06131/9607090

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2019; 31 (9) Seite 27-30